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Analyse - Lastenrad in der Kritik

Zwischen Begeisterung und Widerstand

Die Fahrradbranche sonnt sich bisher in kräftigem Rückenwind: Wirtschaftlich geht es den meisten Unternehmen gut, der Fachhandelsanteil liegt in Größenordnungen, von denen andere Branchen nur träumen können, medial wird über das Fahrrad meist positiv berichtet. Herz, was willst du mehr?

Politisch scheint das Fahrrad optimal zu den Themen unserer Zeit zu passen: Verkehrswende und Klimaschutz im Verkehrssektor werden nur mit einer starken Stellung des Fahrrads gelingen. Dies gilt noch einmal mehr, wenn wir das Potenzial von Cargobikes betrachten. Im Lieferverkehr eingesetzt, können Fahrzeuge der Mikromobilität wie etwa Transporträder nicht nur CO2 einsparen und für gute Luft sorgen, sondern ihre Aufgaben auch vergleichsweise platzsparend und ohne größere Verkehrsbehinderungen absolvieren.
So ist es kein Wunder, dass Cargobikes vielfach vom Bund, von den Ländern und auch kommunal beispielsweise durch Kaufprämien gefördert werden.
Namhafte KEP-Dienstleister (Kurier-, Express- und Paketdienst) wie DHL oder UPS setzen in zahlreichen Metropolen aufs Cargobike und einige Städte etablieren Mikro-Hubs für die Mikromobilität. Das verschafft modernen Cargobikes ein professionelles Image. Und es zeigt, dass Fahrräder (hier: elektrounterstützte Transportfahrräder) auch eine wichtige ökonomische Bedeutung haben. Das hilft der politischen Positionierung der Branche insgesamt.

Raus aus der Bubble

Läuft also alles super fürs Cargobike? Aus unserer Blase heraus betrachtet mag das auf den ersten Blick so wirken, und tatsächlich sind die positiven Indikatoren deutlich in der Überzahl. Doch kein Trend ohne Gegentrend! Es ist nur natürlich, dass es auch gegen das Erfolgskonzept Cargobike ebenso wie gegen den Trend zum Radfahren durchaus negative Stimmungsmache gibt, wobei Cargobikes eben besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das mag man belächeln oder darüber den Kopf schütteln, politisch klüger ist es jedoch, sich mit den Gegnern der Mikromobilität auseinanderzusetzen, deren Strategien genau zu analysieren und vorbereitet zu sein für den Fall, dass sich der aktuell positive Wind mal dreht.
Wir haben uns in die Niederungen von Stammtisch-Debatten und Meinungsforen begeben und erinnern uns auch an Lastenrad-Diskussionen beim letzten Bundestagswahlkampf. Besonders die AfD bringt Zuschauerinnen und Zuschauer dazu, sich zu fragen, ob sie sich nicht vielleicht doch in einer Satiresendung befinden. Unvergessen die Rede des verkehrspolitischen Sprechers der AfD-Bundestagsfraktion, Dr.-Ing. Dirk Spaniel, in einer Debatte der letzten Legislaturperiode, in der er allgemein Fahrräder als »nüchtern betrachtet in hohem Maße unpraktisch und gefährlich« bezeichnete und »das Propagieren von Kindertransport auf Fahrrädern in der Stadt« einen »objektiv betrachtet fahrlässigen Umgang mit der Gesundheit Schutzbedürftiger« nannte. Das Fahrrad sei »vor allem das Verkehrsmittel der städtischen Bohème«. Im Bundestagswahlkampf 2021 wurden dann sogar Lastenräder zum Gegenstand höchster politischer Auseinandersetzungen. Nachdem die Grünen eine bereits 2018 von ihrer Bundestagsfraktion geforderte Kaufprämie von 1000 Euro für Cargobikes erneuert hatte, höhnte der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak kurz darauf per Twitter: »Grüne Vorschläge im aktuellen Wahlkampf werden immer abstruser & weltfremder. Stelle mir gerade Bauarbeiter auf dem Weg zur Baustelle vor. Gibt es auch Tandem-Lastenrad für Chef & Azubi? Vorne der Presslufthammer verstaut – als Fahrradanhänger ein Betonmischer?« Auch Spitzenpolitiker von CSU und FDP griffen das Thema auf und warfen den Grünen »Klientelpolitik zulasten von Geringverdienern« vor. Damit war das Lastenrad erstmals auf der großen politischen Bühne angekommen und die Fahrradszene rieb sich verwundert die Augen, noch etwas unsicher, ob das eine gute oder schlechte Nachricht für die Verkehrswende sei. Heute wissen wir, dass CDU und CSU bei der Wahl dann nicht besonders erfolgreich waren.
Doch auch gegenwärtig emotionalisieren Cargobikes etliche Menschen, wie Meinungsforen zeigen, in denen sich die Teilnehmenden, wie üblich, zumeist gegenseitig bestätigen. Wenn Kritikerinnen und Kritiker den Nutzen von Cargo-Bikes schon nicht erkennen können oder nicht sehen wollen, dann fokussieren sie sich auf die empfundenen Nachteile. So schreibt ein Teilnehmer: »Die Dinger können weg auf den Müllhaufen der Radgeschichte. Viel zu groß, zu sperrig, zu träge, insgesamt zu unhandlich und dazu noch zu teuer. … Welche Probleme löst ein Lastenrad eigentlich wirklich? Kann ich damit 200er-Dachlatten vom Baumarkt holen? Nein. Meine Kumpels mit in die Nachbarstadt nehmen? Nein. Das Einzige was ich sinnvoll reinladen kann, sind eine Kiste Bier oder meine 1-2 Kids. Aber rechtfertigt das die Anschaffung? ... Das wird sich nicht durchsetzen: Zu speziell, zu unpraktisch und vor allem zu nerdig. … Seien wir ehrlich: Lastenräder sind keine gute Lösung. Sie sind ein politisches Statement.« Hier sind wir schon wieder ganz nah am AfD-Politiker Spaniel und seiner »Bohème«.

