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Porträt // My-E-Bike-Center

Platz da, Mazda!

Vor gut einem Jahr war Martin Freese noch Autohändler. Dann, im Februar 2021, hat er mit seinem Geschäftspartner Yasin Kapakli am selben Standort in Nordenham ein E-Bike-Fachgeschäft eröffnet. Laden ist Laden. Oder?

Ein riesiger Parkplatz vor dem Gebäude, Platz und Infrastruktur für eine große Werkstatt, beste Anbindung an schnelle und langsame Verkehrswege für Testfahrten und alles in einem stadtnahen Gewerbegebiet, das vom Lebensmittel-Discounter über den Baumarkt bis hin zum Schnellrestaurant alles bietet. Ein perfekter Standort für ein Autohaus ist das hier. Oder für einen großen Fahrradfachhandel. Ersteres hatte Martin Freese tatsächlich 25 Jahre lang an Ort und Stelle in Nordenham geleitet. Dann entschied er sich innerhalb weniger Tage, mit einem Geschäftspartner daraus das »My E-Bike-Center» zu machen.
Dabei war das Autohaus ein Traditionsunternehmen. Bereits 1932 hatte sich der Großvater von Martin Freese mit einer Schriftenmalerei selbstständig gemacht. Daraus wurde unter seinem Vater ein Autohaus und eine Lackiererei. Das Familienunternehmen ging schließlich an den Sohn Martin Freese über. Der betrieb das Autohaus »Freese und Müller« als Mazda-Niederlassung. »Das lief richtig gut«, so der 52-Jährige. Warum dann der Wechsel hin zu einem ganz anderen Produkt?

Partnerschaft geht nur bei den Großen

»Das hat verschiedene Gründe«, erklärt der Unternehmer mit einem kleinen Schalk im Nacken. »Zum einen gibt es im Automobilbereich einen anhaltenden Konzentrationsprozess. Die kleinen Händler müssen immer größer werden, um zu überleben. Aber man merkt das auch in der Partnerschaft. Als kleiner Unternehmer wirst du für den Hersteller immer unwichtiger. Der nächste Schritt war, dass auch die etwas größeren Häuser Druck bekamen. Die großen Händler vermarkten zigtausend Autos im Jahr. Nur sie sind für die Hersteller relevant, die kleinen Satelliten wollen die doch weghaben.« Die Branche müsste sich komplett neu erfinden, erkannte Freese, zum Beispiel, was die Werkstätten betrifft.

»Viele haben heute doch schon das Ende vor Augen!« Die vorherrschende Unsicherheit in der Autobranche, die allgemeine Stimmung gegen das Auto, der Umweltgedanke - aber das waren noch nicht alle Faktoren für seine Entscheidung. »Ich bin schon immer gern Fahrrad gefahren, und der Nachhaltigkeitsgedanke ist mir nicht fremd.« Deshalb hatte Freese den E-Bike-Trend schon lange aufmerksam beobachtet. Doch wäre nicht Yasin Kapakli gewesen, thronte auf der Parkplatz-Stele vielleicht immer noch das Mazda-Zeichen. Er war zuvor Ausbildungsleiter bei den Norddeutschen Seekabelwerken, einem großen Arbeitgeber in der Region. Und Freeses Kunde und selbst ein E-Bike-Fan. »Wir kamen ins Gespräch und hatten sofort dieselbe Idee, das eher kleine Autohaus zum großen E-Bike-Handel zu machen.«
Die Umsetzung kann man fast spontan nennen. »Die Entscheidung und erste Konsequenzen waren innerhalb von vier Wochen durch«, so Freese. Die Verträge mit dem Autohersteller wurden gekündigt, die restlichen Autos abverkauft, ein nahe gelegener Autohändler übernahm den vorhandenen Kundenstamm. »Das ging alles sehr reibungslos.« Selbst für die meisten Angestellten. Ein Mitarbeiter konnte übernommen werden, einer ging in Rente, einer wurde weitervermittelt. Nur einer wurde durch den Wechsel zunächst arbeitslos. »Aber Mechatroniker finden heute sehr schnell Jobs«, so Freese. »Klar war da etwas Traurigkeit«, sagt der Geschäftsführer in seinem leichten norddeutschen Einschlag, »aber vor allem auch die Lust auf das Neue. Und natürlich brauchte es etwas Mut, ich hab ja auch Familie.« Ganz ohne Widerstand ging‘s von dieser Seite aber nicht, vor allem bei Kapakli. »Die Eltern waren skeptisch, ›du kannst doch diesen guten Job nicht aufgeben‹ sagten die. Meine Frau hat mich aber voll unterstützt«, erinnert sich der Co-Geschäftsführer.

