Parlamentarischer Abend des ZIV:
Für die Verkehrswende müssen nicht nur Straßen umgebaut werden
Der Parlamentarische Abend in Sichtweite des Reichstags ist in der Fahrradbranche schon eine Tradition. Mal organisieren diesen mehrere Verbände gemeinsam, mal lädt ein einzelner Verband gemeinsam mit einem bundespolitischen Schirmherren nach Berlin. Diesmal war es der ZIV, der gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten und Mitgründer des Parlamentskreises Fahrrad Gero Storjohann in die Parlamentarische Gesellschaft im Berliner Regierungsviertel lud.
Nach Begrüßung und einem Einblick in die aktuelle Marktentwicklung von ZIV-Geschäftsführer Siegfried Neuberger („rechnen in diesem Jahr wieder mit über 4 Mio. verkauften Fahrrädern“), einem Grußwort des parlamentarischen Staatssekretärs Guido Beermann („Deutschland steht für Ingenieurskunst, und die wollen wir auch im Radverkehrs sehen“), war es vor allem die Magdeburger Umweltpsychologin Dr. Anke Blöbaum, die den Zuhörern beim Parlamentarischen Abend einige neue Blickwinkel auf den Radverkehr und dessen Ausbaupotenzial eröffnete. Ihr Vortrag mit dem Blick einer Psychologin auf das Thema machte deutlich, dass der Ausbau der Fahrradinfrastruktur nur ein Baustein einer fahrradfreundlichen Verkehrswende sein kann, der aber ohne Wirkung bleibt, wenn nicht auch die Köpfe der Menschen berücksichtigt werden.
„Viele Menschen fahren gerne Auto“, so die schlichte, aber auch ernüchternde Erklärung von Dr. Blöbaum, warum der Anteil der motorisierte Individualverkehr in Deutschland im Modal Split immer noch einen so hohen Stellenwert einnimmt. Dahinter stecken tief in der Psyche der Menschen verankerte Bedürfnisse, wie zum Beispiel der Wunsch nach Autonomie, aber auch nach Status, Erlebnis und Privatheit. Viele dieser in der Fachsprache als „symbolisch-emotional“ beschriebenen Motive treffen zwar auch für das Fahrrad zu, trotzdem sei es sehr schwer, eine Verhaltensänderung der Menschen herbeizuführen. Denn, so die Expertin: „Unglaublich viele Menschen nutzen immer das selbe Verkehrsmittel.“ Und: „Es ist eine große psychologische Herausforderung, die Menschen dazu zu bringen, beim Mobilitätsverhalten neu nachzudenken.“ Das Verkehrsmittelwahlverhalten sehen die Psychologen gar als einen der am schwierigsten zu beeinflussenden Bereiche überhaupt. Die gute Nachricht daran: Wer sein Mobiltitätsverhalten einmal geändert hat, bleibt meistens auch dabei.
Eine fahrradfreundliche Infrastruktur sei dabei lediglich eine wichtige Basis, damit Menschen ihre Verkehrsmittelwahl ändern, die aber ohne eine positive Kommunikation zum Radfahren letztlich wirkungslos bleibe. Wer mehr Radverkehr will, muss die soziale Norm pro Fahrrad stärken, so die Psychologin.
Dem Abschluss des Parlamentarischen Abends bildete eine kurzweilige Podiumsdiskussion, bei der sich Gero Storjohann von der CDU, der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar und Mathias Stein von der SPD mit sichtlicher Sympathie füreinander, aber auch zahlreichen Spitzen gegenseitig die Versäumnisse in der Fahrradpolitik der jeweiligen Parteien vorrechneten. Wie etwa der grüne Fahrrad-Experte Gelbhaar, der den Bundestagskollegen erklärte, dass die im Bundesverkehrsministerium angestoßenen Projekte pro Fahrrad angesichts von etwa 5000 mit einem hohen Milliarden-Budget ausgestatteten Projekten pro Auto des selben Ministeriums geradezu unbedeutend wirken.
In ein ähnliches Horn stieß auch Shimano-Vertreiber und ZIV-Präsident Bernhard Lange als Podiumsgast, der sichtlich die Nase voll hatte von politischen Lippenbekenntnissen pro Fahrrad und stattdessen mehr konkrete Maßnahmen forderte. Das beträfe in erster Linie den Infrastrukturausbau, erklärte Lange, der sich aber auch in der Diskussion für einen Wegfall der Mehrwertsteuer für Fahrräder stark machte.
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