Markt - S-Pedelecs
Potenzial ohne Praxis
Es hilft, im Stadtverkehr besser mitzuschwimmen, es lässt Distanzen schrumpfen und macht mit höherer Geschwindigkeit vielen auch mehr Spaß als das 25er Pendant. Dazu kommt, dass mit der Zulassung als S-Pedelec auch automatisch andere, günstige Versicherungsleistungen gekauft werden und die neuen Fahrzeuge dank der 2017 geänderten Gesetze mehr Power haben dürfen. Trotzdem: Das schnelle E-Bike ist ein notorischer Ladenhüter – oft kommt es dorthin nicht einmal, das dokumentieren Zahlen unwiderlegbar. Hört man sich um, bekommt man diverse Gründe dafür geliefert.
Spielball des Auto-Verkehrs
Erschreckend ist der aus dem Radwegverbot der schnellen Räder resultierende Grund, Lothar Könekamp benennt ihn so: »Wir sind als S-Pedelec-Fahrer keine gleichberechtigte Verkehrsgruppe. Das geht so weit, dass die Autofahrer dich von der Straße drängen wollen«, sagt der Kölner Fahrrad- und E-Bike-Händler. »Die Leute verstehen das neue Konzept nicht. Beim Roller, der die Autofahrer auf 25 Stundenkilometer abbremst, bleibt jeder geduldig. Aber mit dem S-Pedelec …« Könekamp wurde schon einmal fast tätlich angegriffen, weil er es wagte, auf der Straße zu fahren – wo er ja auch fahren muss, siehe Kasten. »Ich habe keinen Bock mehr auf diese Konfrontation«, sagt er. Und er weiß auch von seinen Kunden, wieso man im Straßenbild noch weniger Fahrräder mit Zulassungskennzeichen sieht, als es den Verkaufszahlen nach sind: »Viele, die sich ein S-Pedelec kaufen, montieren nach den ersten Erfahrungen im Verkehr das Nummernschild ab und fahren verbotenerweise auf dem Radweg.« Seiner Meinung nach gibt es einfach zu wenig Kommunikation zu diesem Thema. Ganz viele Autofahrer wüssten heute noch nicht, was das Rad mit dem Nummernschild eigentlich ist. Und die Biker schreckten davor zurück, auf der Straße zu fahren: »Ich frage potenzielle Kunden immer, ob sie nicht ein schnelles Pedelec nehmen wollten. Die häufigste Antwort: ‚Nein, da darf ich doch nicht auf dem Radweg fahren!‘«
Dass das S-Pedelec dagegen viel Potenzial in sich trägt, ist für fast alle in der Branche selbstverständlich. Damit dieses auch entfaltet werden kann, widmete die Abschlusskundgebung des diesjährigen Vivavelo-Kongresses dem Thema einen ganzen Absatz: »Mit S-Pedelecs lassen sich auch Entfernungen bis 20 Kilometer leicht überwinden«, war da zu lesen. »Aktuell werden diese Fahrzeuge durch ihre Einordnung als Kleinkrafträder jedoch ausgegrenzt . Diese Benachteiligung hat zur Folge, dass sie nur minimal Verbreitung finden. Daher fordern wir, dass die örtlichen Behörden den rechtlichen Handlungsspielraum erhalten, S-Pedelecs die Nutzung von Radwegen zu erlauben, wenn sich diese baulich und von der Nutzerstruktur und -frequenz her dafür eigenen.«
Relativ gelassen und unbeeindruckt von der schlechten S-Pedelec-Infrastruktur gibt man sich bei einem großen deutschen Hersteller: »Wir gehen davon aus, dass das S-Pedelec als Pendlerfahrzeug schon jetzt sehr gut funktioniert«, sagt Arne Sudhoff, Leiter Corporate Communication und PR bei Derby Cycle. »Das schnelle Pedelec ist ein Nischenprodukt mit Potenzial. Derzeit wird es aber von Leuten gekauft und gefahren, die sich vorher genau Gedanken machen über ihre Strecke und die zur Arbeit beispielsweise nicht die Bundesstraße entlang müssen. Wir sind sicher, dass das Marktsegment wächst, wenn die Freiheiten größer werden. Aber es ist jetzt wie es ist, und wir kommen damit klar.« Auch die subjektiv eingeschätzte geringere Sicherheit sei ein Grund für die schlechteren Verkaufszahlen, so Sudhoff. »Und das obwohl die Unfallzahlen mit S-Pedelecs objektiv nicht höher liegen als bei Pedelecs.« Sieben S-Pedelec-Modelle gibt es bei den Marken von Derby Cycle im 2018er Katalog. Den Anteil der schnellen E-Bikes am Gesamtverkauf der Pedelecs beziffert Sudhoff mit »unter fünf Prozent«.
