Report - Triathlon
Über Kurz oder Lang
Hawaii 2010. Die Luft über dem Queen K Highway flirrt. Zwei verschwommene Silhouetten werden in der Ferne sichtbar. Schulter an Schulter rennen sie dem Ziel in Kailua-Kona entgegen. Den Blick für den Gegner unlesbar hinter verspiegelten Sonnenbrillen verborgen, die Reißverschlüsse ihrer Triathlon-Tops weit aufgerissen, die Zähne gefletscht in einer Mischung aus Erschöpfung, Kampf mit sich selbst und dem Ehrgeiz, sich den großen Traum, den Sieg auf Hawaii, jetzt nicht mehr nehmen zu lassen. Solche Momente, wie dieses Herzschlagfinale zwischen dem Deutschen Andreas Raelert und dem Australier Chris McCormack bei den Ironman Weltmeisterschaften vor zwei Jahren, das Letzterer knapp für sich entschied, sind es, die diesen Sport schillern lassen. Die ihm diese ganz besondere Aura verleihen, die nur im Triathlon zu finden ist. Und zwar nicht nur auf der Langstrecke: »Die Herausforderung und die Atmosphäre bei Triathlon-Events ist viel intensiver als zum Beispiel bei einer Laufveranstaltung«, erzählt Léana Helbig, Geschäftsführerin von Trionik Multisport in Hamburg und selbst aktive Triathletin (1. Platz beim Hamburg Triathlon auf der Olympischen Distanz in 2011). In den vergangenen Jahren hat der Dreikampf einen Zuspruch erfahren, den man vielleicht noch nicht als Boom, sicher jedoch als Trend bezeichnen kann. Gab die Deutsche Triathlon Union die Zahl der aktiven Athleten 2009 noch mit rund 150.000 in der Bundesrepublik an, kletterten die Zahlen 2012 auf geschätzte 200.000. Und bei Weitem sind nicht alle davon sekundenjagende (Halb-)Profis, viele sind nicht einmal im Verein und haben keinen Startpass. Beim Hamburg Triathlon, einer der mit 10.000 Teilnehmern größten Jedermannveranstaltungen überhaupt, stehen jedes Jahr zirka 20 Prozent absolute Neulinge am Alsterufer und warten auf den Startschuss zu ihrem ersten Triathlon. Meist ist das der Anfang einer bleibenden Liebe.
Eine Leidenschaft fürs Sportlerleben
Es gibt wenige, die nur einen Triathlon absolvieren und dann nie wieder. Einer Befragung des Magazins »triathlon« zufolge, betreiben gut zwei Drittel der Leser erst seit zwischen einem und fünf Jahren diesen Sport, absolvieren im Durchschnitt aber sieben Wettkämpfe pro Jahr. Und können dabei aus einer immer größeren Anzahl von Rennen wählen. Allein 29 Ironman-Veranstaltungen wird es 2013 geben, die Konkurrenz-Serie »Challenge« verdoppelte ihre Wettkämpfe vergangenes Jahr von sechs auf zwölf weltweit. Natürlich versucht auch sie, möglichst bekannte Namen an den Start zu bekommen, Organisator Felix Walchshöfer betont jedoch, dass der Fokus ganz klar auf den Altersklassenathleten liege. »Ich denke, die Tatsache, dass man im Triathlon den Profis noch sehr nah ist, man sich zumindest ab der Mitteldistanz eine Wechselzone teilt und nicht abgeschirmt ist, macht nur einen Teil der Faszination aus«, vermutet Sonja Tajsich, Profiathletin und mit dem vierten Platz beste Deutsche auf Hawaii 2012. Die Hauptanziehungskraft sieht sie anderswo: »Im Triathlon geht es um drei Sportarten, die für sich genommen nicht schwierig sind. Sie jedoch aneinanderzureihen, macht das Ganze schwer und dadurch herausfordernd«, ist Tajsich überzeugt. Tatsächlich sind es oft Quereinsteiger, die bisher nur eine der drei Sportarten ausgeübt haben, die sich im Triathlon einen neuen Kick suchen: »Die meisten Hobbyathleten kommen meiner Erfahrung nach vom Laufen oder Radfahren, und wenn sie die ersten hundert Meter am Stück Kraulen können, sind sie schon fast bei einem Triathlon angemeldet«, berichtet Ingo Festner, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat und neben seinem auf Dreikampf spezialisierten Online-Shop triworld.de seit Ende 2011 auch einen Triathlon-Laden in Kempten betreibt. Den Einstieg leichter macht den Neu- oder Bald-Triathleten sicher das wachsende Angebot an Veranstaltungen. Lange Wege und umständlicher Fahrradtransport von A nach B entfallen. Denn viele Organisatoren bieten neben dem Hauptwettkampf inzwischen eine Schnupperdistanz an. Der Stempel, dass dieser Sport nur etwas für Ehrgeizlinge und Supersportler ist, verblasst immer stärker. »Viele würden sich selbst nie als Triathleten bezeichnen, sagen sich aber angesichts der überschaubaren Volksdistanzen: Das kann ich auch«, glaubt Léana Helbig. Und ist der Anfang erst einmal gemacht, bleiben viele dabei oder streuen zumindest ab und zu eine Volks- oder Kurzdistanz zwischen Radrennen, Schwimmwettkampf oder Straßenlauf.
