Markt - E-Bike-Entwicklung
Gemischte Gefühle, viel Potenzial
Laut der Zahlen des ZIV (Zweirad-Industrie-Verband) sind die Pedelec-Verkäufe in den ersten vier Monaten 2024 nahezu mit denen des Vorjahreszeitraums identisch: 800.000 E-Bikes wurden in diesem Zeitraum verkauft. Allerdings waren Produktion (-16 Prozent) und Import (-43 Prozent) während dieser Zeit deutlich unter den Zahlen von letztem Jahr – volle Lager sorgen dafür. Auf der Eurobike prognostizierte Burkhard Stork, Geschäftsführer des Verbandes, allerdings einen Anstieg für 2025. Grundsätzlich sei das »Interesse am E-Bike ungebrochen«, so Stork. Deshalb gehe man 2025 von einer deutlichen Erholung aus. Schließlich lägen die Absätze auch für das erste Quartal 2024 über dem Vor-Corona-Niveau. Als großen Treiber sieht man hier nach wie vor das Dienstrad-Leasing, das hohe Preise zum einen leichter verdaulich macht, zum anderen auch durch die enorme Breitenstreuung neue Käufer und Käuferinnen fast wie von selbst generiert. Das E-Lastenrad konnte 2023 seinen Anteil von 7,5 auf 9 Prozent steigern und dürfte auch jetzt immer noch im Aufwärtstrend sein. Nach wie vor ist das E-MTB mit einem Anteil von satten 39 Prozent einer der Treiber des Erfolgs.
Über das Prototypen-Stadium hinaus, und wohl bald in OEM-Rädern zu finden: Pendix GDrive Mittelmotor.
Allgemein ist der fortschreitende Konzentrationsprozess bei den Herstellern wie bei den Händlern weiter in vollem Gang: Große Marktteilnehmer und Konzerne kaufen kleinere auf, immer noch steigen Unternehmen aus dem Automobilbereich in den E-Bike-Sektor ein.
Diversifizierung bei gleichzeitiger Generalisierung
Bike-Visionär Gunnar Fehlau erwartet eine Entwicklung des E-Bikes in zwei scheinbar entgegengesetzte Richtungen. Zum einen immer höhere Ausdifferenzierung. Etwa neue, kleinere Cargobikes, die mit tiefen Schwerpunkten kleine Lasten wie Bierkästen souverän transportieren können. Leichte Pendler-E-Bikes für die 20-Kilometer-Strecke ins Büro, Rennräder mit Ausrichtung auf noch mehr aerodynamische Optimierung. Immer mehr Nischen werden sich bilden können. »Den direkten Gegentrend stellen Segmente wie das Sharingbike dar«, so Fehlau. »One for alle«, so sei hier die Devise. Die Ausrichtung auf etwas, was man »breite Mobilität per E-Bike« nennen könnte, schafft aber auch ein enorm hohes Potenzial an multipel einsetzbaren Fahrzeugen, übrigens auch bei Komponenten. Fehlau verweist als Beleg im Komponentensektor auf das Allround-Ventil, wie Schwalbe es gerade auf der Eurobike vorgestellt hat: Eines für alle! Das »wälzt die Fahrradindustrie um, die früher oft nur für den engagierten Fahrradfahrer gedacht hat.«
Aus Motoren und Planetengetriebe wird bei Villiger eine ganz neue Getriebe-Motor-Einheit. Die Schaltung ist stufenlos.
Die Generalisierung wie auch die Ausdifferenzierung des E-Bike-Sektors werde uns noch lange erhalten bleiben, so Fehlau. Doch egal, ob beim ZIV oder beim Pressedienst Fahrrad: Keiner zweifelt daran, dass die Tendenz »mehr E-Bikes als Fahrräder« sich noch verstärken wird.
Das Preissegment mit elektrifizierten Rädern unter 2500 Euro spielt eine immer größere Rolle. Dabei geht es vor allem um E-Bikes, die auf Design einerseits und Komponenten aus dem günstigen Bereich setzen. Dazu haben sie oft ein eingeschränktes Angebot an Rahmengrößen, was eine günstigere Produktion ermöglicht. Diese Marken, wie etwa Tenways, Carlos oder die im Design vergleichbaren Niederländer von VanMoof, werden Zuwachs bekommen. Das alles spricht dafür, dass bald auch eine weniger kaufkräftige Klientel ohne Dienstradmöglichkeit aufs E-Bike steigen und das E-Bike damit wirklich massentauglich wird (s. dazu auch den Beitrag zur Entwicklung einzelner Preisbereiche in velobiz.de-Magazin 7/24). Aus der allgemeinen Markensicht wird die eigene Positionierung in diesem Umfeld noch wichtiger. Wie behauptet man sich in einem Markt, der um die Pole Premium, Cube und nun auch günstige Designräder kreist?
