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AGFK & Co. bieten eine Chance für den Handel
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Schulung - Fahrradfreundliche Kommunen

AGFK & Co. bieten eine Chance für den Handel

In vielen Orten gibt es Strukturen, die Fahrradhändlern neue Möglichkeiten zur Kundengewinnung und -bindung eröffnen. Doch oft bleiben diese ungenutzt. Ein Beispiel ist die wachsende Zahl der Arbeitsgemeinschaften fahrradfreundlicher Kommunen: Netzwerke, in denen Händler mitreden und mitgestalten könnten. Wer sich dort einmischt, Vorschläge macht und sich an Aktionen beteiligt, stärkt nicht nur das Image der Kommune, sondern auch sein eigenes als ortsansässiger Fahrradexperte.

Die auf Länderebene organisierten Arbeitsgemeinschaften fahrradfreundliche Kommunen wollen den Fahr-
radverkehr in den Städten und Gemeinden voranbringen. Den Vorreiter dieser Bewegung gibt es bereits seit 1993 als AGFS in Nordrhein-Westfalen. Ähnliche Arbeitsgemeinschaften sind inzwischen auch in Bayern, Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen und anderen Bundesländern entstanden. Die bayerische AGFK ging beispielsweise 2012 mit 38 Mitgliedern an den Start. Heute zählen zum Netzwerk 65 Städte, Landkreise und Gemeinden im Freistaat, die ca. 5,3 Millionen Einwohner vertreten.
»Um überhaupt Mitglied in der AGFK werden zu können, mussten wir neben vielen anderen Anforderungen auf politischer Ebene entsprechende Beschlüsse hinsichtlich der Radverkehrsförderung fassen«, erzählt Martin Korndoerfer, der in der südbayerischen Stadt Kolbermoor für Klimaschutz und Bautechnik zuständig und aufgrund der Mitgliedschaft in der AGFK Radverkehrsbeauftragter ist. Der Stadtrat entschied sich 2016, diesen Weg zu gehen. Derzeit wird zusammen mit dem Institut für innovative Städte an einem Radverkehrskonzept gearbeitet, das für jedes AGFK-Mitglied verpflichtend ist. Spätestens 2021 soll die Stadt im Alpenvorland als »fahrradfreundliche Kommune« anerkannt werden.

Hinter der »fahrradfreundlichen Kommune« steckt viel Arbeit

Ziel jedes AGFK-Mitglieds ist es, die Lebensqualität der Bürger durch mehr Fahrradfahren zu erhöhen und den Fahrradtourismus zu stärken. »In der praktischen Stadtplanung geht es dann z.B. auch darum, Querverbindungen zwischen Hauptverkehrsrouten voranzutreiben, die dann nur von Fußgängern und Radlern genutzt werden dürfen. Solche Vorhaben sind manchmal gar nicht so leicht durchzusetzen, weil hier in die Bebauungs- und Flächennutzungspläne zuerst für die betreffenden Grundstücke ein entsprechendes Vorkaufsrecht der Stadt eingetragen werden muss. Auch wenn dieses Vorkaufsrecht unter Umständen erst Jahrzehnte später zum Tragen kommt, müssen dafür auch oft noch Bedenken, dass das Grundstück an Wert verlieren könnte, aus dem Weg geräumt werden«, berichtet Martin Korndoerfer von seiner Arbeit. »Und bei Neubauten möchten wir zukünftig den Stellplätzen für Fahrräder mehr Bedeutung beimessen. In Kolbermoor gilt bisher, dass in diesen Fällen vom Bauherrn eine wesentlich geringere Anzahl an Fahrradstellplätzen wie an Autoparkplätzen bereitgestellt werden müssen. Das soll sich ändern: Wir möchten keinen Unterschied mehr zwischen Autos und Fahrrädern machen. Auch Qualitätsstandards bei den Fahrradstellplätzen festzusetzen, wäre sinnvoll.« Unter dem Vorzeichen Infrastruktur werden aber auch Radwege aus- oder neugebaut, neue Abstellanlagen für Fahrräder im städtischen Raum eingerichtet, eine durchgehende Beleuchtung der Fahrradwege garantiert, Fahrradstraßen ausgewiesen und Radschnellwege in Angriff genommen. Jede Maßnahme für sich ist eine indirekte Verkaufsunterstützung für ortsansässige Fahrradhändler.

Serviceleistungen, die den Händlern Vorteile bieten

Damit auch jeder von der Fahrradfreundlichkeit der angeschlossenen Kommunen erfährt, werden von diesen auch Serviceleistungen erbracht. So erstellen sie neue Stadtpläne für Radfahrer und organisieren den Winterdienst fahrradfreundlich. Kooperationen mit Nachbargemeinden führen mancherorts dazu, dass Fahrräder in Bus, Bahn oder sogar im Schiff im Idealfall kostenlos mitgenommen werden können. Diese Maßnahmen stärken den Fahrradverkehr vor Ort und den Fahrradtourismus. Auch eine einheitliche Beschilderung der Radwege folgt diesem Ziel. Manche Gemeinden wie z.B. Gunzenhausen verfügen zudem über mobile Fahrradparker, die Fahrradhändler ausleihen können, wenn sie beispielsweise eine Fahrradmesse vor Ort initiieren möchten.
Der Kolbermoorer Radverkehrsbeauftragte Korndoerfer bietet Händlern bei gemeinsamen Aktionen darüber hinaus an, einen Teil der Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen. Zum einen verfügt er in der Stadt über die notwendigen Kanäle, zum anderen schult die AGFK Bayern die Radverkehrsbeauftragten der Kommunen speziell darin.

