Interview - Werkstattorganisation
Transparenz an der richtigen Stelle
{b}Herr Lübeck, als Unternehmensberater für den Fachhandel bekommen Sie viele Werkstätten zu sehen. Gibt es typische Werkstattsituationen, die Ihnen bei Ihrer Arbeit regelmäßig begegnen?{/b}
Andreas Lübeck: Die typische Situation ist eigentlich, dass jede Werkstatt anders ist. Das ist wohl eine Besonderheit des Fahrradhandels: Wenn man sich hundert Fahrradläden anschaut, wird man dabei kaum auf irgendwelche Standards stoßen. Jeder Händler führt seine Werkstatt so, wie er meint, dass es richtig ist.
{b}Machen es denn die meisten Händler richtig? Oder sehen Sie oft auch Fehlentwicklungen?{/b}
Andreas Lübeck: Es ist schon der häufigere Fall, dass es in der Werkstatt nicht rund läuft. Viele Fahrradhändler haben keinen kaufmännischen, sondern eher einen technischen Hintergrund. Diese Händler gehen den Fahrradhandel mit viel Herzblut an. Das ist im Grunde positiv und macht den Fahrradhandel sympathisch. Die Kehrseite ist jedoch, dass die Abläufe und Ergebnisse in der Fahrradwerkstatt selten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien betrachtet werden. Was übrigens meistens auch gar nicht möglich wäre, weil die Händler keine entsprechenden Kennzahlen über ihre Fahrradwerkstatt haben. Dieses Manko besteht mit wenigen Ausnahmen bei nahezu allen Fahrradhändlern.
{b}Was sind denn die wichtigsten Kennzahlen zur Fahrradwerkstatt?{/b}
Lübeck: Rentabilität und Effizienz. Die Effizienz besagt, welcher Anteil der Arbeitszeit tatsächlich einem Kunden in Rechnung gestellt werden kann. Wobei dies in der Praxis sehr schwer zu messen ist, nachdem die Werkstatt in einem Fahrradgeschäft viele Arbeiten erledigt, die nicht im Zusammenhang mit Reparaturdienstleistungen stehen. Zum Beispiel, wenn Fahrräder verkaufsfertig gemacht werden oder ruhige Phasen genutzt werden, um Laufräder für den Verkauf aufzubauen. Das gilt auch für die Rentabilität, die aussagt, wie viel Gewinn eine Werkstatt macht. Wobei ich behaupten würde, dass die meisten Werkstätten keinen Gewinn machen ...
{b}… und dies aber gar nicht so
genau wissen?{/b}
Andreas Lübeck: Genau. Die meisten Händler wissen nicht, ob ihre Werkstatt Gewinne erwirtschaftet oder nicht. Meine Forderung an den Handel wäre deshalb: Führt euer Geschäft als zwei Unternehmen, einmal als Handels- und einmal als Handwerksbetrieb. Und versucht, diese Betriebe auch betriebswirtschaftlich getrennt zu betrachten. Meine Erfahrung ist: Je besser einem Händler diese getrennte Betrachtung gelingt, desto besser läuft die Werkstatt.
{b}Herr Larschow, betrachten Sie Ihre Werkstatt betriebswirtschaftlich getrennt vom übrigen Betrieb?{/b}
Thorsten Larschow: Wir arbeiten schon länger daran, die Werkstatt gewinnbringend im Unternehmen zu führen. Insofern werten wir diesen Bereich natürlich auch einzeln aus.
{b}Und gelingt es Ihnen, mit der Werkstatt Gewinn zu erwirtschaften?{/b}
Thorsten Larschow: Ja, das gelingt uns auf jeden Fall recht gut.
