Handel - Elektrokleinstfahrzeuge
Wird das noch was mit E-Scootern im Fachhandel?
Mediamarkt & Saturn, Amazon, kleine Start-Ups und große Konzerne - alle bieten bereits jetzt in großem Umfang die flotten Elektroscooter an, obwohl die Elektro-Kleinstfahrzeugeverordnung gerade erst veröffentlicht wurde. Inzwischen sieht man sogar die ersten Vertreter dieser neuen Fahrzeugkategorie bereits auf der Straße, und die ersten Verleiher freuen sich in den Metropolen des Landes über den Zulauf. Nur der Fahrradhandel, der doch eigentlich am nächsten am Thema dran sein müsste, will zumindest bislang noch nicht allzu viel von E-Kickscootern und Co. wissen. Das ist verblüffend und scheint auf den ersten Blick eine vertane Chance zu sein. Auf den zweiten Blick ergibt sich, dass dieser Markt noch ganz am Anfang steht und sich genügend Marktteilnehmer nicht mit einem Frühstart auf riskantes Gebiet wagen wollen. Die aktuell größten Fragezeichen der E-Scooter-Mobilität lassen sich in sechs Thesen zusammenfassen.
These 1:
{b}Der Fahrradhandel hat aus den Fehlern vergangener Tage gelernt und wartet ab, was wirklich zulassungsfähig ist{/b}
Fahrradhändler sind nicht zuletzt auch gebrannte Kinder. In den vergangenen Jahrzehnten gab es manches Produkt, das es in den Handel geschafft hat, bei dem man sich hinterher wünschte, es wäre nie geschehen. Man denke an die allererste Generation von E-Bikes, die viele Händler Lehrgeld gekostet hat oder an die zahlreichen anderen Produkte, die in der Praxis versagt haben und dann die Servicekapazitäten der Händler strapazierten.
Es gibt in der Tat guten Grund, mit diesem Hintergrund das Thema vorsichtig anzugehen. Im Unterschied zum Rest der Welt wurde in Deutschland sehr explizit formuliert, was ein E-Scooter, der künftig auf die Straße darf, mitbringen muss. Längst nicht jeder der bisher verkäuflichen Fahrzeuge erfüllt diese Kriterien. De facto haben fast alle Hersteller mehr oder weniger großen Nachbesserungsbedarf. Der jüngst gegründete Bundesverband Elektrokleinstfahrzeuge warnte erst kürzlich, dass viele der heute verkauften E-Scooter niemals legal betrieben werden können. Allerdings erklärte das Verkehrsministerium, dass bereits in Umlauf gebrachte E-Tretroller sehr wohl nachträglich zugelassen werden, wenn sie bei Bedarf vom Hersteller nachgerüstet werden. Dieser könne dann eine allgemeine Betriebserlaubnis erhalten. Selbst wenn dies nicht erfolgt, könne der Verbraucher nach entsprechendem Umbau eine Einzelbetriebserlaubnis beantragen.
In jedem Fall bedeutet die nachträgliche Betriebserlaubnis eine Menge Aufwand. Sofern es den Endkunden betrifft, würde vieles davon am Handel hängenbleiben. Man kann nur rätseln, ob anderen Vertriebswegen der absehbare Serviceaufwand bewusst ist. Der leicht zugängliche Fahrradhandel hat klar vor Augen, was es wohl bedeuten würde, wenn man seinen Kunden etwas verkauft, das sie nicht wie geplant nutzen können.
These 2:
{b}E-Scooter sind überhaupt kein Fachhandelsprodukt{/b}
Es ist die Gretchenfrage: Ist der Fachhandel dafür prädestiniert, diese Produkte zu verkaufen und insbesondere zu warten oder nicht? Fahrräder müssen repariert werden. Bei Scootern scheint das absehbar in deutlich geringerem Umfang der Fall zu sein. Es dürfte häufig wirtschaftlicher sein, das Gerät einfach auszutauschen, statt langwierig auf Fehlersuche zu gehen. Damit ist die Servicekompetenz der Händler vielleicht inadäquat.
