Interview - Teet Praks, Comodule
Viel Mehrwert durch digitale Fahrzeuge
Die Konnektivität von Fahrrädern nimmt aktuell schon deshalb zu, weil sie es möglich macht, dass Marken sich von ihrer Konkurrenz unterscheiden. Wie sieht das Ende dieser Entwicklung aus und wie werden sich Fahrräder dann voneinander abheben?
Wenn man sich die Innovatoren in der Industrie ansieht, dann sind deren Fahrzeuge umfangreich vernetzt. Vernetzt zu sein macht es ihnen möglich, sich vom Status quo und dem restlichen Markt abzuheben. Sie unterscheiden sich aber nicht alle in der gleichen Weise. Vielleicht ermöglichen sie es ihren Nutzern, die Fahrzeuge zu orten. Aber wenn man sich das Kundenportfolio von Comodule ansieht, sind die Firmen sehr voneinander unterscheidbar.
»Der Haupteffekt von Konnektivität auf E-Bikes ist, dass aus einem analogen Fahrzeug ein digitales Fahrzeug wird.«
Wenn Konnektivität näher in Richtung Massenmarkt rückt, wird sie nicht mehr der große Unterscheidungsfaktor sein, der sie jetzt ist. Aber ich glaube, dass Konnektivität dann immer noch mehr Möglichkeiten bietet, anders zu sein. Der Haupteffekt von Konnektivität auf E-Bikes ist, dass aus einem analogen Fahrzeug ein digitales Fahrzeug wird. Über die Lebensdauer eines Fahrzeugs hinweg kann man neue Mehrwerte und neue Funktionen einführen. Das ist es auch, was Tesla in der Automobilwelt macht. So etwas wird auch in der E-Bike-Industrie passieren.
Wodurch unterscheiden sich denn jetzt schon die Lösungen, die Comodule für verschiedene Marken anbietet?
Wir positionieren uns am Markt wie ein Infrastrukturunternehmen. Wenn jemand heute eine Website eröffnen will, geht man ja auch nicht zum Hardware-Store, um in der Ecke des Zimmers einen Server aufzubauen. Sondern man geht zu Amazon, Google oder Microsoft, um deren Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und den Server-Platz zu mieten. So ähnlich sehen wir uns im Fahrradmarkt. Wir stellen die Infrastruktur zur Verfügung, die es ermöglicht, einen Mehrwert für den Kunden und die Marke anzubieten. Die Hersteller können die Fahrzeugdaten einsetzen, um bessere Entscheidungen in der Produktentwicklung zu treffen und personalisierte Marketingkampagnen durchzuführen.
Für die Kunden ist die Sicherheit der offensichtlichste Vorteil. Wir reduzieren Fahrraddiebstähle, indem wir den Konsumenten ermöglichen, ihre Fahrräder zu orten. Das ist normalerweise mit einem Versicherungs- oder Wiederbeschaffungsangebot gekoppelt. Zum Beispiel Gazelle, einer unserer Partner, bietet das als Markenversprechen an. Wenn ein Rad gestohlen wird, beschaffen sie es in einer bestimmten Zeit zurück, was auch immer einen sentimentalen Wert des Fahrrads ans Licht bringt, oder man bekommt ein neues Fahrrad von der Versicherung. In Sachen Komfort bieten wir zum Beispiel automatisches Abschließen und Entsperren des Fahrrads an, wenn man sich nähert. Beim Thema Sicherheit gibt es etwa eine Unfallerkennung.
Wie viel von diesem Mehrwert ist für den Kunden noch erklärungsbedürftig? Und was wird vielleicht sogar schon verlangt?
Unserer Erfahrung nach braucht die Ortung des Fahrrads keine oder quasi keine Erklärung mehr. Das wird schon zum Marktstandard. Niederländische Fahrradversicherer arbeiten beispielsweise an einer Gesetzgebung, die erfordert, dass Fahrräder vernetzt sind und mit einem GPS-Tracker ausgestattet sind, um versichert werden zu können.
Die kleine Comodule-Einheit ist mit dem E-Bike-Antrieb verbunden und greift auf die Systemdaten zu. Das Gerät ermöglicht auch GPS-Ortung.
Alles andere erfordert eine wohlüberlegte Erklärung für die Konsumenten. Wenn man sich aber zum Beispiel die Website von Cowboy ansieht, merkt man, dass der meiste Wert hier in der Tatsache verankert ist, dass es vernetzt ist. Die Verbraucher betrachten das Fahrrad nicht mehr als smartes Fahrrad, sondern einfach als eins, das ihnen einen größeren Nutzen bietet als andere Räder.
Inwiefern sind verschiedene Märkte unterschiedlich bezüglich vernetzter Fahrräder? Und wie unterscheiden sich verschiedene Generationen als Kundschaft?
