Standpunkte - Zukunft der Fachmessen
Quo vadis Fahrradmessen?
Blick nach vorn
Viel zu lange hat die Branche über Nebensächlichkeiten gestritten – über Termine, Hotelpreise, den Verkehrsstau zu Messebeginn – und dabei versäumt, über die wesentlichen Zukunftsfragen zu sprechen: Wie entwickelt sich unser Wirtschaftszweig? Wohin geht die Reise? Wer werden wir sein in fünf oder zehn Jahren? Was für eine Art Leitmesse brauchen wir perspektivisch: wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch?
»Wir sollten uns nicht von Emotionen leiten lassen«
Albert Herresthal
Der Messe-September in Friedrichshafen und München macht die offenen Fragen für alle sichtbar: Sind wir ausschließlich Fahrrad/E-Bike oder sind wir Teil der Mobilitätsbranche? Ist der Slogan der Eurobike »Only Bikes. No Cars.« ein Zukunftskonzept oder doch eher zu kurz gedacht? Was ist von dem Mobilitätsansatz der IAA Mobility zu halten?
Bei einer Bewertung sollten wir uns nicht von Emotionen leiten lassen, zum Beispiel, dass wir die Messemacher in Friedrichshafen über all die Jahre schätzen gelernt haben und dass wir dem VDA nicht über den Weg trauen. Viele fürchten, dass E-Bikes auf der IAA Mobility nur als »grünes« Alibi herhalten sollen.
Unsere Branche muss jedoch zeitnah eine Antwort auf die Frage finden, ob sie sich nur als »Fahrrad« sieht oder besser als wichtigen Teil von »Mobilität« verortet. Letzteres bietet der Branche neue Chancen. Die Entwicklung hat ja längst begonnen: Unter dem Stichwort »Mikromobilität« ist in den letzten Jahren vieles an Produkten und Dienstleistungen entstanden, was bisher an unserer Branche noch wirtschaftlich vorbei geht. Sind wir so überheblich zu glauben, dass wir uns das auf Dauer werden leisten
können?
Mein Standpunkt: Unsere Leitmesse sollte die Zukunftsthemen stärker in den Blick nehmen! An gesellschaftlicher, medialer und politischer Relevanz wird die Fahrradbranche nur dann gewinnen, wenn sie den Blick weitet und vielfältige Mobilitätslösungen einbezieht, wobei das Fahrrad/E-Bike weiterhin im Mittelpunkt stehen sollte als wesentlicher Teil einer künftigen Mobilität. Die wird sehr vielfältig und ausdifferenziert sein und digitale Innovationen machen unzählige Anwendungen möglich. Ich wünsche mir die Eurobike als Leitmesse mit einem längerfristig angelegten Konzept, das Impulse gibt, die in die Zukunft führen. Sie muss einen relevanten Fachkongress enthalten und attraktiv sein für die Entscheider aus der Politik. Der aktuelle Ansatz der Eurobike, ab 2022 nach Frankfurt zu gehen, wo sich wesentlich mehr Menschen ansprechen lassen als in Friedrichshafen, geht in die richtige Richtung, reicht aber nicht aus. Ein neues und umfassendes Zukunftskonzept für die Leitmesse der Fahrradbranche ist überfällig! Mit ihm wird sich nicht nur gutes Geld verdienen lassen, weil es viele Aussteller und Besucher anzieht, es wird auch einen Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Branche leisten können.
Text: Albert Herresthal
Exklusive Bühne
Den künftigen Sinn und Zweck von Fachmessen diskutieren wir im Fahrradmarkt nicht erst seit diesem Jahr. Die Corona-Krise ist durchaus ein Wirkbeschleuniger für Veränderungsprozesse, die grundlegende Frage aber, wie eine Leitmesse für die Fahrradbranche künftig angelegt sein muss, stellt sich unabhängig davon, dass Messeveranstalter in den letzten 18 Monaten eine ziemlich schwierige Zeit durchlebt haben. Und diese Frage berührt auch unser Selbstverständnis als Branche oder vielmehr den Blick auf unser Produkt. Ist das Fahrrad nur eine von vielen Mobilitätsformen? Sind wir nur ein weiterer Player neben Sharing-Scootern, Autos und öffentlichem Nahverkehr? Sind wir tatsächlich Mikromobilität, also die kleinstmögliche Form, um von A nach B zu kommen? Oder ist nicht vielmehr das Fahrrad ein ganz eigenes (Messe-)Thema?
