Online Marketing Workshop
Crowdsourcing im Online-Marketing: Die Weisheit der Massen
Kennen Sie Pug Attack? Vermutlich nicht. Pug Attack ist kein neues Handy-Game von Zynga sondern ein Werbespot von Doritos. Und da Doritos – eine Chips-Marke aus dem Hause Pepsi – in Deutschland nicht wirbt und der Spot während des Superbowl ausgestrahlt wurde, den nur einige Hunderttausend eingefleischte Fans des American Football zu nachtschlafener Zeit sehen, liegt die Vermutung nahe, dass Sie Pug Attack nicht kennen. Vielleicht sollten Sie Pug Attack aber doch einmal anschauen. Der Spot war nicht nur der erfolgreichste Werbefilm auf dem teuersten Werbeplatz der Welt, er wurde auch noch als Crowdsourcing-Projekt realisiert. Ohne starres Konzept, ohne federführende Agentur, als Wettbewerb zwischen Usern.
Und das kam so: Im Herbst letzten Jahres „verschenkte“ Pepsi vier attraktive Webeplätze während des Superbowl, zwei für Pepsi, zwei für Doritos. Es wurde ein Wettbewerb ausgerufen, bei dem die Nutzer selbstgedrehte Werbefilme einreichen sollten. Um möglichst viele Eingaben in hoher Qualität zu erreichen, schrieb Pepsi ein achtbares Preisgeld aus. Satte eine Million Dollar sollte der Gewinner bekommen. Angesichts der hohen Sendekosten (20 Mio. Dollar pro Minute) fiel diese Prämie im Gesamtbudget allerdings nicht sonderlich ins Gewicht.
Doch damit nicht genug. Sollte der Spot bei den offiziellen Einschaltquotenmessungen einen der ersten drei Plätze erreichen, wollte Pepsi erneut eine Million Dollar ausschütten. Und das mussten sie auch, denn Pug Attack landete auf dem geteilten ersten Platz in Sachen Aufmerksamkeit. Das Autorenpaar – zwei Dokumentarfilmer - darf sich nicht nur über die Prämie sondern auch über neue Aufträge von Pepsi in diesem Jahr freuen.
Outsourcing to the crowd
Fünf Jahre ist es her, dass Jeff Howe für das Fachmagazin Wired erstmals das Phänomen Crowdsourcing beschrieb. Die schiere Dynamik einer offenen Ausschreibung sollte dazu in der Lage sein, qualitativ hochwertige Ergebnisse zu günstigen Kosten zu erbringen. Crowdsourcing ist die Symbiose aus Outsourcing und Crowd, adressierte also eine weitgehend anonyme Öffentlichkeit.
Vorzeigebeispiel hierfür war der Markt für digitale Fotografie. Anbieter wie iStockPhoto aggregieren den User-Input und die kaufwilligen Kunden freuen sich über einen drastischen Preisverfall durch den Wegfall der früheren Gatekeeper. Musste man vor Jahren noch 300 Euro für ein vernünftiges Illustrationsmotiv für den neuen Flyer ausgeben, genügt heute ein Hundertstel. Ähnliches gilt heute für einfache Texte, Übersetzungen, Webdesign, Logos oder Recherchearbeiten. Alles lässt sich offen ausschreiben und binnen 48 Stunden erhält man erste Ergebnisse.
In den USA hat sich eine ansehnliche Industrie in diesem Bereich formiert. Einer der Hauptprotagonisten ist Amazon mit der Plattform MTurk, auf der Mikrojobs ausgeschrieben und mit Centbeträgen vergütet werden. 116 000 Aufträge stehen aktuell online. „Die Arbeit mit MTurk funktionierte phantastisch, nur bekommt man keine deutschen User“, meint Catharina van Delden. Die Wahlmünchnerin arbeitet mit Ihrer Firma Innosabi an komplexen Innovationsprojekten, die teilweise oder ganz in der Crowd umgesetzt werden.
Deldens jüngstes Kind ist die Plattform Unseraller. Man startete zunächst auf Facebook und hat inzwischen eine ansehnliche Community von 2500 Nutzern. Mit diesen Nutzern werden Produkte entwickelt. Von der detaillierten Produktidee bis zur Verpackung und Namensgebung. Die einzelnen Vorschläge werden diskutiert, Rezepturen verglichen und bewertet und ganz am Ende landet das Produkt im Ladenregal. „Wir machen kein Projekt ohne Umsetzungsversprechen seitens des Kunden“, so van Delden.
Im letzten Jahr entwickelte Unseraller verschiedene Senfsorten, ein Duschgel für die DM-Marke Bela, Salatdressings und ein Sommertuch für Görtz17. Die User werden vergütet mit einem Punktesystem. Jeder Beitrag zählt, egal ob Vorschlag oder Bewertung. Für van Delden ist die Unterteilung eines Projekts in kleine Portionen der Schlüssel zum Erfolg.
Das sieht auch Ville Mietinnen so. Er arbeitete eine Crowdsourcing-Aufgabe in ein Onlinespiel ein. Es ging um die Digitalisierung von Texten aus der finnischen Nationalbibliothek. Da diese Texte teils in Sütterlin geschrieben sind, macht Texterkennungssoftware entsprechend viele Fehler. Die Textschnippsel wurden in einem Onlinespiel als Aufgabe eingeblendet und aus der Masse der Antworten ermittelte die Software die richtige Buchstabenkombination. „Zum Schutz vor Missbrauch haben wir einfache Texte eingeblendet, bei denen wir die Lösung kannten. Wenn die User Unsinn eingetragen haben, kamen sie im Spiel nicht weiter.“ 5500 Finnen spielten mit und investierten 3400 Stunden in das Projekt. Die Texterkennung erreichte eine Genauigkeit von 99 Prozent.