Der Nachbar kann‘s besser
Das ist immerhin deutlich mehr als der Schnitt von etwa einem Prozent des Anteils der S-Pedelecs an den unterstützten Rädern in Deutschland. In der Schweiz geht es erwiesenermaßen anders zu: Hier stellen die schnellen Räder mit knapp 20 Prozent aller Pedelecs eine Marktmacht dar. »Und das jährliche Wachstum ist mit 10 Prozent genauso hoch wie beim 25er,« kommentiert Dominic Redli, Chefredakteur des Schweizer Branchenblattes Cyclinfo. Er sieht den landestypischen Unterschied auch in der liberaleren Gesetzgebung: Zum einen fährt das schnelle Pedelec dort auf Radwegen, zum anderen werden Bestimmungen aber recht lasch gehandhabt: »Der Gesetzgeber kontrolliert kaum,« so Redli.
»Das liegt auch an der Geschichte des S-Pedelecs hier«, weiß Urs Rosenbaum, Leiter des Schweizer Kommunikationsunternehmens DynaMot. »Die ersten Pedelecs in der Schweiz, einem Vorreiterland, waren schnelle.« Rosenbaum nennt außerdem die eindeutigen Regeln für S-Pedelecs in der Schweiz als Gründe für die deutlich höhere Nutzung. Das ist auch für Anja Knaus vom Business Development des Schweizer Herstellers Flyer der wichtigste Punkt. »Da gibt es in Deutschland zum Beispiel die Unsicherheit mit dem Helm – ›brauche ich einen speziellen‹?« Auch die anderen Reglementierungen trügen dazu bei, dass sich das S-Pedelec in Deutschland schlechter verkauft. »In Deutschland ist nur ein Prozent der E-Bikes, die wir verkaufen, ein S-Pedelec. In der Schweiz sind es fast 20 Prozent!«
Von den Reglementierungen kann Paul Hollants ein Lied singen: Der Co-Geschäftsführer von Spezialradhersteller HP Velotechnik sieht in der Bürokratie zusätzliche Hürden. Beispiel Bremsen: Die schnellen Trikes aus seinem Hause brauchen nach den letzten Gesetzesänderungen ein Ölschauglas. »Das ist bei einem geschlossenen Hydraulik-Kreislauf wie unserem überflüssig, doch Ausnahmen von diesen Bestimmungen sind bei Einzelzulassungen, mit denen wir momentan arbeiten, nicht möglich.« Also entwickelt HP Velotechnik ein Ölschauglas. Doch andererseits sieht man die neuen Vorgaben auch als Möglichkeit, sich mit technischen Features als technisch innovativ zu präsentieren. Überhaupt bekräftigt Hollants: »Wir glauben an das Produkt vollgefedertes Mehrspurfahrzeug, das sich hervorragend zum S-Pedelec eignet. Wünschenswert wäre für uns aber eine Regelung, wie sie auch der VSF empfiehlt: Dass Kommunen Radwege je nach Eignung selbst freigeben können sollen.« Ihm fehle bei der rigorosen Aussperrung der S-Pedelecs vom Radweg auch die Einsicht des Gesetzgebers, dass diese schnellen E-Biker nicht immer schnell fahren müssen, nur weil sie es könnten. Schließlich dürften auch Porsches in der Innenstadt fahren, obwohl sie deutlich über 50 Stundenkilometer schnell sein könnten – wieso sollte also ein S-Pedelec-Fahrer nicht mal mit 25 auf dem Radweg unterwegs sein? »Langfristig«, so Hollants, »halte ich die Anhebung der 25er-Klasse auf 30 Stundenkilometer oder etwas mehr für besser.« Dann könnte darüber geredet werden, ob eine eigens S-Pedelec-Klasse noch Sinn macht.
