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Wohin mit den vielen neuen Fahrzeugen? Frage ans Forum in Hannover.
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Deutsche Messe mit neuem Format

Micromobility Expo macht Appetit auf mehr

Auf der Micromobility Expo in Hannover gab es vom 2. bis 4. Mai an zwei Fachbesuchertagen und einem Publikumstag einen Mix aus Konferenz, Ausstellung und Teststrecken. Im Mittelpunkt: elektrische Kleinst- und Leichtfahrzeuge wie E-Tretroller. Die liefen E-Bikes und Lastenrädern erst mal den Rang ab.

Wohin mit den vielen neuen Fahrzeugen? Frage ans Forum in Hannover.Velofactur mit einem XL-Cargo-LastenanhängerE-Cargobike A.N.T. der ZEGE-Cargobike A.N.T. als PostradVW E-CargobikeMichael Urban von EuroradCargo-Bike-Aufbau von Sortimo

Mit ihrem Anspruch „die Mikromobilität in den Städten zu fördern sowie flexible und umweltfreundliche Lösungen mit elektrischen Kleinst- und Leichtfahrzeugen zu präsentieren“ liegt die Deutsche Messe wohl im Trend. Das zeigten Gespräche mit Ausstellern und Gästen und vor allem auch die vergleichsweise hohe Beachtung in den Medien.

Messe zeigt sich zufrieden und gibt Fortsetzung bekannt

Zufrieden mit dem Ergebnis zeigte sich auch die Messe selbst: Immerhin zogen die rund drei Dutzend Aussteller nach Veranstalterangaben 3.000 Besucher in die drei vergleichsweise kleinen Pavillons des Messegeländes. „Damit liegen wir über unseren Erwartungen“, so Dr. Andreas Gruchow, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Messe AG, in der Abschlussmitteilung. Die positive Stimmung in den Pavillons, das starke Interesse an den Fachvorträgen sowie der große Andrang auf den beiden Teststrecken habe gezeigt, dass es einen Bedarf für eine solche Veranstaltung gebe. „Wir werden das Format der Messe konsequent weiterentwickeln, mit Blick auf den wachsenden Markt neue Themenschwerpunkte setzen und die internationale Beteiligung ausbauen." Der nächste Termin 14. bis 16. Mai 2020 steht schon im Kalender und die Premiere machte auf jeden Fall Appetit auf mehr. Mehr Austeller, mehr Marken, mehr B2B-Angebote und mehr Flächen für ausgiebige Tests.

Hohe Qualität der Besucher und Gespräche

Allgemein gelobt wurde die Messe als Plattform zur Information, Vernetzung und Anbahnung von Geschäften. Sehr zufrieden mit dem Verlauf und den Ergebnissen des ersten Messetags zeigten sich zum Beispiel Franz Tepe, Leiter Marketing und Werbung der ZEG, sowie Rüdiger Wiele, Geschäftsführer der Firma Velofactur, die sich im E-Bike-Sektor mehr und mehr als Mobilitätsanbieter positioniert. Sie traten neben Volkswagen und dem Unternehmen Sortimo, das sich auf die Ausstattung von Nutzfahrzeugen spezialisiert hat, als einer der wenigen Anbieter im boomenden Bereich der B2B-Cargobikes auf und zogen damit einige Aufmerksamkeit auf sich. Vom Interesse an Elektromobilität und elektrischen Kleinstfahrzeugen beeindruckt zeigten sich auch viele weitere Austeller und Experten, wie Markus Emmert vom Bundesverband eMobilität (BEM): „Insgesamt ein sehr guter Startschuss. Die Auftaktveranstaltung hat gutes Potenzial für eine regelmäßige Ausrichtung, und die Chance, sich zukünftig als Leitmesse zu positionieren.“

Kommunen als Treiber einer neuen Mobilität

Mit dem festzustellenden wachsenden Interesse von Kommunen, IHKs, Unternehmen und Verwaltungen an den Themen Mikromobilität inklusive neuer Lösungen für den Lastentransport ergeben sich neue Chancen für die Fahrradindustrie. Vom Hersteller über Leasing- und Serviceanbieter bis hin zu spezialisierten Fachläden. „Die Kommunen stehen unter einem hohen Druck neue Mobilitätskonzepte umzusetzen“, konstatierte dazu Prof. Dr. Stephan Rammler, Wissenschaftlicher Direktor vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin im Eröffnungsgespräch. Sie seien die neuen wichtigen Akteure im Mobilitätsbereich, weil sie gezwungen seien sich sehr stark zu bewegen und die Probleme der Menschen vor Ort anzugehen. Sein Credo und Leitfaden für die Zukunft: „Mobilität wird nur dann gut funktionieren, wenn sie eine nachhaltige Mobilität ist. Entscheidend ist, wo wir hinwollen. Wir setzen heute schon dazu die Parameter.“ Beste Voraussetzung also für die Bike-Industrie mit ausgereifter und erprobter Technik, attraktiven Designs, digitaler Vernetzung und neuen Service-Angeboten zu punkten.

Neue E-Bike-Angebote im B2B-Bereich

  • ZEG: Bereits auf der letztjährigen Hausmesse hat die ZEG mit ihrer Tochter Eurorad das für den Heavy Duty-Einsatz konzipierte E-Cargobike A-N.T. als Prototypen vorgestellt. Auf der Messe kam das für den professionellen Dauerbetrieb unter hohen Lasten ausgelegte Trike, das in Kürze in größerer Serie produziert werden soll, gut an. Laut ZEG Marketing-Mann Franz Tepe als Postbike genauso wie für den Handwerkereinsatz oder bei Abfallwirtschaftsbetrieben. Imponierend: Videos vom Härtetest auf dem Velotech.de-Rollenprüfstand.

