Portrait - Liix Radfieber
Standortfaktor Citylife
Der Cappuccino-Halter! Was sonst könnte so treffend Lifestyle widerspiegeln wie das Trend-Accessoire für den urbanen Bike-Hipster. Zu finden ist das Ding unter anderem bei Radfieber. Kein Wunder, der Kölner Fahrradfachhandel liegt mitten im angesagten Belgischen Viertel. Hier gibt’s in halb-sanierten Altbauten Cafés mit eigener Rösterei, angesagte Designer-Lädchen und andere Klein-Unternehmer und Start-Ups neben alteingesessenen Dienstleistern. Dazu: jede Menge Nachtleben. Und natürlich viele Menschen, die es schätzen, dort zu wohnen und zu arbeiten, wo das urbane Leben tobt und man für den Alltag kein Auto braucht – übrigens auch keines unterbringt.
Stadträder im Souterrain
Der lange, schmale Gang ins charmant verwinkelte Radfieber-Geschäft wird rechts unterbrochen vom Durchgang in einen ersten Ausstellungsraum. Hier im Halb-Souterrain gibt’s neben wenigen Rennrädern und MTBs vor allem Räder, die sich für die City eignen und schick genug sind fürs Kölner Stadt-Publikum. Electra Townies, Soft-Cruiser der schon klassischen Marke, bestimmten die Auslage, aber auch Stevens ist stark vertreten, erklärt Linus Meier. Die meisten Räder liegen hier in der Preisspanne von 500 bis 900 Euro. Darüber wird’s dünn: »Dafür fehlt hier die Zielgruppe«, so der Verkäufer. »25 bis 40 Jahre ist der vorherrschende Altersbereich. Aber wir haben natürlich auch ältere Kunden, Menschen, die schon ihr Leben lang im Viertel hier wohnen. Das ist das Spannende.« Was die meisten suchen: Robuste Bikes, wartungsarm und mit schickem City-Image. Und natürlich: einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Sieben- und Achtgangnaben sind Trumpf, die neue Elfer schiebt das Rad in eine zu hohe Preiskategorie.
Auf dem Weg weiter Richtung Tresen kommt man am Fenster zur Werkstatt vorbei. Diese Durchreiche ist praktisch, im Schrauber-Alltag aber auch zeitaufwendig für die Werkstatt-Besetzung. Schließlich hat das Team um Chef Marcel Jansen extrem viele Stammkunden, aus denen nicht selten Freunde des Hauses werden, und ein Schwätzchen durchs Fenster ist da immer drin. Deshalb gibt es am Ende des Verkaufsraums noch einmal eine kleine, neu eingerichtete Werkstatt, in der vor allem Neuräder aufgebaut werden – ganz ungestört.
Zwei große Reparaturständer haben in der alten Werkstatt Platz. Hier fallen vor allem die klassischen Reparaturen an: neue Bremsen, Licht-Instandsetzung, Platten. »Hightech kommt hier eher selten rein«, grinst San Scheuermann, Zweiradmechaniker-Meister und Werkstattleiter, seit zehn Jahren bei Radfieber. »Gute Beratung ist nötig, weil Kunden auch gelegentlich Reparaturen wollen, die den Wert des Rads überschreiten. Wir nehmen hier jedes Rad an, egal, ob es von uns kommt oder nicht.« Die Benachrichtigung über eine fertige Reparatur erhält der Kunde per SMS. Wird die Rechnung fertig gestellt, schickt der Computer automatisch eine entsprechende Nachricht an die Nummer des Kundenhandys mit Betrag und Telefonnummer zur Abstimmung. Ausgebildet wird auch: Wie »drüben« im Lager gibt es auch unter den Schraubern einen Azubi.
Einkauf und Events
Hier ein paar Stufen hinunter, dort ein paar hoch, charmant schiefe Wände und Winkel verstärken den mondän angehauchten Altbau-Flair innen. »Vor hundert Jahren war hier eine Kutschen-Fabrik«, erzählt Linus. Das passt, um Mobilität geht’s im gut bestückten Hauptverkaufsraum ja auch heute noch. Auffällig: Hier gibt’s extrem viel Zubehör aus der Lifestyle-Ecke. Farbige Griffe, bunte Körbe, Accessoires und natürlich besagten Cappuccino-Halter. Was angesagt ist – oder noch besser: Was bald angesagt sein wird, gibt’s hier. »Wir haben hier ein gutes Gespür für Trends«, meint Geschäftsführer Marcel Jansen mit Stolz. Das darf man glauben, immerhin war Radfieber 1996 eines der ersten Geschäfte in Deutschland, die Cruiser im Angebot hatten.
