Wer gut zahlt, will Individualität
Custom-Made-Anbieter blicken in eine erfolgreiche Zukunft
Was früher nur kleine, spezielle Firmen für meist sportlich engagierte Biker mit sehr genauen Vorstellungen vom fahrbaren Untersatz anboten, hat sich seit Ende der 90er Jahre zu einem kleinen, aber stabilen Marktsegment ausgewachsen: Immer mehr Radfahrer, die viel Zeit im Sattel verbringen, fahren ein Custom-Made-Rad nach ihren individuellen Wünschen. Interessant daran ist auch, dass die Ausrichtung nicht auf dem hochspezialisierten Sport-Sektor blieb, sondern inzwischen häufig auch mittelgroße Hersteller mit breitem Sortiment Custom Made als Option anbieten.
Trend im Premium-Bereich
Verlässliche Zahlen zum Anteil der individuell zusammen gestellten Räder am Gesamtumsatz gibt es nicht. Grundsätzlich geht es dabei ohnehin nur um Preisbereiche ab 1500 Euro. Aber auch dort dürfte der Anteil der Custom Made-Bikes unter fünf Prozent liegen. Lohnt es sich trotzdem, auf diese Räder zu setzen?
„Wo Individualität für den Kunden wichtig ist, wird der Markt auf lange Sicht definitiv sogar größer werden“, sagt Uwe Matthies, Geschäftsführer von Maxx, „vor allem für Firmen wie uns, die echtes Custom Made machen und nicht nur ein paar Optionen in Sachen Schaltung und Farbe anbieten. Wir sind gerade dabei, unsere Konfigurationsmöglichkeiten eher einzuschränken, da es ansonsten unübersichtlich wird, und der Kunde nicht überfordert werden soll.“ Maxx bietet Renn-, Trekking-, Reiseräder und Mountainbikes, zum Teil mit Maßrahmen.
Viel unausgeschöpftes Potenzial liegt für Matthies aber noch beim Händler. Trifft der bei der Vororder die Entscheidung für einen hohen Prozentsatz von Bikes von der Stange, wird das Custom Made-Potenzial für die Saison automatisch beschnitten; zudem zweifeln Händler oft daran, dass die Beratungsintensität von Custom Made sich in der Marge wieder findet. Bei Maxx sieht man in diesen Punkten ein Strukturproblem des Marktes, dem sich der Fachhandel langfristig stellen sollte.
Nicht für den Händler, sondern für den Verbraucher
Das sieht man bei Utopia Velo, einem Urgestein im Custom Made Bereich, weniger problematisch: Dort ist man sogar dabei, die Vertragshändler einzugrenzen. "Wir haben mehr von einigen Fachhandelspartnern, die Custom Made nicht nur nebenher praktizieren. Wir machen schließlich nicht Custom Made für den Händler, sondern für den Verbraucher“, sagt Ralf Klagges, Geschäftsführer des Unternehmens. Ein enges Verhältnis zum Fachhandelspartner bringt beiden Seiten Vorteile. „Schließlich ist die Kaufentscheidung schon gefallen, wenn der Kunde durch die Ladentür kommt; es geht nur noch um die Beratung zur Konfiguration, die er sich oft schon im Internet zusammengestellt hat, und die Lagerhaltung entfällt für den Fachhändler auch weitgehend.“ In Zukunft läuft Custom Made bei Utopia auch elektrisch: Alle Räder werden auch mit Motor angeboten und die Motorcharakteristik wird direkt auf die Nutzung programmiert. Faktoren wie Fahrergewicht, Geländeformation des Standorts und Einsatzbereich gehen in die Konfiguration ein. Sozusagen E-powered Custom Made.
Ergonomie wichtiger als Technik
Einen anderen Bereich, in dem das individuelle Bike noch zulegen kann, erkennt man bei Trekking- und Reisespezialisten Velotraum: „Wir sehen das Hauptpotenzial für die Zukunft in der Ergonomie, die Technik ist im Hintergrund, und da sollte sie auch bleiben“, so Geschäftsführer Stefan Stiener. „Ganzheitlichkeit“ ist das Schlüsselwort dazu. „Das Anpassen von Vorbaulänge alleine an den Kunden reicht einfach nicht aus!“ Velotraum-Händler arbeiten seit Jahren mit einer Messmaschine, mit der die passende Geometrie für das Maßrad gefunden wird. Kompetenz zeichnet nach Stiener einen Händler aus, der die Anforderungen des Kunden im Ganzen wirklich erfasst. Er hat was davon: „Dann treten auch Themen wie Rabatt und Preisverfall deutlich in den Hintergrund. Der Händler wird zum Profi-Berater – und das ist für Partner im Premium-Bereich eine echte Chance.“ Die so entstandene Wertschätzung des Kunden kann dann auch dafür sorgen, dass für den Händler sich die Beratung auch lohnt.
