Markt - Schweiz
Wetter schlägt Wechselkurse
Der Albtraum erwischte den Schweizer Fahrradhandel am 15. Januar 2015. Exakt an diesem Datum gab die Schweizer Nationalbank den Wechselkurs des Frankens zum Euro frei, und innerhalb weniger Stunden sackte die Einheitswährung gegenüber den harten Devisen der Eidgenossenschaft um mehr als 20 % ab. Noch bevor die breite Masse saisonbedingt Lust auf Radfahren verspürte, mussten Fachhändler und Importeure den Wert ihres Warenlagers um einen schmerzhaften Prozentsatz abschreiben. Während der ersten Eurokrise im Jahr 2011 hatten sie die Erfahrung machen müssen, dass Kunden nicht mehr bereit waren, in einem Schweizer Geschäft für ein identisches Produkt deutlich mehr zu bezahlen als bei einem Anbieter im benachbarten Ausland. Und weil mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung weniger als 50 Kilometer von der Grenze entfernt wohnt, ist Einkaufstourismus für den Schweizer Handel durchaus eine ernstzunehmende Bedrohung. Die allgemeinen Handelsstatistiken bestätigen, dass diese Furcht nicht aus der Luft gegriffen ist: Während der gesamte Schweizer Einzelhandel in den letzten drei Jahren leicht weniger Umsatz erzielte, kletterte das Volumen der Auslandeinkäufe durch die Schweizer Bevölkerung im selben Zeitraum um 20 % von 8,9 auf 10,7 Milliarden Franken. Zuoberst auf der Wunschliste der Einkaufstouristen stehen Lebensmittel, Drogerieartikel und Kleider. Dass manche süddeutsche und österreichische Fahrradhändler aber schon über 40 % ihres Umsatzes mit Schweizer Käufern erzielen, zeigt auf, dass auch attraktive Fahrradangebote jenseits der Grenze nicht verschmäht werden.
Kundenbindung durch Eurorabatte
Um nicht noch mehr Umsatz an die internationalen Mitbewerber zu verlieren, senkte der Fahrradhandel noch vor dem Start der Saison 2015 nahezu flächendeckend die Verkaufspreise der eben erst angelieferten Räder, Komponenten und Accessoires um durchschnittlich 10 bis 15 %. Anders als 2011 konnte der Handel dabei auf Unterstützung der Lieferanten zählen, die im Gegensatz zum Absturz des Euros im Jahr 2011 rasch und nahezu lückenlos die Händlerpreise nach unten korrigierten. Damit endete der Gemeinsinn in der Branche dann aber auch schon wieder, denn die verschiedenen Anbieter interpretierten die Notwendigkeit der Preisanpassung ganz unterschiedlich. Am einen Ende des Spektrums standen Anbieter, die Händlern lediglich 5 % Rabatt auf Nachbestellungen ab dem Datum der Preisanpassungen gewährten und gegenüber Endkunden keine tieferen Verkaufspreise empfahlen. Sie verwiesen darauf, dass viele Fahrräder und Komponenten in US-Dollar oder Yen eingekauft wurden und diese Währungen gegenüber dem Franken deutlich stabiler blieben als der Euro. Am anderen Ende des Spektrums boten Fahrradhersteller ihren Händlern Preissenkungen von 15 % an, die auch rückwirkend für die Vororder und sämtliche bereits ausgelieferten Modelle gewährt wurden. Dass eine solche Großzügigkeit nicht selbstlos sein kann, ist naheliegend. Im hart umkämpften Schweizer Markt, wo über 300 Fahrradmarken um die Gunst der rund 1800 Fachgeschäfte buhlen, versuchten einige Anbieter, sich als loyale Lieferanten zu positionieren und auf diese Weise Marktanteile von weniger spendablen Mitbewerbern zu erobern.
