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Report - Leichte Antrieb

Weniger ist mehr

Eigentlich gibt es sie schon länger: leichte E-Bikes, oft mit minimalistischem Design, die viele Vorzüge, aber eben kein Gewicht in die Waagschale werfen. Nun scheint diese Gegenbewegung zum All-inclusive-E-Bike sich einen Weg aus der Nische zu bahnen. Oder täuscht diese Wahrnehmung?

Die Marktverhältnisse aktuell sind recht deutlich: Die Marktführer unter den Motorenherstellern verkaufen durch die Bank weg leistungsfähige Systeme, die viele Newtonmeter, Wattstunden und im Ergebnis auch Kilogramm ans motorisierte Fahrrad bringen. Wie kommt man dann darauf, hier einen Trend zu sehen? Die Anzeichen sprechen dafür, dass hier nicht einfach das nächste Hype-Thema durchs Dorf getrieben wird, sondern der Markt vor einer Veränderung steht. Trotzdem kann man auch skeptisch sein.

Aus der Automobilwelt weiß man, dass man den Kundenaussagen und ihren formulierten Wünschen nur begrenzt trauen kann. Berühmt geworden ist der Ausspruch von Henry Ford: »Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt ›schnellere Pferde‹.« Aber es gibt auch aktuellere Beispiele: In einer Marketingstudie wurde einst festgestellt, dass die Automobilkundschaft grundsätzlich positiv gegenüber Kleinwagen eingestellt ist. Sie sind praktisch, günstig, vielseitig und genießen sehr hohe Wertschätzung. Nur: Gekauft wurde und wird das größtmögliche Fahrzeug, das der eigene Geldbeutel erlaubt. Bei der tatsächlichen Kaufentscheidung zählen plötzlich ganz andere Kriterien. Der Kleinwagen war lange ein Nischensegment und holt erst seit ein paar Jahren deutlich auf, eben seit die Fahrzeuge in dieser Kategorie nicht mehr wirklich klein sind. Sind die leichten E-Antriebe am Fahrrad am Ende vielleicht auch so eine Marketingfalle? Gehen die Kundinnen und Kunden bei der Kaufentscheidung im Laden dann doch »auf Nummer sicher« und kaufen so viel Leistung wie möglich?


Der Heckantrieb galt zwischendurch als aussterbende Art. Davon kann heute keine Rede mehr sein.

Deutliche Nachfrage nach Leichtigkeit

Im Handel sieht man schon jetzt eine sehr deutliche Nachfrage nach den neuen Leichtgewichten, die auch mit den vermeintlich »abgespeckten« Leistungsdaten mehr als genug Unterstützung im Alltag bieten und auch sonst viele Vorteile haben. Carsten Bischoff von Bikepoint in Dresden ist mehr als optimistisch, wenn es um die Zukunft dieser Antriebe geht: »Ich bin der Meinung, das wird das nächste große Ding! Das sportliche Thema ist überschaubar, wird aber durch die Demografie noch an Fahrt gewinnen. Im urbanen Bereich wird es wohl dieses, spätestens nächstes Jahr einen Durchbruch geben. Wir spüren eine starke Nachfrage.« Er sieht eine ganze Reihe an Gründen, warum leichte E-Bikes schwer gefragt sind: »Normale E-Bikes werden immer schwerer. Das Handling im Alltag, etwa auf der Kellertreppe oder am Bahnhof, ist furchtbar und gerade für Frauen kaum lösbar. Die Preisentwicklung für Standard-E-Bikes ist für viele Kunden nicht mehr nachvollziehbar. Unter 3000 Euro gibt es kaum noch etwas Brauchbares.«

Auch beim Design scheiden sich nach wie vor die Geister. Im Spektrum von klassische Optik bis E-Bike-in-all-seiner-Pracht finden sich immer noch viele, die an der gewohnten Erscheinung hängen. Die entstehende »Panzeroptik durch riesige integrierte und selten notwendige, große Akkus«, wie es Bischoff beschreibt, ist nicht jedermanns Sache. Und auch die große Leistung ist mit jüngeren Zielgruppen nicht zwingend erforderlich: »Viele Kunden fühlen sich ziemlich fit und benötigen nur etwas Unterstützung am Berg oder an der Ampel. 85 Newtonmeter sind da meistens zu viel des Guten.«

»Wahrscheinlich schließen diese E-Bikes die immer größer werdende Lücke zwischen den normalen Bio-Bikes und den großen Touren-E-Bikes.«

Carsten Bischoff,
Bikepoint, Dresden

All das zusammengenommen ist für Bischoff das Rezept für einen perfekten Sturm: »Wahrscheinlich schließen diese E-Bikes die immer größer werdende Lücke zwischen den normalen Bio-Bikes und den großen Touren-E-Bikes.«

Die Vorzüge der neuen Leichtigkeit sieht man nicht nur im Handel. Es gibt inzwischen viele Motorenhersteller, die diesem Segment derzeit so viel Aufmerksamkeit wie noch nie schenken. Michael Ziegler hat dafür aus Herstellersicht eine plausible Erklärung, die sich im Kern mit den Beobachtungen im Handel deckt: »Das breit wahrgenommene E-Bike hat sich die letzten Jahre immer weiter vom Fahrrad entfernt. Schuld daran ist die Reichweiten-Paranoia, die Angst mit einem schweren E-Bike und leerem Akku stehen zu bleiben. Dann wird der Akku größer und das E-Bike schwerer. Und so weiter.

