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Technik - Serielle Hybride

Auf dem Weg zum Standardantrieb?

Vor zehn Jahren wurde der erste serienreife serielle Hybrid-Antrieb fürs Fahrrad vorgestellt. Heute sind viele dieser mechanikfreien Systeme marktreif. Wird der serielle Hybrid sich durchsetzen? Und wenn ja, in welchem Bereich?

Eurobike, vor zehn Jahren: Auf einer Pressekonferenz wurde ein Fahrzeug mit einem Antrieb ohne Kette und Riemen vorgestellt. Seine einzigen mechanischen Teile waren Pedale und Kurbeln. Nach der Präsentation durfte ausprobiert werden. Viele Tester stiegen ratlos wieder vom aus runden Formen wohldesignten Kompaktrad. Es funktionierte, aber das Pedalieren hatte mit Radfahren wenig zu tun. Die gefühlte Verbindung zwischen eingesetzter Pedalkraft und Vortrieb fehlte komplett. Das war verwirrend. Wer dagegen 2021 oder 22 auf der Eurobike einen der aktuellen seriellen E-Hybride gefahren ist, konnte feststellen, dass sich einiges zum Guten verändert hatte. Gleichzeitig haben die Hersteller das System zum zukünftigen Hauptdarsteller einer neue Bike-Sparte auserkoren – und das nicht ohne Grund, wie wir sehen werden.

Radschnellweg in die Zukunft?

Macht das System energetisch Sinn? Allgemein spricht man von einem geringeren Wirkungsgrad dieser Systeme. Doch das scheint nur die halbe Wahrheit. Hannes Neupert, Gründer und Leiter des Vereins Extraenergy meint: »Der Wirkungsgrad des Menschen nimmt sogar zu.« Dadurch, dass der mechanische Widerstand von Kette, Zahnkranz und Ritzel wegfällt, kann das System energieeffizienter arbeiten. Laut Neupert eine Herausforderung ist allerdings, dass »Akkus höhere Energiemengen hinein- und herauslassen können müssen als bei Parallelhybriden«. Das erscheint logisch, denn die Energie vom Pedal-Generator geht zunächst in den Akku, gleichzeitig muss der den Motor beliefern. Doch Neupert ist sich sicher, »der Serielle Hybrid wird den Markt, beginnend beim Lastenrad, komplett umkrempeln«. Bekannt für seine pointiert präsentierten Visionen, fügt er hinzu: »Mechanische Fahrräder werden nur noch das Zeug zum Liebhaberobjekt für Nostalgiker oder als Staubfänger und Deko-Element haben«. Als Kenner der Szene spricht Neupert heute bereits von etwa 25 Unternehmen, die serielle Hybridsysteme in Kürze anbieten werden. »Und es gibt noch viele mehr, die gerade so etwas entwickeln.«

»Die Oma fährt so schnell wie ein Radsportler«

Das Unternehmen Mando ist einer der weltweit größten Autozulieferer und gehört zur südkoreanischen Halla-Gruppe.

Keine Ketten, keine Ritzel und keine Kettenblätter: Der serielle Hybrid-Antrieb ist eine Entwicklung, die insbesondere am Lastenrad über großes Potenzial verfügt.

Der Pionier in Sachen serieller Hybrid hatte 2012 bei der Präsentation des Footloose die Perspektive der Radfahrenden außer Acht gelassen – das Feedback der Pedale fehlte. »Funktioniert hat das System ja damals schon zuverlässig«, sagt Tilo Dinger vom Business Development des Unternehmens. Dort entschied man, sich vor allem auf den stark wachsenden Cargo-Bereich zu konzentrieren, der vom klassischen Zweirad bis hin zu vielen innovativen Konzepten der neuen Mobilität reicht. Anders als beim sportlich orientierten Rad ist das direkte Feedback des Antriebs für den Fahrer oder die Fahrerin hier sekundär.
»Man kann das System ganz frei konfigurieren«, so Dinger. »Die Oma kann, je nach Einstellung, genauso schnell fahren wie der Radsportler«, denn das System entkoppelt die Tretleistung von der Fahrgeschwindigkeit. Derzeit hat das Unternehmen etwa 20 Partner, die auf den Mando-Antriebsstrang aus Generator, Kabel, Batterie und Motor setzen. Mittlerweile liefert Mando auch einzelne Komponenten wie Generator oder Kabelbaum an OEMs. »Wir müssen da lernen, umzudenken«, gesteht Dinger, »auch weil wir in unseren andern Geschäftszweigen Millionen-Stückzahlen gewöhnt sind.« Trotzdem ist man beim Unternehmen überzeugt, dass der entstehende Markt bald enorm anwachsen wird. Schon durch die Lieferdienste, die auf kleine, wendige, aber umweltfreundliche Fahrzeuge angewiesen sein werden. Die Städte sind heute schon dabei, die Infrastruktur in diese Richtung zu verändern. Lieferdienste sollen einen Großteil der aktuellen und künftigen Partner ausmachen, die Dinger aber momentan noch nicht nennen kann.

