Markttrends - Perspektiven 2022
Wie wird 2022?
Isabell Eberlein
Geschäftsführerin Velokonzept GmbH
"Die gesamte Fahrradbranche ist überwältigt vom Boom, den wir seit Frühjahr 2020 erfahren haben. Die hohe Nachfrage und die damit einhergehenden Lieferschwierigkeiten und Personalengpässe werden uns natürlich auch im kommenden Jahr noch beschäftigen. Gleichzeitig wird der Diskurs um die Klimaneutralität und Nachhaltigkeit immer präsenter, mit der Mobilitätswende als einem der wichtigen Bausteine.
So werden diese Themen auch zur diesjährigen Bundestagswahl und – für uns als Berliner Agentur – auch für die Abgeordnetenhauswahlen bedeutend, vielleicht sogar wahlentscheidend sein. Die zukünftige Regierung wird einer enormen Verantwortung gerecht werden müssen, wenn es um die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft innerhalb der planetarischen Grenzen und mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel geht.
Auch wir als Fahrradbranche können und müssen hier Verantwortung übernehmen und eröffnen uns selbst dadurch neue Chancen. Jetzt ist der Zeitpunkt, auf lokale und nachhaltige Produkte und Produktionsweisen zu setzen! Als die Branche für nachhaltige Fortbewegungsmittel sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen und Transparenz in unsere Lieferketten bringen und unsere Produkte nachhaltig und Co2-neutral gestalten. Das muss natürlich jedes Unternehmen für sich selbst anpacken, wir glauben auch daran, dass wir durch Kollaboration Synergien innerhalb der Branche schaffen können. Und der Invest zahlt sich schnell aus, sowohl in Krisenfestigkeit als auch in der Zielgruppenansprache, und das weit über 2022 hinaus.
»Wir als Fahrradbranche können und müssen Verantwortung übernehmen.«
Isabell Eberlein, velokonzept GmbH
Neben technischen Innovationen sehe ich genauso die Bedeutung an sozialer Innovation als ein Schlüsselfaktor des kommenden Jahres: Wie möchten wir als Fahrradwelt gesehen werden, wie präsentieren wir uns? Wie verändern wir unsere Mobilitätskultur in Deutschland? Welche Rolle spielt Diversität in der Fahrradbranche? Wir können wir besser zusammenarbeiten, sowohl branchenintern als auch mit anderen Playern aus Mobilität und Wirtschaft, aber auch Politik und Verwaltung, damit das Fahrrad noch weiter an Beliebtheit und Bedeutung gewinnt.
Ich freue mich, mit unseren Festival- wie Konferenzveranstaltungen nach einer langen Dürrephase kommendes Jahr wieder die Plattform für – physische – Begegnungen zu bieten. Zur Begeisterung von neuen Zielgruppen, für Austausch und Netzwerk, zum Kennenlernen, Ausprobieren und Begeisterung erfahren. Mit unserer Mobilitätsberatung leisten wir Überzeugungsarbeit für das Rad und nachhaltige Mobilität in Kommunen und Wirtschaft. Wir wollen Wirkung für das Fahrrad erzeugen. Das ist unser Beitrag für die Zukunft."
Burkhard Stork
Geschäftsführer Zweirad-Industrie-Verband e. V.
"Entweder: Delta führt zum scharfen Lockdown, Produktion bricht zusammen, Lieferketten sind monatelang unterbrochen. Die neue Bundesregierung ist an Verkehrswende nicht interessiert, im Bundeshaushalt 2022 sind alle Gelder für Radverkehr gestrichen. Konflikte in den MTB-Hotspots haben dazu geführt, dass die Mehrheit der Bundesländer Fahrräder in der Natur untersagt hat. Corona lässt keinen Fahrradtourismus zu. Schwere Unfälle haben das Vertrauen der Menschen in Radverkehr geschädigt, fast alle haben das Radfahren im Alltag aufgegeben. Große Zahlen von Fahrrädern/Pedelecs lassen sich weder produzieren noch verkaufen.
»2022 und die Jahre danach sind entscheidend, um die Nachhaltigkeit des Fahrrad-Booms zusichern.«
Burkhard Stork, Zweirad-Industrie-Verband
Oder: Die neue Bundesregierung hat den Kampf gegen den Klimawandel zum wichtigsten Vorhaben erklärt mit der Verkehrswende als zentralem Baustein. Wege kürzer als 10 Kilometer sollen vorrangig mit dem Fahrrad stattfinden – immerhin 60 Prozent aller Autofahrten. Der Ausbau von sicheren Radverkehrsnetzen wird massiv vorangetrieben, alle Maßnahmen zur Beschleunigung werden genutzt, innerhalb von drei Monaten werden aus Radwegeprojekten echte Radwege. Das Miteinander im Verkehr und in der Natur hat sich massiv verbessert, Rücksichtnahme führt zu konfliktfreier Nutzung. Im Nach-Corona-Jahr nutzen die Menschen für Erholung und Urlaub vor allem das Fahrrad. Der Absatz in Fahrradindustrie und -handel explodiert erneut.
