Report - Rückrufe
Spielarten und Rechtsrahmen
In letzter Zeit erlebt die Fahrradwelt in Deutschland gerade wieder eine hohe Anzahl von Rückrufaktionen. Oder solchen, die es eigentlich sind, aber von ihren Verursachern nicht so genannt werden wollen. Außer der einen oder anderen Meldung in der Branchenpresse bekommt man von vielen Rückrufaktionen wenig mit. Fragt man innerhalb der Händlerschaft nach, so bekommt man unterschiedliche Eindrücke über die Vorgehensweise und Ausgestaltung von Rückrufen. Vor allem die Kostenseite bietet hier regelmäßig Anlass für Diskussionen, also die Frage: Was zahlt der rückrufende Hersteller seinen Erfüllungsgehilfen vor Ort, namentlich den Fachhändlern?
Um die Rechtslage diesbezüglich zu klären, ist es zunächst notwendig den Begriff »Rückruf« zu erklären und einigermaßen einzugrenzen. Denn daraus ergeben sich die Akteure und deren Wirken sowie die finanzielle Lastenverteilung.
»Der Rückruf stellt eine von mehreren Möglichkeiten dar, um von Produkten ausgehende Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Verwender zu beseitigen.« So steht es im Kodex zur Ausführung des Produktsicherheitsgesetzes des Kraftfahrt-Bundesamtes. Das Zitat macht also deutlich, um was es geht: Es muss ein Produkt in Verkehr gebracht worden sein. Dieses Produkt muss einen Mangel haben, von dem eine Gefahr für den Benutzer ausgeht.
Natürlich taucht nun die Frage auf, wie denn der Mangel, von dem die Gefahr ausgeht, überhaupt zu erkennen ist. Dafür gibt es die »aktive« und die »passive« Marktbeobachtungspflicht, beide gelten für den Hersteller. Die aktive Marktbeobachtungspflicht ist das ständige Up-to-date-Bleiben auf dem Stand der Technik, bezogen auf das jeweilige Produkt. Unter der pas-siven Marktbeobachtungspflicht versteht man das Sammeln und Bewerten von Markt- und Verbraucherdaten: Gibt es auffällig viele Rückläufer oder bestimmte Mängel? Dieser Teil gilt übrigens gleichermaßen für alle Teile der Lieferkette, also auch für den Zwischenhändler wie den Fachhändler (Letztverkäufer).
Ist nun eine Fallhäufung eines bestimmten Mangels an einem Produkt aufgetreten, so muss der Hersteller handeln. Dieses Handeln erstreckt sich auf folgende Bereiche:
1. Er muss abwägen, welches der geeignete Weg ist, die Verbraucher zu erreichen, um die drohende Gefahr kundzutun und den Austausch bzw. die Reparatur des Produkts zu veranlassen.
2. Er muss das Kraftfahrt-Bundesamt informieren, Dies prüft dann, ob die Maßnahmen geeignet sind oder es weitergehender Schritte bedarf, die Verbraucher zu erreichen.
Die Kosten des Rückrufs
Tritt also dieser Fall ein, dass sich ein Hersteller entschließt, einen Austausch oder eine Reparatur an einem Produkt vorzunehmen, dann spricht man von einem Rückruf. Komischerweise erleben wir u.a. auch in dieser Branche eine Vielzahl kreativer Wortschöpfungen für »Rückruf«, wie z.B. »freiwilliger Austausch« oder »vorsorgliches Auswechseln«. All diese Wortgebilde haben zweierlei zum Anlass: Das Wort »Rückruf« soll vermieden werden, weil es scheinbar negativ belastet ist, und es soll vermieden werden, dass Kosten geltend gemacht werden können, denn: ohne Rückruf keine Kostenübernahme – so zumindest das Kalkül mancher Marktteilnehmer. Tatsächlich irren hier jedoch all diejenigen, die dies annehmen. Zum einen ist es unerheblich, wie die Maßnahme genannt wird: Jede Aktion eines Herstellers, die auf Austausch oder Reparatur gerichtet ist, gilt als Rückruf. Zum anderen gilt bei Rückrufen die Regel: Wer die Musik bestellt, der zahlt sie auch.
Im Gegensatz zur klassischen Sachmangelhaftung muss der rückrufende Hersteller alle entstandenen Kosten in der Lieferkette tragen, die anfallen. Hat z. B. der Fachhändler X einen Aufwand von vier Stunden Werkstattarbeit mit dem Rückruf und der Stundenverrechnungssatz des Händlers beträgt 60 EUR, so muss ihm der Hersteller (eigentlich) 240 EUR gutschreiben oder überweisen. Die Praxis ist leider eine andere.
Die Kostenübernahme erstreckt sich nicht nur auf Werkstattarbeitsleistung, sondern auch auf alle anderen Tätigkeiten, die vom Hersteller innerhalb der Lieferkette beauftragt werden, also zum Beispiel auch die Kontaktaufnahme zu Endkunden, Postgebühren oder schließlich die Auslieferung an den Endkunden.
Ab wann erfolgt ein Rückruf
Die Frage, wann ein Rückruf eingeleitet werden muss, ist im Wesentlichen eine für Statistiker: Ab einer gewissen Fallanzahl pro verkauften Einheiten in einem bestimmten Zeitraum ist ein Rückruf unumgänglich. Die Höhe der relevanten Fallzahl ist jedoch auch vom Produkt abhängig und von der Art des Schadens. Bei neuen Autos, die zu einer verpflichtenden ersten Inspektion in die Werkstätten kommen müssen, muss nicht zwingend ein Rückruf erfolgen, wenn zum Beispiel lediglich die Kofferraumbeleuchtung einen Serienfehler hat. Geht es aber um ein Fahrrad und die Gabel droht akut wegen eines Fertigungsfehlers zu brechen (und es liegen schon Fälle von Brüchen vor), dann ist ein Rückruf unausweichlich. Der Grund ist hierbei die unmittelbare Gefahr von Leib und Leben der Ver-braucher.
In der Autoindustrie rechnet man bei Rückrufen in ppm (parts per millon), in der Fahrradbrache eher in ppt (parts per thousand), was sicherlich auch auf die kleineren Stückzahlen zurückzuführen ist. Allerdings wird innerhalb der Branche bei der Frage, wie viele fehlerhafte Teile per tausend noch vertretbar sind, bald eine neue Messlatte angelegt werden müssen: Mit der Produktion und dem Vertrieb von Pedelecs und S-Pedelecs wird der Fahrradmarkt bei den Aufsichtsbehörden in ein Boot mit KFZ-Herstellern gesetzt. Damit einher geht eine andere Sichtweise auf das Thema Qualitätssicherung.
Ein Blick über den großen Teich in die USA zeigt beim Rückruf indes ein rigides Bild: Bei einem Ausfall von bereits drei Stück innerhalb seines Vertriebsgebiets muss der Hersteller einen Rückruf veranlassen – unabhängig von der Anzahl der insgesamt verkauften Stückzahlen.
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