Komfort und Technik, die Wartung abnimmt
Eine klare Entwicklung ließ sich auf der EB 2024 ablesen: Komfort zählt nach wie vor. Vollgefederte, nicht-sportive Räder für wirklich alle Gelegenheiten (immer noch SUV genannt) gibt es nicht mehr überwiegend in klassischen Diamantrahmen-Formen. In der Form als Tiefeinsteiger entwickelt sich diese Gattung zu einem neuen Basismodell. Die elektronisch-automatische Schaltung wird immer wichtiger, was Shimano schon früh erkannte. Der vorerst letzte Sprung, der Komfort und Wartungsfreiheit verbindet, ist die Motor-Getriebe-Einheit – in Zukunft wohl auch vor allem automatisch. Pinion machte es als erster namhafter deutscher Vertreter vor. Doch einige andere internationale Unternehmen, wie der Getriebepartner von Decathlon, Owuru, setzen gleich auf die stufenlose Bereitstellung von Übersetzungen.
Neue Motorenvielfalt – zumindest in der Theorie
Überhaupt, Motoren! Auf der Messe fand sich eine Unzahl an neuen Antrieben, von Drehmoment-Wundern wie Dji Avinox mit 120 Nm über den Delta mit der runden Optik bis hin zum kompakten Centrix des Autozulieferers ZF oder technologische Leckerbissen wie den Villiger-Antrieb, um nur einen Bruchteil der Neuheiten zu nennen. Dieses üppige Angebot macht es für die OEM einerseits einfach, günstig einzukaufen. Von einigen der Newcomer wird erwartet, dass sie ihre versprochenen Leistungen liefern und auch einen passenden Service dazu. Doch der Weg in den Markt könnte für die Antriebshersteller steinig werden. Denn eine große Vielfalt an Antriebsherstellern gibt es schon seit Jahren, dominiert wird der Markt aber von ganz wenigen. Damit das so bleiben möge, bieten auch sie Neuheiten, wie sie etwa Bosch vorstellte.
Kleines Produkt, große Leistung:
Der neue Mittelmotor vom Autozu-lieferer ZF schafft 90 Newtonmeter.
Das Rad denkt mit und macht, was die Radfahrenden wollen. Beim neuen »Eco+«-Modus der smarten Bosch-Motoren nimmt der Antrieb automatisch seine Arbeit auf, wenn er bemerkt, dass Fahrer oder Fahrerin ohne Unterstützung sonst über eine gewisse Anstrengungsgrenze kämen. Oder das System schaltet in eine geringere Unterstützungsstufe, wenn es erkennt, dass das Ziel einer Tour im voreingestellten Modus nicht zu erreichen ist. »Digitalisierung« bleibt also das Zauberwort.
Digitale und integrative Sicherheit
»Das Rad nimmt sich ein Beispiel am Auto, es muss aber noch viel sicherer werden«, so Guido Müller von Busch + Müller. Zwei aktuelle Neuheiten aus dem Unternehmensportfolio arbeiten daran. Eine davon ist das digitale Kurvenlicht, was bedeutet, dass man im Dunkeln dort, wo man hinsteuert, auch wirklich gute Sicht hat. Hier leuchten unterschiedliche LEDs in unterschiedliche Richtungen und werden je nach Bewegung des Rades ein- und ausgeschaltet. Die andere ist der jetzt erlaubte Blinker, wie man ihn vom Motorrad kennt. »Wie soll man auch bei 25 Stundenkilometern wirklich sicher Handzeichen geben?« Seit Jahren schon gibt es zudem ABS-Systeme, auch wenn sie sich kaum durchgesetzt haben, was aber nicht an der Funktion liegt, sondern am Preis. Alles wird integriert, verschwindet in der »Karosserie«. Ganz konkret kann man das auch von Security- und sonstigen konnektiven Modulen sagen: GPS- und GMS-Einheiten verschwinden im Rahmen und ermöglichen neben einfacher berührungsloser Kommunikation, meist per Handy-App, Diebstahlsicherheit und/oder Auffindbarkeit. In der Schweiz werden E-Bikes »ohne« von manchen Versicherungen bereits nicht mehr angenommen.
Digitalisierung, die uns allen nutzt
»Die Digitalisierung hat erst angefangen«, sagt auch Michael Klampfl von Comodule, einer der Hersteller dieser Module. In Zukunft wird beispielsweise die Kommunikation zwischen Hersteller und Kunden noch eine wesentlich größere Rolle spielen. Umso mehr gilt das auch für die Daten, die man so gewinnen kann: Durch die Vernetzung erhält der Hersteller anonymisierte Daten zum Gebrauch der Räder, die etwa Rückschlüsse auf den Einsatzbereich der Räder, die Intensität der Nutzung und vieles mehr ermöglichen. Damit können gleichzeitig individuell angepasste Wartungsempfehlungen an die Nutzer weitergegeben werden. Der Hersteller erhält außerdem Daten, mit denen er seine Produkte weiter optimieren und an bestimmte Einsatzbereiche genauer anpassen kann.
