Interview - Burkard Stork
ZIV im Wandel
Seit ihrem Antritt haben Sie bereits einiges an Veränderungen im ZIV angestoßen und in jüngster Zeit den Verband neu organisiert und strukturiert.
Wo steht der Verband aktuell?
Burkhard Stork: Wir sind Ende Januar letzten Jahres aus Bad Soden weggezogen und sind nun in Berlin in neuen Räumlichkeiten. Wir haben uns personell fast vollständig neu aufgestellt, zwei Mitarbeiterinnen kommen aus dem früheren Team, weitere vier Kolleginnen und Kollegen sind schon dazugestoßen. Und wir wachsen weiter. Wir haben ein neues Auftreten, wir wollen die Fahrradbranche sehr selbstbewusst in Berlin repräsentieren. Und ich glaube, das tun wir bereits.
Was werden die Hauptaufgaben des neuen Teams sein?
Der ZIV verfügt über eine lange Geschichte mit vielen Vorgängerverbänden. In den letzten 140 Jahren hat sich die Fahrradbranche ja immer wieder neu erfunden. Damit hatten auch die Verbände der Fahrradbranche immer unterschiedliche Aufgaben und Schwerpunkte. Wir haben in den letzten Jahrzehnten ein sehr klares, vor allem technisches Profil gehabt. Darin sind wir konkurrenzlos und es ist das Ziel, das zu halten und höchste Qualität zu liefern. Wir wollen führend sein, was Normung, Regulierung und technische Begleitung unserer Mitgliedsunternehmen angeht. Das gelingt uns sehr gut. Auf der anderen Seite ist uns die Nutzung der Produkte unserer Mitgliedsunternehmen sehr wichtig, also die Nutzung von Fahrrädern, E-Bikes, Mountainbikes. Da geht es beispielsweise um Themen wie Verkehrspolitik oder um das Radfahren in der Freizeit. Wir sehen immer stärker, wie sehr wir auch dazu die Koordination und Zusammenarbeit in der Branche befördern können. Es gibt viele Themen, bei denen über das Technische hinaus gemeinsame inhaltliche Positionen eine wichtige Rolle spielen. Als Branche mit einer Stimme sprechen – wir sehen uns als Bereitsteller der Plattform, die das befördert.
Was sind denn die drängendsten Aufgaben aus Sicht des ZIV?
Ein wichtiges aktuelles Thema ist die zu beobachtende Kaufzurückhaltung der Kundinnen und Kunden in den niedrigen und mittleren Preissegmenten. Aber auch regulatorische Punkte wie zum Beispiel die Batterieverordnung drängen sich schnell nach vorn, wenn diese in Europa verhandelt werden. Wir bekommen massive Änderungen im Reparatur- und Batterierecht. So etwas wird für uns sehr arbeitsintensiv, wenn es in Berlin und Brüssel auf der Tagesordnung steht. Materialversorgung, Lieferketten, Resilienz und Nachhaltigkeit sind wichtige Themen, die uns zusätzlich beschäftigen, das ist ein kontinuierlicher Prozess. Insbesondere in einer Ausnahmezeit wie den vergangenen drei Jahren, mit völlig neuen Herausforderungen, wollen wir unseren Mitgliedsunternehmen und der Branche eine klare Orientierung geben, was funktioniert und was sinnvoll ist. Damit sind nicht so sehr wirtschaftliche Fragen gemeint, denn ihr Geschäft beherrschen unsere Mitgliedsunternehmen sehr gut. Ich meine unsere Expertise und Beratung bei politischen Fragen, zu Details in der Förderlandschaft und ähnlichen wichtigen Themen.
Das sind Themenfelder, die der ZIV bereits bearbeitet. Welche neuen Aufgaben kommen denn auf den Verband zu?
Die Fahrradbranche verändert sich, in der Folge entwickeln sich die Verbände aufeinander zu. Das »klassische« Geschäftsmodell eines Großteils unserer Mitglieder ist erprobt und erfolgreich: das Angebot guter und hochwertiger Fahrräder, die vor allem über den qualifizierten Fachhandel vertrieben werden. Es ist großartig, dass wir das haben, anders als zum Beispiel unsere Nachbarn in Frankreich. Aber seit zehn bis fünfzehn Jahren gibt es zunehmend weitere Geschäftsmodelle. Nextbike ist so ein Beispiel, die haben eine Zeit lang in wirklich hohen Stückzahlen in Deutschland Fahrräder gebaut. Natürlich ist auch das ein Teil der produzierenden Fahrradindustrie, selbst wenn die Räder am Ende nicht über den Fachhandel verkauft werden. Dazu gehören auch die Flatrate-Anbieter. Wir sind glücklich, dass die Fahrräder von Swapfiets in Deutschland gebaut werden. Leasing, als das große und erfolgreichste der Modelle, über die wir hier sprechen, ist für den Markt der mittel- und hochpreisigen E-Bikes von allerhöchster Bedeutung und gehört natürlich in den ZIV. Der Terminus »Industrie« in unserem Namen greift inzwischen deutlich zu kurz. Seit mindestens 15 Jahren hat sich der ZIV zu mehr als einem reinen Industrieverband entwickelt. Wir decken inzwischen das gesamte Fahrrad-Ökosystem ab, inklusive Akteuren wie Großhändler, Teilelieferanten und Importeure.
