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Technik - E-Bike-Akkus

Zwischen Wunderwerk und Feuerwerk

Viele Menschen teilen heute eine große Begeisterung für aktuelle Akkutechnik. Seit Jahren macht der Bereich der Elektrochemie große Fortschritte, wenn es darum geht, immer leistungsfähigere und immer sicherere Akkus herzustellen. Das Fahrrad ist heute zwar nicht mehr Treiber dieser Entwicklungen, sie bewegen die Branche dennoch.

Ein Bereich, in dem selbst Laien die Fortschritte ablesen können, ist der verfügbare Energiegehalt der aktuellen Akku-Generationen am Fahrrad. Diese oft als Akkukapazität beschriebene Größe wächst seit vielen Jahren mit schöner Regelmäßigkeit. Lange galt eine Steigerung von fünf bis zehn Prozent pro Jahr als sicher. Inzwischen passen auf die gleichen Bauräume, die durch die Fahrradrahmen vorgegeben sind, sehr leistungsfähige Akku-Pakete. Die leistungsfähigsten Akkus von Bosch bringen aktuell 750 Wh Energiegehalt ans E-Bike, andere Hersteller schaffen noch mehr, und wenn es in den Cargo-Bereich und Doppel-Akkusysteme geht, lassen sich heute noch viel höhere Energiegehalte und damit auch Reichweiten erzielen. Das ist ein Glück für das Fahrrad, denn Experten erwarten, dass die »Kapazitäts«-Steigerungen in Zukunft nicht mehr in diesem Tempo stattfinden werden wie bisher. So taste man sich in bestimmten Bereichen bereits an die Grenzen heran. Das bedeutet aber nicht, dass nicht noch eine Menge zu erwarten ist.

Zellchemie im Blick

Ein großes Thema ist nach wie vor die Zellchemie. Schon länger in Verruf geraten ist das verbreitete Cobalt, dessen Abbau allzu oft eine schmutzige Angelegenheit ist und immer noch mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht wird. Seit Neuestem ist auch Nickel ein kritisches Metall, vor allem, weil es durch die aktuellen Russland-Sanktionen, aber eigentlich auch schon vorher, zu einem sehr teuren Rohstoff geworden ist, der die Preise in der Produktion deutlich nach oben treibt. Eine Tonne Nickel kostete an den Rohstoffbörsen vor einem Jahr unter 17.000 USD, mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine stieg dieser Preis kurzfristig auf über 100.000 USD, der Handel wurde zeitweise ausgesetzt. Auch wenn dieser Anstieg nicht nur mit der Nachfrage zu tun hat, sondern zu einem guten Teil durch Rohstoffspekulationen zustande kam und sich nun wieder auf etwa 27.000 USD reduziert hat, erwartet kaum jemand, dass sich das Preisniveau auf absehbare Zeit wieder sehr viel tiefer bewegen wird.
Der Grund, warum diese Metalle so wichtig für die Akkuherstellung sind, ist ihre Bedeutung für die Energiedichte in den Zellen. Die Umwelt- und Preisprobleme sorgen aber schon seit Längerem dafür, dass nach Alternativen gesucht wird. Tatsächlich gibt es sie auch bereits. Zum einen wird Zellchemie entwickelt, die mit weniger dieser Rohstoffe auskommt, zum anderen werden auch ganz andere Ansätze verfolgt.

