Porträt - Hase Bikes
Seit 30 Jahren Spezialist
Es war 1994, als Marec Hase seine Leidenschaft für Spezialräder zum Beruf machte und sein Unternehmen gründete. Startpunkt war eine Garage, die wie in manch anderer Firmenchronik der sympathische Startpunkt für eine Erfolgsgeschichte ist. Seitdem hat sich Hase Bikes zum aktuell wohl größten Hersteller von Spezialrädern in Deutschland und darüber hinaus entwickelt.
Die heutige Größe des Unternehmens dürfte manchen überraschen. Schon die Räumlichkeiten sind größer, als man annehmen würde. Ganze vier Hallen beansprucht Hase Bikes für sich auf der historischen Zeche Waltrop. In der historischen Zechenhalle, bei Hase die »Halle 1«, ist das sogenannte Schaltwerk untergebracht. Dazu gehören neben dem Flagship-Store, der mit 350 Quadratmetern das gesamte Erdgeschoss einnimmt, auch Konstruktion & Entwicklung, Vertrieb, Buchhaltung, Personalabteilung, Marketing und Sozialräume. Zusammen steh dem Schaltwerk 1200 Quadratmeter zur Verfügung. In »Halle 2« (bei Hase gibt man gerne zu, bei der Namensgebung nicht allzu kreativ geworden zu sein), stehen die mechanische Werkstatt und die Qualitätsprüfung auf 500 Quadratmetern untergebracht. In »Halle 3« ist das 750 Quadratmeter große Lager untergebracht, in »Halle 4« schließlich finden auf 3000 Quadratmetern seit Ende 2022 die Montage, weitere Lagerfläche und Sozialräume ihren Platz. Rund 30 Menschen sind in der Produktion tätig. Das ist inzwischen ziemlich viel Raum für einen Hersteller, der in seinen Anfangstagen zufrieden war, wenn ein Rad pro Woche verkauft wurde.
Heute empfängt Hase Bikes Kundschaft und Handel in attraktiven Räumlichkeiten wie dem noch neuen Showroom. Über 30 Jahre Firmengeschichte hat sich das Unternehmen von der Garage zu nun rund 6000 Quadratmeter Betriebsfläche entwickelt.
Henrik Just, Leiter Vertrieb bei Hase, sieht die Veränderung auch auf allen anderen Ebenen. »Unsere Produktion hat sich auch verändert. Da haben wir uns weiterentwickelt. Auch durch das größere Team wurde es nach und nach notwendig, eine Produktionsstraße einzuführen.«
Tatsächlich sind die bescheidenen Anfänge kaum mehr zu erahnen. Nicht nur die Stückzahlen sind heute in anderen Dimensionen. Auch die Arbeitsfelder haben sich gewandelt und erweitert. Man gewinnt schnell den Eindruck, dass Hase eigentlich alles selber kann. So sind vor Ort viele Kompetenzen versammelt, die man so nicht unbedingt erwarten würde. »Wir sind hier wirklich sehr, sehr breit aufgestellt, was die Kompetenzen angeht«, verdeutlicht Dario Valenti. Er begann als Azubi bei Hase Bikes und leitet nun seit wenigen Monaten das Marketing.
