Report - Leistungsmessung
Watt-Wanderung
Leistungsmess-Systeme sind eine neue Stufe der Belastungssteuerung, Watt die Währung für schnelle Radzeiten. Ein sogenanntes Powermeter beziehungsweise die Anzeige des dazugehörigen Radcomputers zeigt nämlich unerbittlich und unmittelbar, ob mehr ginge oder weniger ratsam wäre. Oder, wie Hunter Allen, Autor diverser Bücher zum Thema (u. a. »Wattmessung im Radsport und Triathlon«, spomedis), es ausdrückt: »Watt ist die Wahrheit, die dir knallhart sagt, wie fit du bist. Sie erlaubt es einem Radfahrer effizienter und effektiver zu trainieren sowie die Geschwindigkeit über die gesamte Fahrdistanz sinnvoll zu steuern.« Denn im Gegensatz zur Herzfrequenz, ist die Leistung »unbestechlich«. Soll heißen: Der Puls ist eine variable Größe. Er reagiert verzögert auf Belastungsänderungen, sodass es leicht passieren kann, dass man am Anfang einer harten Einheit oder eines Intervalls trotz Herzfrequenzmessers überzieht und dann kontinuierlich nachlässt. Auch Faktoren wie Hydrierung, Ermüdung und Außentemperatur beeinflussen den Pulsschlag. Kraft dagegen ist ein direktes Maß für geleistete Arbeit, sie stellt exakt dar, was man aufs Pedal bringt. Ein Watt ist ein Watt, egal, ob man gegen den Wind fährt, einen Berg hinaufkurbelt oder flach dahinrollt.
Kick für Ambitionierte
Kennt man seine Wattbereiche, ist sehr gezieltes Training, unabhängig von Terrain und äußeren Faktoren, möglich. Nichts gegen Herzfrequenzmesser, sie können einen Anhaltspunkt für die Belastung geben. Nur: Wer den Puls am höchsten bringt, gewinnt noch lange kein Rennen. Das Ziel ist, mit der gleichen Herzfrequenz schneller zu fahren. Und das geht nur, indem der Athlet seine Effizienz steigert. Darum ist es ab einem gewissen Leistungsniveau erwägenswert, auf ein Leistungsmess-System umzusteigen. »Im ersten Jahr braucht ein Radsportler meiner Meinung nach noch kein Powermeter. Am Anfang verbessert man sich ohnehin noch sehr schnell und merklich. Zumal die Informationsflut, die ein solches Gerät liefert, ihn ziemlich erschlagen dürfte«, erklärt Joe Friel, Gründer der Trainingssoftware-Firma Training Peaks und Trainer diverser Profiathleten vom Mountainbiker bis zum Triathleten. Er vertritt die Ansicht, dass erst ab dem dritten Trainingsjahr, wenn die Leistung beginnt zu stagnieren, die Vorteile eines Wattmessers voll zum Tragen kommen. Jedoch bestreitet er keinesfalls, dass sie auch vorher durchaus schon »hilfreich« sein können. Allerdings, so sind sich Friel, sein Kollege Allen und auch die Anbieter von Leistungsmess-Systemen einig, werde das Potenzial solcher Geräte von den wenigsten voll genutzt. »Um das zu erreichen, sollte man sich etwas Zeit geben und Erfahrung mit dem System sammeln«, ist Karen Siems von Polar überzeugt. »Der Nutzer geht häufig davon aus, dass er nach der Montage des Systems selbiges auch gleich voll nutzen kann. Doch das Bedienen und Nutzen im Training ist eine Sache, die Analyse sowie die entsprechende Trainingsanpassung eine ganz andere. Es ist jedoch ein zeitliches Investment, das sich lohnt«. Denn gerade die Auswertung ist ein elementarer Baustein für die Bestform. Je mehr Daten man sammelt und analysiert, desto besser. Man kann damit eine Formkurve über viele Monate und Jahre zeichnen und gezielt an Schwächen feilen. Doch, und so ehrlich muss der Verkäufer zum Kunden ebenso sein, wie der Kunde zu sich selbst: Wer nicht willens ist, sich intensiv mit einem Powermeter auseinanderzusetzen, kann sich das Geld sparen.