Finishen statt Sekunden jagen
Woher das Interesse am aktiven Triathlon kommt, lässt sich schwer sagen. Sicherlich spielt die zunehmende TV-Präsenz (z. B. Olympia, Live-Übertragung Hamburg, Frankfurt etc.) dieser Sportart eine Rolle. Triathlon ist stärker im Bewusstsein der Sportinteressierten verankert. Auch, dass immer mehr Veranstaltungen zumindest die Laufstrecke sowie Start und Ziel mitten in der Stadt haben, der Sport und seine Protagonisten also greifbar und quasi Teil des Einkaufsbummels werden, verringert die Berührungsängste und stärkt das Gefühl, dass Triathlon theoretisch jeder kann.. Und auch die Einstellung potenzieller Debütanten hat sich im Vergleich zu früher drastisch geändert: »Die Denkweise ist heute eine ganz andere«, hat Ingo Festner in den mittlerweile zwei Jahrzehnten seiner aktiven Triathlonkarriere beobachtet. »Noch vor zehn Jahren hat sich alles um die Finisherzeit gedreht, jetzt steht der Mitmach-Gedanke im Vordergrund.« Zudem ist die Materialauswahl heute größer, die Verfügbarkeit von Equipment besser. Vor 20 Jahren waren Scheibenräder, Liegelenker und Co. für die Profis reserviert, heute kann sie jeder im Laden oder Online kaufen. Und tut das auch. Triathleten sind technikaffine Sportler und überdurchschnittlich offen für Innovationen. Vollverkleidete Laufräder, Hornlenker, Energiegels und Kompressionsbekleidung fanden über die Triathlonszene ihren Weg zu einem breiteren Publikum. »Highend-Räder und Neoprenanzüge über 500 Euro sind heute auch bei Volksdistanzen die Norm«, bestätigt Ingo Festner. Wer einmal durch die Wechselzone beim Hamburg Triathlon gegangen ist, weiß, dass er Recht hat. Darin liegt ein enormes Potenzial für den Handel. »Gerade fortgeschrittene Triathleten legen viel Wert auf Markenware«, berichtet Marcel Schreiter von Sportshop-Triathlon.de in Köln. Das Unternehmen musste in den vergangenen drei Jahren zweimal umziehen, weil die aktuelle Ladenfläche nicht mehr ausreichte. Bei Trionik sind die Kundenzahlen in den vergangenen Jahren ebenfalls deutlich gestiegen und auch Ingo Festners triworld.de steigerte ihren Umsatz um jährlich 20 Prozent. Die Klientel der Triathleten lässt sich in zwei Hauptgruppen einteilen: Die Einsteiger, die wenig bis keine Ahnung von der Materie haben und in den Laden kommen, um sich von Grund auf beraten zu lassen. Sie sind noch nicht sicher, ob sie beim Sport bleiben werden und was sie für ihr Debüt brauchen. Daneben gibt es die Ambitionierten, die sich meist im Vorfeld schon gut in Fachmedien und dem Internet informiert haben und sich vom direkten Gespräch mit dem Triathlon-Fachmann im Geschäft eine Bestätigung ihrer Wahl oder einen Geheimtipp erhoffen. Gerade Letztere sind oft bereit, viel Geld auszugeben, wenn sie sich gut beraten fühlen. Kompetenter Service, angenehme Atmosphäre und das Vermitteln von Emotion sind die Komponenten, die einen erfolgreichen Triathlon-Händler ausmachen. Das gilt zwar nicht nur im Dreikampf-Bereich, doch hier sind die Möglichkeiten größer, da der Händler weder auf eine Sportart festgelegt ist, noch ein ausuferndes Sortiment von Fitness bis Outdoor anbieten muss. »Wir haben früh erkannt, dass wir uns nicht als Triathlon, sondern als Multisport-Spezialist positionieren sollten«, beschreibt Léana Helbig die Trionik-Philosophie. »So fühlen sich die Gesundheitssportler, zu denen die meisten Volksdistanz-Starter gehören, nicht abgeschreckt.« Im vielfältigen Angebot können die Kunden dann stöbern und werden animiert, andere Sportarten als ihre »Kerndisziplin« einmal auszuprobieren. Natürlich geht das auch im Triathlon-Segment nicht ohne (Preis-)Kampf. Schlechtes Wetter schlägt sich direkt auf die Verkaufszahlen nieder und auch der Online-Handel gräbt den stationären Geschäften Kundschaft ab. Manche Händler koppeln deshalb Online- und Laden-Geschäft, andere wie Lemonsports verlagern sich komplett aufs virtuelle Handeln. Service wird hier geboten, indem beispielsweise Neoprenanzüge bei Events in lokalen Bädern ausprobiert werden können.
Ein Markt mit Potenzial
Egal, ob online oder stationär: Der Triathlon-Markt hat großes Potenzial. Die Sportart wird kontinuierlich massentauglich – mit Schnupperdistanzen, Veranstaltungen in Stadtzentren und TV-Übertragungen verschiedener Veranstaltungen von Olympia bis Ironman. Der Dreikampf hat seinen Schrecken verloren, die Hemmschwelle, sich auch als Freizeit- und (bisheriger) Monosportler einmal an einem Triathlon zu versuchen ist in den vergangenen Jahren gesunken. Der Spaßgedanke setzt sich auch in dieser Sportart immer mehr durch. Wer sein Sortiment entsprechend ausrichtet und kompetente Beratung bietet, kann im Dreikampf durchaus eine vielversprechende Möglichkeit finden, sich von der Konkurrenz abzuheben. Triathlon als Alleinstellungsmerkmal kann funktionieren. Auch wenn man dazu, wie es Thorsten Schneemann vom Online-Shop 3sports.de ausdrückt, »eine gute Portion Herzblut braucht.«
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