Arne Behrensen im Interview mit Albert Herresthal
"Es gibt auch Kritik, der wir uns stellen müssen"
Die Cargobike-Szene kann vor Erfolg kaum laufen. Cargobikes haben unter den Fahrradsegmenten den stärksten Zuwachs, vielerorts gibt es staatliche Zuschüsse zum Kauf, die Bestellbücher sind prall gefüllt. Selbst der Bund setzt in seinem NRVP beim Lieferverkehr auf Cargobikes. Alles eitel Sonnenschein?
Leider nein. Bei aller Freude über das starke Wachstum: Von der Verkehrswende sind wir weit entfernt solange die Verbreitung von Kraftfahrzeugen weiter zunimmt. Im Januar erst hat der Mobilitätsgipfel der Bundesregierung das Ziel von 15 Million E-Autos bis 2030 bekräftigt. Das muss die politische Messlatte sein für Lastenräder, die ja ein besonders großes Potenzial haben, Autos zu ersetzen.
Und was die Kaufprämien angeht: Die 25-Prozent-Förderung des Bundes ist auf gewerbliche E-Lastenräder und Anhänger beschränkt. Anders als bei E-Autos muss sie vor dem Kauf erst beantragt und bewilligt werden und gilt zum Beispiel nicht für Leasing. Die Kaufprämien einzelner Bundesländer und Kommunen lösen dagegen oft nur einen kurzfristigen Nachfrageschub aus und dann wird auf eine ungewisse nächste Förderrunde gewartet. Das ist keine effiziente und gerechte Förderpolitik. In Österreich gibt es bereits eine bundeseinheitliche Kaufprämie für alle privaten und gewerblichen Lastenräder. Hierzulande heißt es, anders als bei E-Autos liege bei Lastenrädern kein Marktversagen vor. Doch gemessen an dem was Klimaschutz und Verkehrswende erfordern: Haben wir im Verkehrssektor nicht insgesamt ein Marktversagen, das eine Kaufprämie für private Lastenräder genauso rechtfertigt wie ein 49-Euro-Ticket?
Selbstverständlich muss Lastenrad-Förderung mehr sein als eine Kaufprämie. Eine fahrradfreundliche Infrastruktur ist das A & O. Hier braucht es endlich einen großen Wumms.
Trotz der positiven Grundstimmung in der Gesellschaft gibt es auch Gegenwind. Mitunter wird über Lastenräder gespottet, siehe letzte Bundestagswahl, oder ihre Systemnachteile werden verallgemeinert. Welche Negativ-Stimmungen aus Politik oder Bevölkerungen nehmen Sie wahr, wofür stehen sie und wie gewichten Sie sie?
Cargobikes sind ein besonders bildstarkes Symbole für die Verkehrswende. Und die Verkehrswende ist ein hoch emotionales Thema, weil sie viele Leute in ihrem Alltagsverhalten betrifft. Da sind Spott und Häme gegenüber Lastenrädern nicht verwunderlich. Das sollten wir vor allem sportlich nehmen und mit Humor und Aufklärung kontern. Das Absurde an der Lastenrad-Polemik von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiack im Bundestagswahlkampf war ja: Sein eigener Kanzlerkandidat Armin Laschet war in NRW für eines der größten Lastenrad-Kaufprämien-Programme verantwortlich.
Es gibt aber auch Kritik, der wir uns stellen müssen. So werden Lastenräder oft als teuer empfunden und mit Besserverdienenden assoziiert. Zwar sind neue Autos im Schnitt deutlich teurer, aber ein E-Lastenrad für 3.500 Euro aufwärts können oder wollen sich eben nicht alle leisten. Schließlich ist Sicherheit ein wichtiges Thema – vor allem beim Kindertransport. Auch wenn nur sehr wenige schwere Unfälle mit Lastenrädern bekannt sind und Kinder dabei meist sehr glimpflich davon kommen: Junge Eltern sind oft verunsichert, ob ihre Kinder auf dem Lastenrad tatsächlich sicher sind. Da ist es wichtig, dass wir seit 2019 den DIN-Standard für Lastenräder haben. Darauf aufbauend entsteht gerade eine europäische EN-Norm für Lastenräder. Erstmalig wird darin auch sicherer Babytransport auf dem Lastenrad behandelt. Hersteller haben in den letzten Jahren bei der Kindersicherheit bereits spürbar nachgelegt.
Auch wenn sich viele Argumente gegen Cargobikes sachlich nicht halten lassen, wie ist der vereinzelten Stimmungsmache zu begegnen?
Testen, testen, testen! Mangelnde Kenntnis bereitet stets den Boden für Vorurteile. Deshalb sollten immer mehr Menschen die Möglichkeit erhalten, Lastenräder auszuprobieren. Oft ändert sich danach die Einstellung schlagartig. Das habe ich seit 2016 jedes Jahr auf der Cargobike Roadshow immer wieder erfahren, gerade auch in kleineren Städten.
Vorbilder helfen ebenso. Legendär ist das dänischee Kronprinzen-Paar, das den königlichen Nachwuchs auch bei Schneee mit dem Lastenrad in die Kita fuhr. Auch der Handwerker von nebenan und große Unternehmen sind wichtige Botschafter wenn sie auf dem Lastenrad unterwegs sind. Das hilft alles, das Lastenrad gesellschaftlich zu normalisieren. //
Zur Person:
Arne Behrensen hat als Politikwissenschaftler für Bundestagsabgeordnete und eine internationale NGO in Berlin gearbeitet, bevor ihn das Lastenrad-Fieber packte. 2013 wurde er Projektmanager »Lasten auf die Räder!« beim ökologischen Verkehrsclub VCD. 2015 startete er den Blog cargobike.jetzt und etablierte sich als freiberuflicher Lastenrad-Experte mit Projekten wie der Cargobike Roadshow, der Cargo Area @EUROBIKE und dem DLR-Testprojekt »Ich entlaste Städte«. Ende 2020 gründete er mit Martin Seißler die cargobike.jetzt GmbH als Verkehrswende-Agentur und Projektschmiede rund ums Lastenrad, die inzwischen auf zwölf Mitarbeiter:innen angewachsen ist. Im Januar 2022 wechselte Arne als Lastenradexperte zum Branchenverband Zukunft Fahrrad, um die politische Fahrradlobby zu stärken.
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