Es wird weder so ein Horror noch so paradiesisch. Aber: 2022 und die Jahre danach sind entscheidend, um die Nachhaltigkeit des Fahrrad-Booms zu sichern und die Resilienz unserer Branche zu stärken.
Wir werden keine Fertigung in Bereichen mit geringer Wertschöpfung nach Deutschland zurückholen können und es wäre widersinnig, etwa Produkte für asiatische Kunden und Märkte in Europa zu produzieren und in Gegenrichtung zu transportieren. Die deutsche Fahrradindustrie hat stabile und gute weltweite Verflechtungen. Lieferanten und Abnehmer sind gut beraten, wenn sie sich gemeinsam breit aufstellen und so mehr Resilienz gegen Pandemien, politische Krisen, Naturkatastrophen entwickeln. Denn die werden bleiben.
Nur wenn es uns gelingt, die Entwicklung zu mehr Radfahren in Alltag und Freizeit stabil positiv zu gestalten, öffentliche Finanzierungen langfristig zu sichern, rechtliche Regelungen sinnvoll weiterzuentwickeln, Verkehrssicherheit zu verbessern und den großen Nutzen des Radverkehrs für den Umbau der Innenstädte (nach Corona und angesichts des Online-Booms) herauszustellen, können wir nachhaltig auf stabile Absatzzahlen von Fahrrädern und Pedelecs setzen."
Frank Thies
Geschäftsbereichsleitung Fahrräder / Hermann Hartje KG
"Egal wie sich der Markt im kommenden Jahr bewegen wird, sind alle Planungen bereits längst abgeschlossen. Wenn es um Lieferverzögerungen geht, muss man damit rechnen, dass die Situation im Jahr 2022 extremer werden könnte als 2021. Unsere eigene Orderplatzierung bei Lieferanten für 2022 ist bereits im Herbst 2020 erfolgt. Wir haben also nur wenig Spielraum, gerade weil das Modelljahr 2022 schon weitestgehend ausverkauft ist. Wenn die Ordern der Händler höher ausfallen als erwartet, können wir die Mengen kaum anpassen, erst wieder für späte 2023er-Lieferungen. Denn auch für das Modelljahr 2023 mussten die Bestellungen bereits dieses Frühjahr platziert werden und die Planungen für das Modelljahr 2024 laufen an. Die Vorlaufzeiten einiger Teilelieferanten sind teilweise schon 24 Monate. Wir können also nur das verkaufen, was im Orderpanel vorhanden ist.
»Wann sich der Knoten lösen wird, kann niemand sagen.«
Frank Thies, Hermann Hartje KG
Erschwerend kommen unberechenbare Faktoren wie zeitweilige Fabrik- und Hafenschließungen in Asien hinzu. Dadurch kann sich die Lieferung benötigter Teile um mehrere Monate verschieben, woraus sich eigene Herausforderungen ergeben. Selbst wenn bereits neunzig Prozent der Teile für ein Fahrrad vorhanden sind, kann es dann trotzdem nicht fertiggestellt werden. Die Ungewissheit durch solche Lieferverzögerungen treibt viele Fahrradproduzenten um. Deshalb kämpfen wir jeden Tag darum, das nötige Material heranzubekommen.
Wann sich der Knoten lösen wird, kann niemand sagen. Vielleicht gelingt das im Jahr 2023, aber es kommt darauf an, wie sich der Markt entwickelt. Eine normale Situation gibt es seit Corona nicht mehr. Wir sind sehr unzufrieden darüber, dass wir selbst keine Angaben zu Lieferdaten machen können, das liegt aber daran, dass auch die Vorlieferanten ihrerseits nicht exakt planen können. Orderzusagen mit festen Lieferterminen gibt es aktuell nicht mehr. Wir erwarten eine weiterhin hohe Nachfrage, sodass eine Nachorderfähigkeit in 2022 nur in ganz geringem Umfang gegeben sein wird. Immer mehr Endverbraucher sind inzwischen mit dieser Situation vertraut und kennen dies aus anderen Branchen.
Aufgewogen wird das alles durch das grundsätzlich vorhandene, positive Interesse am Fahrrad.
E-Bikes bleiben weiterhin ein großer Trend. Zudem sind wir mit unserer neuen Marke QiO sehr gut gestartet. Dadurch, dass viele Kunden E-Bikes nicht nur kaufen, sondern leasen, ist die Bereitschaft, etwas Hochwertiges anzuschaffen, höher als je zuvor."
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