Markt - Unplugged
Bye bye Bicycle?
Reiner Probst beschreibt sich selbst als einen velophilen Menschen. Deshalb heißt auch sein Fahrradladen im Berliner Stadtviertel Alt-Moabit so – Velophil. Wer in seinen Laden kommt, findet darin nur, so der Inhaber, »echte Fahrräder«, nämlich jene ohne Elektroantrieb.
Probst sieht darin einen KundenService, denn »der Kunde ist nicht gezwungen, an 20 hässlichen Elektrorädern vorbeizulaufen, um ein richtiges Fahrrad zu finden«. Eine starke Meinung. Und eine Meinung, die in der Fahrradbranche selten geworden ist. Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass die Mehrheit der Marktteilnehmer das Newcomer-Produkt E-Bike eher skeptisch beäugten.
Probst will seine Fahrräder an Menschen verkaufen, die Fahrräder als »Lebensmittel« begreifen: »Wenn Sie in der Großstadt leben, brauchen Sie ein Fahrrad zum Leben.« Die meisten seiner Kunden fahren mindestens 3000 Kilometer im Jahr mit dem Fahrrad. Radfahren gehört zu ihrem Alltag.
Vor 15 Jahren war Reiner Probst sogar einer der Elektropioniere in der Branche, verkaufte einige der ersten im Markt verfügbaren E-Bikes. Doch im Laufe der Zeit musste er erkennen, dass E-Bikes aus zwei Dingen bestehen, wie er sagt: »Fahrradteile und kurzlebige Elektronik«. E-Bikes entsprachen nicht seinen Standards an einen verantwortlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Sein Credo lautet: »Es gibt Spezialisten für nachhaltige Fahrradprodukte; da wollen wir dazu gehören.« Deshalb verzichtet er in seinem Laden bis heute komplett auf Räder mit elektrischem Antrieb.
Das sagen die Zahlen
Das Beispiel von Reiner Probst und seinem Fachgeschäft Velophil hat zumindest in Deutschland inzwischen Seltenheitswert. Dabei zeichnen die Marktzahlen noch immer ein Bild, in dem das Fahrrad ohne E zumindest bei stückzahlenmäßiger Betrachtung dominiert: Seit 2012 hat sich der jährliche E-Bike-Absatz im Fahrradmarkt zwar auf über 600.000 Räder verdoppelt, dennoch machten Fahrräder mit E-Motor 2016 gerade einmal 15 % am gesamten Fahrradabsatz in Deutschland aus. Tendenz weiter steigend: 2017 waren es laut jüngst veröffentlichten ZIV-Zahlen schon ganze 19%, was aber auch bedeutet, dass der Löwenanteil im Markt unverändert ohne Motor über die Ladentheken rollt.
Zweiter zögerlicher Anlauf mit E-Bikes
Auch das Berliner Fachgeschäft Zentralrad zählte vor rund zehn Jahren zu den Pionieren im E-Bike-Segment. Doch der Eintritt in den E-Bike-Markt war damals verfrüht, »die Technik noch mit Problemen behaftet«, wie Geschäftsführer Gerd Gaumann rückblickend berichtet. Seit diesem Jahr wagt der Berliner Fahrradhändler nun einen neuen Anlauf mit E-Bikes. Ob jetzt der richtige Zeitpunkt für einen neuen Versuch ist? Gaumann ist sich diesbezüglich unsicher, er schätzt die Nachfrage bei seinen urban geprägten Kunden eher gering ein. »Die Städte werden immer dichter und enger. Von einer Ampel zur nächsten braucht man eigentlich kein E-Bike«. Hinzu komme das Problem mit dem Gewicht: Ein Elektrorad ist zu schwer, als dass es sich in mehrgeschossigen Häusern mit in die Wohnung nehmen lässt. Doch ein Fahrrad für 3000 EUR lässt man nicht im Hof stehen. Erst recht nicht in Berlin, wo organisierte Fahrraddiebe auf Beutezug gehen.
Trotz dieser Rahmenbedingungen hat Zentralrad den Verkauf von E-Bikes noch mal in Angriff genommen. Zunächst wurden nur E-Lastenräder angeboten, um den Bedarf von jungen Start-Ups und Wohngemeinschaften zu bedienen, die immer öfter gemeinsam eine solche Investitionen stemmen. Außerdem hat Gaumann die i:SY-Serie von Hartje mit ins Programm aufgenommen. Das relativ leichte Kompaktrad wird custom-made vertrieben und ermöglicht so eine geringere Kapitalbindung. Auch am eBrompton hätte Gaumann, der bereits herkömmliche Falträder von Brompton vertreibt, Interesse. Allerdings verzögert sich hier der Markteintritt noch.
