Report - Schadstoffe und Weichmacher
Toxischer Zusatzstoff
Fahrradschlösser in 2015, Tiefeinsteiger in 2020 oder der umstrittene Kinderradtest im Mai vergangenen Jahres. Immer wieder führt die Kategorie Schadstoffe bei den Produkttests der Stiftung Warentest (StiWa) dazu, dass Gesamtnoten abgewertet werden oder Produkte gleich ganz durchfallen. Besonders eindrucksvoll zeigte das ein Test von Kinderlaufrädern im vergangenen Jahr. Obwohl Giftstoffe eigentlich nur fünf Prozent der Gesamtnote ausmachen, bekamen 10 von 13 Rädern die Note Mangelhaft, weil sie den Schadstofftest nicht bestanden. Auch wenn die StiWa teilweise für ihr Vorgehen kritisiert wird, die Schadstoffe scheinen ein nicht enden wollendes Thema für Produkttests zu sein. Neben Flammschutzmitteln und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen sind vor allem bestimmte Weichmacher schuld an schlechten Prüfnoten. Grund genug, sich diese Stoffe einmal genauer anzusehen.
Wichtig, aber gesundheitsschädigend
Nahezu alle Produkte, die ganz oder teilweise aus Plastik bestehen, enthalten auch Weichmacher. Die Stoffgruppe ist dafür zuständig, das Plastik elastisch und flexibel zu machen. Phthalate machen der Umweltschutzorganisation Plasticontrol zufolge mehr als die Hälfte aller verwendeten Weichmacher aus. Chemisch gesehen handelt es sich hierbei um Verbindungen der Phthalsäure und Alkoholen. Je nachdem, mit welchen Alkoholen die Säure verestert wird, entstehen unterschiedliche Phthalate. Diese umgeben die Molekülketten (äußere Weichmacher) oder sind Teil dieser (innere Weichmacher).
In zahlreichen Studien sind Phthalate mit diversen Einflüssen auf den menschlichen Körper in Verbindung gebracht worden. Plasticontrol listet unter anderem Verhaltensauffälligkeit, frühere Pubertät, Fettsucht und Allergien auf ihrer Website. Auch offizielle Stellen sind sich über die gesundheitsschädigende Wirkung vieler Phthalate im Klaren. »Einige Phthalate haben gesundheitsschädigendes Potenzial, andere sind toxikologisch weniger bedenklich«, fasst das Bundesinstitut für Risikobewertung zusammen. Ein Anteil von (oft deutlich) mehr als zehn Prozent ist in Plastikmischungen notwendig, um die weichmachende Wirkung zu erzielen. Wenn altes Plastik brüchig und spröde wird, spricht das dafür, dass die Weichmacher ausgegast sind.
Weil Phthalate fettlöslich sind, ist besonders bei den Kontaktstellen mit der Haut Vorsicht geboten. Bei Fahrrädern selbst sollten deshalb die Griffe, aber auch Kleidung und Accessoires genau unter die Lupe genommen werden. Da Phthalate nicht nur dem menschlichen Organismus schaden können, betrifft das Thema aber auch weitere Kreise der Fahrradindustrie. Plastik ist schließlich allgegenwärtig.
