Drei Tage in der Denkfabrik
Bremen: E-Bikes elektrisieren auch in der Rezession
Die Meldung gleich vorab: Fahrrad.Markt.Zukunft. in Leipzig wird es wohl künftig nicht mehr geben, zumindest nicht in der bisherigen Form. Stattdessen wird bei den MessemacherInnen der Agentur VeloKonzept derzeit intensiv über einen neuen Zeitpunkt und eventuell auch über einen neuen Veranstaltungsort für eine Messe im Osten Deutschlands nachgedacht. Weitere Details wolle Agentur-Geschäftsführerin Ulrike Saade auf Nachfrage von velobiz.de noch nicht verraten. Auch nicht, ob somit vielleicht der schon häufiger geäußerte Branchenwunsch nach einer Publikumsmesse in der Bundeshauptstadt, also in Berlin, erfüllt wird.
Ein entsprechendes Vorhaben könnte dabei in der Branche durchaus auf fruchtbaren Boden fallen. Die Publikumsmesse in Bremen hat gerade erst wieder gezeigt, dass die Anbieter trotz der wieder aufgeflammten Messediskussion keinesfalls messemüde sind, wenn es um verbraucherorientierte Termine geht. Mit 12.400 Besuchern, rund 900 mehr als im Vorjahr, hat die Fahrradmesse in der Hansestadt jedenfalls bei den Ausstellern für hochzufriedene Stimmung gesorgt. Zumal fast unisono das rege Interesse der Bremer Besucher auch an hochpreisigen Fahrrädern gelobt wurde. Dem Eindruck, dass die Messe in diesem Jahr kleiner als in den Jahren zuvor war, widerspricht übrigens Messemacherin Ulrike Saade: Zwar wurde tatsächlich etwas weniger Ausstellungsfläche als im Vorjahr verkauft, allerdings bewege sich der Unterschied mit nur rund 50 qm im kaum wahrnehmbaren Bereich.
Zumal erstmals auch wieder ein Ausstellungsbereich nur für Händler dazu gekommen war, der beispielsweise von Hartje, Winora und TranzX für ihre E-Bike-Angebote genutzt wurde. Insgesamt rund 200 Händler nutzten am Samstag und Sonntag das Informationsangebot, bei dem mehrere Fachvorträge von E-Bike-Anbietern über deren jeweilige Technik und Produkte im Mittelpunkt standen.
Interessant war zudem auch eine Podiumsdikussion, die von Radmarkt-Chefredakteur Michael Bollschweiler moderiert wurde, und bei der Fahrradhändler Reiner Lange (Kappel und Lange, Rehden), Hartje-Produktmanager Ralf Dreher, Anke Namendorf von Koga sowie Biketec-Chef Kurt Schär über ihre Erfahrungen im E-Bike-Markt berichteten.
Mit Reiner Lange wurde dabei das bemerkenswerte Beispiel eines erfolgreichen Händlers im E-Bike-Segment gefunden. Im Jahr 2006 gingen bei ihm noch insgesamt vier E-Bikes über die Ladentheke, berichtete Lange, 2008 waren es schon über 200. Und seine größte Sorge sei gegenwärtig: „Wo bekommen wir die ganzen Räder her, die wir in diesem Jahr verkaufen wollen?“
Der E-Bike-Markt boomt. Die Frage ist nicht, ob der Markt wächst, sondern ob er sich heuer verdoppelt oder doch eher verdreifacht. Damit einher gehen bereits deutlich spürbare Lieferschwierigkeiten bei den führenden Anbietern. Gleichzeitig ist das Angebot im Markt mit dem aktuellen Modelljahr förmlich explodiert. „Heute hat jeder Hersteller im Markt auf Seite 87 im Katalog noch zwei Elektroräder stehen“, beschreibt Biketec-Frontmann Schär seine Beobachtung. Eine Entwicklung, die dem Schweizer übrigens keinesfalls Sorge bereitet: „Wenn man als Eisbrecher in einem Markt unterwegs ist und es kommen keine Boote hinterher, dann hat man auf den falschen Markt gesetzt.“
Ein deutlicher Tenor der Podiumsdiskussion – auch von Handelsseite - war, dass die Technik inzwischen so ausgereift ist, dass sie auch vom so genannten „dümmsten anzunehmenden User“ problemlos bedient werden kann. Noch ein wenig Nachholbedarf besteht hingegen wohl im Handel, denn wer E-Bikes nur mal eben so mitverkauft, werde den Anforderungen dieses Marktes nicht gerecht. So unterschiedlich wie die Anforderungsprofile der E-Bike-Benutzer sind auch die Eigenschaften der im Markt erhältlichen Modelle und Preislagen. Mit nur ein oder zwei Modellen im Sortiment könne ein Händler den Ansprüchen der Kunden deshalb nicht gerecht werden. Und auch die Verkaufsmethoden müssen der neuen Technik aber auch neuen Kundentypen angepasst werden: Wo beim normalen Fahrrad vielleicht die Probefahrt um den Häuserblock genügt, sollten beim E-Bike gleich mehrtägige Testzeiträume mit verschiedenen Modellen angeboten werden. Eine Erfahrung, die übrigens auch von Fahrradhändler Lange deutlich bejaht wurde.