Ein ganz ähnlicher Ansatz fand vor eineinhalb Jahren in Kopenhagen Anwendung. Unter dem Titel „The Copenhagen Wheel“ rüstete die Stadt Leihfahrräder mit Umweltsensoren aus. Die radelnden Dänen sammelten also quasi im Vorbeifahren wertvolle Erkenntnisse über CO2, Temperatur und Smog und durften die Fahrräder dafür günstiger ausleihen.
Marketingeffekte im Crowdsourcing
Das dänische und das finnische Projekt profitierten von einer starken Öffentlichkeitswirksamkeit. Mietinnen verkaufte den Ansatz als „Bewahrung der finnischen Kultur“ und erntete entsprechend gute Presse für sein Unternehmen Mikrotask.
Auch Pepsi/Doritos spielen sehr bewusst mit der Öffentlichkeit. Die Aktion im Februar war bereits das dritte Projekt dieser Art. Und so ernteten die Chipshersteller schon zum Kampagnenstart im Herbst Schlagzeilen wie: „Doritos does it again“.
Keine Frage: Mitmachproduktion ist in. Letzten Dezember ließ sich die Telekom für Ihr Gesangsprojekt „Million Voices“ feiern, in dem Fanta4-Rapper ThomasD aus zugeschickten Fangesängen eine Hymne machte. Und soeben erst ließ sich McDonalds dafür loben, dass 115.000 neue Burgerkreationen von 15.000 Nutzern eingereicht wurden. Die Burger kommen tatsächlich seit Juli sukzessive in die Filialen.
Alle drei Markenartikler begleiteten ihr jeweiliges Projekt mit hohem Marketingetat. Sie glauben nicht an die virale Kraft der Social Networks, die ein wirklich spannendes Projekt auch ohne Millionenetat populär macht. Es geht aber auch eine Nummer kleiner. Der klassische Startpunkt für ein Crowdsourcing-Projekt könnte zum Beispiel ein Designwettbewerb sein, bei dem das nächste Kampagnenmotiv gesucht wird.
Neben dem eigenen Facebook-Profil sind Plattformen wie Designenlassen, Jovoto oder 12Designer hier die richtige Anlaufstelle. Auch die Recherche von Themen oder das Herstellen von Texten, Linklisten und ähnlichem funktioniert bereits trefflich im Crowdsourcingverfahren, zum Beispiel auf Jomondo oder Clickworker.
Allerdings wird die Aktion nur erfolgreich, wenn man vorher sorgfältig plant. Das gilt für Art und Umfang der gestellten Aufgaben, Vergütung und vor allem das interne Handling und die Betreuung. Überlegen Sie auch, was sie machen, wenn Material auftaucht, das Ihnen nicht gefällt.
Heinz Ketchup erlebte ein kleines PR-Debakel als man zu einem Videowettwerb aufrief und vor allem Horrorfilmchen eingereicht bekam. Die Amerikaner zensierten und im Handumdrehen erschienen die verbotenen Filme auf Youtube und sind heute noch dort zu finden.
Besser machte es Otto. Letzten Herbst wählte die Community den als Brigitte verkleideten Sascha zum neuen Gesicht für die Facebook-Seite. Der Konzern, der seine Kataloge gerne mit internationalen TopModels schmückt, reagierte mit Humor und machte Sascha zum PinUp des Monats und dokumentierte das Fotoshooting auf Video. Unter tosendem Applaus der Fangemeinschaft.
Denn nicht zu unterschätzen sind die Community-Effekte. Kunden, deren Mitarbeit wertgeschätzt wird, werden zu Markenbotschaftern. Hierzulande betreibt zum Beispiel seit drei Jahren Tchibo die Plattform Ideas, auf der nicht nur coole Produktideen gezeigt und prämiert werden, sondern auch clevere Fragen, etwa warum die Einweg-Kaffeesahne beim Aufmachen immer spritzt.
International genießt Starbucks MyIdeas einen sehr guten Ruf. Die Plattform gleicht eher einem User-helfen-Usern-Forum, treibt aber immer wieder schöne Blüten. So kam von dort die Idee, ob man nicht via Social Web oder eMail Kaffeegutscheine verschenken könnte und somit Nutzer am anderen Ende der Welt ganz real zum Kaffee einladen. Inzwischen ist die Funktion Teil der Facebook-App von Starbucks.
In der Fahrradbranche finden sich jede Menge Ansatzpunkte für ähnliche Ideen. Designwettbewerbe liegen nahe, aber vielleicht auch ein Videowettbewerb zu den schönsten Touren mit einem Bike der entsprechenden Marke. Das Design der nächsten Website könnte ebenso ausgelagert werden, wie der Entwurf von Plakaten, Messeständen und Flyern. Das Planen, Organisieren des Wettbewerbs und das Sichten der Beiträge ist zwar mit Aufwand verbunden, bleibt aber zumeist preisgünstiger als die Zusammenarbeit mit einer Agentur. Und besonders spannend ist natürlich das Feedback von Quereinsteigern, die frischen Wind in die Kampagnenplanung bringen.
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