Bewegung im Markt
Wer dagegen bereit ist, etwas tiefer in Technik und Trainingsplanung einzusteigen, dem eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Auch als Händler. Denn Leistungsmessgeräte werden immer populärer: Die Zahl der Anbieter hat sich von knapp einer Handvoll in den vergangenen zehn Jahren auf ein gutes Dutzend verdoppelt. Tendenz steigend. Große Branchenfremde wie Audioriese Pioneer und kleine Startups wie Stages Cycling drängen ebenfalls mit eigenen Produkten auf den Markt. Kein Wunder: Ambitionierte Sportler, die ihre Trainingseffizienz und Wettkampfergebnisse mit wenig Zeit gezielt verbessern möchten, sind bereit 1.000 Euro und mehr für ein Powermeter zu bezahlen. »Der Markt wächst stark, da ist es nicht verwunderlich, dass neue Systeme auf den Markt kommen«, sagt Thorsten Kauder, Produktmanager bei Ciclosport und erfahren in der Entwicklung hochtechnischer Produkte. »Die kleinen Anbieter sorgen für viel Bewegung und haben eine neue Preisstufe eingeführt, die auch die Großen wachgerüttelt hat. Bei Quereinsteigern bin ich eher skeptisch. Bisher ist es noch keinem großen Elektronikkonzern gelungen, sich dauerhaft zu etablieren. Teils, weil der Marktzugang fehlte, teils, weil sie die Bedürfnisse von Radfahrern nicht verstanden haben.«
Von wegen filigran
Verstanden haben die aktuellen Anbieter von Leistungsmessern zwar sehr wohl, worauf es ankommt. Lediglich die Umsetzung ist teils gar nicht so einfach. Denn im Idealfall lässt sich ein solches Gerät leicht montieren, ist quasi immun gegen äußere Einflüsse und Schwankungen in der Messgenauigkeit und zudem sehr robust. Es muss nicht nur Spritzwasser von nassen Straßen aushalten, sondern auch eine Fahrradreinigung mit dem Hochdruckschlauch, eine Regenfahrt bei 160 Kilometern pro Stunde auf dem Dachträger eines Autos oder einen Sturz. Und es sollte immer auf dem aktuellen Stand der Technik sein – was die Hardware ebenso betrifft wie die Software: »Die größte Herausforderung für uns sind die sich ständig ändernden Tretlagerdimensionen«, berichtet Rudolf Schoberer, Marketingleiter und Bruder von Uli Schoberer, dem Chef der Firma Schoberer Radmesstechnik, Entwickler und Anbieter des etablierten SRM-Trainings-System. Dort sitzt die Messelektronik nämlich im Verbindungsstück (Spider) zwischen Kurbel und Kettenblättern. Diese Positionierung hat den Vorteil, dass der Spider nicht verschleißt.
Ansprüche abfragen
Apropos Vor- und Nachteile: Hier kommt dem Händler beim Verkaufsgespräch eine wichtige Rolle zu. Entscheidend ist es, vom potenziellen Käufer zu erfahren, welche Leistungsmerkmale er von seinem Mess-System erwartet. Polar (zusammen mit Look) aber auch Garmin bauen beispielsweise Powermeter, die am Pedal sitzen. So können sie schnell an- und abmontiert, also unkompliziert für verschiedene Räder verwendet werden. Man ist jedoch auf ein Pedalsystem festgelegt – und Pedale sind Verschleißteile. Bei CycleOps, wo der Wattmesser in der Laufradnabe sitzt, ist der Wechsel von Fahrrad zu Fahrrad ebenfalls kein Problem, der Montageaufwand gleich Null. Aber man muss in Training und Rennen den gleichen Laufradsatz fahren. Die kurbelbasierte Systeme wie SRM oder Power2Max erfordern für die Montage etwas Schraubertalent oder machen den Gang zum Fachhändler notwendig. Bei Quarq bekommt man mit dem Modell »Sram Red Powermeter« ein perfekt auf die gleichnamige Schaltgruppe abgestimmtes Produkt – zudem bietet Quarq mit den Modellen »Elsa« und »Riken« zwei weitere Leistungsmesssysteme im günstigeren Preissegment.