Ausgebildet wurde er bei Hase zum Zweiradmechaniker. In den zwölf Jahren, die er inzwischen im Unternehmen ist, hat er verschiedenste Positionen bekleidet, nur geschraubt hat er in der Zeit eher weniger. Messen, Events, Kommunikation und vieles mehr gehörten zu seinen Aufgaben, schon früh wechselte er in das Marketing-Team. »Seit ich meinen Gesellenbrief in der Hand habe, bin ich im Marketing-Team«, erzählt Valenti. Sein technisches Wissen und seine Fertigkeiten kann er natürlich dennoch oft genug zur Geltung bringen, etwa wenn er technischen Support leistet. »Wir haben hier so spannende Abteilungen wie eine Nähwerkstatt, in der Prototypen von Taschen und Co. genäht werden. Bei Werksführungen sage ich gerne mal zum Spaß, dass hier auch eine Arbeitshose gekürzt werden kann.« Aber genauso gehört die eigene IT-Abteilung zum Kompetenzspektrum, wo sich neuerdings drei Mitarbeitende um die Prozessoptimierung kümmern, oder der Laufradbau. Dazu kommen noch zahlreiche andere Aufgabenfelder, etwa wenn Teile maßgefertigt werden müssen oder Prototypen gebaut werden sollen. Gerade in der Metallverarbeitung besteht kaum eine Lücke. Trotzdem stimmt es nicht, dass das Unternehmen alles selbst herstellt. Dafür ist ein Fahrrad, und erst recht ein Spezialrad, heute doch viel zu komplex. Bei der Auswahl der Lieferanten hat Hase Bikes aber dennoch den Anspruch, lange Wege zu ver-meiden.
Lokale Produktion ist angestrebt
Soweit wie möglich ist auch die Lieferkette lokal. Bei der Suche nach Lieferanten wird bei Hase zunächst geschaut, ob die benötigten Teile in Deutschland bezogen werden können. Wenn nicht, werden europäische Zulieferer gesucht. Erst wenn auch hier keine zufriedenstellende Lösung zu finden ist, wird in Übersee gesucht. Entsprechend hoch ist natürlich der Anteil der hiesigen Lieferanten, immerhin gibt es eine starke Fahrradindustrie.
Mit den Räumlichkeiten wuchsen über die Jahre auch die Möglichkeiten für Hase Bikes am Standort in Waltrop.
Ob Taschen von Vaude, Spritzguss-Komponenten von Weber Technik oder dass Busch + Müller-Licht ihre Produkte zusteuern, oder die verschiedenen Drehereien und mechanischen Werkstätten Hase Bikes mit ihren Leistungen unterstützen, das meiste kommt also aus Deutschland. Aber nicht alles: Der Rahmen des Kettwiesel One wird in Polen produziert. Das ist eine relativ neue Partnerschaft, zuvor kam der Rahmen aus Taiwan. Und auch Übersee ist in einigen Aspekten unersetzlich: In Vietnam werden textile Teile wie zum Beispiel Faltverdecke, Sitzbespannung und Polster für Hase Bikes hergestellt. Diese Betriebe werden auch nach sozialen und ökologischen Kriterien ausgewählt. Alle Zulieferbetriebe in Taiwan werden regelmäßig vor Ort besucht.
Insgesamt produziert Hase Bikes nun etwa 5000 Räder. Gamechanger war laut Valenti die neue Produktionshalle. »Wir haben in den letzten beiden Jahren vor dem Bau der neuen Halle auch schon ordentlich produziert. Da war das Wachstum schon deutlich sichtbar«, erinnert sich Valenti, »wir sind aber nie über 2500 Räder gekommen, die wir produzieren konnten, egal wie wir die Produktion organisiert haben. Auch mit Wochenendarbeit in der Saison standen wir am Ende etwa bei der gleichen Zahl. Dadurch war es notwendig, noch mal das Ganze zu optimieren und zu vergrößern.« Das Ende der Fahnenstange ist damit noch nicht erreicht. »Die 5000 Räder waren schon mit Schweiß verbunden«, sieht Just. »Es war das Doppelte von dem, was zuvor möglich war. Langfristig haben wir durch die neue Halle auf jeden Fall viel Potenzial, noch weiter zu wachsen.« Aktuell könnte man bereits deutlich mehr Hase Bikes pro Jahr fertigen.