Wie geht Wandel?

Als ganz wichtig sehen beide heute an, dass das alte Unternehmen gesund war. »Wenn du dich nur für Veränderungen entscheidest, weil du musst, ist das nie eine gute Ausgangslage. DerKopf ist nicht frei, du musst unter Zwang entscheiden. Und der Wechsel ist kapitalintensiv«, so Freese. »Zunächst muss in die Räder investiert werden. Das ist aber kein Neuland für einen Autohändler«, grinst er, »das kannte ich und das konnten wir zusammen stemmen.«

Dabei war es 2019/20 naturgemäß nicht einfach, den Laden voll zu bekommen. Yasin Kapakli klemmte sich ans Telefon, schrieb E-Mails an 40 Unternehmen. Sicher ist, derzeit fällt man eine Entscheidung für eine bestimmte Marke auch nach dem Gesichtspunkt, wer überhaupt liefern kann. Neben den Marken aus dem nahen Oldenburg wie Kreidler und E-Bike-Manufaktur stehen jedenfalls vor allem E-Bikes aus dem Hause Hartje wie Excelsior- oder Conway-Modelle auf den kleinen Podesten der beiden gelernten Mechatroniker.

Das vorhandene Gebäude war perfekt für ein Radhaus geeignet. Die riesige Fensterfassade sowieso, die Werkstatt konnte nach einigen Umbauten, die teils selbst vorgenommen wurden, erhalten werden. Selbst das fast eine Wand abdeckende große Sideboard-Regal in der Werkstatt konnten sie weiterverwenden. Statt der Hebebühnen gibt es jetzt drei komplett ausgestattete Holzboxen für die Monteure, in denen die E-Bikes gewartet und repariert werden. Sie werden dabei nicht auf Werkständer montiert. Per Flaschenzug zieht sie der Mechaniker auf die jeweilige Arbeitshöhe. Jeder hat sein eigenes, komplettes Werkzeugboard, die Tools bleiben also immer in der Box und gehen nicht auf eine Reise, die oft ohne Wiederkehr ist. »Natürlich wird unser Serviceteam auf die jeweiligen Motoren, aber auch Bremssysteme et cetera geschult«, erklärt Freese. Vertreten sind vor allem Bosch-, aber auch Brose- und Bafang-Motoren im Modellportfolio.

Momentan ist noch viel Platz in der Werkstatt, nur wenige E-Bikes warten auf Inspektion oder Reparatur. Auch ein Effekt davon, dass vor einem Dreivierteljahr erst eröffnet wurde. »Rein technisch ist das Rad ja nicht so anspruchsvoll«, grinst Freese. »Aus dem Autobereich sind wir da doch anderes gewohnt.«