Der 41-Jährige lebt selbst seit langem im Viertel, fährt kein eigenes Auto, erledigt alle Fahrten per Bike. »Der kann nur mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen«, so Linus über seinen Chef, »zu Fuß wird er jeden zweiten Meter von Bekannten aus dem Viertel aufgehalten …«.
Der Laden ist gelegentlich viel mehr als nur Verkaufsfläche; bei Radfieber weiß man die zentrale Lage im jungen, urbanen Viertel und das damit verbundene Laufpublikum zu nutzen: Im Zuge der bekannten Kölner Literaturwoche »LitCologne« finden hier schon mal Lesungen statt; zum Kölner Design-Event »Passagen« stellen gelegentlich ein oder mehrere junge Designer im Radladen aus. Dass zu solchen Anlässen auch Party gefeiert wird und angesagte DJs auflegen, ist dann auch »korrekt«.
Das Was-wann-wie wird hier oft sehr flexibel gehandelt: »Wir halten uns oft Optionen frei, wenn es nicht gerade so große Veranstaltungen oder Messen wie die Eurobike sind«, erklärt Linus Meier. »Hau-Ruck-Aktionen können wir wirklich gut, das ist unsere Spezialität.« Also Gucken, wie sich etwas entwickelt und dann im richtigen Moment zuschlagen, Timing ist alles.
Trendtest-Labor Laden
Das Fachgeschäft Radfieber hat aber für Marcel Jansen, der den Großhandel Liix und Internet-Shops mit URLs wie beachcruiser.de leitet, auch eine ganz andere Funktion: »Der Laden ist für uns wie ein Versuchslabor. Bevor wir in großem Stil für das Internet oder den Großhandel einkaufen, testen wir hier, ob das Produkt wirklich für unsere Kunden interessant ist.« Will heißen: Wenn weder die jung-dynamischen, oft ökologisch angehauchten Familien, noch die jungen Hipster aus der Kölner Szene das Produkt wollen, stehen seine Chancen eher schlecht. Gute Chancen scheinen zum Beispiel grundsätzlich individuelle Fahrradklingeln zu haben: Die lässt Jansen nach den Entwürfen des Designers Aritake Nakagawa selbst fertigen – auch sein Büro ist natürlich in der direkten Nachbarschaft; entsprechend zahlreich sind sie an der Klingelwand im Laden vertreten. Für Helme gibt es gar einen sehr kleinen, eigenen Raum: Hier findet man nahezu alle Bike-Modelle des amerikanischen Herstellers Bern. Jansen importiert diese Marke, die neben Fun- und Extremsport-Helmen auch eine große Modellpalette für urbane Biker herstellt. Helme, die nicht aussehen wie frisch von der Tour de France, haben im City-Bereich Hochkonjunktur. Und dafür gibt’s sogar Berns mit einknöpfbarer Mütze.
Erfolgsfaktor Team
Jung und hip sind nicht nur die Produkte: Auch die Atmosphäre in Laden und Lager ist betont locker; die Stimmung unter den im Schnitt 30- bis 40-Jährigen ist gelassen. Man hat tatsächlich den Eindruck, hier wird gern gearbeitet, und zwar vor allem gern miteinander. »Dass die Chemie stimmt, ist ein sehr wichtiges Einstellungskriterium für Marcel«, weiß auch Linus Meier. »Außerdem haben wir hier alle viel Eigenverantwortung, das motiviert ja auch.« Und der Chef fügt später dazu: »Ich will schließlich auch jeden Tag mit Freude zur Arbeit kommen.« Lediglich das Geschlechterverhältnis hat man noch nicht so recht in den Griff bekommen – es gibt nur zwei Frauen unter den 14 Angestellten. »Das soll aber langfristig noch werden; wir wollen schließlich kein Männerverein sein. Da arbeiten wir dran«, so Meier.