Ich denke, dass die Nachfrage in stärkeren Märkten höher ist. Je größer ein Markt ist, desto mehr Sachverstand haben die Kunden und desto besser wissen sie, was sie wollen. In diesen Märkten kaufen die Leute oft schon ihr zweites oder drittes E-Bike und kennen sich deshalb gut aus.
Das mit den Generationen ist eine gute Frage. Unsere Wahrnehmung ist, dass das Alter des typischen E-Bike-Käufers immer niedriger wird. Konnektivität wird gleichzeitig üblicherweise von einer jüngeren Altersgruppe gefordert. Diese Entwicklungen bewegen sich aufeinander zu.
Was ist Ihre Sicht auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für smarte E-Bikes in Europa beziehungsweise spezifisch in Deutschland?
Meiner Meinung nach ist die Regelung ziemlich unkompliziert. Wir sind komplett konform mit der Datenschutzgrundverordnung und händeln die Daten auf eine sichere Weise. Wenn wir Nutzerdaten benutzen wollen, fragen wir nach deren Einverständnis. Es ist bedeutsam, dass die Europäische Union die Rahmenbedingungen für das Daten-Management eingeführt hat, weil es klare Grenzen setzt, was man tun kann und was nicht.
Wie lassen sich denn die Daten nutzen, um die Fahrräder zu verbessern?
Typischerweise läuft das so ab: Wenn eine Fahrradmarke ein neues Modell entwickelt, integrieren sie IoT-Technologie (Internet of Things – Internet der Dinge, Anm. d. Red.) in das Fahrrad für einen höheren Verbrauchernutzen. Aber schon im Testprozess, also vor der Massenproduktion, merken sie dann, dass IoT nützlich ist, um Fehler zu beheben. Wenn es Probleme mit der Batterie gibt oder der Motor nicht so performt wie erwartet, können sie die Daten analysieren und in der Produktentwicklung nutzen.
»Wir positionieren uns am Markt wie ein Infrastrukturunternehmen. Wenn jemand heute eine Website eröffnen will, geht man ja auch nicht zum Hardware-Store, um in der Ecke des Zimmers einen Server aufzubauen.«
Das funktioniert im Entwicklungsprozess selbst, aber auch nach der Produktion. Es kann auch dabei helfen, Garantieansprüche schneller und präziser zu bearbeiten. Die OEMs und Hersteller können nachvollziehen, was passiert ist. Progressivere Marken sagen dann sogar: »Wir brauchen das Fahrrad gar nicht zurück, wir wissen schon, was passiert ist. Wir schicken ein Ersatzteil oder ein Update over-the-air.«
Ihre Kunden können auch White-Label-Apps bei Ihnen beziehen. Ist die Software-Seite der Fahrradbranche eher in der Hand spezialisierter Unternehmen wie Comodule oder entwickeln viele Marken ihre digitalen Angebote selbst?
Ich denke, dass die meisten Marken in ein paar Jahren ihre eigenen Apps oder Software entwickeln werden, zumindest, wenn es um die Nutzung durch die Verbraucher geht. Ich glaube wirklich, dass solche Anwendungen eine Schnittstelle zwischen Produkt und Verbraucher bilden und neue Möglichkeiten bieten, mit der Marke und andersherum mit der Kundschaft zu interagieren. Wir werden weiter White-Label-Anwendungen anbieten, aber ich glaube, dass in Zukunft mehr und mehr Marken diese Komponente selbst kontrollieren wollen, da dies wirklich ihr eigenes Auftreten gegenüber dem Kunden ist. Die Marken beziehen auch selten White-Label-Websites, da sie die Webseite als einen wichtigen Bestandteil der Kundenerfahrung betrachten.
Inwieweit werden die Benutzeroberflächen harmonisiert werden, sodass man nur noch eine App benutzen muss, um mit dem Fahrrad zu interagieren?
Das ist eines unserer Kernwertversprechen, dass der Nutzer nicht fünf verschiedene Anwendungen nutzen muss, sondern alles in einem Ökosystem zusammengeführt wird. Das machen wir auch schon mit einigen Marken. Wir integrieren zum Beispiel die Antriebseinheit, was die App für diese eliminiert. Das Gleiche machen wir mit dem Schloss und der Schaltung, zum Beispiel von Enviolo. All diese Komponenten sind dann aus einer Hand konfigurierbar. Das ist ein echter Ökosystem-Ansatz.
Ist der IoT-Ansatz exklusiv für E-Bikes oder betrifft das Thema auch unmotorisierte Fahrräder?
