Markt // Vertriebsstrukturen
Wie sicher hat der Fachhandel das E-Bike?
Man muss nicht immer wieder darauf hinweisen, dass im Handel wenig so sicher ist wie der stetige und immer schnellere Wandel, aber man sollte diese überstrapazierte Einsicht auch nicht verdrängen. Immer wieder haben sich Unternehmen und ganze Branchen als sicher, unentbehrlich oder unangreifbar gefühlt, bis Ereignis X oder Innovation Y eintraf. Die Folgen sind bekannt und von vielen Marken, Produkten und Geschäften spricht man heute nicht einmal mehr. Es gibt also gute Gründe, gerade in diesen turbulenten Zeiten, in denen die tief hängenden Früchte abgeerntet sind, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie es weitergeht.
Der Markt ist längst verändert
Hat der Fahrradfachhandel, der nach wie vor aus einer Position der Stärke agieren kann, die Weichen gestellt, um das E-Bike als Umsatz- und Gewinngaranten sicher in den eigenen Reihen zu halten? Online-Anbieter wie Rose Bikes, Direktvertreiber wie Canyon, VanMoof oder Ampler und Abo-Anbieter wie Swapfiets bringen sich in Position, auch in diesem Segment den Kuchen neu zu verteilen. Vieles spricht aktuell für den Fortbestand des stationären Handels und gute Ladengeschäfte. Zum einen fordern gerade moderne hochwertige E-Bikes einen regelmäßigen Service, den sich die Kunden auch etwas kosten lassen. Zum Zweiten besteht trotz des bequemen Online-Kaufs auch ein hoher Bedarf nach einem persönlichen Erlebnis. Aus Sicht von Rose Bikes ist dabei gerade die Kombination zwischen Online-Handel und stationären Anlaufpunkten ein Erfolgsmodell. »Wir verkaufen deutlich mehr E-Bikes stationär in unseren Stores als im Onlineshop und beobachten den Trend schon seit einiger Zeit«, sagt Anatol Sostmann, Director Product & Brand bei Rose Bikes. »Ein E-Bike ist eine große Investition und wir machen die Erfahrung, dass sich die Kunden besonders in dieser Kategorie gern live ein Bild machen und Probe fahren möchten.« Dabei spiele auch die Optik mittlerweile eine große Rolle und natürlich auch die persönliche Beratung. »Das ist unter anderem ein Grund dafür, weshalb wir aktuell unser Store-Netz so stark ausbauen – in diesem Jahr kommen noch zwei weitere hinzu.«
Künftig mehr Konzentration auf Service?
Einen Vorteil beim E-Bike-Absatz sieht man bei Rose Bikes, wo 80 Prozent des Umsatzes über den Onlineshop generiert werden, auch durch die inzwischen eingetretene Konzentration des Marktes bei den Antriebssystemen. »Dass wir, wie viele andere auch, mit Bosch-Motoren arbeiten, macht es für uns nicht schwerer, sondern gefühlt sogar leichter. Denn der Kunde hat die Sicherheit, dass er viele Möglichkeiten hat, falls ein Fehler auftauchen sollte.« Damit wird offensichtlich, dass zwar auch der lokale Fachhändler profitiert, aber künftig vielleicht wohl öfters erst in zweiter Linie über die Werkstattleistung. Kann sich ein Fachhändler damit anfreunden oder hilft es vielleicht, sich dem Trend zu verweigern? Hannes Neupert, E-Bike-Vordenker und erster Vorsitzender des ExtraEnergy e.V., sieht große Chancen für Fachhändler im Service und die Ablehnung vieler Händler, Fremdräder zu reparieren oder zu warten, sehr kritisch: »Der Fachhandel übersieht bislang vielfach, wohin sich der Markt in der Zukunft drehen wird und heute schon gedreht hat.« Die E-Bike-Wartung böte große Potenziale, um Umsätze zu generieren, Zusatzgeschäfte abzuschließen, aber auch Neukunden zu gewinnen. »Fachhändler, die sich damit schwertun, vergraulen Teile ihrer Kundenbasis.« Sie könnten heute einfach nicht mehr erwarten, dass der Kunde das Rad auch bei ihnen im Laden gekauft hat. Profitable Zusatzgeschäfte entstünden zudem durch neue Anforderungen der Kunden, die ihr E-Bike, E-Cargobike oder Speedpedelec als echte Autoalternative nutzen und auf Premiumservices und gegebenenfalls Austauschfahrzeuge angewiesen seien, aber auch durch Leasingverträge mit Unternehmen und neue Flottengeschäfte, zum Beispiel bei Cargobikes im Business-Sektor. In diesen noch jungen Märkten könnte laut Hannes Neupert eine große Zukunft liegen, wenn der Fachhandel sich darauf einrichtet und zügig Kompetenzen und Kapazitäten aufbaut, um das Geschäft zu realisieren. »Die Notwendigkeit, sehr schnell agieren zu können, ist eine Herausforderung und Chance zugleich. Denn längere Ausfallzeiten des Produkts sind immer weniger tragbar und für schnellen Service sind die Kunden dann auch bereit, gutes Geld zu bezahlen.«
Neue Konkurrenz in Sicht
