Interview // Lucky Bike
»Wir werden kein reiner E-Bike-Spezialist«
Lucky Bike gibt es nun seit 30 Jahren. Dabei war ein Fachhandelsgeschäft, wie es heute zu sehen ist, offenbar gar nicht geplant. Wie sahen die Anfänge aus?
Christian Morgenroth: Wir, also Thomas Böttner und ich, haben im Studium am Anfang nur Gebrauchträder verkauft. In München und in Wiesbaden kauften wir per Inserat Gebrauchträder ein, haben sie mit einem Transporter oder einem Lkw eingesammelt und nach Leipzig gefahren. Dort wurden die Räder von uns repariert, aufgerüstet und fahrfertig gemacht. Danach haben wir sie dann einmal in der Woche samstags in einer alten Halle, die wir selbst renoviert haben, verkauft. So kurz nach der Wende gab es in Leipzig und Umgebung keine günstigen Fahrräder. Daher bildeten sich lange Schlangen vor der Tür, ohne dass wir den Verkauf groß bewerben mussten. Unser Angebot hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Der Ursprung war also unsere Studentenidee: gebrauchte Fahrräder aufmöbeln und verkaufen. Im Laufe der Zeit hat sich dann der Neuradverkauf dazugesellt. Das war alles nicht geplant. Angelegt war es auf ein Semester Selbstständigkeit. Tatsächlich haben wir von da an im Winter studiert und im Sommer Fahrräder verkauft. Das haben wir ein paar Jahre gemacht, bis wir fertig waren mit Studieren. Danach haben wir uns komplett darauf konzentriert, was auch nicht geplant war. Wir haben damals BWL studiert und 80 Prozent aller Kommilitonen sind Berater geworden oder in die Finanzwelt gegangen.
Welcher anständige Beruf war denn statt des Fahrradhandels eigentlich geplant und in der engeren Auswahl?
So früh im Studium hatten wir uns noch nicht festgelegt, die Unternehmensberatung hätte nahegelegen, aber ich glaube, der Plan war, dass wir irgendwo in eine Beschäftigung gehen und in irgendeinem White-Collar-Job unser Geld verdienen. Wir wurden damals für unsere Idee auch eher belächelt: Alle anderen gingen in die weite Welt und wir nach Leipzig, um Fahrräder zu verkaufen. Aber in den vergangenen 30 Jahren haben wir uns mit dem Markt schon massiv entwickelt. Wir waren in der ZEG, sind wieder raus, es gab den Mountainbike-Boom, den Fitnessbike-, E-Bike- und Gravel-Boom, dazu kam das Leasing – also mussten wir uns selbst fünf bis zehnmal neu erfinden. Wenn man heute unseren Marktauftritt sieht und den von früher, dann hat das nicht mehr viel miteinander zu tun. Wir waren ein günstiger Gebrauchtrad-Discounter, haben heute einen sehr hochwertigen Markenauftritt und bieten eine weite Range bei E-Bikes und Fahrrädern an. Insbesondere beim Auftritt unserer Marke am POS und im Internet sehe ich uns schon recht weit vorne.
Das waren eine Menge Stichworte, an die man anknüpfen kann. Vielleicht zu Beginn: Angesichts der verschiedenen Boom-Phasen im Markt und der Notwendigkeit, sich neu zu erfinden – Was waren denn bisher die besten Jahre für Lucky Bike?
Also erst mal muss ich feststellen, dass es 30 Jahre quasi nur aufwärtsging. Zwischendrin gab es mal vielleicht einen kleinen Dip, wo wir ein bisschen zu viel eingekauft und Überbestände hatten oder es gab auch mal zu wenig Ware in bestimmten Bereichen, aber das war alles unspektakulär. Es gab nur positive Entwicklungen im Markt, aber ich würde sagen, der Mountainbike-Boom, das war unglaublich. Davon haben wir brutal profitiert. Auch immer positiv: die enge Zusammenarbeit mit Herstellern. Früher haben wir sehr gut die ZEG-Marke Bulls verkauft und gelebt. Mittlerweile arbeiten wir sehr eng mit Cube, Derby Cycle und KTM. Diese Kooperationen waren wirklich immer einschneidende Erlebnisse, die für uns jeweils sehr erfolgreich waren. Ansonsten wissen wir, wie positiv die Pandemie für die Fahrradbranche war. Mal davon abgesehen, dass uns am Anfang wie allen auch schon ein wenig die Düse ging, weil wir nicht wussten, was geschehen würde. Wir hatten die Lager voll und am Anfang deswegen sicherlich einige schlaflose Nächte. Von heute auf morgen konnten wir dann aber sehr erfolgreich das gesamte Geschäftsmodell von Filial- auf Online-Betrieb umstellen. Das war wahrscheinlich in der Dimension der größte Hype, den ich miterlebt habe, weil es einfach so eine verrückte Zeit war. Der jüngste Trend, den ich mal in Kombination nennen möchte, ist E-Bike und Leasing. In der Branche hat es vorher in dieser Größenordnung kaum einmal so geboomt wie mit diesen beiden zusammenlaufenden Komponenten.
