Winteraktionen
Winterflaute? Nicht bei uns
Gibt man bei Google »Was macht ein Fahrradhändler im Winter« ein, bekommt man hauptsächlich Tipps dazu, wie sich das eigene Rad winterfest machen lässt. Nur eine Seite beschäftigt sich am Beispiel eines Radladenbesitzers damit, was in den Monaten, in denen weniger Menschen Bikes kaufen oder warten lassen, im Fahrradgeschäft an Arbeit anfällt.
Der Beitrag listet hauptsächlich pragmatische, notwendige Aufgaben auf: Inventur machen, Reparaturen vornehmen, sich fortbilden, das Schaufenster dekorieren. Alles wichtig, alles gut. Aber nichts, was Kundinnen und Kunden aktiv in den Laden zieht. Gerade kleinen und mittelständischen Radläden bietet die ruhigere Zeit jedoch die Möglichkeit, mit etwas Kreativität und Eigeninitiative das Advents- und Weihnachtsgeschäft zu beleben und/oder Kundinnen und Kunden zu gewinnen und zu binden.
Extraservice Winter-Workshop
Eine Möglichkeit ist beispielsweise ein Winter-Workshop: »Wir wollten, dass unsere Kunden ihr Rad pflegen, warten und kleine Reparaturen selbst vornehmen können. So entstand die Idee zur Bikekitchen«, erzählt Alexander Sonders von Velostyle in Kiel. Die Idee: Interessierte sollten mit ihrem konkreten Problem zu ihnen kommen, wo ihnen ein Mitarbeiter dann half, es zu beheben. Dazu gab es lokales Bier und Kartoffelchips vom Bauern: »Im Winter ist die ideale Zeit, um so etwas zu machen. Außerdem war einer unserer Mitarbeiter, der Lust auf den Workshop hatte, zwei Stunden lang sinnvoll beschäftigt, wenn es im Winter ruhig war. Den Teilnehmenden gefiel das Format mit engem Kontakt zu ihrem Lieblingsladen«, so Sonders. Wer nicht selbst zum Workshop gehen wollte, konnte einen Gutschein verschenken. Obwohl die letzte Bikekitchen pandemiebedingt schon eine Weile her ist, kommen noch immer Anfragen dafür.
Ähnliche Erfahrungen hat Jens Meer von Fahrrad Pagels in Hamburg gemacht. Er wollte mit einem Winter-Workshop seinen Kundinnen und Kunden einen Mehrwert anbieten, in Form einer Serviceleistung, die nicht selbstverständlich ist. Im Gegensatz zu Velostyle gab es bei Fahrrad Pagels festgelegte Inhalte: Wie wechsle ich einen Schlauch, wie helfe ich mir auf Tour mit »Bordmitteln«, um weiterfahren zu können, wie pflege ich mein Rad richtig? »Zielgruppe waren eigentlich alle Kunden, aber ich entschied ziemlich schnell, auch einen extra Workshop für Frauen anzubieten«, berichtete Jens Meer, der für dieses Angebot durchweg positives Feedback bekam. Gelohnt habe sich die Veranstaltung, bestätigt er. Hauptsächlich ideell, aber »obwohl der finanzielle Aspekt nicht im Vordergrund stand, haben wir uns dennoch gefreut, dass im Nachgang Verkäufe stattgefunden haben«. Jens Meer möchte deshalb den Workshop auf jeden Fall wieder anbieten: »Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass es diesen Winter wieder klappt.«
Umsatzbringer Wintermarkt
Ebenfalls wieder abhalten möchte Hauke Clausen vom Hamburger Radgeschäft Toolbikes seinen Wintermarkt, »wenn sich die Corona-Lage bis Dezember entschärfen sollte.« Eine Ausgabe gab es schon, die recht gut ankam. Der Markt war eine spontane Idee zur Kundenbindung und Umsatzsteigerung: »Wir hatten ein Lagerfeuer in der Feuerschale, es gab Glühwein und Musik und wir haben Mitbringsel angeboten wie abgefahrene Klingeln oder Warmhalteflaschen fürs Fahrrad – also lauter Dinge, die man im Alltag gebrauchen kann und die maximal um die 20 bis 30 Euro kosten«, beschreibt Hauke Clausen das Konzept. Hauptsächlich schauten Bekannte, Nachbarinnen und Nachbarn sowie Stammkundinnen und Stammkunden vorbei, was aber durchaus gewollt war, denn der Hamburger Stadtteil Bahrenfeld, wo Toolbikes sein Zuhause hat, gilt als einer mit hoher Wohnqualität – entsprechend kommen immer neue Nachbarinnen und Nachbarn und damit potenziell neue Kundschaft hinzu.
