6 Minuten Lesedauer
Tektro-Zentrale in Taiwan
i

velobiz.de vor Ort bei Tektro:

Ein Unternehmen auf der Überholspur – mit Bremsen

Vor 25 Jahren gegründet, verfolgt der Bremsenhersteller Tektro eine interessante Strategie: Einerseits werden günstige Bremssysteme in enormen Stückzahlen gefertigt, andererseits stehen Flexibilität und innovative Nischenprodukte im Zentrum. Ein Blick hinter die Kulissen des taiwanischen Unternehmens.

Tektro-Zentrale in TaiwanHohe Qualität bei hoher Flexibilität stehen bei Tektro im Mittelpunkt.Volumen-Modelle wie die Bremse wie die Draco sind das Kerngeschäft von Tektro.Fünf bis sechs Millionen Bremsen baut Tektro jährlich.

Auf der Fahrt zur Firmen-Zentrale von Tektro, südlich von Taichung im Changhua County gelegen, findet das Navigationssystem zwar die Strasse, nicht aber die exakte Adresse. Zum Glück ist das markante, erst vor rund zwei Jahren bezogene Gebäude aber nicht zu übersehen. Diese Zentrale ist übrigens nur eines von drei Werken: Wie viele taiwanesische Produzenten ist auch Tektro in China aktiv, wo in zwei Fabriken günstige Bremsen für den asiatischen Markt gefertigt werden. „Von den rund 1300 Angestellten sind etwa 420 in der Zentrale des Unternehmens beschäftigt, der Rest auf dem Festland“, erklärt Leo Chen, Geschäftsführer bei Tektro, bei einer Tasse Tee in seinem Büro.

Fünf bis sechs Millionen Bremsen pro Jahr

Die Frage nach Tektros jährlichem Produktionsvolumen zwingt Chen zu einer Kopfrechnung. Nach kurzer Bedenkzeit meint er: „Pro Jahr dürften es fünf bis sechs Millionen Bremssysteme sein, von einfachen Felgenbremsen über Rennrad-Bremsen bis zu hydraulischen Scheibenbremsen. Als Hersteller von Bremsen mag Tektro groß sein, im Vergleich mit Shimano sind wir aber klein.“ Nur eine geringe Bedeutung hat bei Tektro übrigens die Auftragsfertigung für Dritte. Laut Chen macht diese nicht einmal fünf Prozent der Produktion aus – was bei Tektro noch immer Stückzahlen im sechsstelligen Bereich bedeutet. Als eigentliche Umsatzmotoren dienen nach wie vor günstige V-Brakes und Großserien-Scheibenbremsen wie die Modelle „Draco“ und „Auriga“.

Schon vor einiger Zeit hat Tektro jedoch beschlossen, schrittweise von dieser Billigschiene abzurücken: „Als Gründungsmitglied des A-Teams orientieren wir uns am Toyota Production System. Das heißt, dass wir großen Wert auf Qualitätskontrolle, nachvollziehbare Prozesse und ein hohes Maß an Flexibilität in der Fertigung legen“, betont Chen. Beim Rundgang durch die Fabrik zeigt sich dies an verschiedenen Orten: So ist das hauseigene Testlabor vom TÜV Rheinland zertifiziert. Um optimale Verzögerungswerte zu garantieren, werden die Bremsbeläge vor Ort im Erdgeschoss gefertigt, und die Hydraulikleitungen werden gar aus Deutschland importiert. Dies, weil Tektro in Taiwan noch keinen Hersteller gefunden hat, der ähnlich geringe Qualitätsschwankungen bieten kann.

Rigorose Kontrollen, extreme Flexibilität

Zudem wird jede Bremse per Laser mit einer Artikelnummer versehen. So lässt sich im Falle eines Problems zurückverfolgen, wann genau das fehlerhafte Teil produziert wurde und ob es sich um einen Einzelfall oder um ein größeres Problem handelt. Doch das ist noch nicht alles: Nach dem Befüllen mit Mineralöl wird nicht etwa eine zufällig aus einer Produktionsstaffel gepickte Scheibenbremse geprüft. Nein, bei Tektro verlässt keine hydraulische Bremse das Werk ohne vorhergehende Prüfung. Das passiert vollautomatisch, wobei jedes System neben 250 Bremsvorgängen auch eine Dauerbremsung von 500 Sekunden bestehen muss, ehe es verpackt und versandt wird.