Entweder groß oder gar nicht

Zurück zum Konzept. »Nur als großer Anbieter hat man Chancen«, waren die beiden überzeugt. Den Unternehmern kam auch zugute, dass das Markenbewusstsein und entsprechend auch die -präsentation der Hersteller beim E-Bike deutlich weniger ausgeprägt ist als beim Auto, auch wenn es hier, so die Meinung Freeses, zuküftig in dieselbe Richtung geht, was Marken und ihre Identität anbelangt. »Ins Autohaus kommen Auditoren, und wenn etwa die Optik nicht ganz genau so ist, wie es im Vertrag steht, die CI irgendwo nicht eingehalten wird, bist du raus.« Auch gibt es ein hierarchisches System, in dem man nach strengen Vorgaben zum Premium-Händler werden kann. Und die Kontrolle der Partner ist umfassend, meint Freese. »Das kann so weit gehen, dass der Hersteller in Echtzeit überprüft, wie lange ein Auto des Typs B mit einer bestimmten Wartungsarbeit beim Händler XY auf der Hebebühne ist«, erklärt Freese. Und wenn das zu lange ist, gibt’s Fragen.
Nein, im Bike-Bereich gibt es das noch nicht, aber es gibt durchaus E-Bike-Hersteller mit viel Selbstbewusstsein, was den geschlossenen Markenauftritt auch beim Händler anbelangt. »Und das wird mehr«, glaubt Freese. »Ich kann das verstehen, ich würde das auch so machen.« Irgendwann stünde dann vielleicht das Logo einer einzigen E-Bike-Marke auf dem Parkplatz.

Bikes und Komponenten in einem Aufwasch

Im Zubehörbereich bot sich eine weitere Zusammenarbeit mit Hartje, über den schon verschiedene Fahrradmodelle bezogen wurden, durchaus an. Das Angebot reicht von einer Wand mit großem Taschensortiment über eine mit Helmen bis hin zu Ersatzteilen. Ein großer Vorteil dieses Partners ist seine räumliche Nähe. Räder wie Teile werden innerhalb eines Tages geliefert, sofern vorrätig.

Die Bikes werden im E-Bike-Center fast durchgehend auf niedrigen Holzsockeln präsentiert. Zur Raumteilung und als Hintergrund dienen Wände aus künstlichen grauen Steinen in Brusthöhe. Überhaupt bestimmt Grau beziehungsweise Schwarz-Weiß das Ambiente. Das ist sicher weniger emotional als mit viel Farbe zu arbeiten, andererseits wirkt es grundsätzlich klar und aufgeräumt.

Selbstläufer E-Bike-Handel

»Null! Wir haben keine Werbung zur Eröffnung im Februar gemacht«, erklärt Freese auf Nachfrage. »Lediglich etwas Social Media«, ergänzt Kapakli. »Das war ein absoluter Selbstläufer.« Tatsächlich ist das Gewerbegebiet am Stadtrand von Nordenham stark frequentiert und E-Bikes sind Magnete für die Kundschaft, vor allem am Wochenende.
Das Sortiment wird gerade noch mit zwei Lastenrad-Modellen aufgestockt, denn ohne Lastenrad geht‘s heute nicht. Ein neu erschienenes Kompaktrad vom Standard-Zulieferer des Unternehmens wird das Angebot abrunden. Die Breite des Angebots zählt, da sind sich die beiden sicher. Deshalb warten sie sehnlichst auf E-Mountainbikes, die zurzeit ausverkauft sind. Etwa hundert Bikes haben sie als Standardpräsenz im Laden festgelegt. »Derzeit schaffen wir es leider nicht, alles hier zu haben«, so Freese. Doch auch damit stehen sie nicht allein.

Umstellen auf die neue Klientel

»Ein riesiger Unterschied« besteht zwischen den E-Bike-Käuferinnen und Käufern und der Klientel des Autohauses. Wer ein E-Bike kauft, sucht meist ein Freizeitgerät. Und das scheint stimmungsmäßig abzufärben, glaubt man im E-Bike-Center. Jedenfalls seien die potenziellen Kunden und Kundinnen stets gut gelaunt und selten gestresst, wie Freese das vom Autohandel her eher kennt. Verkaufen erscheint vor diesem Hintergrund definitiv einfacher und angenehmer. Vielleicht liegt das unter anderem am Leasing? »Gut 20 Prozent aller Räder gehen mit einem Leasing-Vertrag über den Ladentisch«, so Kapakli. »Auf den Preis schaut die Kundschaft ohnehin wenig, aber bei Leasing noch weniger.« Und für ein tatsächlich verfügbares E-Bike zeigen sie gelegentlich auch echten Einsatz. »Vor Kurzem kam ein Kunde von Köln bis hier hoch«, erzählt Freese. Knapp 400 Kilometer einfacher Weg. Was für manchen Radhändler eine Sisyphos-Aufgabe war oder immer noch ist, ist für Freese ein Kinderspiel. »Leasing und Finanzierung waren schon beim Auto mein täglich Brot, das hilft mir jetzt ungemein.« Freese verfolgt den Markt. »Das lohnt sich, wenn man sieht, dass jetzt sogar die VW-Bank für ein eigenes E-Bike-Leasing wirbt.«

