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Vorbilder machen Sportler
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Interview - Kinder- und Jugendsport

Vorbilder machen Sportler

Lernstress, Unterricht, Ganztagesbetreuung – Kinder und Jugendliche in Deutschland sitzen zu viel, so der Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht 2015. Die Forscher sehen Vereine und Verbände in der Pflicht, den Nachwuchs zur Bewegung zu motivieren. Doch die Weichen für einen aktiven Lebensstil werden schon viel früher gelegt, glaubt Diplompsychologin Prof. Dr. Ulrike Burrmann. Nämlich in der Familie.

{b}Unterscheiden sich Kinder, die sportlich aktiv sind, in ihrem Sozialverhalten tendenziell von Kindern, die sich wenig bewegen?{/b}

Die Untersuchungen zeigen bisher, dass die sportlich aktiven Kinder eher in soziale Netzwerke eingebunden sind und sich tendenziell kompetenter fühlen im Umgang mit anderen. Sie haben oft mehr Freunde und fühlen sich besser integriert als diejenigen, die keinen Sport treiben. Da es nur wenige Längsschnittstudien gibt, bei denen dieselben Kinder zu mehreren Messzeitpunkten untersucht werden weiß man nicht genau, ob erst der Sport sie fitter und selbstsicherer im Umgang mit anderen werden lässt oder ob sie vorher schon Selbstvertrauen in die eigene Leistung und Kompetenz hatten. Ich würde sagen, es ist beides. Denn der Sport hat den Vorteil, dass man schnell Erfolge erkennen kann: zum einen, dass die Leistung besser wird, zum anderen, dass man mit anderen Kindern besser zusammenspielen und kommunizieren kann. Das schafft Selbstvertrauen und erhöht wiederum die Motivation mit dem Sport weiterzumachen und sich zuzutrauen, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.

{b}Übernehmen solche Kinder auch eher eine Führungsrolle im Freundeskreis?{/b}

Das Thema Führungsrolle kommt eher dann ins Spiel, wenn es um leistungssportliche Karrieren geht. Dann könnte sich die Frage stellen, ob jemand das Potenzial hat, die Mannschaft zu führen. Ich würde eher von Anerkennung sprechen, die Kinder von Gleichaltrigen und auch Erwachsenen erhalten, wenn sie zum Beispiel gute sportliche Leistungen erzielen. Unsportliche Kinder haben es da häufig schwerer.

{b}Welchen Einfluss haben die Eltern darauf, ob das Kind Interesse an aktiver sportlicher Betätigung entwickelt?{/b}

Einen sehr großen, hier beginnt die Bewegungssozialisation. Sie legen die Basis, inwieweit ein Kind aufgeschlossen ist für Bewegung, Spiel- und Sportaktivitäten. Die Eltern regen das Interesse eines Kindes und dessen Lust an Bewegung unter anderem dadurch an, dass sie selbst einen aktiven Lebensstil vorleben und dadurch, dass Spiel- und Sportgeräte vorhanden sind. Es müssen Angebote gemacht und Kinder in ihrem Bewegungsdrang unterstützt werden. Eltern, die selbst sportlich aktiv sind, mit den Kindern Sport- und Spielfeste besuchen und mit ihnen gemeinsam Sport treiben, lassen die Kinder Bewegung eher als Gewohnheit erleben. So entwickelt sich das Interesse weiter und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie sich später sportlich betätigen.

{b}Ist es wichtig, dass die Eltern den Sport selbst ausführen, wie groß ist der Einfluss des Nachahm-Effekts?{/b}

Die Eltern müssen nicht unbedingt selbst Sport machen, wenngleich wir schon positive Zusammenhänge zum Sporttreiben der Kinder finden. Dabei scheinen Mädchen eher ein sportlicheres familiäres Umfeld zu benötigen, um beispielsweise Vereinsmitglied zu werden und zu bleiben, als die Jungen, die eher auf ihre sportaktiven Freunde zurückgreifen. Neben den Anregungen und Unterstützungsleistungen der Eltern ist auch das Bewegungsumfeld relevant. Wenn man einen Garten hat oder einen Spielplatz in der Nähe, kann das schon ausreichen. Denn dann ist es naheliegender, die Kinder dazu anzuregen aktiv zu sein und sich draußen zu bewegen. Es hilft auch, wenn Sportgeräte wie Fahrräder im Haus sind und die Kinder sehen wie damit gefahren wird. Eltern nehmen ihre kleinen Kinder in Kindersitzen oder Fahrradanhängern mit zu Radtouren. Später werden daraus vielleicht gemeinsame Ausflüge mit eigenen Rädern.