Je schwerer ein Fahrzeug ist, desto häufiger stehen wartungsarme Antriebssysteme im Pflichtenheft. Dies ist die große Stärke des seriellen Hybrids.

Gerade für sie bringt ein anderer Aspekt noch weitere Vorteile: Die Digitalität des Antriebs und die damit mögliche absolute systematische Vernetzung. »Jede Komponente kann sich mitteilen«, so Dinger. »Das System kann dir bald sagen, wie du in jeder Situation fahren musst! Die Zeichen für die Zukunft stehen also sehr gut«, so sein Resümee. Das klassische Pedelec wird zwar Marktanteile verlieren, aussterben wird es aber nach Meinung des Vertrieblers nicht. Dazu hat die Mechanik wohl doch zu viele Fans.

Garant für großes Volumen und viel Designfreiheit

Aktuell wird der neue Antrieb vor allem als Geschenk für das Schwerlastenrad angesehen. Auch Nachrüstmotor-Hersteller Pendix hat auf der Eurobike einen seriellen Hybrid für drei- und vierrädrige Lastenräder vorgestellt (Velobiz Magazin 8/2022). Dabei übernimmt der angepasste Pendix-Nachrüstmotor die Aufgabe des Generators. Beim Lastenrad spielt das System seinen Platzvorteil besonders stark aus. Die Ladefläche kann kon­struktiv tiefer gelegt, das Volumen durch den fehlenden Antriebsstrang vergrößert werden. Der Aspekt der Wartungsfreiheit ist für gewerblich genutzte Cargo-E-Bikes besonders wichtig und ein starker ökonomischer Faktor.

»Mechanische Fahrräder werden nur noch das Zeug zum Liebhaberobjekt für Nostalgiker oder als Staubfänger und Deko-Element haben.«

Hannes Neupert

Auch die einfache Nutzung zweier Antriebsräder ist ein Vorteil. Anders als beim klassischen Antrieb muss hier beispielsweise kein Differenzial die unterschiedlichen Wege von linkem und rechtem Hinterrad in den Kurven ausgleichen.

Systemeinstellung je nach Nutzung

Eine Anwendung des Systems zeigt der Fahrzeughersteller Hopper Mobility mit einem Pedelcar, einem Dreirad mit Karosserie, das zwischen Auto und Fahrrad angesiedelt ist. »Für unser Fahrzeugkonzept wäre ein klassisches Pedelec-System mit Mittelmotor und klassischem Antrieb nicht sinnvoll«, erklärt Martin Halama, Gründer und Entwickler beim Unternehmen, »es wäre recht schwer, die Antriebsumlenkung würde uns in der Konzeption stark einschränken. Außerdem erfüllte es nicht unseren Anspruch an Wartungsfreiheit.« Als Partner hat man Mando, die den Generator und den Kabelbaum zusteuern, der Motor kommt vom Nabenantrieb-Spezialisten Heinzmann.
»In den niedrigen Gängen soll das System den Fahrer möglichst wenig Energie kosten, in den höheren soll man auch gefühlt sportlich unterwegs sein und dabei mehr Energie als für den Vortrieb nötig in den Akku einspeisen können«, so Halama.
Derzeit arbeitet man in Augsburg, wo der Hopper hergestellt wird, an der Pilotserie. Ende des Jahres soll dann die Serie starten, »wenn es keine Probleme mit den Lieferketten mehr gibt«, ergänzt Halama. Wie auch immer die Pedelcars angenommen werden, zumindest in Sachen Schwerlast-E-Cargobikes scheint die nächste Wegkreuzung tatsächlich in Richtung serieller Hybridantrieb zu gehen. Sie dürfte schon in nicht allzu weiter Ferne liegen. //

26. Oktober 2022 von Georg Bleicher

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