Langlebigkeit und Gewichtsfragen

Matthias Behlke, Geschäftsführer bei AES Akku Energie Systeme, hat sich mit seinem Unternehmen insbesondere dem Lithium-Eisenphosphat-Akku (LiFePO4 bzw. kurz LFP) verschrieben. Diese Akkus glänzen damit, dass sie einerseits nicht so leicht entflammbar sind. Die Charakteristik dieser Zellen unterscheidet sich von den Lithium-Ionen-Akkus, die derzeit noch die häufiger eingesetzten Zelltypen darstellen. Der Grund, warum sich das Unternehmen für die LFP-Zelle entschieden hat, war nicht zuletzt die professionelle Zielgruppe, die man ansprechen wollte. Zu den Kunden gehört etwa die Deutsche Post mit ihren Lastenrädern, ebenso wie zahlreiche andere Lastenradhersteller. Für diese gehe es darum, ein Fahrzeug herzustellen, das langlebig, zuverlässig und sicher ist. So habe man etwa die Post gewinnen können, weil ihr zuvor Stützpunkte aufgrund von Akkuproblemen abgebrannt sind, insbesondere durch die Cobalt enthaltenden Zellen. »Unsere brennen nicht«, nennt er knapp einen der wesentlichen Vorteile von LFP-Zellen. Zumindest geschieht dies nicht so einfach. Ein weiteres Plus ist die lange Haltbarkeit. 2500 bis 3000 Vollladezyklen werden im Prospekt bei alltäglicher Nutzung angegeben, die Post erreiche in der Praxis auch mal deutlich mehr. »Wir geben keine größeren Zyklenzahlen an, weil das Zeiträume sind, die die meisten gar nicht mehr überblicken können.«


_Der Aufwand bei der Akkuentwicklung erschöpft sich nicht bei der Zellchemie, das gesamte Paket wird vielfältig abgesichert. _

So bekomme man nun die ersten Packs zurück, die nach 11 bis 12 Jahren im Posteinsatz mit 300 Vollzyklen im Jahr immer noch über 85 Prozent ihrer Kapazität verfügen. Das sorgt für langfristig geringen Verschleiß und hohe Kundenzufriedenheit. Dass diese Packs doch entsorgt werden, hat oft optische Gründe. »Wir verfolgen inzwischen auch eine Second-Life-Strategie«, erklärt Behlke. Bei AES Akku Energie Systeme werden auch Energiespeicher gebaut. Diese werden bestückt mit Akkus, die vermietet und nach sechs Jahren zurückgerufen wurden, um die Zellen dann dort einbauen zu können.
Natürlich haben die LFP-Zellen auch gewisse Einschränkungen. Die Energiedichte ist geringer als bei NMC und anderen Zellchemie-Zusammensetzungen. Am Lasten- und Schwerlastrad spielt das keine besondere Rolle, an einem typischen Postrad werden rund 1,3 kWh Energie in zwei Akkus gepackt, aber in den Standard-E-Kategorien, wo das Gesamtgewicht relevanter ist, ist dies deutlich anders. Ob sich dieser Gewichtsunterschied auf ein Maß reduzieren lässt, bei dem es nicht mehr ausschlaggebend ist, wird sich noch zeigen. Behlke ist da recht optimistisch: »LFP hat sich ganz stark weiterentwickelt.

»Je besser ein Gesamtsystem aufgebaut ist, desto sicherer ist es auch.«

Matthias Behlke, AES Akku Energie Systeme

Als wir vor zwölf Jahren angefangen haben, hatten wir 90 Wh pro Kilogramm an Energiemenge. Heutzutage sprechen wir von 150 bis 160 Wh pro Kilogramm in Normalzellen. Im Automobilbereich geht es inzwischen schon bis auf 180 Wh/kg.« Cobalt-Zellen lagen damals bei 130 bis 140 Wh/kg und sind heute bei 200 bis 210 Wh/kg angelangt. »Der Abstand wird kleiner und unbedeutender«, stellt Behlke fest.