{b}Wie wichtig ist ein Verein oder die Anleitung durch einen Trainer?{/b}

Die Frage ist immer, was das Ziel der Eltern ist. Will ich ein systematisches, gut angeleitetes Training für mein Kind, es muss auch nicht wettkampforientiert sein, dann ist es naheliegend, dass das Kind irgendwann in einen Verein geht, weil es dort die entsprechende Förderung erhält. Aber um einen sportiven Lebensstil zu entwickeln, braucht man nicht unbedingt einen Verein. Warum sollte man allerdings nicht so schöne Bewegungsangebote wie Baby-Schwimmen oder Kleinkind-Turnen nutzen? Im frühen Kindesalter geht es vor allem darum, eine allseitige Entwicklung der Kinder zu fördern und ein breites Spektrum an Bewegung und Spiel kindgemäß anzubieten und ausprobieren zu lassen. Mit Ausnahme von sehr wenigen Sportarten, die ein spezifisches Training schon im Vorschulalter erfordern, ist es im Kindes- und Jugendalter völlig normal, wenn mehrere Sportarten ausprobiert oder Sportarten gewechselt werden. Auch Spät- oder Quereinsteiger können sehr erfolgreich sein. Mit der Schulzeit entwickeln sich relativ stabile Freundschaften. Die Freunde spielen dann eine bestimmende Rolle, denn das Kind will oft das machen, was die Freunde machen, in die gleichen Vereine gehen oder die gleichen Sportarten ausprobieren.

{b}Können auch andere Personen außer Eltern und Freunde die Aktivität eines Kindes beeinflussen?{/b}

Ja. Es können auch die Großeltern sein oder ältere Geschwister, Erzieherinnen im Kindergarten, ein Sportlehrer oder der Radladenbesitzer nebenan, der das Kind jeden Nachmittag in der Werkstatt zuschauen lässt. Aber es muss für das Kind eine wichtige, relevante Bezugsperson sein.

{b}Wie merkt man, dass es dem Kind zu viel wird?{/b}

Natürlich sollten Eltern Interesse an den Aktivitäten ihres Kindes zeigen und es wenn möglich unterstützen, zum Beispiel indem sie es zum Training oder Wettkampf fahren. Aber wenn sie das Kind zu etwas zwingen, an dem es kein Interesse mehr hat, dann ist das keine Ressource und Unterstützung mehr, sondern eine Belastung für das Kind.

{b}Aber woran erkennt man, ob das Kind nur mal keine Lust hat oder der Sport wirklich der falsche ist?{/b}

Ich denke, am besten im Gespräch. Es kann ja unterschiedliche Gründe für die Unlust geben. Es kann an der Sportgruppe liegen, daran, dass Erfolgserlebnisse ausbleiben oder die Enttäuschung überwiegt, weil sich die anderen schneller entwickelt haben als man selbst. Oder man hat keine Lust mehr, weil der beste Freund nicht mehr dabei ist. Wenn man mit dem Kind spricht und aufmerksam zuhört, bekommt man gut heraus, ob es nur vorübergehendes oder ernsthaftes Desinteresse ist. Man sollte sich auch immer selbst hinterfragen, ob durch das Drängen darauf, weiterzumachen nicht Wünsche und Erwartungen auf das Kind übertragen werden, die man selber mal hatte, aber nicht realisieren konnte.