Dass es aber die Eier legende Wollmilchsau mit maximaler Power und Reichweite bei minimalem Gewicht nicht gibt, das wissen und verstehen die Kunden. Zu ›größer, schwerer, weiter‹ gibt es dann auch eine Gegenbewegung, zumal ein leichtes Gewicht ein großes Kundenbedürfnis ist, sei es aus Gründen der Sicherheit oder des Handlings. Ebenso wächst der hybride Einsatzzweck, also die Nutzung mit und ohne elektrische Unterstützung mit ein und demselben Bike.« Fazua bestätigt diese Sicht auf die Dinge: "

The Trend is your friend

Coboc ist einer der Pioniere im Segment der leichten E-Antriebe und damit insbesondere leichter E-Bikes. Die Heidelberger haben sich von Anfang an diesem Segment verschrieben und hatten lange ein relatives Nischendasein. Das hat sich inzwischen deutlich verändert, wie Marketingleiter Michael Ziegler von Coboc beobachtet. »Vor drei Jahren hatte kaum ein Hersteller ein leichtes E-Bike im Portfolio, heute fast jeder.« Auch wenn er das Wachstum der letzten Corona-Jahre als nicht ganz repräsentativ für den Markt sieht, geht dieser klar in die Richtung, die Coboc seit jeher verfolgt. »The trend is your friend. In diesem Sinne erhalten wir viel Bestätigung für unsere Arbeit der letzten Jahre: Mehr und mehr Konkurrenz belebt das Geschäft, sei es aufseiten der Antriebshersteller, aber natürlich auch der Bike-Hersteller.«


»Leicht« bedeutet meist auch klein: Die Hersteller, wie hier Coboc, schaffen es dabei, die E-Technik weitgehend unsichtbar zu verstecken.

In der nächsten Zeit erwartet er, dass sich dieses Segment noch deutlich weiterentwickeln wird und aus dem Schatten der Von-allem-das-Beste-und-Meiste-E-Bikes heraustritt: »Wir sehen, dass das Interesse an leichten und integrierten E-Bikes ungebrochen ist. In diesem Segment findet nun zunehmend Differenzierung statt, sowohl preislich als auch im Einsatzzweck. Auch wenn sich Antriebssysteme mit Hinterradnabenmotor häufig im niedrigeren Preissegment verbaut finden, zeigen die Hersteller, dass das Prinzip genauso in Premium-E-Bikes funktioniert. Zu denen werden sich in Zukunft immer leichtere und kleinere Mittelmotoren gesellen. Die, wie wir sie nennen, Slim E-Bikes bewegen sich aus der Nische und werden für den Massenmarkt interessant. Gerade weil damit neue, auch jüngere, Zielgruppen adressiert werden können.«

Bei Premium ist allerdings der Handel etwas sensibler, sieht er den Hauptbedarf doch eher darunter. Leichte Antriebe mögen auch im Premiumbereich funktionieren, doch Bischoff wünscht sich die leichten Bikes vor allem in den preislich unteren Regionen. »Wenn man für ca. 2500 bis 3.000 Euro ein leichtes E-Bike mit Heckmotor und schlanker Optik bringt, verkauft es sich quasi von selbst. Leider schieben etliche Anbieter auch diese Räder wieder in das Premiumsegment mit Carbonrahmen, Pinion und so weiter.«

Fazua bestätigt die Vielseitigkeit von leichten E-Antrieben: "Hier gibt es für uns keine Grenzen: Light E-Bikes machen überall Sinn und sind für jede Zielgruppe geeignet: im urbanen Umfeld und fürs Commuten (siehe Canyon, Riese & Müller), im Breich Gravel (z. B. Ghost) oder im MTB-Segment, wie Pivot und Focus zeigen."

Entsprechend sieht man den Markt einer positiven Entwicklung entgegeneilen: "Die Nachfrage im Segment der Light E-Bikes ist aus unserer Sicht ungebrochen hoch. Bei vielen Rider:innen stehen kleine, leichte, integrierte Lösungen hoch im Kurs. Ein sportliches und natürliches Fahrgefühl ist für viele zentrales Entscheidungskriterium. Als Pionier in diesem Bereich haben wir schon früh auf diesen Anwendungsfall gesetzt! Wir gehen davon aus, dass sich dieses Segment weiter ausdifferenzieren wird und spezifischere Zielgruppen entwickeln werden."

Darf es noch ein bisschen weniger sein?

Als Coboc begann, sich um leichte E-Bikes zu kümmern, lautete das Versprechen, auf ein Gesamtgewicht von unter 20 Kilogramm zu kommen. Inzwischen zielen die ersten Unternehmen bereits auf unter 10 Kilogramm. Dieses Versprechen hat jüngst Mavic formuliert bei der Präsentation des eigenen, brandneuen E-Antriebs. Unter dem Namen X Tend E-Motor wurde vor wenigen Wochen ein System für Renn- und Gravel-Räder vorgestellt, das genau dieses Gewichtslimit reißen will.