Was die Ersatzteile anbelangt, geht es den Newbies genauso wie dem Rest der Branche. Man freut sich über jedes Teil, das man wider Erwarten doch noch bekommen hat.

Wechsel im Rundum-sorglos-Paket

Besucht man Freese und Kapakli, so erhält man den Eindruck, es läuft von allein, wenn man einmal die Entscheidung gefällt und mit den Geschäftsräumen und Werkstätten die Basis verfügbar hat. Um das Angebot wirklich rund zu machen, bietet das E-Bike-Center im touristischen Nordenham zusätzlich Leih-E-Bikes an. Auch dieses Angebot wird im Sommer gut wahrgenommen.

Bis zum Jahresende will man etwa 800 bis 1000 E-Bikes verkauft haben. Jetzt, im Herbst, wird’s ruhiger im ehemaligen Autohaus. Auch das ist eine Umstellung, denn der Autoverkauf kennt kaum saisonale Schwankungen.

Runder kann es wohl kaum laufen. Tatsächlich sprechen die beiden schon von der Eröffnung einer Filiale »im Einzugsgebiet einer nicht allzu weit entfernten Großstadt«. Genaueres will man noch nicht preisgeben. Und das etwa ein Jahr nach der Eröffnung des Nordenhamer My-E-Bike-Centers. »Respekt«, denkt man da, doch die beiden haben noch mehr Pläne im Hinterkopf. Schließlich sieht man sich als Vorreiter einer möglichen Bewegung in Anbetracht der unsicheren Lage der Autobranche. Und da könnte man auch, so die Überlegung, dank der vielen gemachten Erfahrungen als Berater fungieren.

»Wir haben ein fertiges Konzept für den Umstieg vom Auto- zum E-Bike-Handel«, so Kapakli. Bei Interesse und entsprechender Gegenleistung könnten und würden sie das alles weitergeben. Bis ins Detail. »Ich selbst hätte gern 5000 Euro gezahlt, wenn mir jemand gesagt hätte, was ich machen und wen ich kontaktieren muss«, so der 32-Jährige. Vielleicht biete man ein, zwei Beratungstage bei einem Unternehmen an, das sich umorientieren will und lieber einen guten Coach zahlt, als im Trial-and-Error zu versickern. »Wenn man zum Beispiel nicht weiß, dass man ein umfassendes Warenwirtschaftssystem braucht, bevor man loslegt, hat man schon fast verloren.«

Begeistert erzählen die beiden Chefs, die anfangs noch meinten, auf Excel-Tabellen setzen zu müssen, von diesem Aha-Erlebnis. Damals hatte ihr Werkstattangestellter in spe sie darauf aufmerksam gemacht, dass man mit einem umfassenden Warenwirtschaftssystem alle betriebsinternen Abläufe sehr effizient abdecken kann.

Alles in allem gelang den beiden Newcomern der Umstieg von vier auf zwei Räder so gut, dass alte Hasen im Fahrrad-Fachhandel fast schon neidisch werden könnten. Doch vorerst wurde dort vor allem ein neuer Absatzmarkt erschlossen, denn im Städtchen Nordenham gab es bislang laut Aussage der Unternehmer nur einen relevanten, relativ kleinen Fahrradfachhändler. Wie sich 2022 die Nachfrage vor Ort entwickeln wird und wie das klassische Geschäft mit Wartung, Reparaturen und sonstigem Service in Zukunft den Fachhandelsalltag bestimmen wird, wird sich schon bald zeigen. Der Fahrradhandel bleibt immer spannend. //

2. Dezember 2021 von Georg Bleicher
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