Die 5000 Hase Bikes sind zumindest der bisherige Höchststand. Hendrik Just sieht damit bestätigt, dass auch das Spezialradsegment vom Corona-Boost (aktuell muss man sagen: Zwischenhoch) profitiert hat: Wenn das Fahrrad populärer wird, dann wird auch das Spezialrad populärer. Dazu kommt noch eine andere Entwicklung, die den Gesamtmarkt betrifft, wie Just erklärt: »Wir bekommen von immer mehr Händlern mit, dass sie sich immer tiefer in das Spezialradsegment fokussieren.« Ihre Motivation sei, dass der Konkurrenzdruck im allgemeinen Fahrradmarkt so groß wird, dass sie sich da kaum mehr behaupten können. In der Nische gibt es noch mehr Raum für Entwicklung, zumal der Spezialradmarkt laut Just zuletzt sogar
ein bisschen stärker wächst als der allgemeine Markt.
Zwischen diesen Bildern liegen 30 Jahre. in der Zeit des Bestehens hat sich Hase Bikes mit dem Markt entwickelt. Genauso gut kann man sagen, dass Hase den Markt mit entwickelt hat.
Mit weiteren Optimierungen oder bei Bedarf einer zweiten Montagelinie, für die Platz vorhanden wäre, könnte man vom Zechengelände noch deutliche Sprünge machen, wenn der Markt es wünscht. Valenti sieht ebenfalls noch viele Optionen: »Man muss auch dazu sagen, dass der Übergang von dem Manufakturbetrieb, den wir hatten, bei dem zwei, drei Leute an einem Arbeitsplatz standen, natürlich relativ unproduktiv war im Vergleich zu dem, was wir jetzt machen. Der Übergang fand aber unter dem großen Druck der Corona-Pandemie statt.« So finde man immer neue Wege, um noch besser zu werden. »Wir arbeiten mittlerweile ständig daran, die Produktion zu verbessern.« Um diese Optimierungen zu leisten, braucht es auch einen Mitarbeiterstamm, der mitzieht. Hier hat das Unternehmen eine eigene Kultur geschaffen, die angesichts der geringen Fluktuation offenkundig ge-schätzt wird.
Konstante Personalpolitik
Dass Hase Bikes auch bei seiner Personalpolitik Bemerkenswertes geleistet hat und immer noch leistet, zeigt schon ein flüchtiger Blick in das Unternehmen. Die inzwischen 99 fest angestellten Mitarbeitenden stammen aus 15 verschiedenen Herkunftsländern. Die eigentliche Besonderheit ist jedoch, dass 30 Prozent davon ehemalige Azubis des Unternehmens sind. Die starke Ausbildungstätigkeit hat bis heute Bestand. Im August 2024 sind es aktuell 19 Azubis, die in den verschiedenen Berufen der Fahrradwirtschaft und darüber hinaus qualifiziert werden. Die Zweiradmechatronik, Fachrichtung Fahrradtechnik, stellt mit acht Azubis fast die Hälfte der Stellen. Daneben finden sich aber noch Azubis für Lagerlogistik, Industriemechanik, Industriekaufleute, zwei »Kooperative Ingenieursausbildung Maschinenbau« (KIA), Duale BWL-Studenten und auch ein Mediendesign-Student. Die Expertinnen und Experten der Zukunft zieht sich Hase Bikes also selbst heran. Das ergibt Sinn angesichts eines vielfältigen und durchaus einzigartigen Sortiments.
Markt öffnet sich dem Spezialrad
»Wir decken mit unseren Produkten eine sehr große Bandbreite von Kundensegmenten ab. Das beginnt bei denen, die als Hobby gerne Tandem fahren, geht über die Lastenradnutzerinnen und -nutzer bis zu hin zu denjenigen, die unsere Dreiräder auch als Therapieräder verwenden.« Gerade auf den letzten Bereich habe sich Corona nur sehr wenig ausgewirkt. »Das war eine stabile Umsatzquelle«, sieht Just. Dazu kommt die saisonale Unabhängigkeit dieses Segments: »Wir sind da durchweg recht konstant. Egal, ob es Winter oder Sommer ist, liefern wir Therapieräder aus.« Ein Fahrradtypus, der kein Saisongeschäft ist – da dürfte mancher Händler doch hellhörig werden.
