Portrait - Protective
Wiedergeburt nach Plan
Eine persönliche Marken-Story vorweg: Der Autor arbeitete lange Jahre als Fahrradkurier. Anfang der 1990er Jahre bekam das gesamte Team rote, hochwertige Fleece-Jacken. Auf der Vorderseite und den Ärmel-Oberseiten schützte ein leichter, Hightech-Textilbezug vor Wind und Regen. Die Jacke wurde die tägliche Bekleidung fast aller Fahrer. Sie war angenehm warm, relativ atmungsaktiv und hatte echten Kuschelfaktor, auch durch den weichen Stehkragen, der bei Wind den Hals schützte. Im Winter kam einfach die Regenjacke drüber. Die meisten Kuriere zogen die Jacke erst zuhause aus. So wurde das rote Teil so etwas wie ein Erkennungszeichen der Kuriere in der Stadt – auch deshalb, weil es so robust war, dass es über lange Jahre getragen werden konnte – beziehungsweise kann: Der Autor trägt die Jacke beim Joggen heute noch manchmal, auch wenn sie an einigen Stellen deutlich dünner geworden ist. Den Schriftzug am Rücken könnte man neu einfassen, aber er ist auch nach gut 21 Jahren noch gut lesbar: »Protective«.
Wiedergeburt
»Und genau da wollen wir wieder hin!«, begeistert sich Thaler-Sports-Geschäftsführer Christoph Goebel bei unserem Besuch in Gevelsberg. Er ist, nebenbei erwähnt, seit langem schon Gesellschafter und CEO bei Grofa und seit Januar 2013 an der Bikeaction Handels GmbH beteiligt. Eine spätere Zusammenführung der Unternehmen böte sich eigentlich an… aber das ist eine andere Geschichte.
Jetzt heißt es wie gesagt: Protective zurück zu einer starken Marke zu führen, die mit sehr hochwertigen Produkten und Innovationen punkten kann. Der Hintergrund: Protective wurde 1991 von der Univers-Textil-Gesellschaft gegründet. Damals stand die Sportmarke vor allem für hochwertige Bekleidung für den Snowboard-Bereich und etwas Fahrradbekleidung. Thaler Sports übernahm 2002 die Marke unter der Leitung von Klaus-Peter Thaler; der ehemalige Radrennfahrer richtete sie etwas stärker auf den Rennrad-Bereich aus. Aus verschiedenen Gründen verlor sie aber mit der Zeit deutlich an Einfluss und Ansehen. Der einst starke Markenname konnte für viele Kunden sein Versprechen nicht mehr einlösen.
Christoph Goebel hatte einen großen Schritt gewagt und schon mit der Beteiligung an Thaler Sports 2011 einen Entschluss gefasst, den er Mitte 2012 – dann als neuer Geschäftsführer des Unternehmens – mit einer unterhaltsamen Veranstaltung in einem Düsseldorfer Club präsentierte: die Wiedergeburt von Protective. Denn eine solche musste es insofern sein, als die einst starke Marke mit hochwertigen Produkten zwischenzeitlich fast in Vergessenheit geraten war.
Wieso? »Die Marke ist verwässert worden«, so Goebel. »Man hat alles mögliche unter diesem Namen gemacht, hat aber vor allem die Wurzeln der Marke vergessen, das Markenbild total verwaschen.« Mit am Tisch sitzen Julia Thaler, die Produktmanagerin, und Stefanie Bandenius, Verkaufsleiterin für Protective. Letztere kann nur bestätigen: »Protective ist irgendwann einfach nicht mehr als Marke wahrgenommen worden. Wir mussten uns klarer positionieren in der Menge des Angebots.«
Das Team dazu hatte Goebel schnell gefunden: Neben Julia Thaler und Stefanie Badenius arbeitet Thorsten Frahm, der auch schon für verschiedene Grofa-Marken tätig war, als Geburtshelfer. Dazu kommt die freie Designerin Anna Klemm, die schon seit 12 Jahren für Protective entwickelt.
Urban Mobility im Fokus
»Jetzt sind wir wieder auf Kurs«, meint Goebel nicht ohne Stolz, »auch wenn noch viel zu tun ist«. Er selbst habe »mit der Kollektion nichts zu tun«. Natürlich würden strategische Entscheidungen gemeinsam mit dem Thaler-Sports-Chef getroffen, aber grundsätzlich ist er überzeugt, dass sein Protective-Team auf einem guten Weg ist. Und der heißt für eine moderne Marke im Bikewear-Bereich nicht nur Funktionalität und Design, es bedeutet auch, die Trends der Zeit zu beachten. Dazu gehört für die Protective-Macher auch ganz klar die Weiterentwicklung des Urban-Bereichs. Wer den aktuellen Katalog durchblättert, bemerkt, wie sehr der Fokus auch auf sportlich angehauchter Alltags-Bekleidung mit Fahrrad-Funktion liegt. 365 Days heißt die Linie. Da wollen sie zum Beispiel mit der Fornax-Jacke Akzente setzen – durch einen aufwendigen Material-Mix. Eine Kombi aus Gänsedaune mit Wattierung und Wolle bringt nicht nur eine ungewöhnliche Optik, sondern vereint auch hohe Atmungsaktivität mit guter Wärmeisolierung für wirklich kalte Tage – und ist dabei noch regenresistent.