Seine Vorsicht im E-Bike-Markt begründet Gaumann längst nicht mehr mit der technischen Reife der Produkte, vielmehr sind es konkrete wirtschaftliche Fragen, die ihn skeptisch machen: Da bei Pedelecs und E-Bikes die Innovationsrate besonders hoch ist, hätten es Fahrradhändler generell schwer, Ladenhüter auch in der nächsten Saison noch zu einem akzeptablen Preis vom Hof zu bekommen. Zudem sieht der Fahrradhändler aus Berlin starke Konkurrenz aus dem Internet: »Die Beratung im Internet ist durch Algorithmen objektiver, manchmal sogar besser als im Fachhandel. Ein stationärer Händler verkauft in der Regel hingegen nur die Produkte, die er da hat.«
Zentralrad hat deshalb bewusst nur ein kleines E-Bike-Programm im Laden, da Gaumann es mit der Konkurrenz aus dem Internet erst gar nicht aufnehmen wolle. Im Gegenzug hat sich der Fahrradladen aus Berlin-Kreuzberg im Segment »ohne E« spezialisiert: auf individuelle und hochwertige Räder aus dem Reiserad- und Stadtradbereich.
Kein Überleben ohne E?
Vladi Riha von Riha Bikes in Bremen würde auf Kundenwunsch durchaus E-Bikes bestellen. Er ist dem Trend nicht vollkommen abgeneigt, sondern eher offen für neue Trends im Fahrradbereich. Aber er sieht die Konkurrenz der Platzhirsche vor Ort: »Wir haben Stadler und BOC in Bremen, da müssen wir uns anders aufstellen.« Riha hat sich daher in der Hansestadt eher sportiv orientiert; er konzentriert sich in seinem kleinen Laden auf Renn-, Cross- und Triathlonräder. Manchmal verkauft er auch Urban Bikes, aber auf jeden Fall nichts von der Stange, wie er sagt. Aber nicht nur der eingeschränkte Platz hält Riha davon ab, E-Bikes zu verkaufen: »Wenn man E-Bikes verkauft, muss man auch den entsprechenden Service leisten könnten. Ich bin nicht der Typ, der zuerst verkauft und sich dann erst hinterher überlegt, wie man es repariert.« Für jene Händler, die sich in den E-Bike-Service eingearbeitet haben, sieht Riha das Geschäft mit den E-Bikes aber durchaus positiv: »Es gibt ganz viele Radläden, die durch den E-Bike-Trend nicht nur überlebt haben, sondern denen es jetzt finanziell gut geht. Auch weil viel mehr Leute Rad fahren, die früher nicht gefahren sind.«
Überzeugt ohne E
Leif Winter vom Radhaus in Rostock sagt ganz klar: »Ein E-Fahrrad ist für mich kein Fahrrad. Es ist ein Elektrogefährt und darauf habe ich keine Lust. Diese Entwicklung will ich nicht mitgehen«, und fügt augenzwinkernd hinzu: »Vielleicht bin ich ein bisschen zurückgeblieben.« Da sich Winter jedoch auf eine sportliche und alltagsorientierte Kundengruppe spezialisiert hat, habe ihm seine Entscheidung, auf E-Bikes zu verzichten, bislang noch keine Schwierigkeiten bereitet. Eher das Gegenteil sei der Fall: Winter hat in seinem Laden mehr Ausstellungsfläche für herkömmliche Fahrräder, und zwar Trekkingräder, sportliche Räder und Rennräder, zur Verfügung. »Mit E-Bikes hätten wir unser Sortiment einschränken müssen«, ist sich Winter sicher. Natürlich sieht auch er den Erfolg der elektrisierten Fahrräder bei seinen Händlerkollegen. Gefragt, ob er E-Bikes auch für die Zukunft ausschließen könne, antwortet er deshalb: »Man soll nie nie sagen, aber wenn ich es mir aussuchen dürfte, will ich auch weiter keine E-Bikes verkaufen.«
Start-up mit ohne E
Die Unternehmerfamilie Puello und ihr Team des jüngst gegründeten Fahrradherstellers Puello eMobility Crossover Company, kurz Pexco GmbH, konnten es sich kürzlich aussuchen, ob ihr Start-up nur mit oder auch ohne E in den Markt startete. Als die langjährige Winora-Geschäftsführerin Susanne Puello das neue Unternehmen im August 2017 mit gleich drei neuen Marken vorstellte, war die Überraschung groß, als bekannt wurde, dass auch herkömmliche Fahrräder im Portfolio von Pexco zu finden sein werden.