Letztendlich ist die Messgenauigkeit ein entscheidender Faktor. Hier gibt Christoph Allwang, Tech Coordinator beim Quarq-Mutterunternehmen Sram, zu bedenken: »Entscheidend sind höchstmögliche Präzision und Vergleichbarkeit der gemessenen Werte. Sie müssen 1:1 auf das jeweilige Trainingsgerät übertragbar und plausibel sein.« Dem stimmt Thorsten Kauder zu und ergänzt: »Ich würde mir standardisierte Tests wünschen, die die Messgenauigkeit wissenschaftlich überprüfen. Das wäre eine gute Möglichkeit, den Kunden mehr Vertrauen und Sicherheit zu geben.«
Wie genau ist genau?
Einen solchen Labortest hat die Zeitschrift triathlon Anfang vergangenen Jahres zusammen mit der Leipziger Firma RBM Elektronik durchgeführt. Dort wurde das Profi-Ergometer »Cyclus 2« entwickelt, ein hochpräzise kalibriertes Gerät, das als Basis für die Tests diente. Unter Leitung von RBM-Experte Thomas Romanowski wurde auf einem Rad, das nacheinander mit verschiedenen Leistungsmessgeräten bestückt wurde, ein standardisiertes Programm mit steigender Wattzahl gefahren. Die Leistung wurde von der »Cyclus 2«-Software gesteuert und erfasst, die Daten, die die Powermeter lieferten, darüber hinaus auf einem Garmin »Edge 500« gesammelt und über das Programm »WKO+« ausgewertet. Das Ergebnis: Abweichungen sind allgegenwärtig, mal sind sie größer, mal kleiner. Das ist aber gar nicht das Problem. Die gibt es immer, erst recht, wenn das Gerät im Freien unterschiedlichen Witterungseinflüssen ausgesetzt ist. Es genügt schon eine Passage im Wiegetritt, um das Ergebnis zu beeinflussen. All das ist aber nicht maßgeblich, solange die Abweichung über sämtliche Belastungsstufen gleich bleibt. Dann nämlich ist eine genaue Leistungssteuerung problemlos möglich. Dieses Ziel erreichen allerdings nicht alle Systeme, es braucht eine Menge Erfahrung für eine solche Präzision, wie sich im Test zeigt. Die SRM-Systeme, die auf eine 30-jährige Geschichte zurückblicken lieferten sehr genaue Ergebnisse, jüngere Marken im Bereich der Wattmessung hinkten hingegen etwas hinterher. »Das sollte mit wachsender Erfahrung aber in den Griff zu bekommen sein«, lautete das Urteil des Experten Romanowski.
Zeit ist Geld
Fazit: Im Bereich der Wattmessgeräte schlummert eine Menge (Umsatz)Potenzial, das nur darauf wartet, ausgeschöpft zu werden. Wichtig dafür ist es, sich auch als Fahrradhändler ein gewisses Grundwissen in puncto Powermeterfunktion und Trainingslehre anzueignen oder eine Kooperation mit einem Leistungsmessunternehmen in der Nähe anzustreben. Dem Kunden muss nicht nur die Bedienung des Geräts klar gemacht werden, sondern der gesamte Komplex »Wie kann ich damit besser trainieren?«. Das ist zeitintensiv – sowohl in der Vorbereitung als auch in der Beratung. Aber angesichts des wachsenden Marktes, ist es eine Zeitinvestition, die sich über Kurz oder Lang auszahlen kann. Denn zufriedene Kunden kommen wieder. Und wer viel und gern trainiert, braucht eine Menge Material abseits des Wattmessers.
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