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Marketing - Brandbuilding

So geht Branding in der Fahrradbranche

Wer langfristig im Fahrradmarkt bestehen will, kann versuchen, über Preis, Qualität oder Markenattraktivität zu überzeugen. Letzterer Punkt ist Erfolg versprechend und lange wirksam, aber nicht so leicht zu realisieren. Branding-Experte Walter Melcher nennt sechs Ansätze, wie man die
eigene Marke auf- und ausbaut.

Die Fahrradbranche ist ein einzigartiges Phänomen. Nur wenige Produkte schaffen eine so hohe Identifikation bei ihren Kunden, Kundinnen und Mitarbeitenden wie Fahrräder. Gleichzeitig sind Fahrräder sehr vergleichbare Produkte: Schalt- und Bremsgruppen stammen von Shimano oder SRAM, Laufräder von etablierten Herstellern und auch die Rahmen stammen größtenteils von zentralen Lieferanten. Dieser Mix aus einer hohen emotionalen Verbindung und potenziell vergleichbaren Produkten führt vor allem zu einem: Die Marke der Hersteller ist elementar wichtig. Der Sticker auf dem Rahmen schafft Assoziationen, unterscheidet Hersteller, macht den Markteintritt für kleine Wettbewerber mit guter Markenstory möglich, beeinflusst Kaufentscheidungen der Kundschaft oder macht diese sogar zu treuen Fans.
Das alles führt dazu, dass die Fahrradbranche wie ein Mix aus Automobil und Eistee wirkt. Zum einen orientiert sich die Fahrradindustrie natürlich am Automobil als Vorbild. Das liegt nahe, es geht schließlich um Mobilität. Aber gleichermaßen ist der hohe Grad der Standardisierung vergleichbar mit zahlreichen Produkten, die in den letzten Jahren unsere Supermärkte überflutet haben – wie beispielsweise Eistee-Marken. Hier setzt sich vor allem die beste Positionierung und Brand durch, inklusive Preispunkt, Influencer-Marketing oder Sponsoring. Das Produkt selbst ist dabei oftmals sehr ähnlich oder nahezu identisch.
So wichtig die Marke in der Indus­trie ist, so oft wird sie vernachlässigt. Die folgenden sechs Ansätze für erfolgreiches Branding sollen inspirieren, Branding zentraler zu denken, um sich vom Wettbewerb zu unterscheiden und das Unternehmen erfolgreicher zu machen.

Ansatz 1: Marke bedeutet nicht nur Kommunikation

Die meisten Menschen und nicht einmal Unternehmen haben eine vollständige Vorstellung davon, was eine Marke ist. Eine Marke ist nicht nur Kommunikation, sondern jegliche Assoziationen, die mit dem Produkt verbunden werden. Kommunikation kann diese Assoziationen beeinflussen, jedoch sind Werbung, Logo und Farben nur ein ganz kleiner Teil der Marke.
Folgendes Beispiel: der italienische Hersteller Pinarello. Welche Assoziationen sind bei den meisten Menschen mit Pinarello verknüpft? Sehr teure Hightech-Räder, sehr besonderes und einzigartiges Rahmendesign, guter und geschmackvoller Stil, Erfolge mit dem Team Sky bei der Tour de France, italienische Rahmenbaukunst etc. Das alles ist Marke, und das führt dazu, dass Radsport-Enthusiasten sehr viel Geld für Pinarello ausgeben, unabhängig von eventuellen funktionellen Vorteilen oder der Frage, ob die Rahmen tatsächlich in Italien hergestellt werden. Ein Pinarello ist für viele etwas Besonderes, eine besondere Marke.

Man muss Swapfiets als Händler nicht mögen, aber sie sind ein Beispiel für gelungenen Markenaufbau.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass alles, was ein Unternehmen macht, Auswirkung auf die Marke haben kann, insbesondere bei so einem emotionalen Produkt wie dem Fahrrad. Marke gesamtheitlich denken bietet einen sehr großen Spielraum zur Differenzierung und damit auch zum Wettbewerbsvorteil.

Ansatz 2: Konsistenz im Handeln ist wirkungsvoll

Damit eine Marke als solche bewusst wahrgenommen wird, ist natürlich einiges zu tun. Nicht nur, dass alles, was ein Unternehmen tut, Assoziationen auslösen kann, es ist darüber hinaus wichtig, dass diese konsistent sind. Es ist logisch, dass ein Rad bei der erwähnten Marke Pinarello sehr teuer ist, wenn es gleichzeitig auch Hightech, italienische Rahmenbaukunst und ein besonderes Design verkörpert. Und es ist auch nachvollziehbar, dass sich bei Pinarello keine MTBs im Portfolio befinden, weil eben der Straßensport in der DNA der Marke ist. So konsequent sind nur wenige.
Konsistenz macht Assoziationen stimmig und erhöht die Wirksamkeit einer Marke. Vor allem in einer Branche, in der sich die Produkte so ähneln, ist dieser Aspekt umso wichtiger. Das bedeutet nicht automatisch, dass die Hersteller ihre Portfolios verkleinern müssen (einigen würde es allerdings nicht schaden). Konsistente Assoziationen können auch über andere Wege geschaffen werden.