{b}Was machen Sie anders, als Händlerkollegen, bei denen das nicht der Fall ist?{/b}
Thorsten Larschow: Wir haben einen Stundensatz, der vernünftig kalkuliert ist, und berechnen diesen auch tatsächlich. Ich denke, das ist die grundlegende Voraussetzung für Rentabilität in der Werkstatt. Eine weitere wichtige Komponente ist das Verkaufen der Dienstleistung. Dafür haben wir immer einen eigenen Mitarbeiter. Dieser berät die Reparaturkunden fundiert und verkauft unsere Leistungen überzeugend.
{b}Gemessen an der Größe der Stadt ist die Dichte an Fahrradläden in Cuxhaven recht hoch. Lässt sich ein hoher Stundensatz in solch einem Wettbewerbsumfeld so einfach umsetzen?{/b}
Thorsten Larschow: Natürlich machen auch wir gelegentlich die Erfahrung, dass ein Kunde eine möglichst günstige Reparaturleistung sucht. Diese Kunden können wir schlecht bis gar nicht bedienen. Ein wichtiges Kriterium, warum trotzdem viele Kunden ihr Fahrrad zu uns bringen, ist die Undurchsichtigkeit der Reparaturkosten, die anderswo oft herrscht. Dem begegnen wir, indem wir den Kunden schon bei der Abgabe des Fahrrads auf den Cent genau sagen, was die Reparatur kosten wird. Für diese Kunden ist nicht der Preis ausschlagend, sondern die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Leistung. Wenn der Kunde weiß, wie und warum die Reparaturkosten entstehen und wenn er beim Abholen nicht von höheren Kosten überrascht wird, dann wird auch ein hoher Stundensatz wesentlich besser akzeptiert.
{b}Spüren Sie vielleicht auch, dass viele Verbraucher generell in Bezug auf die Qualität von Handwerksleistungen ein wenig leidgeprüft sind und deshalb gar nicht so sehr auf den Preis, sondern viel mehr auf die Leistung achten?{/b}
Thorsten Larschow: Ich denke, da gibt es zwei Aspekte, an denen sich die Leistung misst. Das eine ist die handwerkliche Leistung. Und da gibt es sicher auch unter den Fahrradwerkstätten ein paar schwarze Schafe. Die andere Frage, die für viele Kunden wahrscheinlich noch häufiger zu Verdruss führt, ist, wann eine Leistung angeboten werden kann. Oder vielmehr, wie lange der Kunde darauf warten muss. Wenn ein Kunde im Sommer mitunter mehrere Wochen auf einen Reifenwechsel wartet, dann ist das eine schlechte Leistung des jeweiligen Betriebs. Solche Reparaturen bieten wir meist nahezu sofort an. Darüber können wir viele Kunden gewinnen.
{b}Ist es sehr schwer, diese Flexibilität in der Werkstatt abzubilden?{/b}
Thorsten Larschow: Nein, wir tun uns damit nicht schwer. Wieso das in anderen Betrieben oft anders ist, habe ich bisher noch nicht herausgefunden.
{b}Herr Lübeck, gibt es einen Erfahrungswert, welchen Stundensatz eine Fahrradwerkstatt einnehmen muss, um wirtschaftlich auf einen grünen Zweig zu kommen?{/b}
Andreas Lübeck: Nicht wirklich. Dazu sind die Lohn- und Mietkosten in Deutschland zu unterschiedlich. Wer in Düsseldorf oder München in der Stadtmitte sitzt, muss anders kalkulieren als beispielsweise ein Händler in den neuen Bundesländern. Aber Thorsten Larschow hat natürlich ganz Recht, dass ein vernünftiger Stundensatz die Grundlage für jedes wirtschaftliche Arbeiten in der Fahrradwerkstatt ist. Dabei darf man sich durchaus an anderen Handwerksbranchen in der Region orientieren. Wieso sollte der Fahrradmechaniker weniger verlangen als beispielsweise ein Installateur oder eine Autowerkstatt? Wenn ich mir anschaue, was heute schon in der Fahrradwerkstatt an Know-how geleistet werden muss, dann sollten wir uns nicht zu billig verkaufen.