{b}Wie wichtig ist es für den Spaß am Sport, dass das Kind eine passende Ausrüstung hat?{/b}

Dazu haben wir keine eigenen Untersuchungen gemacht, aber es sind einfach sicherheitsrelevante Aspekte, die hier eine Rolle spielen. Die Ausrüstung muss nicht teuer sein, aber sicher. Das Gerät und die Ausrüstung müssen auf das Kind abgestimmt sein.

{b}Das heißt also, nicht blind im Internet bestellen sondern sich von einem Fachhändler vor Ort beraten lassen?{/b}

Wenn das Kind mit den Eltern Fahrrad fahren gehen soll, dann lohnt es sich auf alle Fälle, beim entsprechenden Händler nachzufragen. Auch, sich Rat beim Verein zu holen was empfohlen wird, kann hilfreich sein. Teilweise haben die Vereine ja schon entsprechende Kontakte oder können Produkte kostengünstiger erwerben, weil sie größere Mengen abnehmen.

{b}Neigt man als sportliches Elternteil dazu, das Kind in die eigene Sportart zu drängen?{/b}

Ich glaube schon. Nehmen wir mal die Handball-EM dieses Jahr. Da wird immer berichtet, dass der Großvater oder Papa der jetzigen Spieler auch schon in der Nationalmannschaft war und die gleiche Position gespielt hat. Es deutet sich hier also an, dass ich mein Kind eher an die Sportarten heranführe, die ich selbst mag und gemacht habe. Es ist aber auch nichts Schlechtes damit verbunden, solange das Kind selbst Spaß daran hat. Man sollte nur Vorschulkinder nicht schon spezifisch nur Handball oder Radsport trainieren lassen, sondern sie allgemein an möglichst viele Bewegungs- und Spielaktivitäten heranführen.

{b}Kann sich die Begeisterung für Sport auch ins Gegenteil verkehren, wenn ein Elternteil selbst sehr sportlich ist, viel für Training und Wettkämpfe unterwegs und für das Kind nicht greifbar ist?{/b}

Pauschal kann man das nicht beantworten. Das ist ähnlich, wie wenn ein Elternteil mehr als 40 Stunden in der Woche arbeitet. Die Frage ist, wie bringe ich etwas sehr Zeitintensives, sei es Sport oder Arbeit, mit anderen Lebensbereichen zusammen? Schaffe ich es, mein Kind trotzdem noch zu ermutigen, aktiv zu sein und Freiräume für gemeinsame Aktivitäten zu schaffen? Wobei man durchaus auch mal selbst eine Runde auf dem Rad oder im Pool drehen kann, wenn das Kind in der Kinderschwimmstunde oder beim Fußballtraining ist.

{b}Wenn ich als Kind ein Rad hatte, das ich sehr gemocht habe, ist dann die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich dieser Marke oder dem Händler, bei dem es die Eltern damals gekauft haben, eher treu bleibe?{/b}

Ich glaube in der heutigen schnelllebigen Zeit ist die Wahrscheinlichkeit eher gering, aber da fehlen mir empirische Daten. Was wir in unseren Untersuchungen feststellen ist, dass bei Jugendlichen um die 15 Jahre eher die neuen Medien eine Rolle spielen, wenn es darum geht, wie sie ihren Körper bewerten, ihre Aktivitäten auswählen und welche Produkte in oder out sind. Auch die Gleichaltrigen spielen eine Rolle bei der Entscheidung, was an Fahrradmarken, Sportschuhen und so weiter angesagt ist. Das gilt für Marken ebenso wie für Läden. Wenn man aber zum Beispiel Radsport unter leistungssportlichen Aspekten betreibt, werden andere Dinge wichtig. Zum Beispiel, welche Marke im Verein gefahren und als gut angesehen wird, welcher Händler schnell und effektiv helfen kann.

{b}Um das Interesse junger Kunden auf sich zu ziehen und sie zu halten, empfiehlt es sich also, sich als Händler mit Social Media zu beschäftigen und dort aktiv zu sein?{/b}

Ja. Wenn man sich anschaut welche Informationskanäle Jugendliche nutzen, dann sind das YouTube, Instagram und so weiter. Hier präsent zu sein, kann sich lohnen.

15. Februar 2016 von Carola Felchner
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