Auf EU-Ebene reguliert
Doch Plastik ist nicht gleich Plastik und selbst Phthalat ist nicht gleich Phthalat. Teilweise sind die bedenklichen Stoffe bereits auf EU-Ebene beschränkt worden. Dort ist der Einsatz von Chemikalien in der sogenannten REACH-Verordnung (Registration, Evaluation, Authorization of Chemicals) geregelt. »Bis jetzt sind vor allem die mittelkettigen Phthalate im Fokus der Regulierungen, also solche mit vier bis sechs Kohlenstoffatomen im Rückgrat der Moleküle«, sagt Eva Becker aus dem Fachgebiet Chemikalien des Umweltbundesamts (UBA). Wichtig ist in diesem Kontext, dass die Stoffe rechtlich nur beschränkt wurden. »Es gibt nie ein komplettes Verbot, sondern es ist immer ab einer bestimmten Konzentration.« Zu den mittelkettigen Phthalaten gehört DEHP, welches früher in der EU die meiste Anwendung fand. Wie auch einige andere mittelkettige Phthalate darf es nur noch zu maximal 0,1 Prozent in Plastikprodukten eingesetzt werden, da es als fortpflanzungsschädigend gilt. Aufgrund der REACH-Verordnung finden mittelkettige Phthalate in Europa nicht mehr viel Anwendung. Global allerdings steigt ihr Verbrauch an. Über Importprodukte, so bestätigt das UBA, zirkulieren die Stoffe dann dennoch auch hierzulande weiter. Die Europäische Chemikalienagentur ECHA plant, für die ganze Gruppe der C4- bis C6-Phthalate (also mit vier bis sechs Kohlenstoffatomen) einen Beschränkungsvorschlag zu erarbeiten. Dahinter steht die Erwartung, dass sie alle reproduktionstoxisch sind und auf das Hormonsystem des Menschen und auch in Bezug auf die Umwelt wirken. Die ECHA hat zudem den Verdacht, dass die mittelkettigen Phthalate als »PBT« einzustufen sind. Diese Abkürzung steht für drei Stoffeigenschaften: Persistenz, also schwer abbaubar zu sein; Bioakkumulation, also sich in einem Organismus anzureichern, und Toxizität, also wie giftig oder schädlich der Stoff ganz allgemein ist, nicht bezogen auf einen bestimmten Organismus. Dass die Stoffe unter Beobachtung stehen, ist wichtig, da sie weit verbreitet sind. Phthalate wurden bereits in Rohmilch von Kühen oder in vielen menschlichen Blut- und Urinproben nachgewiesen.
»Die REACH-Verordnung gilt auch teilweise als Vorbild für Verordnungen in anderen Staaten. Ich denke, dass das schon Maßstäbe setzt.«
Eva Becker, Umweltbundesamt
Als weniger bedenklich gelten langkettige Phthalate, darunter DINP und DIDP (neun bis zehn Kohlenstoffatome). Doch selbst diese Stoffe sind problembehaftet. Ihnen wurde in
Tierversuchen nachgewiesen, dass sie lebertoxisch sind. Deshalb wurde ihr Einsatz in Kinderprodukten beschränkt. Die Menge, die lebenslang ohne gesundheitliches Risiko aufgenommen werden kann, ist dennoch deutlich höher als bei den mittelkettigen Phthalaten, teilt das Bundesamt für Risikobewertung mit.
Die möglicherweise kommende Gruppenbeschränkung der mittelkettigen Phthalate könnte auch manche längerkettige Phthalate betreffen. Bei diesen handelt es sich teilweise um Gemische verschiedener Phthalate, sie können also auch kürzerkettige Phthalate enthalten.
Ergon setzt medizinisches Weißöl als Weichmacher ein. Der Materialmix erfüllt Lebensmittel- und Spielzeugstandards.
Auskunftspflichtige Hersteller
Die REACH-Verordnung nimmt die Hersteller in die Verantwortung. Zum einen müssen sie Stoffe registrieren, von denen sie mehr als eine Tonne pro Jahr herstellen oder in die EU importieren. Je nachdem, wie groß die Menge dann ausfällt, müssen sie mehr oder weniger Daten, beispielsweise zur Toxizität und der Abbaufähigkeit, einreichen. REACH verpflichtet die Firmen auch, Verbraucher und Verbraucherinnen auf deren Anfrage hin über besonders besorgniserregende Stoffe, die in den Produkten mit mehr als 0,1 Prozent des Gewichts enthalten sind, zu informieren. Das muss innerhalb von 45 Tagen nach Anfrage geschehen. Wer interessiert ist, kann Anfragen über die App Scan4Chem stellen.