  • Eurorad „sharea“: Ein neues integriertes Konzept für das Bikesharing im kleinen Stil, zum Beispiel innerhalb einer Firma oder einer Wohnanlage, präsentierte Michael Urban von der ZEG-Tochter Eurorad. Mit Hilfe einer App und einer intelligenten Elektronik im E-Bike inklusive GPS sei es problemlos möglich ohne großen Aufwand den Verleih einer skalierbaren Flotte verschiedener E-Bikes zu managen. Erste Pilotprojekte des Angebots sharea würden in Kürze anlaufen.

  • Velofactur: Die Velofactur GmbH will sich als Lösungsanbieter für maßgeschneiderte Mobilitätsprojekte von Kommunen, Verkehrsunternehmen, touristischen Leistungsträgern etc. positionieren und zeigte unter anderem ein kombiniertes Abschließ- und Ladesystem für E-Bikes inklusive Software und Services. Beeindruckend waren die Fahr- und Bremseigenschaften des vorgestellten kompakten Lastenrads in Verbindung mit einem XL-Lastenanhänger.

  • VW: Als Konferenzteilnehmer und Aussteller mit zwei Lasten-E-Bike-Varianten unterstrich das in Hannover mit 15.000 Mitarbeitern vertretene Unternehmen Volkswagen Nutzfahrzeuge seine avisierte neue Rolle im Bereich Mikromobilität. Zum Test bereit standen die beiden neuen Serienversionen der im September 2018 vorgestellten E-Cargobikes (velobiz.de berichtete) für die letzte Meile. Laut Pressemitteilung will VW Nutzfahrzeuge mit den neuen Cargobikes noch in diesem Jahr in den Markt einsteigen. Nicht gezeigt wurden hingegen die beiden auf dem diesjährigen Genfer Autosalon vorgestellte Scooter-Protypen.

Hype um E-Tretroller?

Spätestens seit sie den Sprung aus den milliardenschweren US-amerikanischen Start-up-Inkubatoren auch auf den europäischen Kontinent geschafft haben und hier zu Tausenden europäische Großstädte fluten, sind E-Scooter auch bei uns zum Hype avanciert. Das zeigte sich auch auf der Messe, wo sie den anderen Fahrzeugkategorien an den Ständen und auf dem Testgelände scheinbar mühelos den Rang abliefen. Tatsächlich verfügen sie grundsätzlich über jede Menge Sex-Appeal: Angefangen beim Design, wie zum Beispiel beim Anbieter Flash mit LED-Unterbodenbeleuchtung, über die hohe Verfügbarkeit im Rahmen von Sharing-Systemen, die Mitnahme im ÖPNV und sicher vor allem auch der Möglichkeit, auf Boulevards, Plazas oder Piazzas zu fahren, die für alle anderen Verkehrsmittel strikt verboten sind.

Neue E-Scooter mit Risiken und Nebenwirkungen

Dass die neuen E-Roller zwar einerseits attraktiv und zeitgeistig, anderseits außerhalb einer idealen Welt aber nicht ohne ungelöster Probleme, Risiken und Nebenwirkungen sind, zeigten die Testfahrten auf dem Gelände und vor allem die Diskussionsrunden im Panel. Hier kam die Fahrsicherheit ebenso zur Sprache, wie die Frage, wohin man denn mit den vielen neuen Fahrzeugen solle. Auch die Mitnahme im ÖPNV und der Bahn als Grundvoraussetzung für die Sinnhaftigkeit kam zur Sprache.
Ohne auf alle Details eingehen zu können: Immer mehr Metropolen, wie Madrid oder Wien und Länder wie jüngst Frankreich, rudern aufgrund der negativen Erfahrungen inzwischen vehement zurück und wollen die Nutzung der E-Roller zumindest auf Gehwegen, oder auch im Dunkeln oder bei Starkregen (in Rom) verbieten. Auch in Deutschland gibt es nach dem Vorpreschen des Bundesverkehrsministers von Seiten der Kommunen, Länder und verschiedener Experten und Verbände massive Bedenken. Denen schließt sich Berichten zufolge inzwischen auch das Verkehrsministerium an (Stand 7.5.2019).
Mit der Verbannung auf die Straße oder die Radwege sinkt die Attraktivität wahrscheinlich jedoch drastisch. Konflikte und Unfälle, gerade auch aufgrund der kleinen Räder, die einfach nicht zum schlechten Zustand der Wege passen wollen, scheinen vorprogrammiert. Und zuletzt: Eine Beförderung versicherungspflichtiger Fahrzeuge (und genau die ist vom Verkehrsministerium für die neue Kategorie geplant) lehnen Verkehrsverbünde in Deutschland, ebenso wie die Bahn, bislang ab.
Zwischenfazit: Roller-Hype hin oder her. Vor dem Hintergrund der genannten Probleme könnten sich mittelfristig Kompakt- oder Klappräder mit und ohne Motor als Matchwinner durchsetzen. Auch wenn sie auf der Messe von den meisten Besuchern (noch) links liegen gelassen wurden: Im Fahrbetrieb bleiben Sie den Rollern deutlich überlegen.

7. Mai 2019 von Reiner Kolberg
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