Betriebsführung - Warenbestand
Die Tücken des Warenbestands
Es ist eine klassische Situation, in der Regel ergibt sie sich zwischen Weihnachten und Neujahr: Die Beschäftigten laufen die Regale ab und zählen alles, was an Ware vor Ort ist. Die Inventur ist die Erfassung des aktuellen Warenbestands zu diesem Zeitpunkt. »Doch ist das wirklich der Warenbestand, den ich wissen will?«, fragt Thorsten Larschow, engagierter Händler aus Cuxhaven und weist darauf hin, dass sich der Warenbestand in den anderen Monaten so stark verändert haben könnte und höchstwahrscheinlich auch hat, dass diese Momentaufnahme zum Jahreswechsel womöglich keine große Aussagekraft hat.
»Das ist der Knackpunkt schlechthin«, verdeutlicht Andreas Lübeck. Er hat den Business Navigator maßgeblich mitentwickelt und macht deutlich, wie wichtig die konsequente Erfassung der Warenbestände ist. Selbst gestandene Steuerberater hätten das oft nicht verstanden und auf der Handelsseite sehe das nicht viel besser aus: »Es gibt immer noch sehr viele Fahrradhändler, die ihren Warenbestand nicht monatlich in die Buchführung eingeben. Das heißt, dass die BWA [betriebswirtschaftliche Auswertung], die sie von Monat zu Monat bekommen, eigentlich keine Aussage enthält.« Wer sehen will, wie viel Geld in einem Monat verdient wurde, muss in seine monatliche betriebswirtschaftliche Auswertung schauen, »und diese Aussage bekomme ich definitiv nur, wenn ich jeden Monat meinen Warenbestand eingebe«. Wo das nicht geschehe, fehlten ganz entscheidende Informationen. »Das muss man dick hervorheben. Der Warenbestand muss monatlich erhoben werden. Das ist einfach Voraussetzung«, verdeutlicht Lübeck. »Es gibt diese Monate wie Januar, Februar, wo man meistens davon ausgehen kann, dass man mit seinem Kostenblock, den man nun einmal hat, kein Geld verdient. Dann will ich als guter Geschäftsführer aber auch wissen, wie viel Geld habe ich verbrannt in so einem Monat. Im April und Mai, wenn es wieder besser läuft, muss ich das ja wieder aufholen. Das muss ich doch wissen.« Ohne die korrekt erfassten Warenbestände arbeite man das ganze Jahr über im Blindflug.
»Dabei wäre es so einfach«, erklärt Lübeck. Kein nennenswerter Händler arbeite heute noch ohne Warenwirtschaft. Diese ist der Schlüssel zu monatlich aktuellen, aussagekräftigen Zahlen. »Auf Knopfdruck« könne man die Warenbestände erfassen und übertragen.
Eine weitere Voraussetzung für aussagekräftige Zahlen ist allerdings, dass die Einkaufspreise korrekt eingetragen sind. »Der Warenbestand wird ja berechnet auf Basis der Einkaufspreise, die ich tatsächlich bezahle. Und die muss ich natürlich pflegen«, erklärt Lübeck.