Bei der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Marken war es aber sicher nicht so leicht, diese zu überzeugen. Gerade wenn man mit günstigen Fahrrädern bekannt geworden ist, reagieren die Marken zurückhaltend. Was ist da Ihre Selbstwahrnehmung?
Vor zehn, fünfzehn Jahren war das für uns natürlich nicht einfach, hochwertige Marken zu akquirieren. Wir kamen aus einer sehr preissensitiven Schiene und haben viele Sonderpreise gemacht. Mittlerweile sind wir wahrscheinlich mit die bravsten Marktteilnehmer von allen, weil wir nicht von Rabatten leben. Das wissen auch die Hersteller, mit denen wir zusammenarbeiten. Wenn ich mir anschaue, was wir mittlerweile für Auszeichnungen haben, dann können wir es mit dem klassischen Fachhandel in allen Bereichen gut aufnehmen. Da hinzukommen war immer eine Herausforderung. Als Filialist begegnet einem immer das Vorurteil, dass du keinen Service hast, irgendeinen Quatsch verkaufst oder keine Beratungsqualität liefern kannst. Dem entgegne ich: Gerade wir mit der hohen Warenverfügbarkeit müssen doch keinem Kunden irgendetwas Falsches verkaufen und legen einen hohen Stellenwert auf Beratung und Service.
Die große Auswahl wird gerne als Pluspunkt der Fachmärkte genannt. Gleichzeitig kommt in jüngster Zeit Kritik auf, dass diese Märkte mitunter schon zu groß würden. Die Beobachtung von Marktteilnehmern ist, dass neue Lucky-Bike-Filialen zuletzt wieder etwas kleiner würden. Steckt da eine Strategie dahinter?
Es gibt die eine oder andere Vertriebsform, die sechs, acht oder zehntausend Quadratmeter Fläche hat. Da kann man sicherlich die Frage stellen, ab welcher Größe es einen abnehmenden Grenznutzen gibt. Die Antwort darauf weiß ich nicht. Wir alle stehen vor einer Herausforderung, wenn wir Fahrräder und E-Bikes verkaufen. Das heißt, dass wir zwei komplette Sortimente parallel präsentieren müssen. Das spricht schon mal für einen größeren Flächenbedarf in den letzten Jahren. Da kann man natürlich philosophieren, was denn die perfekte Größe wäre. Ich sage: 2000 Quadratmeter plus X ist die perfekte Größe, um ein Vollsortimenter zu sein. Wo das oben aufhört, weiß ich nicht, weil wir bei 6000 Quadratmetern aufhören. Dazu kommt, dass die Entscheidung ganz klar eine Standortfrage ist, eine Frage der Konkurrenzsituation, der Kaufkraft, des Ballungsgebiets und so weiter. Es gibt nicht die eine Lösung für Deutschland. Unsere Strategie ist ganz bestimmt nicht, in ganz Deutschland nur noch kleinere Filialen zu eröffnen. In die Entscheidung, wie groß eine Filiale wird, spielen vielmehr die örtlichen Gegebenheiten hinein, als dass es eine wirklich strikte Firmenpolitik ist. Wir bleiben übrigens dabei, dass wir beide Sortimente verkaufen. Wir werden kein reiner E-Bike-Spezialist.
Eine Frage für die Statistik: In der jüngsten Umsatzsteuerstatistik wurden erstmals Fahrradhändler mit Umsätzen über 250 Millionen Euro aufgeführt. Darf man gratulieren?
Ja, ich gebe es zu, man darf uns dazu gratulieren, auch wenn die Statistik natürlich ein bisschen verzerrt ist. Man muss hier der Wahrheit die Ehre geben, dass bei Fahrrad XXL und Stadler die einzelnen Gesellschaften nicht kumuliert wurden. Diese kommen zusammengenommen oder als Gruppe auch in sehr große Umsatzbereiche. An der Spitze gibt es zusammen mit BOC vier Filialisten, wie da die genaue Reihenfolge ist, weiß ich nicht.
Welche Rolle spielt das Online-Geschäft für Lucky Bike?