»Es gibt gute Konzepte, wie Fahrradhändler, die noch nicht im Reha-Segment sind, einsteigen können.«
Henrik Just, Vertriebsleiter Hase Bikes
Das ist ein Stichwort, bei dem der Vertriebler Just natürlich gleich einhakt: »Jeder Händler hat die Chance, bei Therapierädern einzusteigen. Die Abrechnung können in der Regel nur Sanitätshäuser machen oder Händler, die präqualifiziert sind. Da muss man gewisse Voraussetzungen haben. Die meisten Sanitätshäuser haben aber nicht die Kenntnisse eines Fahrradhändlers und seine Fähigkeiten in der Wartung der Produkte. Wir haben viele, teilweise große Händler, die es sich zunutze machen können, dass sie mit Sanitätshäusern in ihrem Umfeld kooperieren.« Zumeist liefe es so, dass die Händler mehr oder weniger von den Sanitätshäusern Aufträge bekommen und sich die beiden Geschäftspartner den Auftrag und die Marge teilen. »Es gibt gute Konzepte, wie Fahrradhändler, die noch nicht im Reha-Segment sind, einsteigen können.« Vorteil der Rollenaufteilung ist auch, dass das ganze organisatorische Hickhack mit den Krankenkassen zumeist am Fahrradhändler vorbeigeht. Nach der Bestellung beim Händler benötigt Hase Bikes im Schnitt etwa vier Wochen, um ein Therapierad zu fertigen und auszuliefern. Wie lange es genau dauert, hängt von der aktuellen Auslastung und dem Grad der Spezialausstattung ab. Bei Hase unterscheidet man zwischen »Topsellern« und »Custom«-Aufbauten. Erstere können oft auch schon innerhalb Wochenfrist geliefert werden, was ein sehr guter Wert für die Branche ist und dem Handel natürlich hilft. Im Bereich »Custom« sind die Therapieräder einsortiert.
Das Portfolio des Hase-Imperiums ist inzwischen relativ breit aufgestellt. Die mit den Therapierädern vier Kategorien, die auch auf der Hase-Webseite abgebildet sind, sind allesamt relevante Geschäftsfelder für das Unternehmen. »Die Dreiräder sind für uns ein sehr, sehr starkes Segment«, erklärt Just, »aber das Tandem Pino ist mit seinen Alleinstellungsmerkmalen ebenfalls sehr stark.« Hoffnungen macht man sich auch im Cargo-Segment. »Das Lastenrad ist ein neuer Bereich, der erst letztes Jahr dazugekommen ist und den wir natürlich noch weiter ausbauen wollen.«
Hoffnungsträger Cargobike
»Wir haben auf jeden Fall den Unterschied zwischen Lastenrad und Spezialradmarkt gemerkt. Der Lastenradmarkt ist ein bisschen größer, auch ein bisschen lauter«, beobachtet Just. Doch es gibt schon positive Effekte durch das Lastenrad. »Wir haben mehrfach gemerkt, dass es ein Türöffner für uns sein kann.« Zuerst sind Fahrradhändler nur am Lastenrad interessiert, »hinterher waren dann die Spezialräder doch spannend«, freut sich Just. Valenti sieht insbesondere, dass die Besonderheit des Gravel-Cargobikes von Hase starke Emotionen hervorruft. »Es ist ein sehr emotionales Produkt. Diese Emotionalität sorgt auch dafür, dass wir an Bekanntheit gewinnen.« Der Cargo-Graveller Gravit sei damit auf verschiedenen Ebenen eine Bereicherung für Hase Bikes. »Wir sind alle sehr von diesem Produkt überzeugt«, hält Valenti fest. Die Hoffnung ist nicht zuletzt, dass wie das Cargo-Bike auch die Spezialrad-Welt in ein noch breiteres Blickfeld rückt. Die Produkte, die Hase Bikes im Sortiment hat, sind diesen Blick auf jeden Fall wert. //
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