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Blickwinkel - Acht Jahre später

Rückkehr an den Ort der Demütigung

Vor einigen Jahren schrieb Till Raether im »SZ-Magazin« eine Glosse über seine schlechten Erfahrungen mit Fahrradhändlern – und noch immer bekommt er viel Resonanz dafür. Dabei sieht er die Sache seit einiger Zeit ein klein wenig differenzierter.

Jedes Jahr im Frühjahr kriege ich Ärger. Das liegt daran, dass ich vor acht Jahren im »Süddeutsche Zeitung Magazin« einen Text über »die Arroganz von Fahrradhändlern« geschrieben habe, den die Online-Redaktion pünktlich zu Beginn der Fahrradsaison Jahr für Jahr wieder auf die Homepage holt und über die sozialen Medien verbreitet. Und dann beschweren sich Fahrradhändler über die drastische Ungerechtigkeit meiner Darstellung und Kunden über meine Ahnungslosigkeit in Sachen Radfahren. Vor allem in den ersten Jahren war das Echo auf den Text so stark, dass ich zeitweise im Fahrradladen den Nachnamen meiner Frau gesagt habe, um nicht unangenehm aufzufallen. Auch diesmal gab es neben ein bisschen Zuspruch (»Woher kennst du meinen Fahrradhändler?«) ebenfalls wieder viel Kritik: Unter anderem schrieb ein Leser, wenn mir Fahrradläden so unangenehm seien, wäre ich wohl der richtige Kandidat für ein wartungsfreies Produkt der Firma »Swapfiets«, dies ist unter Fahrrad-Enthusiasten, entnehme ich seinen Emojis, die ultimative Beleidigung. Ein anderer, der nicht gesehen hatte, dass der Text vom Mai 2012 ist, meinte, es sei »eine extra Sauerei«, ausgerechnet in diesem Jahr so auf dem Fahrradhandel rumzuhacken.

Und tatsächlich ist dieses Jahr ein guter Anlass für mich, um mal in mich zu gehen. Ja, Fahrradhändler haben dieses Jahr mehr schuften und mehr Kundenkontakt ertragen müssen als sonst, und es ist verdienstvoll, dass sie immer mehr Menschen aufs Zweitbeste aller Fortbewegungsmittel bringen (nach den Füßen). Aber ist das nicht eigentlich sowieso ihr Job, und könnte man sie nicht darum beneiden, dieses Frühjahr und diesen Sommer ordentlich zu tun gehabt zu haben? Na, ich will nicht wieder anfangen zu stänkern.

Vor acht Jahren habe ich so Sachen geschrieben wie: »Früher gab es einen Ort der sicheren Demütigung im Einzelhandel ­­­­­– das war der Plattenladen. Der Laie betrat den Plattenladen in der Angst, auf einen Musiksnob zu treffen, der einem beim Kassieren das Gefühl gab, man würde das neue Smiths-Album sowieso nicht verstehen. Heute erfüllt diese Funktion der mufflige Fahrradhändler. Offenbar möchte er ausschließlich Rennradkomponenten an Spezialisten verkaufen und über Ritzelpakete, Lenkerhörner und Kalibrierbuchsen fachsimpeln. Stattdessen muss er sich rumschlagen mit Pack, das einfach nur von A nach B radeln will, und dafür ein Gefährt braucht, welches das Pack dann nie angemessen warten und aufpumpen wird. Über seine Menschenfeindlichkeit täuscht der Händler notdürftig hinweg, indem er seinem Laden einen heiteren Namen wie ›Rad und Tat‹ oder ›Radhaus‹ gibt.« In diesem Ton, das gebe ich zu, geht es seitenweise weiter. Ich möchte hier aber gar nicht noch mehr aus der ollen Kamelle zitieren, sondern nach vorne blicken.