Sicherheit der Akkus ist entscheidend

Im Handel gibt es manchmal die Situation, dass ein Kundenfahrzeug auftaucht, bei dem man nicht weiß, womit man es zu tun hat. Hier ist grundsätzlich höchste Aufmerksamkeit geboten. Dem Risiko, einen Brand zu riskieren, wird sich kein Händler aussetzen. Um die Lage besser einschätzen zu können, lohnt es manchmal, auf die Details zu achten.
Behlke gibt eine Faustregel mit, wenn es um die Einschätzung geht, welchen Zelltyp man vor sich hat: »Eine Zelle mit weniger als drei Amperestunden ist in der Regel eine NMC-Zelle, über drei Amperestunden ist es NMA. Letztere sind potenter, aber auch häufiger von einem ›thermal runaway‹ betroffen.« Natürlich entscheidet auch die Produktionsqualität der Zelle und des gesamten Akkupacks darüber, ob eine Gefahr besteht.
Gerade bei sehr günstigen Fernost-Akkus sind die Verarbeitung und Sicherheit nicht immer auf der Höhe, die angesichts des Gefahrenpotenzials geboten ist. »Es hat viel mit der Verarbeitungsqualität, der Güte und Selektion der Komponenten, insbesondere der Zellen zu tun, wie sicher das Gesamtsystem ist«, erklärt Behlke.
»Ehrenhalber muss man sagen, je besser ein Gesamtsystem aufgebaut ist, desto sicherer ist es auch.« Es gebe natürlich auch sehr lobenswerte Beispiele in der Branche, dabei sei auch Bosch zu nennen.
Wie viel Aufwand bei der Batteriesicherheit getrieben wird und welche Maßnahmen dabei möglich sind, erklärt Bosch E-Bike Systems selbst: »Das Batterie-Management-System (BMS) überwacht die Batterie fortwährend, erkennt potenzielle Fehlerquellen und schützt die Zellen vor Überlastung. Erkennt das System ein Problem, etwa eine zu hohe Temperatur, schaltet es den Akku automatisch ab. Das BMS ist mit weiteren Sicherheitstechnologien kombiniert, die im Akku verbaut sind: der mechanischen, elektrischen und thermischen Trennung. Die einzelnen Zellen eines E-Bike-Akkus von Bosch E-Bike Systems sind mit schwer entflammbarem Kunststoff ummantelt, der mechanischen Trennung. Im seltenen Fall, dass innerhalb einer Zelle ein Kurzschluss entsteht, sorgt dieser Mantel für den Schutz der anderen Zellen. Die elektrische Trennung dient als integrierte Sicherung. Sie sorgt für eine elektrische Unterbrechung, sollte der Stromfluss zwischen den Zellen zu hoch sein. Die einzelnen Zellen sind zudem durch eine thermische Trennung gesichert. Durch die vollständig ummantelten Zellen und zusätzliche Trennelemente wird das Risiko einer Überhitzung im Akku und einer möglichen thermischen Kettenreaktion zwischen den einzelnen Zellen verringert. Das ermöglicht im Falle einer Gasentwicklung im Akku einen geregelten Ablauf: Das Gas kann über eine Sollbruchstelle kontrolliert entweichen und greift so nicht auf andere Zellen über.«

Wunder gibt es immer wieder

Wer sich lange genug mit Akkutechnik beschäftigt, bemerkt nach einer Weile, dass es daneben in der Akkuwelt immer noch den großen Bereich der optimistischen Zukunftsprognosen gibt, der regelmäßig Schlagzeilen schreibt. Dort treffen sich dann die ganzen Wundertechnologien, die allesamt »kurz vor dem Durchbruch« stehen oder binnen zehn Jahren die ganze Speichertechnik revolutionieren werden – oder auch nicht. Letztlich handelt es sich sehr oft um Marketing von Institutionen, Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die sich Aufmerksamkeit und in der Folge finanzielle Unterstützung für ihre Arbeit erhoffen. Als weitere Faustregel lässt sich festhalten, dass je weiter die Zeitangaben bis zur industriellen Produktion in der Zukunft liegen, ihre Realisierbarkeit insgesamt desto unwahrscheinlicher ist. So wird etwa die Feststoff-Batterie seit langen Jahren gehypt, aber nach wie vor ist noch kein fertiges Produkt verfügbar. Aber genau diese Risiken, Chancen und Ungewissheiten sind es, die dieses ganze Feld so spannend machen. Der Weg zur aktuellen Akkutechnologie ist gepflastert mit guten Ideen, die es nie aus dem Labor heraus geschafft haben. Als Fahrradbranche ist man also gut beraten, in diesen Dingen nicht auf den nächsten Durchbruch zu warten und die verfügbaren Zellen einzusetzen, die am besten die Anforderungen erfüllen. Diese Produkte gibt es für die meisten typischen Fahrradansprüche schon heute. //

2. Juni 2022 von Daniel Hrkac

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