Eindrucksvoll: Parlamentarischer Abend in Berlin
Radverkehr auf dem Marsch durch die Institutionen?
deutlich besseren Wahrnehmung des Rads. Nicht als Freizeitspaß, sondern ganz ernstzunehmend unter dem Motto des Abends „Faktor Fahrrad: Wirtschaftskraft und Lebensqualität“.
Eindrucksvolle Entwicklung und Aufbruchstimmung
Fast genau drei Jahre ist es her, dass der erste gemeinsam von den Branchenverbänden organisierte Parlamentarische Abend das Fahrrad in den Fokus der Politik rückte. Zu dieser Zeit mit einem noch recht überschaubaren Auditorium und von vielen, auch in der Fahrradbranche, wohl eher als Randaktivität wahrgenommen. Ganz anders sah es in diesem Jahr beim Parlamentarischen Abend mit Gästen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden aus: „Über 200 Teilnehmer ist bereits eine tolle Resonanz, aber gleich 25 Mitglieder des Deutschen Bundestag dabei zu haben, das ist schon sehr bemerkenswert“, resümiert VSF-Geschäftsführer Albert Herresthal. „Beim letzten Parlamentarischen Abend der Fahrradwirtschaft waren es insgesamt 70 Teilnehmer. Die Entwicklung zeigt, wie stark die politische Aufmerksamkeit für unser Thema Fahrrad in den letzten drei Jahren gewachsen ist.“ Tatsächlich lag das Gefühl allseitiger positiver Aufbruchstimmung in der Luft und erstaunlich viele Gäste blieben nach dem offiziellen Programm noch zum informellen Austausch.
Ausdauernde Lobbyarbeit trägt Früchte
Wesentlich zum Erfolg beigetragen haben dabei sicher nicht nur die professionelle Konzeption, die Redner und das Rahmenprogram der Veranstaltung, sondern vor allem auch die ständige politische Arbeit der Verbandsvertreter. Die lagen mit ihrer Entscheidung, auch in Berlin starke Präsenz zu zeigen, wohl genau richtig und betreiben hier vor Ort und mit Veranstaltungen wie Parlamentarischen Radtouren, Konferenzen und Kongressen, wie vivavelo, Lobbyarbeit im besten Sinn. So begann die Planungen für die Gründung des Parlamentskreises Fahrrad bereits vor einem Jahr. VSF, ZIV und ADFC hatten ein gemeinsames Konzept dafür entwickelt und waren damit auf die Abgeordneten zugegangen. Beim vivavelo Kongress im April 2018 fand laut Albert Herresthal dann ein erstes informelles Treffen der Gründungsmitglieder statt.
Sehr gute Mischung aus Austausch und Information
Wie bereits auf dem vivavelo-Kongress betonte der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann in einem Grußwort, dass es erklärtes Ziel des BMVI sei, den Radverkehrsanteil im Modal Split deutlich zu erhöhen und die dafür nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Auch gesetzgeberisch müsse noch etwas für den Radverkehr passieren. Bekannte Ankündigungen, denen allerdings, das machten die anschließenden Panels deutlich, auch Taten folgen müssen. Bislang, so die breite Kritik, gibt es zur (Haushals-)politischen Realität noch eine deutliche Diskrepanz und auch bei Fördermitteln zu hohe bürokratische Hürden. Davon abgesehen hatte die mit guten Rednern gespickte Veranstaltung viele Informationen und einige Highlights zu bieten: Angefangen bei der Eröffnungsrede von Cem Özdemir, der den Bund aufforderte, die finanziellen Mittel für den Radverkehr zu erhöhen und eine Gleichberechtigung für das Fahrrad zu schaffen. In den folgenden drei Panels wurden in Kurzvorträgen und Podiumsdiskussionen Themen rund um die Bedeutung des Fahrrads angesprochen. Vom Wachstumsmarkt der Logistik mit Lastenrädern, über den Tourismus, bis hin zu den gesundheitlichen, sozialen und volkswirtschaftlichen Vorteilen des Radfahrens. Als abschließender Punkt stand schließlich die Gründung des Parlamentskreises Fahrrad auf dem Programm.