Als Gemeinschaftsaktion von Velostyle und den benachbarten Läden entstand in Kiel ebenfalls ein Wintermarkt, allerdings ein etwas größerer. Auf dem Hof zwischen den Backsteingebäuden parkte ein Foodtruck, Live-Musik sorgte für weihnachtliche Stimmung, es gab Getränke und verschiedene Angebote sämtlicher Geschäfte des Kieler Kollektivs. »Wir alle wollten noch einmal vom Weihnachtsgeschäft profitieren«, erklärt Alexander Sonders die Motivation für das Event. Hartes Verkaufen stand zwar nicht im Vordergrund, es gab aber Sonderangebote für Auslaufmodelle und eine Auswahl an Winterprodukten wie Leucht- oder Sicherheitsartikel, »die man auch gut zu Nikolaus verschenken kann«, sagt Sonders. Er machte die Erfahrung, dass sich die schöne Wintermarktatmosphäre und die dadurch generierte positive Grundstimmung durchaus auf Laden und Verkäufe multipliziert: »Der Umsatz war spürbar und substanziell. Außerdem verkauft man ein paar Sachen raus und schafft Platz.« Etwas Aufwand ist für ein solches Unterfangen allerdings notwendig. So warb Velostyle drei bis vier Wochen vorher mit Flyern und auf Social Media. Essen, Getränke und Musik mussten organisiert werden und Alexander Sonders empfiehlt außerdem, die Ware ein bisschen zu sortieren und die möglichen Umsatzgeneratoren entsprechend im Laden nach vorn zu räumen.
Kontaktpflege per Winterride
Einen gewissen Aufwand bedeutet auch die Idee von Schicke Mütze in Düsseldorf. Allerdings ebenfalls einen, der sich lohnt: Der Radladen bot vor der Pandemie regelmäßige Winterausfahrten an. Bei der sogenannten Winterschlampenparade gab es nur zwei Regeln: Rennlenker und die Fähigkeit, 60 bis 75 Kilometer flach im 25er-Schnitt fahren zu können. »Wir merken, dass hier Mitfahrerinnen und Mitfahrer zusammenkommen, die zusammenpassen. Es entstand eine echte Community«, erzählt Carsten Wien, einer der beiden Schicke-Mütze-Geschäftsführer. Bis zu 50 Leute waren mitunter bei den sonntäglichen Ausfahrten zwischen November und Februar dabei und »auch wenn man manchmal um 11 Uhr frierend dasteht und hofft, dass niemand kommt, ist man am Ende der Runde doch immer froh, dass man es gemacht hat«.
Diese Art der Kundenbindung erfordert jedoch einiges an Organisation, Vor- und Nachbereitung, wenn sie als Alleinstellungs- und Qualitätsmerkmal funktionieren soll. So ist es laut Carsten Wien zum Beispiel wichtig, dass sie immer möglichst gleich abläuft. Die Mitfahrenden müssen wissen, was sie erwartet. Zudem »braucht man einen Pool von Leuten, die fest mit dabei sind, die der Rahmen für eine solche Gruppe sind und Neueinsteigerinnen und -einsteiger integrieren können. Tempo und Topografie müssen klar kommuniziert werden und wenn man Social Media einbinden möchte, braucht man vernünftige Bilder, deren Hochladen und mit Text versehen nach der Ausfahrt locker auch noch mal zwei Stunden dauert«, so der Schicke-Mütze-Chef. Es ist überzeugt, dass solche Events, die gut gemacht sind, positiv auf den Laden abstrahlen: »Viele unserer Kundinnen und Kunden, Mitfahrenden und Partner erwähnen positiv, wie authentisch wir sind.« Und das Gefühl, dass ein Radladen etwas macht, hinter dem er wirklich steht und das er gut macht, vermittelt Vertrauen. Vertrauen, das sich durchaus in Verkäufen und Reparaturaufträgen niederschlagen kann.
Aktionen wie Workshops, Ausfahrten oder Märkte erfordern zusätzlichen Zeiteinsatz und Arbeit. Doch sie können helfen, dem Radladen einen Charakter und ein Gesicht zu geben und ihn für Kundinnen und Kunden unverwechselbar, sympathisch und kompetent zu machen. Das kann kurzfristig das Wintergeschäft ankurbeln, meist bleibt es aber nicht dabei. Zumindest die Beispiele hier zeigen, dass sich der winterliche Einsatz auch längerfristig lohnt und authentische, engagierte Fahrradläden nach wie vor wertgeschätzt werden. //
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