Neben Online-Händlern muss der Fachhandel künftig wohl auch verstärkt mit ganz neuen Playern im Markt rechnen. Denn die Umsatz- und Gewinnentwicklungen und stabilen Wachstumsaussichten der Branche, die sich längst aus einem Nischendasein weiterentwickelt hat, locken Investoren und rufen geradezu nach neuen Produktionswegen und Vertriebsformen. Beispiele für diese Entwicklung sind junge Direktvertriebsmarken wie Ampler, Sushi oder Cowboy, die zwar noch zu den Kleinen im Markt gehören, aber stetig wachsen und gerade beim jungen Publikum durch ihre Ansprache über alle Medien und Kanäle gut ankommen. Auch der Fachhandel fördert letztlich diese Entwicklung, denn mit ihm als Gatekeeper ist es für Neulinge nur schwer möglich, eine Marke oder gar alternative Antriebe zu platzieren. Wie die Zukunft aussehen könnte, zeigt auch das Beispiel VanMoof. Nicht nur beim Vertriebsweg und bei der Kommunikation geht man hier erfolgreich neue Wege, sondern auch beim Design und der Produktion. Vor allem das Konzept, Komponenten inhouse zu entwickeln und nicht an das E-Bike anzubauen, sondern voll in das Rad zu integrieren, ist für Hannes Neupert die Zukunft: »Die Produktionsprozesse werden wesentlich vereinfacht, das E-Bike günstiger und als Hersteller ist man auch nicht mehr auf die externen Lieferanten angewiesen.« So ließen sich mit neuen Ansätzen wesentlich günstigere E-Bikes in großen Stückzahlen herstellen, die zudem deutlich weniger serviceintensiv seien. Letzteres sei aktuell ein enormes Pro-blem und gerade Kunden im Business-Sektor, die von Nutzfahrzeugen einen völlig anderen Standard in Bezug auf Qualität, Langlebigkeit und Serviceanfälligkeit gewohnt sind, sei das nicht zuzumuten.
Trumpft der Online-Handel in der Pandemie auf?
Die Absatzzahlen bei VanMoof sind nach Unternehmensangaben in den letzten Monaten pandemiebedingt geradezu explodiert. »Allein in Deutschland sehen wir ein Wachstum der Verkaufszahlen von 323 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Veränderungen, die sonst noch fünf Jahre gebraucht hätten, haben in den letzten fünf Monaten stattgefunden«, sagt Sofia Gerung, Media & Communications Specialist Germany bei VanMoof. Eine wesentliche Grundlage der rasanten Geschäftsentwicklung seien die weitreichenden Veränderungen im Mobilitätsverhalten, verbunden mit einer inzwischen hohen Akzeptanz bei der Online-Bestellung von Hightech-Produkten. Vor-Ort-Services und der menschliche Kontakt würden »zwar seltener, dafür umso wertvoller. »Hier gibt es viele innovative, kreative Lösungen, dem Kunden ein individuelles Erlebnis zu bieten. Deshalb bauen wir in den kommenden Jahren unser weltweites Fahrerservice-Netzwerk mit mobilen Bike Doctors aus.«
Wer sind die neuen Player im Markt?
Aus dem Rückzug großer Unternehmen, wie zuletzt unter anderem Continental, abzuleiten, dass der Markt nicht innerhalb von kurzer Zeit umgekrempelt werden kann, wäre wohl ein falscher Schluss. Viele Investorengelder werden gerade umgeschichtet. Damit ist reichlich Kapital da, um in zukunftsträchtige Lösungen zu investieren. Gerade der nach Meinung vieler Experten notwendige, weltweite Umbau des Mobilitätssektors bietet hier viele Ansätze. Die Liste der neuen Player ist entsprechend lang und reicht von alten Bekannten, wie der niederländischen PON-Holding, über die ebenfalls milliardenschwere Schwarz-Gruppe (Kaufland, Lidl), die in Tübingen gerade Erfahrungen beim Lastenrad-Sharing sammelt, bis zum Rüstungshersteller Rheinmetall mit einem E-Bike-Antrieb. Ganz neu im Geschäft sind auch Start-ups, wie der E-Bike-Aboservice Dance hinter dem die Macher des Streaming-Dienstes SoundCloud stehen oder der Elektronikkonzern Groupe SEB (u.a. Tefal, Rowenta, Krups) mit der neuen E-Bike-Marke Angell, die ähnlich wie VanMoof auf hohe Integration setzt. In ihrer Analyse haben diese Newcomer Schwachstellen und neue Potenziale im Markt identifiziert: »Leider hat die Mehrheit der heute auf dem Markt befindlichen E-Bikes eine Kombination aus schlechtem Design, hohen Vorabkosten und umständlicher Wartung«, so Rainer Märkle, General Partner bei HV Holtzbrinck Ventures, die als Venture-Capital-Geber den Aboservice Dance mitfinanzieren. »Wir haben den gesamten Mobilitätsmarkt analysiert, die Verkehrsmittel bewertet und einige Jahre lang die Zahlen für alle Arten von Geschäftsmodellen ermittelt, bevor wir das gefunden haben, wonach wir gesucht haben.« Selbstbewusstsein zeigt man auch bei den Gründern der E-Bike-Marke Angell: »Die Ressourcen der Groupe SEB werden es uns ermöglichen, im Segment der Smart Bikes für den Stadtverkehr, ein 10-Milliarden-Euro-Markt, eine weltweit führende Rolle einzunehmen«, heißt es hier. Vielleicht kommen die neuen E-Bikes in Zukunft aber auch von ganz anderer Seite, wie von Amazon, Apple, Tesla, Huwai oder Samsung. Es bleibt wohl hochdynamisch. Dem Vernehmen nach gibt es hinter den Kulissen bereits weitere konkrete Pläne. //
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