Auch der Umgang mit den Fahrzeugen im Verleihgeschäft spricht Bände. Es wird geschätzt, dass sie in freier Wildbahn gerade mal drei Monate ihren Dienst verrichten müssen, bevor sie ausgetauscht werden. Manche Insider nennen sogar noch kürzere Lebenszeiten. Ein solcher Wegwerfartikel ist nicht nachhaltig, was immer das im Detail bedeutet, und widerspricht gewiss dem, wofür das Fahrrad (und die Branche insgesamt) steht.
Dazu kommt das kompakte Maß der E-Scooter. Wo das Produkt leicht versendet und repariert werden kann und kein großes Kapital bindet, gibt es eine größere Unabhängigkeit vom Fahrradhändler als Nahversorger. Kein Händler hat Lust darauf, als Showroom missbraucht zu werden, während andere das Geschäft machen.
Matthias Zech, Inhaber von zwei E-Motion-Läden in Nürnberg, wird sich aus diesen Gründen bis auf Weiteres in Zurückhaltung üben, wenn es um E-Scooter geht. »Wir wollen nicht gegen den Online-Handel anstinken, für den das ein ganz prädestiniertes Produkt ist. Es lässt sich super in einen Karton stecken und im Lager verstauen. Die Gefahr besteht, dass wir als Showroom missbraucht werden. Bestellt wird dann im Internet, weil man dort nicht die Personal- und Raumkosten hat wie wir. Man sieht ja jetzt schon, wie die Preise verrissen werden. 20 und 30 % unter UVP sind jetzt schon zu finden, ein stationärer Händler kann mit einer solchen Kalkulation nicht konkurrieren.«
Auf der anderen Seite hat man noch nicht viel davon gehört, dass besondere Service-Kapazitäten für die China-Roller aufgebaut würden. Es ist zumindest denkbar, dass zu einem späteren Zeitpunkt der Fachhandel enttäuschte Versandhandelskunden zurückholen kann.
These 3:
{b}Es gibt fast keine Fachhandelsmarken mit entsprechenden Angeboten{/b}
Es werden aktuell dem Vernehmen nach zahlreiche Anträge von E-Kickscooter-Herstellern im Verkehrsministerium bearbeitet, die eine Zulassung für ihre Produkte erreichen wollen. Doch neben dem Metz Moover und dem X2City von BMW bzw. Kettler ist eine Auswahl an Produkten, die primär über den Fachhandel vertrieben werden sollen, faktisch nicht vorhanden. In einer solchen Situation steht auch der euphorischste Händler vor der Frage, was er sich eigentlich ins Ladengeschäft stellen soll.
Die Industrie hat ganz offensichtlich wie der Handel zunächst einmal abgewartet, was denn nun der Gesetzgeber überhaupt will. Unklar ist, wie weit die Vorbereitungen auf den Tag der Zulassung bereits gediehen sind und wie viele Fahrradmarken überhaupt in dieses Segment wollen. Bis entsprechende Produkte auf den Markt kommen, könnte es noch eine Weile dauern.
These 4:
{b}Es gibt noch keine Preispunkte, an denen man sich orientieren kann{/b}
Die günstigsten E-Tretroller im Netz sind für unter 200 Euro zu bekommen. Das teuerste Produkt ist der X2City für knapp 2400 Euro. Vom Start weg eine solche Spanne zu sehen, ist durchaus ungewöhnlich. Es ist für zwangsläufig unerfahrene Kunden und selbst Händler nicht ersichtlich, auf welchem Preisniveau sich die mit gutem Gewissen verkäuflichen Produkte finden. In der Tendenz zeichnet sich ab, dass selbst günstige Produkte mitunter brauchbar sein können.