Kopfschutz und Kommunikation
Auch dem Zweirad-Industrieverband ZIV ist die derzeitige Situation nicht geheuer. Er benennt die zwei für ihn ausschlaggebenden Punkte: »Wir sprechen uns grundsätzlich für die Zulassung der Radwegnutzung für S-Pedelecs aus«, erklärt Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Verbandes. »Möglicherweise auch mit Tempolimit, um gefährliche Situationen zu entschärfen.« Der zweite Punkt: die derzeit sehr »unscharfe Situation, was die Helmpflicht angeht. Was ist ein ‚geeigneter Helm‘? Die Nutzer sind hier oft verunsichert. Wir arbeiten an einer Norm für spezielle S-Pedelec-Helme mit – aber solche Entwicklungen brauchen Zeit.« Die Zukunftsaussichten für das schnelle Rad schätzt man beim ZIV dennoch gut ein: »Wir denken, dass es dem S-Pedelec gelingen könnte, Mobilität neu zu definieren, wenn sich die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern. Wenn ich für meine zehn Kilometer Arbeitsweg ein schnelles Elektrorad nutzen kann, mit dem ich mich nicht dem Stress als langsamer Verkehrsteilnehmer auf der Straße aussetzen muss, ist dieses Fahrzeug sehr attraktiv.« Wenn sich die Bedingungen ändern.
»Das S-Pedelec wird in der Welt nicht verstanden«, sagt auch Heiko Müller, einer der Geschäftsführer des Unternehmens Riese und Müller. »Und die Gesetzeslage sorgt dafür, dass kaum einer S-Pedelecs will, obwohl diese Fahrzeuge die Mobilitätslösung für mittellange Strecken sind.« Dass dieses Rad das Mobilitätsverhalten tatsächlich verändern kann, sieht Müller auch darin, dass sich »kein Mensch sich ein S-Pedelec kauft, um Fahrradfahrten zu substituieren. »Die durchschnittliche Streckenlänge bei Autofahrten beträgt 17 Kilometer. Kein Mensch fährt das im Alltag mit dem Fahrrad. Mit dem S-Pedelec schon – aber eben nur, wenn ich damit auf Radwegen fahren kann!«
Im Fahrradfahrer-Verband ADFC erkennt Müller auch keine große Hilfe: »Der ADFC hat Angst, dass die Radwege durch S-Pedelecs unsicher werden. Und vergisst dabei die Eigenverantwortung der Fahrer. Dabei haben die doch alle einen Führerschein, einen Tacho, eine Betriebserlaubnis für das Fahrzeug ... Und umgekehrt: Jedes Kind kann bergab so schnell fahren wie ein S-Pedelecer!« Umgekehrt argumentiere der Autofahrerverein ADAC doch auch nicht, dass er sich für alle vierrädrigen Fahrzeuge einsetzt, die höchstens einhundert Stundenkilometer fahren, so Müller.
Dem S-Pedelec fehlt eine Lobby
Tatsächlich tut sich der Allgemeine Deutsche Fahrradclub – verständlicherweise – schwer mit dem schnellen Zweirad: In der Pressestelle verwies man das Velobiz,de Magazin zunächst an den ADAC, unter anderem deshalb, weil S-Pedelecs keine Fahrräder seien und damit nicht in den Kompetenzbereich des ADFC fielen. Ein Nachhaken später äußerte man sich allerdings zu konkreten Fragen. Burkhard Stork, Geschäftsführer des ADFC Deutschland, meinte zum Radweg-Verbot für die schnellen Velos: »S-Pedelecs dürfen zurecht innerorts nicht auf Radwegen fahren, denn unsere größtenteils völlig unterdimensionierten Radwege eignen sich nicht für ein Miteinander von radfahrenden Familien und schnellen Pedelecs. Außerorts ist das etwas anderes.« Einer Öffnung der Radwege für schnelle Räder außerhalb geschlossener Ortschaften stünde der ADFC also – möglicherweise – positiv gegenüber. Doch grundsätzlich sieht sich der Verein nicht in der Handlungsverantwortung. Auch der von mehreren Seiten vorgeschlagene Neudefinition des Pedelecs – eine Klasse mit einer unterstützten Höchstgeschwindigkeit von 30 oder 35 Kilometern – steht man kritisch gegenüber. Das Ziel des ADFC sei »das zügige Vorankommen auf dem Rad für alle. Dafür reicht die Unterstützung bis 25 Stundenkilometer vollkommen aus«, so Stork. Diese Einstellung der Fahrradfahrerlobby ist beim derzeitigen Stand der Dinge sicher verständlich, muss es dem ADFC doch zunächst darum gehen, seinen Mitgliedern gerecht zu werden – und das sind vor allem Radfahrer ohne E-Unterstützung und vielleicht einige 25er-Pedelecfahrer. Dass eine Veränderung natürlich auch immer Chancen beinhalten kann, steht hier auf einem anderen Blatt. (siehe auch Interview ab Seite 38).