Wichtiger Fürsprecher: Cem Özdemir
Natürlich, viele hätten gerne einen Minister als Fürsprecher für das Thema Fahrrad und mancher vielleicht insgeheim gleich die Kanzlerin. Aber bis dahin ist es sicher noch ein langer Weg. Und Deutschland, das machte auch Cem Özdemir deutlich, ist und bleibt (bis auf weiteres) ein Autoland. Als Ausschussvorsitzender im Bundestag für Verkehr und digitale Infrastruktur weiß der Baden-Württemberger Schwabe, wovon er spricht. Mit Sachkunde, Verve und Wortgewalt bezieht er gerade deswegen klar Stellung für das Fahrrad. Nicht aus „grüner Ideologie“, sondern aus der Überzeugung, dass das Fahrrad tatsächlich ein wichtiger, vielfach unterschätzter Problemlöser ist. So setzte seine Feststellung „In Deutschland hat ein parkender PKW mehr Rechte als ein Kind, das sicher mit dem Rad zur Schule fahren möchte!" einen bleibenden emotionalen Akzent.
Ein wichtiger Fürsprecher ist er aber auch aus einem anderen Grund: Zusammen mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gehört der Grüne in aktuellen Umfragen zu den Top Drei der beliebtesten Politiker in Deutschland. Weit vor seinen Parteifreunden und erstaunlicherweise als einziger unter den Top Ten der Politiker ohne einen Spitzenposten. Das legt die Vermutung nahe, dass er künftig nicht nur weiter seine Stimme erheben, sondern mit seiner Forderung „Wir brauchen künftig viel mehr Fahrrad im Verkehrsmix!“ tatsächlich auch gehört wird.
Bemerkenswert: „Ganz große Koalition“ im Parlamentskreis
Jahrelang konnte man sich der politischen Lager sicher sein, wenn es galt die Stimme entweder für das Fahrrad oder eben das Auto zu erheben. Aber sowohl in der Bevölkerung, wie auch in den Parteien und bei den Abgeordneten selbst, weicht die vormals klare Orientierung offensichtlich immer mehr auf. So verwundert es nicht mehr, dass weder der CDU-Abgeordnete und langjährige Organisator der Parlamentarischen Fahrradtour Gero Storjohann Berührungsängste beim Thema Fahrrad hat, noch seine Bundestagskollegen verschiedenster politischer Couleur. „Heute schaffen wir die Voraussetzungen dafür, uns im Politikfeld Radverkehr fraktionsübergreifend künftig noch enger abzustimmen“, so der motivierte Berichterstatter Radverkehr der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Storjohann. Weitere Gründungsmitglieder sind Stefan Gelbhaar (B90/Grüne), Mathias Stein (SPD), Andreas Wagner (Die Linke) und Dr. Christian Jung (FDP).
Neben eigenen Überlegungen dürfte wohl auch der Gedanke eine Rolle spielen, dass man die gesteckten Ziele ohne das Fahrrad nicht erreichen wird und auch die Bevölkerung landesweit Druck macht. „Das Thema Fahrrad wird mit wahlentscheidend sein“, prognostiziert folgerichtig der ADFC-Bundesvorsitzende Ulrich Syberg. VSF-Geschäftsführer Albert Herresthal freut sich, dass mit dem interfraktionellen Parlamentskreis ein Stück Fahrradkultur in den Deutschen Bundestag einzieht und Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) freut sich im Gespräch über die Aufbruchstimmung pro Fahrrad, die sich angesichts dauerverstopfter Straßen und der andauernden Dieseldiskussion allseits breit mache. Die Fahrradbranche wolle keine Fahrverbote, sie böte Lösungen an. Damit sei eine gute Basis vorhanden für weitere Gespräche. Beste Voraussetzungen also für den langen Weg durch die Institutionen Richtung Fahrradland Deutschland.
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