ADFC vertritt in der AGFK die Interessen der Bevölkerung

Neben den Städten, Landkreisen und Gemeinden vertritt in Bayern der ADFC in Person ihres Ehrenvorsitzenden Armin Falkenhein die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im AGFK-Beirat: »Vorrangiges Ziel des ADFC ist es, die Interessen und die Erfahrung der vom ADFC vertretenen Radlerinnen und Radler in die Arbeit der AGFK einzubringen. Ziel der Zusammenarbeit ist es zudem, durch ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen wirkungsvoller zu sein. So oft wie möglich wollen wir mit einer Stimme gegenüber der Landespolitik, den Ministerien, aber natürlich auch in den Kommunen die Interessen für mehr Radverkehr vertreten. Letztlich wollen wir mit der Zusammenarbeit auch zeigen, dass die AGFK in Bayern wichtig ist und wertvolle Arbeit
leistet.«

Wo bleibt der Fahrradfachhandel?

Dass die AGFK auch an den Fahrradfachhandel denkt, zeigt die Zusammensetzung des Beirats, wo sich Erika Gruber, Inhaberin von Zweirad Gruber in Gunzenhausen, für die Interessen des Einzelhandels einsetzt: »Man kann viel bewegen, wenn man an einem runden Tisch mit Fahrradfachhandel und Kommune spezielle Themen wie Radverkehr und Verkehrssicherheit, die auf den Nägeln brennen, bespricht und mit den verschiedenen Ansprechpartnern abstimmt und zusammenführt.« Erika Gruber blickt mit ihrer Einschätzung auf eine 40-jährige Erfahrung zurück, denn sie arbeitete bereits mit der Kommune zusammen, als die AGFK Bayern noch nicht einmal angedacht wurde. Bei einigen anstehenden Aufgaben sieht sie sogar den Fahrradfachhandel als alleinigen Akteur. »So sollte das Pedelec-Verleihsystem nicht von Kommunen, sondern von wirtschaftlichen Akteuren übernommen werden«, ist sie überzeugt.
Auch dem Vorsitzenden der AGFK Bayern und Landrat des Landkreises Fürth Matthias Dießl ist der Fahrradfachhandel wichtig: »Die Mitgliedschaft der Kommunen in der AGFK bietet auch für die örtlichen Fahrradfachhändler enorme Chancen. Ich hoffe, dass der Einzelhandel dieses Potenzial erkennt und beispielsweise mit Aktionen und Kooperationen unterstützt, wenn Städte und Gemeinden sich für mehr Fahrradfreundlichkeit einsetzen und eine Mobilitätsveränderung anstreben.«
Martin Korndoerfer aus Kolbermoor sieht ebenfalls gute Möglichkeiten, wie der Fahrradfachhandel von einer fahrradfreundlichen Kommune profitieren kann: »Aus meiner Sicht, gibt es viele Überschneidungen der Interessen von Fahrradhändlern und der Kommunalverwaltung. Die Stadt möchte die Bürger für die umwelt- bzw. klimafreundliche, platzsparende, unterhaltsarme, kostengünstige und gesundheitsfördernde Mobilitätsvariante begeistern, natürlich mit verkehrssicheren Fahrzeugen, und die Fahrradhändler haben ein Interesse neue Modelle vorzustellen, Kaufanreize zu setzen und vom After-Sales-Service zu profitieren.«
Wie Kooperationen zwischen Fahrradfachhandel und Bürgerinnen und Bürger aussehen könnten, zeigte Zweirad Gruber in den Sommermonaten dieses Jahres: Monatlich fand auf dem eigenen Firmengelände ein Fahrradflohmarkt statt. Eine Aktion, die wiederum die Kommune stärkt. Das weiß auch Armin Falkenhein vom ADFC: »Fahrradfreundliche Kommune zu werden, ist ein Prozess und auch nicht mit der Anerkennung als fahrradfreundliche Kommune durch die AGFK abgeschlossen. Der Prozess ist umso erfolgreicher, je mehr Beteiligte vor Ort ihn unterstützen. Die Kommunalpolitik ist auf eine breite Unterstützung angewiesen. Auch Händler sollten sich dabei direkt mit einbringen. Sehr hilfreich ist es auch, wenn sie als Mitglied der IHK dort für Unterstützung für mehr Radverkehrsförderung werben. Bessere Bedingungen für den Radverkehr schaffen ja auch eine breitere Nachfrage nach Fahrrädern. Davon können Fahrradfachhändler profitieren.«
Das sogenannte »Stadtradeln – Radeln für ein gutes Klima« bietet eine weitere Möglichkeit, sich als Händler zu engagieren, da die Aktion meist mit einer öffentlichen Auftakt- und einer Abschlussveranstaltung einhergeht. Diese Kampagne des »Klima-Bündnisses der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder/Alianza del Clima e.V.« wird von vielen AGFKs übernommen und praktisch umgesetzt. Sie umfasst 21 aufeinanderfolgende Tage, die zwischen dem 1. Mai und 30. September liegen müssen. Bei diesem Wettbewerb schließen sich Bürgerinnen und Bürger einer Stadt oder Gemeinde zu Teams zusammen und radeln so viele Kilometer wie möglich. Ein Ranking ermittelt am Ende die fahrradfreundlichste Kommune.

10. Dezember 2018 von Dorothea Weniger
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