Zukunftsmusik: Noch mehr Ergonomie
Auch bei der traditionsreichen Marke Patria sieht man einen leichten Aufwärtstrend auf ohnehin hohem Niveau, was die Verkaufszahlen angeht. Und auch hier denkt man bei Custom Made an Ergonomie und sieht die Technik eher als hintergründig: „Wer die Anatomie ernst nimmt, der kommt am Rahmenbau nicht vorbei“, erklärt dazu Unternehmenschef Jürgen Kleinebenne. Alles andere bleibt Feintuning. Doch auch daran arbeitet das Unternehmen mit Hochdruck: Die Vision der Wunschrad-Macher ist, die Kontaktstellen zwischen Mensch und Rad metrisch noch genauer und unter anderen Gesichtspunkten als bisher möglich zu erforschen. Genaueres ist allerdings noch nicht spruchreif, doch wird wohl Hightech beim Vermessen demnächst für noch mehr Wohlfühlen am Rad sorgen.
Immer schon nach Maß
Liegeradhersteller vereinen schon immer beides: Der Ergonomie-Faktor ist ohnehin ein ganz wesentliches Feature ihrer Produkte, und Custom Made hat auch bei vielen Herstellern dieses kleinen Sektors Tradition. Wer ein Liegerad kauft, legt etwas mehr Geld auf den Tisch, und will dafür auch spezielle Wünsche erfüllt bekommen. Für die beiden größten deutschen Hersteller HP Velotechnik und Hase Spezialrad wäre eher das Rad von der Stange ungewöhnlich. Hase bietet zwar pro Modell einige fixe Ausführungen an, weist aber darauf hin, dass es sich immer um Ausstattungsbeispiele handelt. Und HP Velotechnik kennt gar nichts anderes als individuelle Räder. „Vom Klassiker Street Maschine alleine gibt es rechnerisch 165.888 mögliche Konfigurationen“, so Geschäftsführer Paul Hollants. „Wir bemühen uns um hohe Kundenfreundlichkeit und müssen daher eher die Auswahl eingrenzen, um nicht zu unübersichtlich zu werden. So bieten wir zum Beispiel nur drei verschiedene Sitze an, die aber alle Ansprüche erfüllen.“ Ergonomische Griffe andererseits sind gar kein Thema – am Liegerad ist der Griff kein anatomischer Knackpunkt. Hier zählt eher die Konfiguration in Richtung Sport oder Alltagstauglichkeit und die dabei entsprechende Übersetzungsabstufung.
Ein Online-Konfigurator sorgt wie bei fast allen Herstellern dafür, dass der Kunde trotz der vielen Wahlmöglichkeiten die Übersicht behält und die genaue Konfiguration selbst zusammenstellen kann, mit der er zur abschließenden Beratung zum Händler geht. Grundsätzlich lassen sich zwei Konzepte resümieren: Entweder der Anbieter setzt stark auf die Beratung – wie zum Beispiel bei Velotraum oder Patria – dann ist der Online-Konfigurator gelegentlich wenig ausgearbeitet, oder er ist des Kunden wichtigstes Werkzeug, dann ist er im Optimalfall ein wahrer virtueller Variationen-Manager.
Konfigurator korrigiert Fehler
Nicht bei allen ist dieser Online-Helfer allerdings so ausgefeilt und übersichtlich wie bei HP Velotechnik oder gar beim Premium-Anbieter Koga Miyata, der mit zwei Jahren noch relativ neu im Custom-Gewerbe ist. Dort wird automatisch bei jeder neuen Wahl das Radgewicht und der Preis neu addiert. Bei den Holländern kommt dazu, dass das System inkompatible Auswahlen wie etwa Lenkerhörnchen auf einem Gesundheitslenker erkennt und Alternativen vorschlägt. Außerdem wird immer ein Bild des gewünschten Rad mit der aktuellen Auswahl angezeigt. Der Kunde nimmt mit Abschluss der Konfiguration automatisch Kontakt mit dem Händler seiner Wahl auf und reserviert dort sein Bike. Was sich fast wie Zukunftsmusik anhört, ist hier schon real. Das ist aufwendig, aber lohnend: „Der Durchschnittspreis für Räder aus unserem Custom-Sektor liegt etwa 45% höher als bei den Standard-Rädern von Koga", so Sales Manager Pieter Jan Rijpstra. „Die Kunden gehen tendenziell nach der Devise: Für mich nur das Beste“. Schön für alle Beteiligten.
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