Die raschen Preissenkungen verfehlten ihre Wirkung nicht. Nach einigen zögerlichen Wochen, in denen viele Schweizer abwarteten, wie sich die Wechselkurse weiter entwickeln würden, griffen sie eifrig zu. Unterstützt vom freundlichen Wetter im Frühjahr 2015 und dem darauffolgenden langen und außerordentlich warmen Sommer brummte das Geschäft. Viele Kunden ließen sich leicht zufriedenstellen, wenn sie auf die Frage nach einem Euro-Rabatt eine positive Antwort erhielten. Wie hoch der Preisnachlass dann ausfiel, war oft zweitrangig. Nach wenigen Monaten waren die Kursdifferenzen nur noch bei verbissenen Schnäppchenjägern ein Thema. Für die breite Bevölkerung rückte das Thema nicht zuletzt auch deshalb in den Hintergrund, weil die Preisthematik anders als beim letzten Kursabsturz vier Jahre zuvor in den Medien kaum breitgetreten wurde. Bis Ende der Saison 2015 wurden gemäß Importstatistik und Angaben der Schweizer Hersteller knapp 390.000 Fahrräder und über 90.000 E-Bikes an den Handel geliefert, was einer Zunahme von 10 % bei den Rädern ohne und 21 % bei den Rädern mit Motor entspricht.
Viel umgesetzt, wenig verdient
Der Handel kam dadurch mit einem blauen Auge durch die Eurokrise: Der Umsatz ließ sich 2015 bei vielen Geschäften halten oder sogar ausbauen. Beim Verdienst allerdings blieb die Bilanz trübe: Die Preissenkungen zum Beginn der Saison drückten die Marge empfindlich, sodass im Schnitt bei vielen inhabergeführten Einzelhandelsgeschäften am Ende des Jahres 10 % weniger Gewinn ausgewiesen werden musste. Rückblickend hätten die Preise nicht so stark nach unten korrigiert werden müssen, denn nach den ersten turbulenten Wochen festigte sich der Euro bei rund 1,08 Franken, was einem Kursverlust von rund 10 % entspricht. Neben den Preiskorrekturen kam erschwerend dazu, dass die Handelsmargen schon seit mehreren Jahren leicht, aber stetig zurückgehen. Im zugkräftigsten Segment der E-Bikes sind die Margen ganz generell tiefer, der Aufwand durch die komplexere und störungsanfälligere Technik aber höher, was den Verdienst ebenfalls drückt. Im Großhandel sieht es nicht viel anders aus: Zusätzlich zu den Preissenkungen im Zuge der Eurokrise kommt hier die Marge durch den heftigen Verdrängungswettbewerb unter den zahlreichen Anbietern unter Druck. Kaum ein Hersteller und Importeur konnte deshalb in den vergangenen Jahren die steigenden Produktions- und Beschaffungskosten vollumfänglich an den Markt weitergeben, was den eigenen Verdienst schmälerte. Was am Produkt selbst weniger verdient wurde, versuchte diese Handelsstufe auf anderen Wegen wieder reinzuholen: Zuletzt wurden oft Vergünstigungen wie kostenlose Lieferung und Abzüge bei sofortiger Zahlung gestrichen, und verschiedentlich wurden Garantiefälle nicht mehr gleich kulant abgewickelt wie in früheren Jahren.
Eine weitere Folge der sinkenden Margen und des wachsenden Marktdrucks auf Vertriebsebene ist, dass man bei den Handelspartnern weit weniger wählerisch ist als noch vor wenigen Jahren. Gerade in der Schweiz hielten die Vertreiber namhafter Marken noch viel länger als in Deutschland dem klassischen Fachhandel die Treue; Fachmärkte, Warenhäuser oder Versender konnten nur vereinzelt auf dieselben Bezugsquellen für Zubehör und Ersatzteile wie der Fachhandel zurückgreifen, Markenfahrräder waren praktisch ausschließlich den klassischen Fahrradgeschäften vorbehalten. In den letzten fünf Jahren bröckelte diese Front aber zusehends. Unterdessen teilen sich auch die großen Sportartikelmärkte Athleticum, SportXX und Ochsner Sport mindestens eine angesehene Fahrradmarke mit dem Fachhandel. Als der Einzelhandelskonzern Migros vor fünf Jahren seine Elektromobilitätskette M-Way ins Leben rief, konnte er schon kurz nach dem Start ein breit abgestütztes Angebot von namhaften Lieferanten wie Cannondale, Flyer, Cube oder Haibike präsentieren. Auch reine Onlinehändler wie das Internet-Warenhaus galaxus.ch oder der Elektronik-Versender brack.ch können sich unterdessen ihr Angebot an Fahrradteilen und Zubehör aus dem Angebot verschiedener Fahrradbranchenlieferanten zusammenstellen. Galaxus spielte dabei eine Vorreiter-Rolle: Das Tochterunternehmen des führenden Schweizer Detailhändlers Migros bemüht sich mit einem riesigen und teilweise auch sehr preisaggressiven Angebot aktiv um Kunden im Fahrradsegment. Markenartikel, die nicht von einem Schweizer Lieferanten bezogen werden können, beschafft sich Galaxus kurzerhand im Ausland. Verschiedene Anbieter lenkten in der Folge ein, um an dem Geschäft teilhaben und bei der Preisgestaltung wenigstens ansatzweise mitreden zu können.
