Kriminalität - Fahrraddiebstahl
Wachstumsmarkt lockt Kriminelle
Die Zahl fiel auf. Als die größte Polizei im größten Bundesland Deutschlands dieses Frühjahr ihren Rückblick auf 2020 vorstellte, prägte ein allgemeiner Rückgang der Kriminalität das Bild. Weniger Wohnungseinbrüche, weniger Taschendiebstahl, weniger Raubdelikte hatte es in Köln im ersten Corona-Jahr gegeben. Die Ermittler überbrachten also viele positive Nachrichten. Doch eine Kategorie wuchs stark und gegen den allgemeinen Trend sowie gegen die Erfolge der jüngeren Vergangenheit: der Fahrraddiebstahl. In 8245 Fällen waren Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Köln die Räder entwendet worden. Das bedeutete ein unerfreuliches Plus von 10,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Hohe Schadenssummen durch Fahrraddiebe
Es kann allerdings kaum verwundern, dass die Zahlen gemeldeter Fahrraddiebstähle vielerorts hoch bleiben oder weiter steigen. Der Boom beim Radabsatz, immer mehr Pedelecs, immer hochwertigere Modelle und mehr Menschen auf Fahrrädern bedeuten letztlich vor allem eines: einen wachsenden Markt, von dem auch Kriminelle profitieren. In der Zuständigkeit des Kölner Polizeipräsidiums bedeuteten die kriminellen Machenschaften im vergangenen Jahr einen wirtschaftlichen Schaden von 5,85 Millionen Euro für die Eigentümer. Das sind nur die bekannten Fälle. Die reale Dimension des Problems dürfte bedeutend größer ausfallen. Beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) weist Sprecherin Stephanie Krone auf Dunkelfeldstudien hin. Demnach erfährt die Polizei in der Hälfte der Fälle nichts vom Diebstahl.
Wo viel Angebot ist, gibt es auch viele Gelegenheiten für Kriminelle. Urbane Zentren, in denen sich viele Menschen mit dem Rad durch den Alltag bewegen, bieten viele Chancen für Diebe und Hehler. Hört man sich um bei den Polizeien in Ballungszentren, dann hat der Fahrraddiebstahl oft einen erheblichen Anteil an der gesamten Fallzahl der Kriminalstatistik. In Leipzig etwa, der sächsischen Metropole und Universitätsstadt, macht dieses Deliktfeld mehr als zehn Prozent aller Fälle aus. »Dieser Tatbestand ist sehr dominant, so etwas gibt es sonst in der Region nicht«, erklärt Olaf Hoppe, Sprecher der Leipziger Polizei.
Um das Problem greifbar zu machen, muss man sich die Straßen einer Stadt wie Leipzig vor Augen führen. »Wir haben in der Stadt etwa eine halbe Million Fahrräder. Das ist eine halbe Million an Gelegenheiten für Kriminelle«, sagt Hoppe. Die Fallzahlen waren entsprechend im Laufe der Jahre gewaltig gewachsen. 2019 belegte Leipzig den traurigen Spitzenrang: 1700 Fahrräder waren pro 100.000 Einwohner entwendet worden, ein klarer negativer Spitzenwert im Vergleich der deutschen Städte.
Die Leipziger Polizei hatte seit 2012 versucht, mit einem organisatorischen Ansatz das Problem in den Griff zu bekommen. Die Einheit »Zentrale Bearbeitung von Fahrradkriminalität« nahm das Feld in den Fokus und ergänzte, was die Kolleginnen und Kollegen ansonsten getrennt voneinander auf den Revieren taten. So gelang es laut Hoppe zunehmend, Erkenntnisse zum Fahrraddiebstahl an einem Ort zu konzentrieren. Die Polizei habe im Laufe der Jahre immer mehr gelernt. So gibt es in der sächsischen Großstadt eine starke Drogenszene als Treiber, Beschaffungskriminalität ist hier wichtig. Die Ermittler fanden daneben Strukturen, für die man eine Weile bohren musste. Auf dem Stadtgebiet deckten sie illegale Aufbereitungsstätten auf, rekonstruierten Vertriebswege für gestohlene Ware, die auch nach Übersee verschifft wurde. »Über die Strukturermittlung waren wir in der Lage, die Aufklärungsquote deutlich zu erhöhen«, berichtet Hoppe.