Dazu ist unklar, wie sich die Kaufpreise zum Verleihgeschäft verhalten werden. Üblicherweise werden E-Scooter gegen Grundgebühr plus Fahrt- und Minutenpauschale vermietet. Vielnutzer und Pendler kommen mit den bisher bekanntgewordenen Tarifen im Jahr auch mal auf eine vierstellige Summe. Um die aufgerufenen 2000+ Euro für einen High-End-Scooter zu rechtfertigen, muss trotzdem einiges an Argumenten zusammenkommen.
»Die berühmte Kotzgrenze wird deutlich unter 1000 Euro liegen müssen«, ist Torsten Schäler, Inhaber des Radladens Radmarkt in Weimar, überzeugt. »Ansonsten kommt der Kunde in den Laden, findet dort vernünftige E-Bikes für 2000 bis 2500 Euro vor und fragt sich, warum er die Hälfte dieses Geldes für so ein Low-Tech-Gerät ausgeben soll mit einem Akku, mit dem er 20 Kilometer weit kommt.«
These 5:
{b}E-Scooter sind ein billiges Konkurrenzprodukt zum Fahrrad{/b}
Nahezu einstimmig wird in und außerhalb der Branche die These vertreten, dass E-Tretroller das Fahrrad nicht angreifen, sondern bestenfalls ergänzen. Aufgrund ihrer Auslegung eigneten sie sich nun einmal vor allem für die »letzte Meile«. Längere Strecken seien unbequem und auf dem Fahrrad viel komfortabler. Doch worin gründet diese Ansicht? Ist das ein Fakt oder nur Wunschdenken?
Das bisher vorhandene Zahlenmaterial gibt in der Tat nicht zu erkennen, dass die Menschen vom Rad auf den Roller umsteigen. Allerdings lassen sie auch die Autofahrer weitestgehend kalt. Eine jüngst veröffentlichte Studie aus Frankreich zeigt, dass es vor allem Fußgänger sind, die auf E-Tretroller steigen, um ihre Kurzstrecken noch bequemer zu bewältigen.
Und auch regionale Aspekte jenseits der Großstädte sind zu berücksichtigen. »Dass E-Scooter das E-Bike verdrängen, glaube ich nun überhaupt nicht. Die Leute, die E-Bike fahren, werden sich nicht auf einen Roller stellen«, ist Schäler sicher. »Zumindest bei uns in Weimar sehe ich das nicht. Hier ist man auch von der Infrastruktur her nicht auf E-Scooter als Mobilitätsstütze angewiesen.«
These 6:
{b}Der Fachhandel hat bisher alles richtig gemacht{/b}
Es gibt, wenn man all die bisherigen Thesen betrachtet, immer noch allerhand Unwägbarkeiten, was den potenziellen Erfolg dieses neuen Segments angeht. Werden wirklich Millionen von Nutzern bereit sein, eine jährlich zu zahlende Versicherung abzuschließen? Welche Produkte werden den Sweet-Spot treffen zwischen Leistung und Preis? Wie gefährlich ist das E-Scooter-Fahren wirklich? Wie wird die Margensituation insgesamt aussehen? Werden die Kunden kaufen oder lieber leihen? Was hätten Händler bisher überhaupt verkaufen können? Greifen die neuen Scooter das Kerngeschäft E-Bike an? Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, dürfte es aus Sicht des Fahrradfachhandels nicht das Dümmste gewesen sein, das Pulver noch etwas trocken zu halten. Als Gegenargument lässt sich anführen, dass ein solches Abwarten leicht dazu führen kann, dass das Fell des Bären bereits verteilt ist, bevor der Radhandel überhaupt zur Flinte greift. Diese Sorge haben aber wohl verhältnismäßig wenige.
Erst mal die Rahmenbedingungen abzuwarten, scheint für Fahrradhandel und -industrie der einzig richtige, gangbare Weg. Andererseits wird dieses Segment als der neue Megatrend gehandelt. Hat der Handel bis hierher tatsächlich alles richtig gemacht? Das kann noch niemand wissen. Auf jeden Fall ist es jetzt an der Zeit, sich für die nähere Zukunft aufzustellen.
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