Aus Sicht von Felix Puello, bei Pexco unter anderem für die Produktentwicklung verantwortlich, war dieser Schritt jedoch durchaus konsequent: »Natürlich sind E-Bikes momentan das Marktsegment mit der größten Dynamik, von dem auch wir uns mit Pexco und unseren Marken Husqvarna, R Raymon und R2R einen großen Erfolg und Spielraum für Innovationen versprechen. Vor diesem Hintergrund darf man aber nicht übersehen, dass die zahlenmäßig meisten Kunden im Fachhandel immer noch ein Fahrrad ohne E suchen. Ich kann mir zwar vorstellen, dass sich dieses Verhältnis in den nächsten Dekaden umkehrt, aber ein Fahrradhersteller, der den Anspruch hat, seine Partner im Handel mit allen relevanten Produktgruppen zu versorgen, kann auf das traditionelle Fahrradsegment noch nicht verzichten.«
Dabei sieht der Pexco-Gründer diesen Teil des Fahrradprogramms keineswegs nur als unliebsame Pflichtaufgabe: »Ich glaube, dass es beim Fahrrad auch jenseits der Elektrifizierung noch einige Spielräume für Innovationen gibt, die vielleicht nur vorübergehend angesichts des E-Bike-Booms vom Markt nicht in vollem Umfang ausgereizt werden. Wir wollen jedenfalls insbesondere mit der Marke R Raymon zeigen, dass es auch bei Fahrrädern ohne Elektroantriebe noch innovative Potenziale gibt, um den Absatz wieder stärker zu stimulieren.«
Argumente pro Fahrrad
Auch Alexander Hülsmann, Brand Manager von Kalkhoff, sieht trotz des unverändert starken Trends zum E-Bike durchaus Argumente für Räder ohne Elektroantrieb. »Bei jährlich vier Millionen verkauften Fahrrädern in Deutschland, von denen 720.000 E-Bikes sind, bleiben immer noch viele ohne E übrig.« Es sprechen, so Hülsmann, vor allem zwei Argumente dafür, dass das normale Rad auch künftig nicht auf der Strecke bleiben wird: »Der Gewichtsvorteil ist ein Thema, gerade in der Stadt. Der Weg in den Fahrradkeller oder die Wohnung führt in der Regel über eine Treppe. Hinzu kommen die – in der überwiegenden Zahl der Fälle – deutlich geringeren Kosten beim Kauf eines normalen Fahrrades.«
Ungeachtet der aktuellen Marktsituation hat das E-Bike bei Kalkhoff dennoch das normale Rad schon hinter sich gelassen. Ob Umsatz, Stückzahl oder Anzahl der Modelle (73 E-Bikes versus 35 normale Fahrräder), das E-Bike liegt auf allen Ebenen vorn. »Das ist das Ergebnis unserer langen Erfahrung, eines attraktiven Produkt-Portfolios und starken Wachstums vor allem im Ausland«, so Alexander Hülsmann.
Die Existenz gesichert
Auch bei Diamant, der deutschen Tochter des amerikanischen Fahrradherstellers Trek, will man in absehbarer Zeit weiterhin auf Fahrräder ohne Antrieb setzen. Obwohl das E-Bike eine veritable Bedrohung für herkömmliche Räder darstelle, werde es laut Anja Schmidt-Amelung, Brand Managerin bei Diamant, immer noch eine Nische für antriebslose Räder geben: »Aus unserer Sicht werden E-Bikes langfristig am Markt bleiben und ihren Marktanteil in den nächsten Jahren weiter ausbauen. Damit kannibalisieren sie herkömmliche Fahrräder. Da das heutige Angebot an qualitativen und sicheren E-Bikes erst ab einem Preis von circa 1500 EUR anfängt, ist die Existenz von herkömmlichen Fahrrädern – zumindest in absehbarer Zukunft – gesichert.«
Die Existenz gesichert, ja. Aber von Seiten der Händler hört man, dass die Auslieferung nicht immer gesichert sei. »Normale Standardräder, Butter- und Broträder werden nicht mehr ausreichend produziert«, klagt etwa Peter Hürter, Fahrrad-XXL-Händler aus Münster. Er könnte für sein Unternehmen viel mehr bestellen und verkaufen, wenn die Hersteller mit der Produktion nachkämen und auch kurzfristig in der Saison nachliefern könnten. Die Ursache sieht Hürter in der höheren Priorität, die bei Herstellern auf die Fertigung von umsatzstarken E-Bikes gelegt werde.