»Eine Leitmesse, bei der wir nicht nur Beiwerk sind«
Markus Fritsch
Den Slogan der Eurobike »Only Bikes. No Cars.« finde ich in diesem Zusammenhang ziemlich clever. Er ist natürlich ein Seitenhieb Richtung IAA, die künftig als Mobilitätsmesse auch den Fahrradmarkt umgarnt. Die IAA war bisher eine der wichtigsten Einnahmequellen für deren Veranstalter VDA, den Verband der Automobilindustrie und damit erster Lobbyist im Lande in Sachen Autoverkehr. Doch die Besucher- und Ausstellerzahlen der IAA erodieren zunehmend. Bei der letzten IAA kamen 250.000 Besucher weniger. Auch immer mehr Autohersteller, wie z.B. Stellantis (u.a. Peugeot, Opel und Fiat) und die meisten asiatischen Autohersteller, kehren der Fachmesse des VDA den Rücken. Es ist für Fahrradmarken sicherlich spannend, sich auf der IAA einem potenziell kaufkräftigen Publikum als Alternative zum Auto zu präsentieren. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass wir damit auch einen finanziellen Beitrag zur Lobbyarbeit für den Autoverkehr leisten. Und an der Weltsicht des VDA lässt der Verband auf seiner Website wenig Zweifel: »Das Auto ist (…) bei Weitem das wichtigste Verkehrsmittel im Personenverkehr«, steht dort unmissverständlich zum Thema Verkehr.
Als Branche sollten wir das Fahrrad auch künftig sehr selbstbewusst als eigene Form der Mobilität, als perfekte Antwort auf die urbanen Herausforderungen der Zukunft und nicht nur ganz nebenbei als die beliebteste Freizeitaktivität der Menschen hierzulande darstellen. Wir sollten so selbstbewusst sein, dass wir als Branche eine Leitmesse für das Fahrrad unterhalten, bei der wir nicht nur Beiwerk sind, um ein ramponiertes Image wieder auszubeulen. Wir als Branche sollten uns für eine Fahrradinfrastruktur stark machen, die dem PKW-Verkehr massiv urbane Räume wegnimmt. Wir sollten bessere Fahrradwege fordern statt Mikromobilitätswege.
Diese Standpunkte können wir auf einer Leitmesse der Fahrradbranche gegenüber Gesellschaft und Politik prominent und ohne Nebenbuhler ins Rampenlicht setzen. Ich persönlich fände es gut, wenn die Eurobike diese Funktion ab 2022 in Frankfurt mit breiter Unterstützung der Marktteilnehmer ausfüllt. Wir haben bereits eine Leitmesse, wir müssen sie nicht mehr neu erfinden. Und irgendwie doch. Denn ja, Gesellschaft und Politik sind wichtig auf einer Fachmesse. Aber noch wichtiger ist die Branchenbeteiligung. Viele Unternehmen, Händler wie Hersteller, sehen jedoch in der Teilnahme an Fachmessen keinen wirtschaftlichen Zweck mehr. Ein Zukunftskonzept für die Eurobike muss deshalb vor allem auch die Frage beantworten, wie die Relation von Nutzen und Kosten einer Messeteilnahme gewährleistet werden kann. Ohne eine überzeugende Antwort auf diese Frage wird es immer weniger Messeaussteller geben, ohne Aussteller immer weniger Besucher, ohne Besucher keine Leitmesse.
Die Zukunftsfähigkeit der Eurobike liegt jedoch nur zum Teil in der Verantwortung des Messeveranstalters. Wir als Branche müssen auch eine Entscheidung treffen, ob wir eine Leitmesse für das Thema Fahrrad wollen. Und entsprechend handeln. Sonst sind wir auf den Schaubühnen der Mobilität künftig vielleicht doch nur noch Juniorpartner anderer Branchen.
Text: Markus Fritsch
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