Im vergangenen Jahr erschütterte allerdings ein Korruptionsfall das Vertrauen in die Polizeibehörde. Beim sogenannten »Fahrradgate« kam heraus, dass Beamte der zentralen Ermittlungsstelle selbst mit gestohlenen Rädern gedealt haben sollen. Das sichergestellte Diebesgut »lief über«, erklärt Hoppe, zwischenzeitig hatte die Polizei 15.000 Teile und Räder auf Lager. Eine Zuordnung der Materialien zu Anzeigen war kaum möglich, und so hatten die Polizeibeamten die fatale Idee, den Bestand auf andere Weise zu senken. »Das führte zu einem enormen Reputationsschaden«, weiß Oliver Hoppe. Die Gerichtsverfahren laufen noch, aber die zentrale Ermittlungseinheit ist inzwischen aufgelöst. Das war ein hochpolitischer Vorgang. Wie er sich auf die Aufklärungsraten auswirkt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls liegt die Zuständigkeit für die »einfache Kriminalität« der Fahrraddiebstähle jetzt wieder bei den Revieren, ganz ohne zentrale Koordination.
Kölner Ansatz zeigt Möglichkeiten auf
Es ist nicht nur unschön für einzelne Verbraucherinnen, wenn ihre mitunter teuren Räder spurlos verschwinden. Das Problem hat auch eine gesellschaftliche Komponente. Davon ist Klaus-Stephan Becker überzeugt, der oberste Beamte der Kriminalpolizei im Kölner Präsidium. »Es geht natürlich vor allem um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Wenn es der Polizei gelingt, Zahlen zu senken und Räder zurückzugeben, dann schafft das Vertrauen«, erklärt Becker, dessen Handeln und Entscheidungen im gesellschaftlichen Rampenlicht geschehen.
Becker hatte Jahr für Jahr steigende Zahlen beim Fahrraddiebstahl ausgewiesen, bis es ihm 2018 genug wurde. »Ich habe gesagt: So kann es nicht weitergehen, weil die Schadenssummen immer weiter anstiegen«, erinnert Becker an den Beschluss, auch in Köln erstmals eine »Ermittlungsgruppe Fahrrad« mit zwischenzeitig fünf bis sechs Kolleginnen und Kollegen einzurichten. Die Gruppe erhielt einen erfahrenen Ermittlungsleiter. »Sie hatten den Auftrag, nach Strukturen und Intensivtätern im Deliktsbereich Fahrraddiebstahl zu suchen«, erklärt der Kriminalpolizist, der im Boulevard der Millionenstadt als »Mafia-Jäger« tituliert wurde. »Man sieht an der Statistik, dass es ein durchschlagender Erfolg war«, sagt Becker.
Das Kölner Beispiel zeigt, was passieren kann, wenn die Behörden den bandenmäßigen und professionellen Tätern auf die Pelle rücken. Von 2018 auf 2019 sank die Zahl der Fälle von 9345 auf 7455, die Schadenssumme von 6,35 Millionen auf 4,85 Millionen Euro. Die Aufklärungsquote stieg erheblich, von gut fünf Prozent auf mehr als zehn Prozent. Verglichen mit anderen Deliktsfeldern kein guter Wert, aber beim Fahrraddiebstahl ist das Aufklären auch schwierig.
Bei den zentralen Ermittlungen ging es darum, Fälle zu sammeln und Tätern oder Gruppen mehrere Taten nachzuweisen. Die Hypothese: Gelingt es, einer Gruppe oder einem einzelnen Verdächtigen eine ganze Serie nachzuweisen, so steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung und möglicherweise sogar die Chance, vor Gericht eine Freiheitsstrafe zu erreichen. Aufgeklärte Strukturen und Verbrechen, verurteilte Täter, das ist das Ziel einer solchen Polizeiarbeit. Tatsächlich gelang es der Kölner Polizei, bandenmäßige Strukturen offenzulegen. In einem besonders spektakulären Fall hatte sich eine Bande auf dem Stadtgebiet auf hochwertige Räder, gerne auch Pedelecs, konzentriert. Das Diebesgut schafften die Täter nach Rumänien, wo sie es für Preise auf den Markt brachten, die den Verkaufspreisen in Deutschland nahekommen. Ein gutes Geschäft für die Bande. Doch die Kölner Polizei legte ihr das Handwerk, auch weil eine Kooperation mit den Kollegen in Rumänien gelang. Eine neue Qualität hatte auch die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft, wo sich eine Juristin schwerpunktmäßig mit dem Deliktsfeld auseinandersetzt und sogar eine Telefonüberwachung anordnete. So gelang es am Ende, allein bei dieser einen Gruppe einen Schaden von weit mehr als 100.000 Euro nachzuweisen und Räder an ihre Besitzer zurückzugeben. Viele Verfahren laufen noch.