Bei Fahrrad XXL in Münster machen herkömmliche Fahrräder immer noch deutlich über 50% des Umsatzes aus. Im Münsterland haben sich E-Bikes, so Hürter, noch nicht in dem Maß durchgesetzt, wie in anderen Regionen, da viele hier das Fahrrad als selbstverständliches Verkehrsmittel ansehen.
Genial einfach – einfach genial
Bei vielen Herstellern beschäftigen sich 80 % der Entwicklungsmannschaft heutzutage mit E-Bikes. Was bedeutet diese Tatsache im Hinblick auf die Zukunft des Fahrrads? Oder anders gefragt: Woher sollen Innovationen kommen, wenn es kein Personal mehr gibt, die sich diese ausdenken können? Peter Denk vom Innovationstreiber Denk Engineering aus Freiburg erklärt diese Priorisierung folgendermaßen: Während mit E-Bikes ein kompletter Bereich zu den Enwicklungsabteilungen der Fahrradhersteller dazu gekommen sei, hätten es viele Unternehmen noch nicht geschafft, das Personal ihrer R&D-Abteilungen zahlenmäßig entsprechend zu verstärken. Deshalb werde gegenwärtig Personal für die E-Bike-Entwicklung abgezogen. Dennoch beantwortet Denk die Frage, ob das Fahrrad eine Zukunft hat, mit einem deutlichen Ja: »Die Faszination eines normalen Fahrrades in seiner Schlichtheit und Direktheit wird trotzdem noch sehr viele Anhänger finden.«
Diese Meinung teilt auch Daniel Fikuart, Chefredakteur von AktivRadfahren und dem ElektroRad-Magazin. Er sagt dem herkömmlichen Fahrrad eine Zukunft voraus, die ganz im Zeichen eines Trends zum Purismus stehe. Die Nutzer werden sich seiner Meinung nach auf das »einfach Geniale« im Fahrrad zurückbesinnen. Ähnlich der Oldtimer-Liebhaber werde es Liebhaber für Fahrräder geben, die ihre Drahtesel hegen und pflegen. Man kann die Technik wieder selbst in die Hand nehmen und muss sein Fahrrad nicht elektronischen Analysegeräten anvertrauen. Der Fahrer entwickele so eine emotionale Bindung zu seinem Rad, sodass er es nicht mehr nur als reines Fortbewegungsmittel, sondern als seinen Kameraden sehen werde. Der Fahrradhändler fungiere dabei als Experte, der den Kunden zum Kauf führe: »Wir bauen Dir das Rad so auf, dass es zu Deinem rollenden Schätzchen wird.« Das Fahrrad müsse dabei kein Alleskönner (mehr) sein, sondern soll genau auf den Besitzer zugeschnitten werden, ganz im Sinne der »Mass Customization«. Was bei der Zusammenstellung der Frühstückszerealien mit »My Muesli« schon länger funktioniert, ist längst schon auch ein Konzept für Fahrräder.
Muss das Motto unseres Branchenzeitalters also heißen: Das Fahrrad ist tot – es lebe das Fahrrad? Zwar weist vieles auf einen Rückgang des herkömmlichen Fahrrads im Straßenbild hin, aber geschlagen gibt es sich dennoch nicht. Und das ist mehr als ein letztes Aufbäumen. Gunnar Fehlau vom Pressedienst Fahrrad nennt es die »Gleichzeitigkeit von Trend und Gegentrend«. Gesellschaftliche Entwicklungen wie Digitalisierung und E-Mobilität rufen Trends hervor, die auch völlig ohne Elektrizität auskommen. Oder wie Fehlau es ausdrückt: »Digital Detox ist King!«.
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