Einkauf im großen Stil
Wenn Marcel Jansen von Einkauf »in großem Stil« spricht, meint er das auch so: Alle paar Wochen steht ein großer Lkw oder gar ein 14-Meter-Container auf der Bismarck-Straße, nur ein paar Häuser weiter. Dort, im Hinterhof von Nummer 48, ist auf zwei Etagen das Lager von Liix. Und dort werden die neuen Räder und vor allem Komponenten und Zubehör eingelagert. »Um die 2000 Produkte sind das mittlerweile«, sagt Jansen. Hier funktioniert das Ganze wie bei anderen Internet-Shops auch: Ein Fotograf lichtet inhouse die Produkte ab – ein Lichtzelt ist dafür vorhanden – und stellt die Bilder auf die Internetseite. Bestellungen gehen an den Rechnern des Teams von Bastian Van Velthoven ein, werden im Lager kommissioniert, und an Packtischen für den Versand fertig gemacht. In der Saison stehen hier schon mal vier Mitarbeiter an den Tischen. Van Velthoven ist der Leiter des Internet- und Händlerversands.
Für den Einkauf gibt es dagegen keine Leitung. Schon bei der Recherche schnüffeln viele Trend-Spürnasen im Unternehmen mit, welche Produkte gut ins Portfolio passen könnten, und was in Zukunft angesagt sein wird.
Dazu kommen noch die Eigenproduktionen wie zum Beispiel genannte Klingeln oder die Aufkleber, Körbe, Taschen und Accessoires.
Cruiser – eine Erfolgsgeschichte
Das gute Gespür für den Trend hatte Marcel Jansen auch 1996, als er einer der ersten war, der sah, dass Cruiser den urbanen Lifestyle deutlich mitprägen würden. Er holte sich damals die Firma Electra ins Haus – eine Verbindung, die aus früherer Zeit stammt, als Jansen noch Betriebswirtschaft studierte und die bis heute hält. Zwischendurch übernahm als er – als Interims-Lösung – sogar den Europa-Vertrieb für diese Breite-Lenker-Fraktion. Dass Electra zu einer der wichtigsten Cruiser-Marke werden würde, war Ende der Neunziger Jahre noch nicht absehbar. Vor einigen Jahren setzte er dann auf die Townie-Modelle der Marke: Räder, die dank abgewandelter Geometrie besser für Touren oder weitere Strecken in der Stadt geeignet sind als klassische Cruiser. Daneben führt Radfieber bzw. der Internet-Store heute Marken wie Montego (Transporträder), Nirve und einen großen Ausschnitt aus dem Programm von Stevens. Auch die Parts unter dem Label von Electra sind im Programm – etwa 400 Stück.
Der Internetshop beachcruiser.de und dessen alternativen Adressen stellen heute 35 Prozent des Umsatzes, während der Laden 20 Prozent beisteuert. Die restlichen 45 Prozent fallen auf den Großhandel Liix – der ist übrigens nach den zwei Töchtern von Marcel Jansen benannt, Lil und Trix.
»Wir haben 400 Händler in Europa, darunter so coole Läden wie Bicycle Store Paris oder Bobbin in London«, so Jansen selbstbewusst.
Die Zukunft in der City
Warum bleibt man mit Handelsgeschäften en gros mitten in der Innenstadt? Könnte man nicht in einem Industrieviertel viel effizienter und günstiger arbeiten? Marcel Jansen schüttelt den Kopf. »Die Citylage ist für uns Grundvoraussetzung. Unsere Lebensumwelt ist unser Kapital!« Hier arbeiten die besten Leute gerne, weil die Lebenskultur stimmt, hier bekommt man mit, was angesagt ist, und besonders: Hier ist Networking eine Selbstverständlichkeit. Dafür nimmt man gerne logistische Engpässe und höhere Mieten in Kauf.
Fragt man bei Radfieber nach der Zukunft des urbanen Bike-Lifestyles, kommen klare Antworten: Bei Cruisern ist der Höhepunkt eindeutig überschritten; der Trend geht eher zur puristischeren, aber funktionaleren Formen des City-Rads, der Singlespeeder ist eindeutig Vorbild.
»Außerdem ist das Cargo-Bike stark im Kommen«, so Jansen. Schon bei der Eurobike 2012 soll es seiner Meinung nach einen größeren Stellenwert einnehmen. »Leichter, schneller, cooler« werden die Räder für Lasten, und sie verlieren das leicht angestaubte Öko-Image, wenn man Jansen glauben darf. Dem Erfolg seiner Spürnase nach zu urteilen, darf man.
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