Moral und Meinung

Es werden aber auch moralische Argumente vorgebracht: »Es sind halt SUVs für Leute, die sich das Recht vorbehalten wollen, Straße UND Radwege blockieren zu dürfen, mit gutem Gewissen.« Dabei wird die Diskussion sehr emotional geführt und auch Sozialneid spielt hier eine Rolle: »Lastenräder sind unnötig, komplett peinlich und ein Störfaktor auf den Straßen und Radwegen. Ich empfinde sie als komplettes Ärgernis. Vor allem, wenn sie auf Gehwegen abgestellt im Weg rumstehen, nerven sie, wenn man mit Rollstuhl oder Kinderwagen vorbei will. Zumindest bei uns in der Region sind vor allem Leute mit selbst gefilzten Jacken und Club-Mate-Kiste damit unterwegs, dazu kommt die entsprechende Einstellung: Ich darf hier jetzt über den Bürgersteig, weil ich bin sauber unterwegs und die Stadt ist in Schuld, weil hier kein Radweg ist.«
In »Zeit online« wird aus der Sozialforschung berichtet: »Das Fahrrad ist zum Statussymbol der Gebildeten geworden«, heißt es hier. Der Soziologe Ansgar Hudde erklärt im Interview: »Soziale Ungleichheit zeigt sich auch im Straßenverkehr.« Der Erfolg des Fahrradfahrens gehe vor allem von Menschen mit Abitur aus.
Gegenwind zur Radverkehrsförderung gibt es aber nicht nur in AfD-Zirkeln oder in abstrusen Meinungsforen. Die Kritik kommt durchaus auch aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere dann, wenn dem Kfz-Verkehr der Platz streitig gemacht wird. Dann kommt es regelmäßig zu erbitterten Verteilungskämpfen. So vor Kurzem beispielsweise in Aachen geschehen, als hier eine 600 Meter lange Radspur eröffnet wurde. Bei der feierlichen Eröffnung stürmten Anwohnerinnen und Anwohner das Mikrofon und verschafften ihrem Protest gegen weggefallene Parkplätze lautstark Ausdruck: Wo sollen wir unsere Autos abstellen? Wie den Großeinkauf ausladen? Und Oma Hoppenstedt kann jetzt vom täglichen Pflegedienst nicht mehr erreicht werden! Dabei gibt sich bürgerlicher Protest gerne auch selbstlos. Man fühlt schließlich auch mit der Müllabfuhr, den Rettungsdiensten, dem Handwerker, der etwas reparieren soll, oder mit den Fahrern von Paketdiensten.
Der Siegeszug des Fahrrads oder des Cargobikes ist also keineswegs ausgemacht. Grund genug, sich bei einem der Protagonisten des Cargobike-Booms umzuhören, wie er den politischen Status von Transporträdern in Deutschland einschätzt und wie ernst die Argumente von Cargobike-Hassern zu nehmen sind, auch im Hinblick auf eine sich möglicherweise gesellschaftlich weiter verschärfende Verkehrsdebatte. //

Arne Behrensen im Interview mit velobiz.de

15. Februar 2023 von Albert Herresthal
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