Report - Familienräder
Family Guys
Noch vor wenigen Jahren standen Fahrräder nur gelegentlich vor Kitas, für die Überführung der kleinen Fahrgäste zum nächsten Spielplatz. Heute trifft man viel häufiger Eltern mit eigenem Urban Arrow, Babboe, Bakfiets oder Nihola – auch in der kalten Jahreszeit. Der Grund: Auch frisch gebackene Eltern – und nicht nur solche, die schon immer Rad-mobil waren – sehen im Familienrad das bessere Auto für die Stadt. Praktischer, zum Beispiel weil parkplatzsorgenfrei, umweltfreundlicher und – für junge Familien ein wichtiger Punkt: günstiger als jedes Auto. Dazu kommt: »Autofahren in der Stadt nervt«, wie auch Ulf Blume im Interview unten meint. Parkplatzsorgen und -kosten, Umweltschutzgründe, positive Auswirkungen auf die Gesundheit, das alles zählt natürlich zu den bekannten Argumenten nicht nur fürs Rad, sondern auch fürs Rad als Familien-Mobilitätsmittel. Ein wesentlicher Faktor, der in den letzen zwei Jahren zur Verbreitung in Großstädten beigetragen hat, ist sicher auch: Das Velo selbst ist in allen Erscheinungsformen trendy geworden, und nun – zumindest was deutsche Großstädte anbelangt – ist es auch das Rad für den Kindertransport.
Konzepte
Der potenzielle Familienrad-Nutzer muss sich beziehungsweise dem Händler einige Fragen beantworten, bevor er sich weiter informiert.
1) wie viele Kinder?
2) welchen Alters?
3) Soll das Rad die Familie länger begleiten?
4) Wie schnell will er damit von
A nach B kommen?
5) Wie lang sind die Strecken, die mit dem Rad zurückgelegt werden –
will er damit vielleicht auch Touren fahren?
6) Gibt es einen sicheren ebenerdigen Abstellplatz?
Die Antworten zu Fragen 1) und 2) haben es in sich: Sollen mehr als zwei Kinder transportiert werden, scheidet der Einspurer aus. Nur Dreiräder gibt es mit höherer »Kinder-Kapazität« – meist liegt sie bei bis zu vier.
Mit Babyschalen, die meist über die vorhandenen Kindergurte befestigt werden, können Kinder schon ab wenigen Monaten mitfahren.
Die sichere Standfestigkeit auch beim Langsamfahren und das tendenziell größere Raum- und Sitzplatzangebot machen das Dreirad zum idealen Baby-Bus. Wer auf Nummer »Groß-und-sicher« gehen will, kommt um die Dreirad-Version daher kaum herum.
Die hat natürlich nicht nur Vorteile: Breite und Mehrgewicht machen das Rad weniger wendig. Als mehrspuriges Fahrrad neigt sich das Rad auch nicht wie ein Zweispurer in die Kurve (Ausnahme z.B. Butchers and Bicycles), was zu niedrigeren Kurvengeschwindigkeiten führt. Auch das Lenkungshandling ist, verglichen mit dem Zweirad, meist deutlich weniger komfortabel. Oft wird der Vorderbau mit Kindertransportkiste zum Lenken gedreht. Je nach Rad- und Kindergewicht kann das durchaus in die Arme gehen.
Wenn das Rad die Familie länger begleiten soll, ist ab dem Grundschulalter ein Tandem mit Kinder-Option erste Wahl: Die kleinen Piloten können selbst kräftig zum Vorschub beitragen, was die meisten Piloten begeistert. Die Auswahl ist hier relativ gering; von der Funktion her überzeugt das Pino von Spezialisten Hase Bikes vor allem durch Flexibilität, da bei diesem Sitz-/Liege-Tandem sowohl Kinder (mit zusätzlichem Kindertretlager) als auch Erwachsene fahren können. Allerdings liegt der Einstiegspreis auch höher als bei Tandems, die nur von Kindern bis zu einer gewissen Größe genutzt werden können.