Das können nur moderne Longtails: das Abstellen des Bikes hochkant spart viel Platz.
Schneller hat Zukunft
Was den Markt angeht, wird nach Anja Knaus vom Schweizer E-Bike-Pionier Flyer vor allem das S-Pedelec mächtig hinzugewinnen. Auch in Deutschland. Vielleicht sogar exponentiell wachsen. Nadelöhr bleiben der »kritischen Punkt« Infrastruktur für dieses Fahrzeug und die rechtlichen Möglichkeiten. Auch 2023 konnte das S-Pedelec nicht mit mehr als 0,5 Prozent Anteil am gesamten E-Bike-Bereich punkten. International und typübergreifend sieht man beim Hersteller große Marktpotenziale vor allem in USA und Kanada. Dort werde es deutliche Zuwächse geben. Doch grundsätzlich wird, wenn auch sehr langsam, die Fahrrad-Infrastruktur auch hierzulande allmählich verbessert – und wer Radwege sät, erntet Radverkehr ….
Das E-Bike wird nachhaltiger
Die ersten Unternehmen stellen bereits Komponenten wie Felgen aus Recycling-Alu her (Brompton und Hydro). Schwalbe Reifen konnte im Juni melden, dass der Recycling-Kreislauf bei bestimmtem Segmenten bereits geschlossen wurde. Stahl- und Alurahmen-Hersteller empfehlen sich als ohnehin sehr nachhaltig, Erstere wegen geringen Energiebedarfs bei der Produktion, Letztere wegen der einfachen Recycelbarkeit, beide punkten mit der Haltbarkeit der Produkte. Das Igus-Kunststoff-Bike aus recycelten Fischernetzen hat, obwohl noch nicht wirklich in Verkehr, Vorbildfunktion.
Transportieren wie die großen, Platz sparen wie ein Faltrad: Carlos V macht sich zum Wegpacken und Transport klein.
Nachdem das Fahrrad wegen seiner ökologischen Bedeutung als Verkehrsmittel ohnehin als sehr nachhaltig gilt, ist es nun zusätzlich auf dem Weg zum umweltfreundlichen Produkt. Wo geht das hin? Zu Kreislaufwirtschaft über eine noch aufzubauende entsprechende Verwertungs-Infrastruktur einerseits und hoffentlich zu immer haltbareren E-Bikes andererseits.
Ladegerät als bestimmender Faktor der Zukunft
Die Batterie ist meist das schwerste Teil am E-Bike. Dass in den letzten vier, fünf Jahren Minimal-Assist-Bikes mit leichten Antriebssystemen entstanden sind, versucht, diese Entwicklung zu Schwergewichten einzufangen. Doch es geht nicht darum, eine Superbatterie zu entwickeln und Superreichweiten zu haben, meint Alex Thusbass. Das Ladegerät werde nämlich bald eine viel größere Rolle spielen, erklärt der Mitentwickler der ersten erfolgreichen E-Mountainbikes, heute CEO des E-Bike-Herstellers Hepha. Es ginge darum, kleine Geräte, etwa mit einer Art USB-C-Schnittstelle und Schnelllade-Standards zu entwickeln. Auf der Tour wird in der Kaffeepause das Bike schnell zwischengeladen, und die nächsten 40 Kilometer sind drin.
Alte Nischen und ganz neue Formate
»Wir sind heute in der Phase drei der E-Bike-Entwicklung«, so Thusbass, »die urbane Phase.« Das echte urbane Rad suche noch seine Form. Das urbane Rad brauche »eine viel breitere Usability, entsprechend der vielschichtigen Zielgruppe. Hier mischen sich die Ansprüche«. Cargo sei heute weitgehend ausdifferenziert. Wenn es nicht um Kindertransport gehe, kommt jetzt das neue urbane Rad als Allrounder ins Spiel. Thusbass ist sicher: Der Erste, der ein bezahlbares Konzept entwickelt, das alle Ansprüche im urbanen Bereich mischen kann, werde den Wettlauf gewinnen. Die Ansprüche gehen vom Pendeln zu verschiedenen Transportvarianten über den Alltagsnutzen bis hin zum Image-Transporter. Dabei werde das E-Bike bald weniger als heute ein Rad mit angebautem Motor sein, sondern ein ganz eigenes Fahrzeug, das irgendwann wohl auch seine Pedale verlieren werde. Doch dieses Fahrzeug, das Super-LEV, wie Thusbass es nennt, ist allzu sehr Zukunftsmusik. Auf jeden Fall werde es nicht den Weg zurück geben, so wie bei den Light-Assists, die die Leistung des Antriebs der Gewichtsersparnis opfern. »Das E-Bike ist eine neue Mobilitätsform, es muss nicht das Fahrrad ersetzen.« Es ist ein klares Plädoyer für eine noch eigenständigere Gattung E-Bike, zu der wir, laut der Roadmap von Alex Thusbass, unterwegs sind.
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