Besonders stolz ist man aber auf das Bike-Sakko Melbourne. Mit verdeckter Knopfleiste, mehreren dezent versteckten Taschen kombiniert mit einer frischen Business-Optik soll das sportlich-elegante Stück den Pendler ansprechen, der nicht »wie in einer Wurstpelle« eingezwängt, so Goebel, ins Büro radeln will. »Die Frage des Radlers ist doch immer mehr: Wie vielfältig kann ich meine Bekleidung nutzen?« Goebel ist auch sicher, dass die Urban-Welle weiterschwappt. Schon wegen des Pedelec-Booms. »Die Leute, die jetzt zwischen 45 und 55 sind und aufs E-Bike umsteigen, wollen Funktionalität bei dezenter Optik. Und da liegt ein ganz enormes Potenzial«, so Goebel.
Technologische Innovationen
Potenzial sieht man bei Thaler Sports auch in Sachen innovativer Materialien. Die Jacke Mackay mit ihrem leger wirkenden, abstraktem Muster wird nachts zur regelrechten Sicherheitsjacke. Angestrahlt, reflektieren die vielen Linien stark und bringen so mehr passive Sicherheit auf die Straße. »Wir haben keine Scheuklappen, wenn es darum geht, Innovationen umzusetzen«, erklärt Julia Thaler. Der Bereich Arbeitsschutz ist beispielsweise immer wieder für Inspiration gut. Wie bei der hauchdünnen Windjacke P-LED: In der Linie aus Reflektor-Paspeln, die sich über den Rücken zur Rückseite der Ärmel zieht, sind sechs LEDs integriert, die sich per Knopfdruck einschalten und die Wahl zwischen Dauer- und Blinklicht lassen.
Auch an Design-Ideen fehlt es nicht. Lolita zum Beispiel ist ein Damenslip mit kaum auftragendem, sehr elastischem Sitzpolster dass frau unter jeder Hose – egal ob für Sport oder Alltag anziehen kann. Der Clou: Sie ist damit auch noch gut angezogen. Die Beinabschlüsse sind mit elastischer Spitze besetzt.
Bike-Schuhe sind ein weiterer Schritt zum neuen Markengesicht. Auch hier will man mit inneren und äußeren Werten punkten. Egal ob der vom Sneaker inspirierte Herrenschuh Boston aus dunklem Leder oder der helle Damenschuh Erie: Alle haben die patentierte Flexitec-Technologie. Sie tragen in der Sohle einen Federstahlkern – eine zehntel Millimeter dünne, gewellte Stahlplatte. Sie ermöglicht das gewohnt leichte Abrollen beim Gehen, sorgt aber dafür, dass trotzdem die Kraft beim Pedalieren auf eine größere Fläche übertragen wird – bei gleichzeitig hoher Seitenstabilität.
Erst Händler machen die Marke perfekt
Innovationen sind wichtig, und sie bringen die Marke weiter. Aber immer gilt, »der Händler muss mitmachen«, so Goebel. Und hier sieht man ebenfalls noch Potenzial. »Die Händler, die Protective treu geblieben waren, waren bei der Umstellung 2012 fast ausnahmslos begeistert von der ›neuen alten‹ Linie back to the Roots«, sagt er. Doch im Moment braucht es Überzeugungsarbeit bei der Akquise neuer Partner. »Der Fachhandel tut sich teilweise immer noch schwer«, pflichtet Badenius bei. »Wir müssen ihn von den Synergie-Effekten und seien Vorteilen überzeugen. Dazu ist auch einfach Klinkenputzen angesagt«, meint sie lakonisch. Aber auch in Bezug auf die Partnersuche will man neue Wege gehen. Badenius und Goebel denken etwa an Hotel-Präsentationen der Kollektion. Aufklärung darüber, wie gut ein innovatives Bekleidungssegment den Fahrradhandel ergänzen kann – und was das auch dem Händler bringt – leistet natürlich auch der Vertrieb mit seinen Händlerbesuchen.
Die Marke mit dem »Schutz« im Namen
Seit 2004 sitzt Thaler Sports und damit Protective nun im quadratisch-praktischen Zweckbau in Gevelsberg, etwa einen Kilometer von der Abfahrt der A1 entfernt. Seit 2012 werden neben dem 1000 Quadratmeter großen Lager und Versand auch 300 Quadratmeter Bürofläche genutzt. Hier entwickelt das Team um Thaler zusammen mit Designerin Anna Klemm die Kollektionen nach den gemeinsam mit dem Chef erarbeiteten Richtlinien. Produziert wird sowohl im europäischen Ausland als auch in Asien. »Mit diesen Partnern arbeiten wir schon lange Jahre zusammen«, erzählt Thaler, »worüber wir besonders froh sind – das sind sehr vertrauensvolle und zuverlässige Geschäftsbeziehungen.«
Knapp 350 SKU, also Modelle, Größen- und Farbeinheiten, von Protective kommen von den Produktionspartnern hier an, gehen zum zweiten Mal durch eine Qualitätskontrolle und gehen von hier aus auf die Reise. Nicht nur zu Händlern in Deutschland, sondern auch in die Schweiz und andere europäische Länder. Insgesamt 15 Festangestellte kümmern sich bei Thaler Sports um den reibungslosen Ablauf der Kommissionierung und des Versands.
Die Begriffe »Schutz« und »Stärke« waren für die Protective-Macher so wichtig, dass beide in den Marken-Claim einflossen: »Feel strong and protected wherever you are« lautet der.
Das scheint nicht nur Zufall zu sein, wie man aus Goebels Visionen hören kann: »Die Marke kann noch für weitaus mehr stehen. Von der Brille über Protektoren bis hin zu Helmen könnte irgendwann die Bandbreite reichen.« Zwar winkt er schnell ab – feste Pläne gebe es da noch nicht. Doch man hört die Nachtigall tapsen. Vielleicht schaffen es ja die neuen Gevelsberger Produkte in naher Zukunft wieder, so zu überzeugen, dass man sich auch in 20 Jahren noch an sie erinnert. Zu wünschen wäre es ihnen – und der Marke.
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