Offenbar zeigt sich hier, dass einige Unternehmen die Auskunftspflicht weniger ernst nehmen als andere. Lediglich drei von sieben von velobiz.de Magazin getesteten Unternehmen kamen ihrer Pflicht nach und nannten die gefragten Inhaltsstoffe.
Umfassende Verordnungen für kritische Stoffe
Als besonders besorgniserregend gelten im Kontext dieser Anfragen auch Stoffe, die krebserregend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend wirken, also sogenannte CMR-Eigenschaften besitzen. Diese kommen zunächst auf eine Kandidatenliste und dann gegebenenfalls in den REACH-Anhang XIV, wodurch sie zulassungspflichtig werden.
»Die REACH-Verordnung gilt auch teilweise als Vorbild für Verordnungen in anderen Staaten. Ich denke, dass das schon Maßstäbe setzt«, so Eva Becker vom Umweltbundesamt. Es sei auch immer wieder von Türkei-REACH oder China-REACH die Rede, die sich an der europäischen Verordnung orientieren könnten.
Die REACH-Verordnung wiederum bezieht sich oft auf die CLP-Verordnung, in der ein globales System der UNO zur Kennzeichnung und Einstufung von Chemikalien umgesetzt worden ist. Diese unterteilt zum Beispiel das Krebsrisiko oder die Reproduktionstoxizität in verschiedene Klassen. Beim Krebsrisiko unterscheidet man zwischen den Kategorien 1A und 1B für Stoffe, die Krebs erregen können, und Kategorie 2 für solche, die lediglich unter Verdacht stehen, Krebs verursachen zu können.
Ersatz ist möglich, aber teuer
Bei den vielen negativen Eigenschaften der Phthalate drängt sich die Frage auf, ob es diese überhaupt braucht. Eine eindeutige Antwort gibt es dazu nicht. Es gibt Alternativen, doch diese sind oft teurer. Hersteller Ergon setzt bei seinen Fahrradgriffen auf medizinisches Weißöl und kann sie deswegen sogar nach Lebensmittel- und Spielzeugstandards zertifizieren lassen. »Ich würde sagen, wir geben locker 40 bis 50 Prozent mehr aus für die Rohmaterialien«, schätzt Andreas Krause, der die technische Entwicklung des Komponentenherstellers leitet.
Auch die regelmäßigen Zertifizierungen, etwa nach dem SGS-Siegel (schadstoffgeprüfte Sicherheit), sind kostspielig. Sie lohnen sich trotzdem, so Krause. »Ich denke erstens, dass du als Hersteller dazu einfach verpflichtet bist, dass du Produkte auf den Markt bringst, die das erfüllen. Zweitens ist es auch ein Wettbewerbsvorteil.«
Neben medizinischem Weißöl lassen sich Phthalate auch durch weitere Alternativen ersetzen, die toxikologisch weniger bedenklich sind. Das Bundesamt für Risikobewertung nennt hier etwa epoxydierte Sojabohnenöle, Adipate, Citrate, Adipinsäurepolyester oder Cyclohexanoate.
Es könnte nicht nur des Menschen- und Umweltschutzes wegen sinnvoll sein, wenn die Industrie sich mit diesen Alternativen auseinandersetzt. Gruppenbeschränkungen für Phthalate sind schließlich bereits im Gespräch. Wer jetzt umstellt oder schon umgestellt hat, könnte im Vorteil sein, wenn diese tatsächlich greifen sollten. Viele Produkte der Fahrradbranche sind außerdem prädestiniert für ein hohes Risiko für die Nutzer und Nutzerinnen. Schließlich sind sie, insbesondere im sportlichen Segment, über lange Zeit in Kontakt mit der Haut und sind Wärme, UV-Licht und Schweiß ausgesetzt. Bessere Testnoten dürften in diesem Zusammenhang wohl als nebensächlicher Anreiz noch hinzukommen. //
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