Ansatz 3: Offen bleiben, Geschäfts-modelle müssen nicht ewig funktionieren

Auffällig in der Branche ist eine gewisse Abneigung gegenüber neuen Geschäftsmodellen und Produkten. Nicht selten habe ich Gespräche über die jungen und hippen E-Bike-Start-Ups wie VanMoof oder Cowboy geführt, in denen diese Marken in ein schlechtes Licht gerückt wurden.
Immer wieder wurde die Ausstattung wie Bremsen und Schaltgruppen kritisiert. Reichen die verbauten Teile für den Einsatz in der Stadt nicht aus, solange sie die Sicherheit nicht gefährden? Nicht an jedem Rad muss eine Shimano XTR verbaut sein. Ein wenig erinnern diese Diskussionen an das berühmte Spaltmaß bei Tesla. Unabhängig davon, wie unpräzise die Autos vermeintlich hergestellt sind, ist dieser Aspekt denn so wichtig, wenn der Erfolg über andere Assoziationen funktioniert?

Alles, was ein Unternehmen macht, kann Auswirkung auf die Marke haben, insbesondere bei so einem emotionalen Produkt wie dem Fahrrad.

Produkte und Geschäftsmodelle müssen nicht ewig funktionieren, Aufgeschlossenheit für neue Ideen ist deshalb sehr wichtig. Dies gilt insbesondere in der Betrachtung von Marken, die neue Wege gehen und teilweise auch sehr erfolgreich sind (das sage ich auch trotz der Insolvenz von VanMoof). Diese Offenheit kann ein mächtiger Ansatz sein, neue Produkte, Modelle und damit auch Marken zu etablieren. Ein positives Beispiel ist Swapfiets, die sich mit einem Leasing-Modell und blauem Vorderreifen in zahlreichen Großstädten als Marke etabliert haben.

Ansatz 4: Digitalisierung sinnvoll nutzen und nicht irgendwie

Dieser Punkt ist sicher kein spezifischer Punkt für die Fahrradbranche. In jeder Industrie gibt es Unternehmen, die sich schwer damit tun, die Digitalisierung (was auch immer damit gemeint ist) anzugehen – darum wird ja auch so viel darüber geschrieben. Dennoch ist es wichtig, diesen Aspekt explizit für die Fahrradbranche herauszustellen.
Auffällig ist, dass oft Digitalisierung der Digitalisierung wegen betrieben wird, ohne sich die Frage zu stellen, was wirklich sinnvoll für die Kundschaft und für die Marke ist, und diese ehrlich zu beantworten.
Übrigens ist die nächste Navigations-App (in Zeiten von Google Maps, Komoot und den zahlreichen E-Bike-Apps) keine gute Lösung, selbst wenn die eigenen Händler auf der Karte zu sehen sind, ist der Mehrwert doch kaum vorhanden. Die Nutzenden werden mutmaßlich dennoch bei Google suchen. Ich erwähne dieses Beispiel bewusst, denn die Navigations-App ist ein Klassiker, wenn es darum geht, das Fahrrad digital zu machen.
Ein positives Beispiel für gelungene Digitalisierung ist Rose Bikes. Dabei geht es nicht nur um die sehr gute Integration zwischen Webshop und physischen Showrooms, sondern auch um weitere Services wie das Anbieten passender Teile im Shop, das Buchen von Wartung oder Finanzierungsangebote. Digitalisierung muss nicht immer das Device auf dem Lenker sein.

Ansatz 5: Nicht größenwahnsinnig werden

Dieses Statement klingt ein wenig hart, aber beschreibt viele Situationen, die ich schon erlebt habe. »Think Big« und »Think Unrealistic Big« ist vielleicht nur durch den Grad der Scheuklappen und Naivität zu unterscheiden. Aber eins sollte klar sein: Fahrradhersteller sind keine Automobilhersteller. Ob mögliche Investitionsvolumen, Markenwert, Bekanntheit oder Einfluss auf Politik, diese Dinge spielen in unterschiedlichen Ligen und das ist nicht automatisch schlecht, denn auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Vorteile.

VanMoof ist nicht das beste Beispiel, wenn es um ein erfolgreiches Produkt geht, sehr wohl aber überzeugte die Markenarbeit der Niederländer.

Aber die Vorhaben, mit Apple und Google zu kooperieren oder eigene und riesige IT-Infrastrukturen zu entwickeln, können schnell zur Ernüchterung führen. Entweder fehlt die globale Relevanz oder die Kosten für Software-Entwicklung werden nicht ausreichend validiert. Oftmals hilft die Frage: »Wie kann ich die vorhandenen digitalen Dienste so integrieren, dass meine Produkte besonders werden?«
Was hat das mit Branding zu tun? Sehr viel. Digitale Lösungen und Kooperationen beeinflussen selbstverständlich die Wahrnehmung im Markt. Ein smartes Feature macht ein Unternehmen modern. Eine zu günstig entwickelte App voller Bugs geht in der Wahrnehmung allerdings nach hinten los.