{b}… Das technische Aufgabenspektrum hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert …{/b}
Andreas Lübeck: Und das ist gleichzeitig auch die Chance für gute Werkstätten, sich zu profilieren. Das setzt gute Mitarbeiter mit entsprechender Bezahlung voraus. Die Betriebe, die das darstellen können, werden sich vom Rest des Marktes noch weiter abheben.
{b}Welche Bandbreite begegnet Ihnen in Ihrer Beratertätigkeit bei den Stundensätzen?{/b}
Andreas Lübeck: Es gibt noch manche Läden, die im Bereich um 25 EUR liegen. Die obere Grenze bei den Stundensätzen liegt bei 70 bis 75 EUR.
{b}Das klingt ja schon ganz ordentlich…{/b}
Andreas Lübeck: Das sind dann aber oft auch Läden in Top-Lagen, die auch entsprechend hohe Kosten haben.
{b}Sie beide waren maßgeblich daran beteiligt, im Verbund Service und Fahrrad (VSF) eine Zertifizierung der Werkstätten in den Mitgliedsbetrieben einzuführen. Stand dahinter auch die Absicht, eine bessere Preisakzeptanz für höhere Stundensätze durch die Zertifizierung zu erreichen?{/b}
Andreas Lübeck: Das ist sicher ein Aspekt, den wir durch die Zertifizierung erreichen wollen. Aber es gab noch einige andere Gründe für die Zertifizierung. Die Strukturen der Werkstätten sind im VSF nicht so viel besser als der Durchschnitt der Branche. Die VSF-Händler stecken vielleicht noch ein bisschen mehr Herzblut rein und sind ein bisschen besser organisiert, aber die Situation in den Mitgliedsbetrieben ist noch lange nicht perfekt. Am Anfang wollten wir zunächst erst mal nur herausfinden, wie denn die Lage in den Werkstätten der VSF-Mitglieder ist. Wir haben dann das Wissen und die Erfahrungen der Mitglieder zusammengetragen und daraus einige Regeln abgeleitet.
{b}Welche Regeln sind das zum Beispiel?{/b}
Andreas Lübeck: Eine der wichtigsten Regeln beruht auf dem, was auch Thorsten Larschow gerade schon gesagt hat: Dem Kunden wird bei der Abgabe ein Preis genannt, der fix ist oder vielmehr ohne vorherige Rücksprache mit dem Kunden nicht mehr verändert werden darf. Das wiederum setzt eine sehr aufwendige und detaillierte Reparaturannahme voraus. Bei den Vorbereitungen für die Werkstattzertifizierung haben wir festgestellt, dass der größte Teil der Probleme in der Werkstatt, sei es Ärger mit den Kunden oder Zeitfresser in den Abläufen, durch eine nicht vernünftige Reparaturannahme entstehen. Deshalb haben wir auch den überwiegenden Teil unserer Arbeit bei der Planung der Zertifizierung in die Reparaturannahme gesteckt und diese sehr detailliert ausgearbeitet.
{b}Ein Merkmal des VSF ist seine individuell geprägte Händlerstruktur. Lassen sich solche Konzepte, die theoretisch vielleicht ganz schlüssig wirken, auch in der Praxis so leicht umsetzen?{/b}
Andreas Lübeck: Nein, das ist alles andere als einfach. Die entsprechenden Abläufe müssen mit den Teilnehmern an der Zertifizierung regelrecht trainiert werden. Jede All-Ride-Werkstatt muss auch an einer Werkstatt-Erfa-Gruppe teilnehmen, in der die Reparaturannahme zusammen mit Kollegen geübt wird und dabei entstehende Probleme besprochen werden.