Brainpool: Frischzellen für die Denkmaschine
Auch, aber nicht nur um E-Bikes ging es am Freitag, dem Vortag von Fahrrad.Markt.Zukunft.: Rund 60 Teilnehmer aus der Industrie sowie von Verbänden, Messen und Fachpresse trafen sich beim Bike Brainpool, der diesmal als Fachkonferenz Velosapiens auch Nicht-Mitgliedern einen Einblick in seine Arbeit gab. Seinem Ruf als Denkfabrik der Branche wurde die Runde mit drei interessanten Vorträgen und spannenden Gesprächen in den Pausen wieder gerecht.
Den Auftakt machte dabei Kommunikationsdesigner Erik Spiekermann, den mit Brainpool-Organisatorin Ulrike Saade nicht nur die Passion für’s Fahrrad verbindet: Schon in den Achtziger Jahren gestaltete Spiekermann damals für die Fahrradhändlerin Saade den ersten Berliner Radatlas und andere Fahrradbücher. Seitdem hat sich der Berliner zu einem der gefragtesten kreativen Köpfe auf seinem Segment entwickelt, der etwa das Erscheinungsbild von Audi maßgeblich mitgeprägt hat.
Interessanterweise ist Spiekermann dennoch überzeugter Fahrradfahrer geblieben, dessen Auto-Oldtimer NSU Ro 80 meistens nur zur Werkstatt bewegt wird und außerdem einem stattlichen Fahrrad-Fuhrpark in der Garage gegenüber steht (der, wie Spiekermann stolz berichtete, gerade erst um ein Singlespeed von Radkunst erweitert wurde). Zentrale Aussage seines Vortrags war, dass Anbieter ihren Markenkern identifizieren und ihren Auftritt konsequent danach ausrichten müssen. Auf die Frage, wie die Fahrradbranche sich beim Verbraucher mit ihren begrenzten Mitteln noch besser darstellen kann, hatte aber auch Spiekermann nur eine vage Antwort. Für breite Verbraucherwerbung im klassischen Stil fehlen den einzelnen Anbietern aufgrund der Fragmentierung der Branche jedenfalls die Mittel. Eine denkbare Lösung sei deshalb, sich Partner zu suchen und branchenübergreifende Kommunikationskonzepte zu entwickeln. „Ideen statt Budget“ seien in der Fahrradbranche gefragt, so Spiekermann, denn: „Schlau sein kostet nix.“
Mit dem Aufruf zu mehr Gemeinsamkeit in der Branche lieferte Spiekermann eine Vorlage für seinen Nachredner Oliver Oest. Dessen Agentur Tinkerbelle ist gerade vom Bundesumweltministerium ausgewählt worden, eine vier Millionen Euro teure Werbekampagne pro Fahrrad zu erstellen. Ungewöhnlicher Ansatz dabei: Statt das Budget quasi mit der Gießkanne bundesweit zu verteilen, wurde die Kampagne dort angesetzt, wo der direkteste Einfluss auf den Radverkehr möglich ist, nämlich bei den Kommunen. Noch in diesem Sommer sollen vier Kommunen, die unter knapp 200 Bewerbern ausgewählt wurden, mit einer massiven lokalen Kampagne für das Radfahren ausgestattet werden. Im nächsten Jahr sollen dann weitere fünf Kommunen in den Genuss der Aktion kommen. Die Kommunen müssen übrigens keinen eigenen finanziellen Beitrag leisten: Das Budget für die Kampagnen kommt vom Bund, der dafür wiederum Einnahmen aus dem Emissionshandel anzapft.
Noch wurde allerdings nicht enthüllt, welche Kommunen in diesem Jahr teilnehmen werden und wie die Kampagnen im Einzelnen aufgebaut sein werden. Das hatte sich Oest noch für die offizielle Vorstellung am 31. März in Berlin aufgehoben.
Für das Highlight der Fachkonferenz musste Organisatorin Ulrike Saade sich gar nicht mal außerhalb der Branche umsehen: Biketec-Chef Kurt Schär gelang es, in einem gut einstündigen, kurzweiligen Vortrag einerseits positive Aspekte der gegenwärtigen Wirtschaftskrise zu vermitteln und gleichzeitig auch noch eine große Menge Grundwissen über Marketing zu verbreiten. Manche Aussagen Schärs mögen hart geklungen haben, deren Richtigkeit wurde jedoch kaum in Frage gestellt. Etwa wenn er die Wirtschaftskrise mit einer Grippe vergleicht: Die Abwehr der Krise mache die Branche als Organismus stärker, indem sie Starke stärker macht und schwache Marktteilnehmer aus dem Rennen wirft. „Rezession räumt auf und das ist nicht schlimm“, so Schär. Gleichzeitig lassen sich in der Rezession auch einige Chancen für die Branche finden. Etwa wenn das Fahrrad mit Anhänger den Zweitwagen in Familien ersetzt, aber auch im gesamten Zubehörmarkt und bei Werkstattdienstleistungen.
Solche und andere Chancen nutzen könne allerdings nur, wer mit der Situation proaktiv umgehe. Jeder Marktteilnehmer müsse sich in der gegenwärtigen Lage bewusst dafür entscheiden, Unternehmer und nicht Unterlasser zu sein. Schär skizzierte als Beispiel einen Anti-Rezessions-Club, dessen Mitglieder gerade jetzt ihre Kommunikationsmaßnahmen verstärken, sichtbare Veränderungen im Unternehmen angehen, ins E-Bike-Business investieren und vielleicht sogar ihr Team verstärken. In einem Punkt waren sich Schär und seine Zuhörer jedenfalls weitgehend einig: Es gibt wohl kaum einen geeigneteren Zeitpunkt zum Investieren als in der Krise, sofern man eben dazu in der Lage ist.
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