Beeindruckend ist auch die Flexibilität der Fertigung: Werden an einer Fertigungsstraße am Fließband Bremszangen in Großserie montiert, sind es einige Meter weiter speziell lackierte Rennrad-Bremsen. Und zwar in kleinsten Stückzahlen und durch nur eine Person: 25 Bremspaare für Wilier, 19 Bremspaare für BMC, verraten die Bestellformulare. Just in Time-Delivery auf die Spitze getrieben. Möglich wird dies, weil Tektro fast alle Teile selbst auf den durch große Warenlifte verbundenen drei Stockwerken der Zentrale fertigt. Eine Ausnahme sind Magnesium-Teile, die Tektro wegen der Feuergefahr außer Haus fertigen lässt. Auch die Lackierung der Bremsen wird demnächst selbst erledigt. „So können wir Abweichungen bei den Farbtönen vermeiden und zudem die Transportkosten senken“, erklärt Chen. Und zeigt aus einem Fenster auf den Rohbau, der gerade hinter der Firmenzentrale hochgezogen und im Lauf des Jahres 2012 in Betrieb genommen wird. Dieser bietet nochmals so viel Fläche wie das bestehende Gebäude – und zeigt, dass Tektro an weiteres Wachstum glaubt. „In den ersten drei Quartalen des Jahres 2011 haben wir in Europa einen Umsatzrückgang von 13 Prozent hinnehmen müssen. Aber dank rasch wachsender Märkte in Asien und unserer Aktivitäten in Nordamerika konnten wir dies kompensieren“, meint Chen dazu.

TRP als Schritt in höhere Preissegmente

In jüngster Zeit macht Tektro aber vor allem mit der Marke TRP auf sich aufmerksam, quasi dem High-End-Label der Taiwanesen. „Mit TRP wollen wir uns aus dem Erstausrüster- und Billig-Segment nach oben arbeiten. Außer auf dem Nachrüst-Markt rechnen wir uns auch in Nischen einiges an Potential aus, besonders was Bremsen für Zeitfahr- und Crossräder betrifft“, gibt Chen Einblick in die Firmenstrategie. Um die speziellen Bedürfnisse von Rennfahrern und Entwicklern im Detail zu verstehen und in industriell gefertigte Produkte umzusetzen, ist Tektros Marketing-Mann in Nordamerika unverzichtbar. „Die meisten Entwicklungen werden von den USA her angestoßen. Unser Marketing-Mann Lance Larrabee funktioniert dort in der Rennszene wie unsere Augen und Ohren.“

Wie ernst Tektro diese Strategie verfolgt, zeigt eine ganze Reihe von Auszeichnungen für innovative Produkte. Zuletzt räumten die Taiwanesen an internationalen Fachmessen mit der „Parabox“ ab. Unter dem Vorbau montiert, erlaubt dieses Teil die Kombination klassischer Rennrad-Bremshebel mit hydraulischen Scheibenbremsen. Das hat man zwar auch schon von Hope und Trick Stuff gesehen, aber Tektro hat sich als erster Produzent an eine industrielle Fertigung eines solchen Systems gewagt. Eine weitere Spezialität von TRP sind V-Brakes mit kurzen Bremsarmen, die bei Zeitfahr-Maschinen etwa von BMC oder Wilier aerodynamisch günstig hinterm Tretlager montiert werden, sowie federleichte Cross-Cantileverbremsen aus Carbon und Magnesium.

Noch sind Scheibenbremsen am Rennrad ein Nischenprodukt für Crosser, aber Chen erwartet, dass sich diese Bremstechnik auch am Rennrad durchsetzen wird. „Die Vorteile gegenüber Felgenbremsen sind einfach zu eindeutig, zumal bei der Verwendung von Carbon-Felgen.“ Daher ist es auch nicht überraschend, dass Tektro an der Taipei Cycle Show im März 2012 eine voll hydraulische Scheibenbremse für Rennräder präsentieren wird – vom Bremshebel bis zur Zange. Und damit eine weitere Weltpremiere verbuchen kann.

8. Februar 2012 von Laurens van Rooijen

Verknüpfte Firmen abonnieren

TEKTRO Europe GmbH
Nur für Abonnenten
News
Nur für Abonnenten
Kommentare
Nur für Abonnenten
Stellenmarkt
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login