Ansatz 6: Sei nicht beliebig, sei positioniert

Alles in allem geht es darum, nicht beliebig zu sein, sondern in irgendeiner Form besonders – eben positioniert. Es geht darum, klare Assoziationen zu schaffen. Diese können aus Preis, Produktfeatures, Produktdesign, Historie, Geschäftsmodell oder digitalen Features kommen, aber natürlich auch aus Kommunikation, Zielgruppen-Fit und Emotionen. Nicht jede Brand kann und soll Unmengen in Produktentwicklung stecken und High-End-Bikes auf den Markt werfen, darum geht es nicht.

Produkte und Geschäftsmodelle müssennicht ewig funktionieren, Aufgeschlossenheit für neue Ideen ist deshalb sehr wichtig.

Aber welche Assoziationen, welche Story, welche Besonderheiten, die konsequent durchgezogen werden, sollen dann gespielt werden? Wo liegt der Wahrnehmungsunterschied zum Wettbewerb? Womöglich gibt es schon Unterschiede, sind diese aber nicht sehr gering? Es braucht an dieser Stelle keine negativen Beispiele, sondern vielmehr den Impuls, die eigene Beobachtung anzuregen. Reichen die aktuellen Assoziationen aus, dass Kunden, basierend auf der Brand, eine bewusste Kaufentscheidung fällen oder sogar Fans werden? Wenn nein, dann gibt es Potenzial, das entwickelt werden muss. //

Was also tun?

8 Schritte zum weiteren Vorgehen

Um die genannten Ansätze zu nutzen, kann man sich an acht Schritten orientieren, die als Fragen und Leitfaden für Workshops und die strategische Arbeit nützlich sein können.

1. Was macht unsere Marke besonders?

Was machen wir anders? Sowohl wenn wir in das Unternehmen als auch auf den Markt schauen. Wo sind wir ähnlich zum Wettbewerb,
wo differenzieren wir uns? Es geht dabei nicht nur um Unterschiede des Produktes, sondern um alle möglichen Bereiche.

2. Wer ist unsere Audience?

Wer sind unsere Kunden und unsere Fans? Was ist für sie wichtig?
Was eint sie? Warum kaufen sie unsere Räder? Wie können wir
diese Menschen zusammenfassend beschreiben?

3. Fahrrad der Zukunft

Wie glauben wir, wird sich das Fahrrad in der Zukunft entwickeln? Was wird bleiben, was wird sich verändern? Was finden wir gut in diesem Trend und was schlecht? Wo sehen wir uns in diesem Szenario?

4. Was ist unser Thema?

Die vielleicht wichtigste Frage: Was ist die zentrale Assoziation, mit der wir in Verbindung gebracht werden oder werden wollen? Basierend auf den bisherigen Fragen: Was ist unser Thema? Die Antwort sollte ein zentrales Wort sein, klar und fokussiert.

5. Wie müssen wir uns ändern, damit wir perfekt zu unserem Thema passen?

Wie müssten unsere Produkte, unsere Vertriebswege, die Customer Journey, unsere Zusatzangebote, unser Rahmendesign, unsere App aussehen, damit sie zu unserem Thema und zu uns passen? Was sind Schwerpunkte und was können wir einfach halten oder weglassen?

6. Welche Schritte sind notwendig?

Welche Schritte sind notwendig, um unser Thema so herauszustellen, dass unsere Audience es in der Markenwahrnehmung assoziiert? Was hat Priorität? Was können wir schnell erreichen?

7. Welche Storys erzählen wir, die perfekt zur Assoziation passen?

Erst jetzt geht’s um Marketing. Welche Storys und Narrative können wir unserer Audience, unseren Händlern und unseren Mitarbeitenden erzählen, die auf unser Thema einzahlen?

8. Welche kommunikativen Maßnahmen leiten sich ab?

Wie können wir unsere Marke weiterentwickeln? Wie soll das Corporate Design aussehen? Welche Formate und Kanäle wollen wir nutzen? Was sind unsere Headlines? Wie soll unsere Homepage aussehen? Passt die Tonalität? Wie treten wir auf Messen auf?

Zur Person:

Walter Melcher ist ein selbstständiger Brand-Strategist, hat Wirtschaftsinformatik studiert und ist leidenschaftlicher Rad-Fan. Seit ca. acht Jahren arbeitet er mit Fahrrad- und E-System-Herstellern an deren Produktstrategien und Marken. Dabei ist ihm aufgefallen, dass das Verlassen des konventionellen Branchenwegs für viele Fahrrad-Brands schwer ist und sie schnell ins Kopieren des Wettbewerbs kommen.

9. Januar 2024 von Walter Melcher
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