Rückenwind macht Kinder leichter
Mit Pedelec-Motor lässt sich die süße Fracht deutlich leichter befördern. Auch wenn nachträglicher Einbau oft möglich ist: Viele Hersteller empfehlen von vorneherein, mit elektrischem Rückenwind anzutreten – außer es geht nur um die täglichen 500 Meter von der Wohnung zum Spielplatz. Doch auch die sind nur mit eigener Muskelkraft nicht jedermanns und -fraus Sache. Eine Schaltung mit kleiner Untersetzung muss auf jeden Fall an Bord sein, am Dreirad auch eine Feststellbremse.
Wer auch Touren fahren will, ist für Kinder ab sechs Jahren sicher mit einem Eltern/Kind-Tandem gut bedient. Unter den reinen Kindertransportern sind Einspurer bedingt dazu geeignet.
Nie ohne Praxistest!
Das spricht einen zentralen Punkt an: Noch mehr als beim schlichten Brot-und-Butter-Rad zählt beim Transportrad die Testfahrt – und zwar unbedingt mit der »Fracht«, für die das Rad bestimmt ist. Denn schließlich nutzt es nichts, wenn Papa das Taxi toll findet, aber die Kids nicht richtig reinpassen oder wollen. Lastenradfahren braucht, gerade bei Wenigradlern, etwas Übung. Der Nutzer sollte sich also nicht unbedingt gleich auf die nächste Durchgangsstraße stürzen, sondern zunächst in einem wenig befahrenen Bereich ans Fahren herantasten. Dreiräder haben den großen Vorteil, dass man beim Stopp entspannt sitzen bleiben kann, während Zweiräder mitsamt der Last balanciert werden müssen. Andererseits sind die Trikes »Schlaglochsucher«: Drei Spuren machen gezielte Ausweichmanöver schwierig bis unmöglich.
Auch die Frage »E-Unterstützung oder nicht« lässt sich bei einer ausgedehnten Testfahrt mit Praxis-Bezug klären. Oft hat der Tester keine Zweifel daran, dass ein Motor sinnvoll ist – bloß kostet ihm das Rad damit oft zu viel. Entscheidungshilfe: Der Vergleich mit den Kosten, die ein Auto in der Stadt verursacht.
Technik: von schlicht bis High End
In puncto Komponententechnik ist besonders bei Kinder-Transporträdern die ganze Range vertreten, von den einfachsten Bremsen und Schaltungen bis hin zu feinster Hightech – alles nur eine Frage der Kosten. Schließlich gibt es Eltern-Taxis ab etwa 1.700 Euro. Dass dann nicht Highend-Scheibenbremsen und Rohloff-Nabe verbaut sind, versteht sich. Andererseits wurde beispielsweise von Spezialisten wie Butchers and Bicycles eine feine Neigetechnik fürs Dreirad entwickelt, die das Gefährt fast so flott und wendig machen soll wie einen Zweispurer. Lifestyle zählt hier besonders, so bietet das Rad unter anderem ein Handschuhfach eine Smartphone-Ladezentrale und sogar einen Becherhalter für den unvermeidlichen Cappuccino.
Natürlich muss ein wenig genutztes Lastenrad für Kurzstrecke nicht mit der allerfeinsten Technik ausgestattet sein, doch sind einige Basics zu beachten: Rollenbremsen sind auch bei geringen Geschwindigkeiten nur als Notlösung zu sehen, wenn das Rad neben Eigengewicht und Fahrer auch noch Kinder tragen soll. Scheibenbremsen sollten es dann schon sein – zumindest and den Vorderrädern.
Beim Thema »Federung« wird die Luft dünn: Nur wenige Hersteller bieten Sie an. Da mit Dreirädern meist langsam gefahren wird, ist sie dort auch wenig Thema. Bei Zweirädern, vor allem mit Unterstützung, bietet sich an, über eine Vorderradfederung nachzudenken, wenn es die Ausstattungsliste hergibt. Das Riese und Müller Load (mit Kindertransport-Ausstattung) hat serienmäßig Vollfederung.
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