Ich war zu Beginn ein wenig überrascht, dass es die typischen Erwartungen an einen Industrie- und Wirtschaftsverband in der Branche an vielen Stellen gar nicht gab. Da leisten wir nach wie vor intern intensive Aufklärungsarbeit, was unsere Expertise und Services für die Mitglieder betrifft: klassische Industriepolitik, Ansiedlungs- oder Nachschubfragen, Fachkräftegewinnung, Bildungsthemen, Steuerpolitik spielen inzwischen eine deutlich wachsende Rolle im täglichen Austausch. Genau zu solchen Themen wollen wir den ZIV weiter deutlich stärken. Unternehmen, die klassische Industriethemen bewegen, sind bei uns genauso richtig wie Unternehmen, die sich wünschen, dass ihr Verband mit der Verkehrspolitik zu den drängenden Fragen der Verkehrswende spricht.
Wenn Sie sich eine der Aufgaben herausgreifen wollten: Welche hätte den größten positiven Einfluss pro Fahrrad?
Das ist und bleibt die massive Verbesserung der Infrastruktur. Daran ändert sich nichts. Wenn sich die Menschen nicht trauen, unsere Produkte zu nutzen, werden wir sie nicht verkaufen. Das setze ich als selbstverständliche Wechselwirkung voraus und daher müssen wir endlich ran an die Ursachen und den Radverkehr in Deutschland sicher machen. Es scheint heute Konsens zu sein, dass eine Änderung der Straßenverkehrsordnung dringend geboten ist, um dieses Problem zu lösen. In den vielen Änderungen, die wir zwingend benötigen, damit das Radfahren sicherer und entspannter wird, ist die Straßenverkehrsordnung ein wichtiger Baustein – neben vielen anderen Faktoren.
Ändert sich etwas in der Zusammenarbeit mit den anderen Verbänden, angesichts der Neufokussierung des ZIV?
Unsere Zusammenarbeit ist bereits eng und vertrauensvoll. Wir wissen sehr genau, dass wir mit einer Stimme sprechen müssen, wenn wir das Maximum für unsere Branche erreichen wollen. Eine Stimme muss dabei nicht heißen, dass alle das Gleiche sagen, ich denke eher an ein gut abgestimmtes Orchester. Wir müssen klarmachen, dass das Fahrrad wichtig ist. Und wir müssen zusätzlich klarmachen, dass die starke und zukunftsfähige Fahrradindustrie Deutschlands die Voraussetzung dafür ist, dass es dem Fahrrad gut geht.
Zur Aufgabe in der Fahrradindustrie gehört auch, einzuschätzen, wie diese kommende Saison werden wird. Was ist denn die grundsätzliche Wahrnehmung aufseiten der Fahrradindustrie? Wie stellt sich die Situation im Markt aus deren Sicht dar?
Lassen Sie mich zunächst darauf hinweisen, dass niemand in der Industrie Zweifel daran hat, dass es guten Grund zur Zuversicht gibt. Worüber wir reden, ist tatsächlich ein Thema der vielleicht nächsten sechs, zwölf oder achtzehn Monate, in denen wir eventuell ein geringeres Wachstum als in der jüngsten Vergangenheit sehen. Aber ich höre kein Unternehmen, das nicht überzeugt ist, dass es langfristig weiter nach oben geht. Mir ist diese Feststellung auch deswegen wichtig, weil wir eine Situation haben, in der einige Unternehmen viel Ware im Lager haben und die eine oder andere Bank nervös werden könnte. Aus solchen Gründen sollten wir uns alle gemeinsam vornehmen, die aktuelle Situation nicht schlechter zu reden, als sie ist. Das ist nicht hilfreich. Wir haben großartige Aussichten.
Trotzdem, Hand aufs Herz: Wird die kommende Saison so angespannt, dass sie sowohl industrie- als auch handelsseitig zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen könnte?
Das ist zu scharf formuliert. Unsere Unternehmen haben den Eindruck, dass die Lage angespannt ist, gehen aber zu etwa zwei Dritteln davon aus, dass sie ihr Geschäft gut durch diese Phase navigieren werden. Dazu kommen 15 Prozent, die sagen »es läuft nach Plan, wir haben kein Problem«, und schließlich die Unternehmen, die die Lage kritischer sehen und sagen »es ist schon schwierig und wir sind eher unter Druck«.