Spezialisten profitieren vom E-Bike Boom
Der inhabergeführte Fachhandel betrachtet es mit Sorge, dass ihm das Sortimentsargument im Kampf um die Kundschaft zusehends wegbricht. Neben dem Einkaufstourismus und den branchenfremden Fachmärkten sind es verstärkt auch stationäre, spezialisierte Ladenketten, die sich ein Stück vom Fahrradmarkt zu sichern versuchen. Auch diese sind im Schweizer Handel noch ein relativ junges Phänomen, das in der letzten Zeit aber bereits ein beachtliches Wachstum hingelegt hat. So erweiterte der bereits erwähnte Elektrorad-Spezialist M-Way 2014 sein Filialnetz um zehn Standorte, 2015 wurden weitere elf Läden eröffnet. M-Way zählt damit fünf Jahre nach der Gründung bereits 29 Verkaufsstellen und bezeichnet sich selbstbewusst als der größte E-Bike-Verkäufer der Schweiz. Daneben haben in den letzten drei Jahren auch Stromvelo.ch und die deutsche Franchise-Kette E-Motion Technologies gleich mehrere neue Läden eröffnet. Dass es sich dabei ebenfalls um reine E-Bike-Shops handelt, ist kein Zufall. Dieses Segment verspricht auch nach zehn florierenden Jahren immer noch das größte Wachstumspotenzial. Den Spezialisten spielte zuletzt auch in die Hände, dass viele traditionelle Fachhändler aus ideologischen Gründen lange zögerten, bis sie zur Saison 2016 endlich auf E-Mountainbikes zu setzen begannen. Die Nachfrage war aber schon vorher da, und mit dieser konnten sich die pragmatischeren Spezialisten rasch ein schönes Stück des Marktes sichern. Gemäß dem Branchenverband Velosuisse war 2015 bereits jedes dritte verkaufte E-Bike für den sportlichen Einsatz im Gelände ausgelegt.
2016 fällt ins Wasser
Die ersten Monate des laufenden Jahres bestätigen, dass der Trend zum sportlichen E-Bike ungebrochen ist. Abgesehen davon dürfte die Saison 2016 aber kaum als Erfolgsjahr in die Bücher der Fahrradbranche eingehen. Auf den außerordentlich milden und trockenen Winter folgte pünktlich zum eigentlichen Saisonstart nasses und kaltes Wetter, das sich zu allem Übel jeweils pünktlich zu den Wochenenden von seiner schlechtesten Seite zeigte. Mai und Juni fielen dann praktisch ganz ins Wasser: Verschiedene Messstationen im ganzen Land verzeichneten die höchsten Niederschlagsmengen seit Messbeginn im 19. Jahrhundert. Gerade die spontanen Freizeitradler schoben dadurch den Kauf eines neuen Fahrrades auf, was in diesen beiden ansonsten umsatzstarken Monaten zu schmerzhaften Einbußen von bis zu 50 % gegenüber normalen Jahren führte. Dementsprechend waren zu Beginn der Sommerferien die Lager vieler Händler noch voll und die Kassen ziemlich leer. Nachdem bereits 2015 wenig verdient wurde, fürchten nun verschiedene Händler, dass nicht genügend Geld vorhanden ist, um die notwendigen Investition ins Geschäft zu tätigen und um sich bei der bevorstehenden Ordersaison wieder mit ausreichend aktuellen Modellen für die nächste Saison einzudecken. Letztendlich zeigt die Entwicklung der vergangenen Monate aber nur deutlich auf, dass das Wetter entscheidender ist für den Geschäftsverlauf der Schweizer Fahrradbranche als einmalige auftretende wirtschaftliche Faktoren wie die Eurokrise. Wer es zuvor nicht glaubte, hat seit Januar 2015 den Beweis dafür erhalten. Für die Zukunft lässt das auch Hoffnung aufkeimen, denn wenn das Wetter 2017 wieder milder ausfallen sollte, kann der Schweizer Fahrradhandel trotz schärferem Wettbewerb mit einem erfolgreichen Jahr rechnen.
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