Das Online-Geschäft, mit dem wir vor fünfzehn Jahren begonnen haben, war ein riesiger Boost für die Firma. Zu der Zeit kam unser dritter Geschäftsführerkollege Dietmar Eickelmann dazu und hat den Bereich für uns entwickelt. Die ersten Ansätze von Multi-Channel oder Omni-Channel haben noch mal richtig Musik in das ganze Thema Wachstum gebracht. Letzten Endes sind wir sehr filialorientiert und die mit Abstand größten Umsätze finden noch immer in den Filialen statt. Aber unser Online-Geschäft ist schon stattlich und wir verfolgen ganz klar eine Strategie als Omni-Channel Anbieter. Das ist ein großer Bestandteil unserer Zukunftsstrategie.
Wie viel Umsatz macht Lucky Bike inzwischen über das Online-Geschäft?
Wir sind mittlerweile bei einem Online-Umsatz von etwa zwanzig Prozent. Das ist mehr als üblich. Die Krux dabei ist immer, wenn du online etwas verkaufen willst, verkaufst du es unter anderem über den Preis. Wir können und wollen uns die Preise online aber nicht kaputtmachen. Von daher ist es nicht ganz so leicht, als Filialist auch im Online-Geschäft zu bestehen.
Für all diese neueren Themenfelder braucht es geeignetes Personal. Wie ist Lucky Bike in diesem Bereich aufgestellt?
Die Ansprüche der Kunden sind heute sehr hoch und wir müssen versuchen, das Anspruchsdenken der Online-Kunden in die Filialen zu transportieren. Dafür brauchst du Manpower, IT und auch Leute, die damit umgehen können. Das ist die Herausforderung in den Filialen: Das Know-how, das wir dort brauchen, sei es zu Online-Themen oder Leasing, ist weit weg von dem, was wir früher gebraucht haben. Gute Mitarbeitende zu finden und zu behalten, war und ist immer noch die größte Herausforderung.
Wir sind vier Geschäftsführer, jeder hat seinen Bereich, in dem er Filialen führt, und es gibt entsprechend kurze Wege zu uns. Wir pflegen einen familiären Stil und schaffen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktive, hochwertige Arbeitsplätze. Wir bilden sie aus und weiter und bezahlen sie anständig. Solche Dinge wie Saisonarbeit gibt es heute nicht mehr. Man schickt keine Mitarbeiter mehr im Winter nach Hause, weil die sonst im Frühjahr nicht mehr wiederkommen.
Die ganze Arbeitswelt hat sich so verändert, dass diese Modelle der Saisonarbeit nicht mehr praktikabel sind. Heute muss man attraktive Arbeitsplätze anbieten können, vor allem mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Teilzeitangeboten und anderen Corporate Benefits wie Zugang zu Fitnessstudios, speziellen Rabatten und vielem mehr. Das alles ist wichtig, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein.
Der Geschäftsverlauf hat sich auch verändert. Früher fand der Umsatz komprimiert in den drei Monaten März, April und Mai statt. Mittlerweile hat sich die Lage auch durchs Leasing unglaublich entwickelt und verstetigt. Die Umsatzkurve ist viel flacher geworden.
In wie vielen Monaten wird denn heute im Fahrradhandel Geld verdient?
Mindestens in sieben oder acht Monaten. Irgendwann kommt eben der Winter und ab November bis Fe-bruar sieht es nun mal schlechter aus. Der Markt hat sich in dieser Hinsicht aber massiv verändert. Was mir außerdem wichtig ist: Es wird so viel Negatives über dieses Jahr gesagt, über die Krisen und Pleiten und Pro-bleme. Ja, wir haben alle zu viele Bestände und ich hoffe, dass es nicht zu viele Mitbewerber in Schwierigkeiten bringt. Aber ich glaube nicht, dass unser Problem die Nachfrage ist, und ich glaube auch nicht, dass die Branche ein strukturelles Problem hat. Und schon gar nicht glaube ich, dass die Branche 2025 ein Problem haben wird: Nachhaltige Mobilität wird nie wieder weniger werden. Und das Fahrrad ist nachhaltige Mobilität. Wir müssen die Megatrends beachten und dürfen uns nicht verblenden lassen von dieser Bestandsthematik. Die Rabattschlachten der letzten Zeit sind hoffentlich bald vorbei.
Lucky Bike und Radlbauer sind inzwischen zu Lucky Bike verschmolzen. Wie kam es eigentlich zu dieser Situation, Lucky Bike zu gründen, wo doch Thomas Böttner familiär bei Radlbauer involviert war?