Einkaufspreise korrekt einpflegen
Bei diesen Einkaufspreisen ist zu beachten, dass man seine tatsächlichen Warenbezugspreise eingibt und nicht einfach Listenpreise. »Das ist immer noch ein bisschen Handarbeit«, erklärt Lübeck, denn nach wie vor ist es nicht selbstverständlich, dass die Werte der Einkaufsrechnung direkt elektronisch in die Warenwirtschaft übertragen werden. »Auf der Basis dieser Einkaufspreise gilt der Warenbestand.« Larschow ergänzt um zwei bestehende Stolperfallen: »Das eine ist die Bewertung der vorhandenen Lagerfahrräder. Da beobachte ich, dass keine Bewertung vorgenommen wird, sondern fünf, sechs Jahre alte Fahrräder noch im Lager stehen. Da fehlt bei vielen Fahrradhändlern die Einsicht, dass der Wert verloren ist. Das andere Problem sind Testfahrräder. Diese sind eigentlich kein Warenbestand, sondern ein Anlagevermögen, das abgeschrieben wird. Damit sind sie aus dem Warenbestand raus. Auch das berücksichtigt kaum jemand.« Das erste Problem betrifft die Inventurbereinigung beziehungsweise die Warenbestandsbewertung, die steuerliche Auswirkungen hat. Hier gibt es jährlich Empfehlungen vom VDZ, die aber nicht verbindlich sind für die Finanzbehörden. Lübeck weist in diesem Zusammenhang noch darauf hin, dass die Abwertung eines Fahrrads bei einer Betriebsprüfung Probleme machen kann, wenn dieses Fahrrad dann später zum vollen Preis verkauft werden konnte. Das zweite Problem, der Kauf von Testrädern, ist eine Schwierigkeit, weil man Dinge auseinanderhalten muss, die man im Prinzip gerne als Mischkalkulation zusammenhalten wollte. Aber eine Testradflotte gehört, genau wie Mieträder, zum Anlagevermögen.
Warenbestände regelmäßig vergleichen
Larschow geht bei der Warenbestandserfassung noch einen Schritt weiter. »Täglich ist jetzt übertrieben, aber wöchentlich vergleiche ich die Lagerwerte schon. Ich mache nicht eine komplette BWA auf, das wäre Quatsch, aber ich schaue mir an, was sich da tut. Geht das hoch? Geht das runter?« Das mag in der aktuellen Situation besonders naheliegen, ist aber eigentlich in jeder Marktlage angeraten.
Der Warenbestand wird im Kern in Euro ausgedrückt. Es geht im Wesentlichen also durchaus um den Warenwert. Larschow erklärt, dass er nicht ganz genau verfolgt, wie viele Fahrradschläuche im Laden vorhanden sind, »aber ich habe schon eine Anzeige, wie viele Fahrräder ich habe«. So vergleicht er auf dieser Ebene durchaus auch Stückzahlen und schaut sich die Entwicklung an. »Was ist 2019 gewesen? Wie ist der Bestand der Fahrräder im Sommer gestiegen? Oder hat er abgenommen? Und wo befindet sich das jetzt gerade? Diese Kurven sind nicht uninteressant.« Zudem weist er darauf hin, dass der Handelsbetrieb nicht völlig unter Kontrolle hat, wie diese Kurvenentwicklung im Detail aussieht, was ein altes Leid im Fahrradhandel ist. »Ich habe ja nicht unbedingt einen Einfluss darauf, weil das ja auch mit den Lieferfähigkeiten und Möglichkeiten der Hersteller zusammenhängt. Trotzdem will ich wissen, baut sich das Lager gerade auf oder ab und warum?«.
»Es gibt immer noch sehr viele Fahrradhändler, die ihren Warenbestand nicht monatlich in die Buchführung eingeben. Das heißt, dass die BWA [betriebswirtschaftliche Auswertung], die sie von Monat zu Monat bekommen, eigentlich keine Aussage enthält.«
Andreas Lübeck
Der Warenbestand ist im Fahrradhandel auch deswegen wichtig, weil die Schwankungen dort viel größer sind als in anderen Branchen. Im Lebensmittelhandel, wo sich das Lager alle paar Tage einmal dreht und die Bestände deswegen täglich aufgefüllt und entsprechend weitgehend konstant sind, ist der Warenbestand relativ nebensächlich. Dennoch kennen ihn diese großen Ketten genau. »Aber im Fahrradhandel, also auch vor Corona, als alles noch so war, wie es immer war, waren die Schwankungen im Warenbestand übers Jahr gesehen schon immer extrem. Weil kein Händler so richtig wusste, wann die große Vororder kommt. Die kann im Dezember schon geliefert werden oder im November vielleicht oder im Januar oder Februar. In allen Branchen, in denen ich übers Jahr starke Schwankungen im Warenbestand habe, muss ich monatlich die Warenbestände erfassen.«
Sonst befindet man sich wieder im genannten Blindflug: Der große Kostenblock eines Fahrradhandels mit Personal- und Mietkosten und allem anderen bleibt auch in den Wintermonaten weitestgehend konstant. Gleichzeitig wird klassischerweise in diesen Monaten viel weniger Umsatz generiert. Oft rutscht das monatliche Ergebnis dadurch ins Minus. »Wer die Warenbestandsveränderung nicht in der BWA berücksichtigt, bekommt einfach nicht heraus, wie hoch dieses Minus ist.«
Wie hoch sollte der Warenbestand sein?