Ausgelegt als Mittelmotor bietet es die Vorzüge dieses Konzepts, bringt nun aber sehr wenig Gewicht auf die Waage. Angekündigt sind 1,2 Kilogramm für die Antriebseinheit, die dafür sorgen sollen, dass das Design der Bikes ebenso wie ihre Geometrie und Fahreigenschaften unverändert vom gewohnten Rennrad übernommen werden können. Bei Geschwindigkeiten über 25 km/h verspricht Mavic ein effizientes Vorankommen ohne jede Reibung durch den Motor. Also ein klassisches Bike mit eingebautem Rückenwind. Noch ist diese Leistungs- und Gewichtskategorie aber nicht verfügbar. Die Tests seien laut den Franzosen wohl erfolgreich gewesen, aber es werden noch Investoren gesucht, die eine Produktion finanzieren können.

»Wir sehen, dass das Interesse an leichten und integrierten E-Bikes ungebrochen ist.«

Michael Ziegler,Coboc

Ein ebenfalls neuer Marktteilnehmer, der ein gehöriges Wort bei leichten Antrieben mitreden will, ist Mivice. Innerhalb eines Jahres wurde ein schlagkräftiges Team mit Branchenveteranen aufgebaut, die den eigenen Anspruch unterstreichen, den inzwischen durchaus weit entwickelten Markt für Fahrrad-E-Antriebe noch mal umzukrempeln. Hier hat man bereits fertige Produkte für alle möglichen Anwendungen parat und sagt ebenfalls dem Leichtantrieb eine positive Zukunft voraus. »Wir bekommen sehr verstärkt Anfragen und Projekte zur unmittelbaren Umsetzung von kleinen Manufakturen, aber auch mehr und mehr von sehr großen Herstellern«, erklärt Steffen Krill, zu diesem Zeitpunkt noch der Marketing Director des 2017 gegründeten Unternehmens.

Insbesondere den Heckantrieb sieht er wieder auf dem Weg nach oben. Zwischenzeitlich bestand die Wahrnehmung, dass die Motoren am Heck ein Auslaufmodell wären. Nun dreht sich der Markt: »International sind die Anteile von Heckmototoren ja definitiv bereits anders gewichtet als im stark Mittelmotor-orientierten mitteleuropäischen Markt. Ich gehe daher definitiv davon aus, dass wir den Heckmotor definitiv in den nächsten Jahren sehr verstärkt in den Modellen auch bekannter Hersteller sehen werden, ohne mich hier auf einen prozentualen Anteil festlegen zu wollen.«

Krill sieht einen der Vorteile der leichten Antriebe in ihrer Vielseitigkeit: »Die Haupteinsatzbereiche sind sehr vielfältig. Ob im City- und Urban-Segment oder auch im Travel- und Trekkingsegment, hier werden unsere Heckmotoren der Serien M070 und M080 bereits sehr vielfältig und erfolgreich eingesetzt. Auch in Gravel- sowie Rennradmodellen ist der Heckmotor ja bereits sehr angesagt, wenn auch hier die allgemeinen Marktanteile geringer sind. Bei Mountainbikes macht der Antrieb in der Nutzung auf Trails nur bedingt Spaß, hier setzen wir auch intern auf unseren Mittelmotor. Bei Einstiegsmodellen, welche eher auf Feld- und Schotterwegen unterwegs sind, werden aber auch ab und an Heckmotoren verbaut.«


Mit einem kürzlich vorgestellten und besonders leichten E-Antrieb will Mavic E-Bikes mit unter 10 Kilogramm Gesamtgewicht ermöglichen.

Was sagt eigentlich der Marktführer bei aktuellen E-Bike-Antrieben zur Entwicklung des Marktes hin zu leichteren E-Bikes? Tamara Winograd, Sprecherin von Bosch E-Bike Systems gibt zu verstehen, dass man diesen Markt nicht unterschätzt. »Wir beobachten, dass sich einzelne E-Bike-Gattungen weiter ausdifferenzieren. Dabei spielen leichte E-Bike-Antriebe, und damit verbunden leichtere E-Bikes, eine immer wichtigere Rolle. Besonders für sportive Fahrerinnen und Fahrer, etwa E-Mountainbikerinnen und -biker, aber auch für Nutzerinnen und Nutzer im urbanen Umfeld sind das Gewicht und die Agilität des E-Bikes oftmals ausschlaggebende Gründe beim E-Bike-Kauf. Wir wollen Herstellern und Endkunden für jeden Use-Case die passende Lösung anbieten, daher schauen wir uns auch dieses Segment genau an.« Man darf gespannt sein, was die Zukunft noch bringt. Es mag nicht klar sein, wie groß der Marktanteil dieser Bikes einmal sein wird, aber niemand in der Branche wird sie ignorieren können. //

7. Juni 2023 von Daniel Hrkac

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