Höhere Aufklärungsquoten sind machbar
Man muss Fahrraddiebstahl nicht verwalten, man kann ihn auch bekämpfen
sagt Kölns Kripo-Chef Becker. Der Kampf gegen professionelle Banden ist möglich. Auch Hehler lassen sich identifizieren. Und man erkennt Muster, beispielsweise nach der Strafrechtsreform 2017: Danach wurde es attraktiver, Fahrräder zu stehlen als in Wohnungen einzubrechen. Denn bei Wohnungseinbruch droht nun standardmäßig eine Freiheitsstrafe, beim Raddiebstahl nicht. Das ist mit Blick auf die immer teurer werdenden Fahrräder eine Frage der Kalkulation, beispielsweise im Fall von Beschaffungskriminalität von Drogenabhängigen.
Doch in Köln folgte eben nach dem Rückgang der Fallzahl 2019 im vergangenen Jahr ein Wachstum der Diebstähle. Als Erklärung gilt eine Umorganisation, die nichts mit Fahrrädern zu tun hat, sondern mit einem ganz anderen Deliktsfeld. Das Einrichten der »BAO Berg« bei der Kölner Polizei war die Reaktion auf einen Fund, durch den Ermittler ein riesiges Netzwerk von pädophilen Sexualstraftätern aushoben – den sogenannten »Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach«. In der Folge ordnete die Kölner Behörde ihre Ressourcen neu, die politisch vorangetriebene Aufklärung der sexuellen Delikte gegen Kinder setzte Becker mit einer Einheit um, die einen neuen Ansatz im Kampf gegen Kindesmissbrauch verfolgt und aus eigenem Antrieb Täter und Opfer aufspürt. Diesem wichtigen Zweck musste Becker 2020 die zentrale Ermittlungsgruppe zum Fahrraddiebstahl opfern, denn auch in der größten Polizei Nordrhein-Westfalens gebe es einen Mangel an Personal. Außerdem, sagt Becker, habe er bei der Entscheidung auf einen Nachlauf-Effekt der erfolgreichen Fahndungen gehofft und fühlt sich darin auch bestätigt. Noch lag die Zahl ja niedriger und die Aufklärungsrate beim Fahrraddiebstahl höher als 2018. Aber Becker plant, wieder eine Ermittlungsgruppe einzusetzen, wenn die Personallage das zulässt.
Prävention bleibt wichtig für Diebstahlschutz
Beim Blick auf die Arbeit der Polizei wird aber auch klar: Der wichtigste Faktor, um Fahrraddiebstahl zu verhindern, liegt in der Prävention.
Man muss in die Sicherheit des Rades investieren
, sagt Klaus-Stephan Becker. Die Täter erkennen seiner Ansicht nach, wann Fahrräder gut gesichert sind. Täter haben keine Zeit. Sie wollen schnell weg. »Ein gutes Schloss signalisiert Tätern, dass sie lieber woanders einen Versuch wagen«, beobachtet Becker.
Mit der Arbeit im Vorfeld des Diebstahls gibt es aber noch mehr Tücken. Dass beispielsweise ein Fahrradpass dabei helfen kann, im Diebstahlsfall die Aufklärung zu erleichtern, falle vielen Menschen erst zu spät ein. Aber es gibt ja auch ein systematisches Problem, denn immer weniger Räder sind eindeutig zuzuordnen. »Zunehmend weniger Fahrräder verfügen über eine individuelle Kennzeichnung«, heißt es auch von der Magdeburger Polizei, wo die Aufklärungsquote von 21,5 Prozent 2017 auf 13,9 Prozent im Jahr 2019 sank. Das Zuordnen gefundener Räder ist schwierig bis unmöglich, wenn es keine individuelle Nummer zu Fahrrad und Teilen gibt, sondern nur eine Seriennummer. Stoßen die Ermittler also auf Diebesgut, dann ist es ohne individuelle Nummer oft schwierig, in den Datenbanken eine passende Anzeige zu finden. Dass die Registrierung und Identifikation von Rädern noch nicht im Zeitalter der Digitalisierung und der Mobilitätswende angekommen sind, macht den Ermittlern bei der Polizei die Arbeit nicht leichter.
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