Und wie ist die Wahrnehmung der Seite der Handelspartner?
Der Handel hat in den letzten zwei Jahren ein massives Auf und Ab gehabt. Hier bewegt uns schon die Sorge, dass das eine oder andere Unternehmen derzeit zu viel Liquidität im Lager gebunden hat.
Der Warenüberfluss ist ein gutes Stichwort. Er führt derzeit in der Branche zu vielen Stornierungen seitens der Händler. Wie belastet das im Moment die Industrie?
Da ist die Stimmungslage ähnlich wie bereits skizziert. Von der übergroßen Mehrheit, also mehr als zwei Dritteln, höre ich, dass Handel und Industrie gemeinsam nach Lösungen suchen. Aber es gibt auch da 20 bis 25 Prozent, die sagen, dass es schwieriger wird, dass bestellte Ware nicht angenommen und überlegt wird, den Rechtsweg zu gehen. Da scheint sich im Moment der Ton vereinzelt leider zu verschärfen.
Man hört inzwischen meistens von Warenüberhängen, mitunter aber doch vereinzelt von Lieferengpässen. Gibt es denn wirklich so etwas noch?
Es gibt noch sehr vereinzelt zum Beispiel Elektronikkomponenten, die fehlen. Die Lage auf dem Elektronikmarkt hat sich zwar deutlich verbessert, aber sie ist noch nicht völlig entspannt. Da gibt es also an der einen oder anderen Stelle tatsächlich noch Schwierigkeiten, genau das Richtige zu bekommen und in genau den Stückzahlen, die benötigt werden. Aber das ist zum Glück immer seltener der Fall und bessert sich laufend.
»Ich höre kein Unternehmen, das nicht überzeugt ist, dass es langfristig weiter nach oben geht.«
Burkard Stork
Ob Mangel oder Überfluss, Sie haben eben bereits kurz angedeutet, dass diese Schwierigkeiten nur eine begrenzte Zeit bestehen werden. Wie lange wird es dauern, bis sich diese aktuellen Problematiken wieder auflösen?
Als wir im November 2022 dazu mit unseren Mitgliedsunternehmen gesprochen haben, herrschte noch der Eindruck, dass es mit dem Frühjahr besser werden würde. Im Januar hatten wir erneut eine Runde dazu und da erwartete etwa die Hälfte der Unternehmen, dass das ganze Jahr 2023 kein ganz leichtes sein wird. Das hat auch damit zu tun, dass, auch wenn wir ein großartiges Frühjahr haben, immer noch sehr viel Ware im Markt ist. Bis in der Industrie die Maschinerie dann wieder hochläuft, wird es schon einen Moment dauern. Wir haben zumindest von manchen Teileherstellern inzwischen auch das Wort Kurzarbeit gehört.
Aus Handelssicht gefragt: Lässt sich unter den aktuellen Umständen eine Situation vermeiden, in der es zu Preiskämpfen kommt? Oder braucht es dafür sechs Monate Sonnenschein?
Sechs Monate Sonnenschein wären schon sehr hilfreich, aber es wird Preissignale geben, ich glaube, das ist klar. Schon allein, weil der eine oder andere Händler Liquidität braucht. Ich hoffe sehr und ich gehe auch davon aus, dass hochwertige Produkte nicht verramscht werden. Niemand hat etwas davon, wenn wir hochwertige E-Bikes der letzten ein bis zwei Modelljahre zu Discountpreisen abgeben.
Welche Strategien könnten aus Herstellersicht dazu beitragen, dass sich diese Lage schneller entschärft?
Da gibt es verschiedene Mechanismen, die eine Rolle spielen. Wir sind im Moment in einer Situation, wo sich die langjährigen und etablierten Netzwerke als sehr nützlich erweisen sollten. Die enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit wird die große Stärke unserer Branche in diesen Tagen sein. Wir müssen miteinander reden, denn stur zu sein bringt niemanden weiter. Jetzt wird auch das Thema Marketing wieder mehr Bedeutung gewinnen. Und es zeigt sich,
dass Sharing, Leasing und andere Geschäftsmodelle wirklich marktstabilisierend sind. Es werden hochwertige Räder im Leasing verkauft, wo wir sonst befürchten müssten, dass wir dort deutliche Rückgänge hätten.
Ist die Branche damit noch in einer Position der Stärke oder muss man schon leichte Sorge haben?
Nein, Sorge muss man überhaupt nicht haben, im Gegenteil. Wir sind in einer Position der Stärke und Zukunftsfähigkeit. Wir haben sehr anstrengende Jahre hinter uns, in denen wir uns dennoch souverän behauptet haben. Wir haben erneut kein leichtes Jahr vor uns, aber die Fahrradbranche blickt mit viel Zuversicht nach vorn: Wir sind das Verkehrsmittel der Zukunft! //
Verknüpfte Firmen abonnieren
für unsere Abonnenten sichtbar.