Künftig werden unmotorisierte Fahrräder mehr und mehr elektrifiziert werden. Das zeichnet sich gerade schon ab, zum Beispiel bei der Gangschaltung, der Federung oder dem Lichtsystem. Sehr oft haben die Komponenten ihr eigenes elektrisches System und ihre eigene Stromquelle. In Zukunft wird das zusammengelegt, denke ich, sodass Nicht-E-Bikes auch mit einer kleinen Batterie ausgestattet sind. Da wird es auch beim unmotorisierten Rad der Zukunft dann Raum für IoT geben. Auf dem Markt gibt es da noch nichts, aber wir arbeiten an einem Pilotprojekt.
Die Funktion, ein E-Bike zu orten, müssen Händler den Kunden nur noch selten erklären. Bei anderen Funktionen ist ihr Beratungsbedarf aktuell noch höher, so Teet Praks.
Wie wird sich denn das vernetzte Fahrrad generell in der Zukunft verändern? Wird ein vernetztes Fahrrad meistens mit einem Abonnement einhergehen?
Ich schätze, dass die Daten, die die Firmen mit den Fahrrädern sammeln, und der Fakt, dass die Fahrräder immer zu erreichen sind, einen enormen Wert haben werden in Zukunft. Die Daten könnten auch so wertvoll sein, dass die OEMs bereit sein werden, die Kosten zu tragen. Es kommt auf die Art OEM oder die Marke an, wie sie arbeiten und wie viel sie selbst entwickeln. Aber es könnte Anbieter geben, die willens sind, für die Daten zu bezahlen und die das Abonnement deshalb nicht an die Endkunden weiterreichen werden.
Comodule kooperiert nicht nur mit Kunden aus der Fahrradbranche, sondern beispielsweise auch mit E-Scooter-Anbietern. Welche Rolle wird das E-Bike künftig im Mix der verschiedenen elektrischen Leichtfahrzeuge spielen?
In Dänemark oder den Niederlanden sieht man hauptsächlich Fahrräder und vielleicht ein paar Mopeds. Wenn man nach Deutschland geht, sieht man schon ein paar E-Scooter, Motorroller, E-Bikes und S-Pedelecs. Wenn man dann nach Frankreich, Spanien oder Italien schaut, sieht man viele E-Scooter. Die haben eine große Rolle dafür gespielt, dass der Markt für elektrische Leichtfahrzeuge so schnell gewachsen ist in den letzten zwei, drei Jahren. Das liegt an den Sharing-Anbietern, durch die viele Leute die Fahrzeuge ausprobieren konnten und dann feststellten, dass die Art Fahrzeug ihnen gefällt und sie sich selbst eins zulegen wollen. E-Scooter sind gekommen, um zu bleiben, und der Markt wird mindestens so wachsen wie der E-Bike-Markt.
Shared Mobility ist ein Trend, dem vor allem zu Anfang eine große Zukunft prognostiziert wurde. Ist diese schon eingetroffen? Wie ist Ihre aktuelle Perspektive auf diese Art der Mobilität?
Die Art, wie Scooter-Anbieter aufgebaut wurden und wie sie skaliert haben, war ganz und gar nicht nachhaltig. Sie wurden vom Risikokapital angezogen, haben aber dieses Geld, anstatt es in die Entwicklung der Firma zu stecken, lieber in chinesische Hardware investiert, die sie dann auf die Straße gebracht haben. Die hat ihnen aber nicht wirklich Geld eingebracht.
»Wenn Konnektivität näher in Richtung Massenmarkt rückt, wird sie nicht mehr der große Unterscheidungsfaktor sein, der sie jetzt ist.«
In Zukunft wird es eine Kombination von Shared Mobility und Fahrzeugen, die die Leute besitzen, geben. Die Shared Mobility wird sich wieder zu dem Modell bewegen, wo sie vor dem Risikokapital war. Also dahin, dass Städte üblicherweise lokale Sharing-Systeme subventionieren. Nichtsdestotrotz werden die E-Scooter-Anbieter bestehen bleiben. Nur die Art, wie sie vorgehen, wird sich verändern.
Die Hersteller von Sharing-Rädern sind meistens andere als bei herkömmlichen Fahrrädern. Glauben Sie, es wäre zu spät für die traditionelle Industrie, in diesem Segment Fuß zu fassen?
Ich glaube, es ist definitiv nicht zu spät. Es gibt noch viel Raum, um wirklich gute Räder für Shared Mobility anzubieten. Das Fahrrad, das alle in der Branche als Benchmark setzen, ist ein Rad des Unternehmens Jump, welches von Uber übernommen wurde. Die haben ein richtig tolles Fahrrad fürs Bike-Sharing entwickelt. Ich nehme keinen anderen Fahrradlieferanten wahr, der dieses Level erreicht hat. Ich bin kein Spezialist auf dem Gebiet der geteilten E-Bikes. Aber meine persönliche Meinung ist: Es gibt definitiv noch Raum für Newcomer. //
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