Tatsächlich stand hinter meinem »Rant«, wie man einen Wutausbruch 2012 noch nicht nannte, wie so oft, wenn jemand ausrastet, ein Gefühl von Angst und Schmerz. Beginnen wir mit dem Schmerz: Es tut weh, zurückgewiesen zu werden. Für viele Menschen, die Radfahren nicht als ernsthaftes Hobby oder gar beruflich betreiben, ist das Radeln ein kindliches Vergnügen. Auch wenn ich jeden Tag und zu allen Jahreszeiten mit dem Rad ins Büro fahre, haben sich die Fortbewegungsart und das Gefährt für mich etwas Heiteres, Kindliches bewahrt, das mir selbst der Autoverkehr nicht austreiben kann, nicht mal der erbarmungswürdige Zustand der Radwege in meiner Stadt.

Das heißt, das Fahrrad ist auch für mich als Laien ein emotional aufgeladener Gegenstand, und ich denke, ich habe oft einen Schmerz verspürt, wenn ich im Fahrradladen wegen meiner Unkenntnis oder wegen meines schlecht gepflegten Rades ruppig behandelt oder auch nur kritisiert worden bin. Ich denke, es erinnert mich und viele andere meiner Generation an unsere Väter, die uns streng darauf hinwiesen, wir müssten unser Rad »pfleglich behandeln« und »auf Vordermann bringen«.

Im Grunde betritt der Laie den Radladen also bereits mit der Angst vor Zurückweisung. Und das ist nicht die einzige Angst, wenn ich ehrlich bin: Meine Wut lag womöglich auch daran, dass ich insgeheim Angst hatte, der Fahrradhändler könnte recht haben. Vielleicht nicht mit seiner schnippischen Ablehnung des Prinzips Kettenbürste und ähnlichen Hinweisen. Aber mit seiner mühsam unterdrückten Verärgerung darüber, wie schlecht ich mein Fahrrad behandle. Darüber, dass ich stillschweigend erwarte, mein Fahrrad wäre komplett wartungsfrei, und ihm dann ein mistiges Ding erst bringe, wenn es gar nicht mehr läuft. Vielleicht wäre mir Gleichgültigkeit in dieser Situation unmittelbar lieber, aber je länger ich nun darüber nachgedacht habe, desto mehr verstehe ich, dass hinter der Strenge des Fahrradhändlers in erster Linie Liebe zum Fahrrad an sich steht. Und ich ahne, wie es sich anfühlen muss, wenn man jemandem gerade nach langer Beratung ein gutes Fahrrad verkauft hat, und dann möchte der Kunde statt achtzig Euro nur dreißig für ein Schloss ausgeben. Ja, der Kunde in diesem Beispiel bin ich. Und, ja, es stimmt, noch nie habe ich ein billiges Schloss nicht bereut.

Vielleicht ist nun tatsächlich dieses Fahrradjahr 2020 das, in dem der fachlich erfahrene, aber menschlich etwas stoffelige Fahrradhändler und der laienhafte Laufkunde wieder zusammenfinden. Was mich betrifft, so bin ich, würde ich sagen, ein anderer Radfahrer geworden, seit ich mir mein aktuelles Alltagsrad 2015 bei einem neu eröffneten Fahrradladen selbst zusammengestellt habe. Dabei entstand etwas, was ich vorher noch nicht so erlebt hatte: geteilter Enthusiasmus für ein gemeinsames Projekt. Die Händlerin nahm sich Zeit am Computer und Katalog, und ich formulierte, was ich von einem Fahrrad erwarte. Unter anderem, dass es rot ist und silberne Schutzbleche hat. Als mein Fahrrad vom Hersteller kam und ich es abholen durfte, stand es im Schaufenster. »Ja«, sagte der Kollege der Fahrradhändlerin, »das ist so schön geworden, das musste ich kurz ausstellen.«

Seitdem bin ich netter zu meinem Fahrrad, und die Leute im Radladen sind netter zu mir. Es ist wie ein gelingendes Dreiecksverhältnis, das Fahrrad trennt uns nicht mehr, es verbindet uns. Ich fürchte nur, die Redaktion vom »SZ-Magazin« wird den alten Text auch nächstes Frühjahr wieder aus dem Archiv holen. Es sind wirklich ein paar ganz gute Gags drin, sowohl von den zitierten Fahrradhändlern als auch von mir. Aber vielleicht lesen wir ihn in Zukunft eher als historisches Dokument.

7. September 2020 von Till Raether
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