Das ist relativ einfach erklärt: Wir haben zusammen Lucky Bike gegründet und eine gewisse Expansion miteinander gemacht. Irgendwann wollte Klaus Böttner Radlbauer übergeben, aber natürlich nicht mir, weil ich ja nicht sein Sohn bin. Daher haben wir dann beschlossen, dass wir uns als Lucky Bike aufteilen. Jeder übernimmt einen Teil der Filialen und Thomas übernimmt zusätzlich die Filialen seines Vaters. Das haben wir ein paar Jahre durchgezogen und jeder hat seine Expansion selbst gemacht. Aber irgendwann haben wir beide Kon-strukte wieder in einen Topf geschmissen. Es waren genau genommen vier Konstrukte, weil die beiden anderen Geschäftsführer, Christoph Rosenthal und Dietmar Eickelmann auch noch jeweils an einer GmbH beteiligt waren. Die Radlbauer-Filialen liefen noch unter ihrem alten Namen weiter, bis wir vorletztes Jahr entschieden haben, dass es keinen Sinn ergibt, zwei Marken unter einem Dach zu führen. Das ist natürlich ein bisschen schade für die Marke Radlbauer, weil sie im Süden eine eingesessene, bekannte und sehr beliebte Marke war, in die im Laufe der Jahre viel investiert wurde. Letzten Endes ging es um Effizienz. Es ist schwierig, zwei verschiedene Marktauftritte zu managen, zumal wir ohnehin die ganze Zeit schon dasselbe Sortiment und auch dieselbe Struktur nutzten – im Grunde schon lange ein Unternehmen waren. Bei der Marke Radlbauer stand ohnehin ein Rebranding an, das nicht weniger aufwendig gewesen wäre als die Umwandlung zu Lucky Bike.
Wie wird sich der Fachhandel insgesamt weiterentwickeln? Wird die Filialisierung des Marktes wie bisher voranschreiten?
Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder kleine Fachhändler, der sich auf eine Nische spezialisiert, sei es auf Werkstatt, Lastenrad, eine Marke, oder der einfach eine gute Leistung abliefert, auch weiterhin überleben wird. Der Erfolg steht und fällt mit Dienstleistungs- und Service-Qualität. Wer sich ein bisschen schwertun wird, ist der kleine und mittlere Vollsortimenter, der mit mehreren Marken das komplette Sortiment abdecken will und gegen große Filialisten wie uns zu kämpfen hat. Ich bin sicher, dass die Filialisten weiter massiv wachsen werden. Da wird es eine Verschiebung geben, aber ich glaube trotzdem, dass die Struktur im Fahrradmarkt mittelfristig nicht so sein wird, wie wir das etwa bei Heimelektronik kennen. Ein Grund dafür dürfte der Service-Bedarf für Fahrräder sein. Dieser wird ja eher mehr und nicht weniger. Insbesondere beim E-Bike und Leasing braucht man Service und Inspektionen. Deswegen tun sich auch die Online-Pure-Player schwerer mit E-Bikes, denn sie können das Service-Versprechen flächendeckend kaum halten. Gewinnen werden die Omni-Channel-Anbieter, insbesondere die Filialisten, die Omni-Channel richtig spielen.
Ist das nicht auch die Kritik an großen Filialisten wie Lucky Bike: Dass das Service-Angebot nicht passt zu den Stückzahlen, die verkauft werden?
Wir haben dieses Jahr eine riesige Werkstatt-Offensive mit Schulungen, Weiterbildung und Neueinstellungen gestartet. Der Werkstattbereich ist der größte Engpass, was das Personal angeht, und wird immer komplexer. Es reicht nicht mehr der Fahrradmechaniker, sondern es braucht Mechatroniker, die nicht nur schrauben können, sondern die ganze Bandbreite der Anforderungen der E-Mobiliät abdecken und mit dem PC umgehen können. Wir investieren sehr viel, um die Qualität oben zu halten. Von daher glaube ich nicht, dass wir an der Stelle viel schlechter sind als der kleinere Fachhandel. Natürlich gibt es immer wieder mal eine Filiale, wo es zeitweise mal nicht so gut funktioniert, aber in Summe glaube ich, dass die Servicequalität bei vielen Filialisten, auf jeden Fall aber bei uns, anständig ist und Fachhandelsniveau hat.
Zum Schluss die Glanzfrage für Sie: Warum gehen Kunden und Kundinnen heute zu Lucky Bike?
Ich glaube, die Kunden nehmen wahr, dass wir ein Unternehmen mit Dynamik und einem attraktiven Sortiment, hoher Lieferfähigkeit sowie guter und ehrlicher Beratung sind. In unseren Filialen erkennen sie, dass da anständig ausgebildete Fachleute arbeiten und motiviert sind. Und nicht zuletzt können sie vor Ort die Ware anfassen, testen und Probe fahren und finden bei uns »einfach das richtige Rad!« //
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