Wenn man auf diesen Grundlagen seine Warenbestände erfasst hat, geht es in einem weiteren Schritt um die Einschätzung, was denn ein »guter« Warenbestand ist und wo man im Vergleich mit den Kolleginnen und Kollegen steht. Andreas Lübeck bringt hier seine generelle Klage an der Fahrradwirtschaft an: »Das ist ja schon immer meine Kritik an die Branche, dass wir schon seit vielen Jahren mit viel zu hohem Warenbestand arbeiten. Jetzt ist es total explodiert, wo alle wirklich merken, so geht es überhaupt nicht mehr weiter.« Aber weil der Warenbestand ein grundsätzliches Problem der Branche sei, lohne es sich unabhängig von aktuellen Problemlagen, einen noch größeren Fokus auf diesem Thema zu haben.
Larschow erklärt anhand der eigenen Erfahrungen und Entwicklungen im betrieblichen Alltag, wie ihm die Vergleiche helfen, die eigene Geschäftsentwicklung einzuschätzen: »2020 hatten wir einen Warenbestand, den Andreas schon zu hoch fand und wir uns verbessern müssten. Dieser Bestand hat sich bei mir von 2020 auf 2023 um 100 Prozent gesteigert. Gleichzeitig sind die Umsätze aber nur um 20 Prozent gestiegen. Dass das nicht mehr zueinander passt und dass das jetzt wirklich krass ist, ist, glaube ich, offensichtlich.« Wenn das erkannt sei, könne man an diesen Zahlen arbeiten. Aber dafür braucht es eben die genauen Zahlen und die Berücksichtigung all der Punkte, die bereits genannt worden sind.
Direkt vergleichbar sind die Warenbestände allerdings nicht. Wenn ein Händler 1 Million Euro Warenwert am Lager liegen hat und die Kollegin 2 Millionen, dann sagt das relativ wenig aus. »Erst im Verhältnis zum Umsatz wird der Warenbestand vergleichbar. Daraus ergibt sich letztendlich die Drehzahl«, erklärt Lübeck. Und diese Lagerdrehzahl ist dann wieder direkt vergleichbar. »Im Vergleich ist die Drehzahl wichtiger, weil die hundertprozentig vergleichbar ist. Aber für den einzelnen Händler ist natürlich sein individueller Warenbestand wichtig, weil er in der Regel finanziert ist.« Er muss in diesem Fall dann Zinsen zahlen und weiß, dass er von seinen hohen Warenbeständen wieder herunterkommen muss. Es gelte also, zu unterscheiden: Das eine ist der Warenbestand in seinen unmittelbaren Folgen, das andere die daraus mögliche Vergleichbarkeit über die Lagerdrehzahl.
Auch bei der entscheidenden Kennzahl, dem Rohertrag, braucht man den Warenbestand. »Und um den Rohrertrag berechnen zu können, brauche ich die Warenbestandsveränderung«, verdeutlicht Lübeck. Der Warenbestand und die Warenbestandsveränderung haben einen maßgeblichen Einfluss auf den Rohertrag. Wie man diesen Rohertrag ermittelt, welche Aussagen draus möglich sind und wie man im Vergleich mit anderen Händlern dasteht, ist das nächste Thema in dieser Serie. Bevor man dahin kommt, braucht es aber den korrekten Umgang mit Warenbeständen. Es lohnt, diese Mühe zu treiben. //
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