{b}Wie groß waren denn die Widerstände in der Art »das haben wir schon immer so gemacht«?{/b}
Andreas Lübeck: Anfangs waren diese Widerstände ziemlich heftig. Ich habe das Thema Werkstatt als Unternehmensberater schon etwas länger auf dem Schirm. Als Einzelkämpfer fand ich es meistens sehr schwer, vorhandene Verhaltensmuster in den Werkstätten aufzubrechen. Das ist nun mit der Integration der Erfa-Gruppen wesentlich einfacher geworden. Man glaubt eher einem Kollegen, der mit einem Konzept zudem offensichtlich erfolgreich ist.
{b}Gab es denn auch Inhalte der All-Ride-Zertifizierung, die von den Händlern reibungslos angenommen wurden?{/b}
Andreas Lübeck: Zu den Feedback-Karten gab es beispielsweise kaum Diskussionen, obwohl diese ja durchaus auch ein Kontrollinstrument im Rahmen der Werkstattzertifizierung sind.
{b}Sind diese Karten auch ein Marketing-Instrument für die jeweiligen Händler?{/b}
Andreas Lübeck: Ja, durchaus. Zumindest die schlauen Händler nutzen die ausgefüllten Karten bereits sehr intensiv, um die Qualität der Werkstatt auch den Kunden gegenüber zu dokumentieren. Manche Händler stellen die gesammelten Feedbacks der Kunden zum Beispiel im Schaufenster aus oder stellen sie auf ihre Homepage.
{b}Ist denn das All-Ride-Konzept in seinem jetzigen Stand schon zu Ende entwickelt? Oder gibt es noch Dinge, die auf der To-Do-Liste stehen?{/b}
Andreas Lübeck: Da gibt es schon noch einiges. Im Moment schauen wir uns zum Beispiel das Thema Inspektionen sehr genau an. Inspektionen werden zwar von allen Händlern angeboten, aber es ist kaum irgendwo festgelegt, was dabei gemacht wird. Zumindest für die All-Ride-Werkstätten haben wir nun eine exakte Aufgabenliste erstellt und haben das auch mit einem AW-Wert hinterlegt. In dieser Richtung, nämlich die Leistung für den Kunden immer transparenter zu machen, wird sicherlich noch einiges kommen.
{b}Apropos Transparenz: Wenn ich mir Ihre Werkstatt anschaue, Herr Larschow, sehe ich, dass ich nichts sehe. Der Werkstattbereich ist optisch vom Verkaufsraum abgetrennt, obwohl die Räumlichkeiten durchaus eine einsehbare Werkstatt zulassen würden …{/b}
Thorsten Larschow: Wir haben auch tatsächlich lange Zeit eine offene Werkstatt gehabt. Das hat sich jedoch sehr deutlich auf die Arbeitszeit der Mitarbeiter ausgewirkt. Jede Unterbrechung kostet irre viel Zeit. Wenn die Kunden in die Werkstatt reingucken können, dann sprechen die auch mit den Leuten, die dort arbeiten. Es kostet viel Zeit nicht nur diese Gespräche zu führen, sondern vor allem auch danach, sich wieder neu zu orientieren. Und wenn das während eines Auftrag fünf bis sechs Mal passiert, dann lohnt sich die Reparatur für uns nicht mehr.
{b}War dies eine schwierige Umstellung für Ihre Mitarbeiter, die ja nun etwas abgeschottet arbeiten müssen.{/b}
Thorsten Larschow: Nein, die Umstellung fiel den Mitarbeiten sehr leicht, weil die Arbeitssituation dadurch besser wurde. Die meisten Menschen sind ja gerne im Kontakt mit anderen Menschen. Aber wenn darunter die eigene Leistung leidet, dann macht das unzufrieden. Unsere Mitarbeiter waren jedenfalls vom Umbau der Werkstatt begeistert. Die Arbeit wurde wesentlich stressfreier und auch die Fehlerquote ging runter. Die Arbeitsgeschwindigkeit wird zwar nicht höher, aber trotzdem leistet jeder Mitarbeiter mehr, weil die Unterbrechungen entfallen.
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