Die Autolobby ADAC sieht das Radwegverbot des S-Pedelecs übrigens ganz gesetzeskonform: »Eine generelle Freigabe von Radwegen oder Radschnellwegen kommt aus Verkehrssicherheitsgründen für das S-Pedelec nicht in Frage«, so die ADAC-Sprecherin Melanie Mikulla. »Radwege sind für den Radverkehr vorgesehen und nicht für die höheren Geschwindigkeiten der S-Pedelecs ausgelegt. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Radwege in Deutschland hinsichtlich der Breite nicht dem Regelwerk entspricht und damit kein komfortables Überholen selbst zwischen ‚normalen‘ Fahrrädern ermöglicht.« So gesehen ist also die fehlerhafte Umsetzung des Gesetzes (Mindestbreite von Radwegen) mitschuld, dass man S-Pedelecs nicht auf Radwege lässt.
Allerdings kann auch der ADAC sich vorstellen, dass die Dinge außerorts anders gehandhabt würden – dass hier also regional und nach Prüfung Abschnitte von Radwegen durchaus für die schnellen Velos freigegeben werden, was sicher zu einer Entschärfung von Gefahrenbereichen in der jeweiligen Region beitrüge. Einen Modellversuch würden der ADAC begrüßen.
Doch keine Lobby hin, unglückliche Hersteller her: Es gibt sie durchaus, die Unternehmen, die mit ihrem S-Pedelec-Umsatz zufrieden sind. »Wir sind faktisch ausverkauft«, erzählt Mario Sillack, »aber natürlich haben wir auch ein sehr attraktives Produkt«, hört man den Sales Director von Klever Mobility am Telefon geradezu stolz lächeln. Warum konnte man trotz der Umstände in Sachen Infrastruktur und unklare Regelungen, die alle beklagen, so erfolgreich sein? Das Klever X-Speed, von dem hier die Rede ist, ist mehrfach prämiert und hat ein sehr auffälliges Design, das wenig an ein klassisches Fahrrad erinnert. Außerdem muss man dazusagen: Ein großer Teil der Verkäufe ging ins Ausland, in die Schweiz und die Benelux-Länder, spielt also für die Situation in Deutschland keine Rolle. Aber Sillack macht auch den anderen Zugang von Klever, des Unternehmens mit Hauptsitz in Köln, für den Erfolg verantwortlich: Klever ist eine Tochter des asiatischen Kymco-Konzerns, einem Roller-Riesen. Nahezu alles am Rad käme aus eigener Entwicklung. Und die Zukunft scheint rosig: »Kymco lässt sich gerade als Pedelec-Hersteller zertifizieren. Dann werden enorme Stückzahlen möglich!«
Der deutsche Markt – nochmals die Zahl: 7.200 S-Pedelecs im Jahr 2017 – ist derzeit allerdings noch nicht für große Mengen bereit. Ob sich die Gegebenheiten ändern, bleibt fraglich. Vielleicht geht es so wie mit dem Pedelec-Boom der letzten Jahre: Ein gewaltiger Trend entstand trotz der dauerhaft schlechten Bedingungen in Sachen Verkehrsinfrastruktur. Schöner wäre es allerdings, würde es anders laufen.
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