Report - Shitstorm in den Medien
Gewitterwolken über E-Bikes
Licht und Schatten perfekt beherrschen« heißt es sinnigerweise im Motto der Kölner Innung Rollläden und Sonnenschutz. Saisonrückblickend betrachtet könnte man angesichts anfangs richtig schlechten Wetters und im Folgenden genauso schlechter Testergebnisse für E-Bikes, die nur noch durch eine anschließende verheerende Medienberichterstattung getoppt wurden, darauf kommen, dass der Spruch auch gut als Motto für die Fahrradbranche dienen könnte.
Tatsächlich hat die negative Berichterstattung dem neuen Hoffnungs- und zunehmend wichtigen Umsatzträger der Fahrradbranche und der allgemeinen E-Bike-Euphorie einen herben Dämpfer verpasst. Kaum jemand aus der Fahrradbranche, der sich ernsthaft mit der Medienberichterstattung befasst hat, kann das Thema guten Gewissens einfach beiseiteschieben. Auch wenn er selbst wenig oder gar nicht betroffen scheint. Denn gerade der durch die Stiftung Warentest zusammen mit dem ADAC durchgeführte Test wendet sich mit medialer Macht nicht nur gegen einzelne Hersteller und schwarze Schafe, sondern nimmt führende Marken ins Visier und im Zuge der teils überspitzten Verkürzung in den Medien, gleich die gesamte Fahrradbranche in Haftung.
Auch in anderen Zusammenhängen wurden E-Bikes im vergangenen Jahr, nach zuvor eher wohlwollender Presse, von verschiedenen Akteuren und Medien zunehmend ins Visier genommen und als Gefahrenquelle erkannt. Ob in Zusammenhang mit plötzlich und massenhaft auftretenden »rasenden Rentnern« auf S-Pedelecs, Akkubränden, potenziellen und tatsächlichen Unfällen mit und ohne Helm, Rahmenflattern, Forderung nach einer gesetzlichen Helmpflicht und, und, und … Verbands- und Lobbyvertreter konnten und können sich nicht über zu wenig Arbeit beklagen.
Gesellschaftlicher Diskurs findet heute über die Massenmedien statt
»Nach Jahren, in denen das Fahrrad keinen Stellenwert an sich hatte, rückt es jetzt, bedingt durch verschiedenste Faktoren und nicht zuletzt wegen dem E-Bike immer mehr in den gesellschaftlichen Mittelpunkt«, betont Gunnar Fehlau vom Pressedienst Fahrrad, der die Medienberichterstattung wie kaum ein zweiter in den letzten Jahren verfolgt und mitgestaltet hat. »Dazu gehört selbstverständlich, dass es nicht immer nur positive Presse, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung und gegebenenfalls eine negative Berichterstattung gibt.«
Mit der Komplexität der Materie, ob bei Verkehrssicherheit, Helmpflicht oder eben auch bei E-Bike-Tests wachsen natürlich auch die Anforderungen an die Beteiligten. »Das Thema Fahrrad verlangt nach einer differenzierten Betrachtung, zu der es langfristig keine Alternative gibt«, konstatiert dazu der Medien- und Radfachmann. Fahrradfahrer stellen eine wichtige Größe in der Gesellschaft dar, was zum Beispiel der Besuch der Kanzlerin auf der Eurobike belegt. »Deshalb können sich heutzutage weder Medien noch Testinstitute ein wenig oder nicht fundiertes ‚Rad-Bashing‘ leisten, wenn sie nicht langfristig ihre Reputation beschädigen wollen.« Das gilt nach Meinung von Fehlau auch für
die Stiftung Warentest. »So, wie der Pedelec-Test gelaufen ist, hat er weder der Fahrradbranche noch der Stiftung gutgetan.«
Wann ist ein Test realitätsnah?
Ohne Frage bildete die Berichterstattung zum Test der Warentester und des Verkehrsclubs ADAC den Höhepunkt der negativen Berichterstattung. Von »Rahmenriss und Lenkerbruch« und »katastrophales Ergebnis des ADAC-Pedelec-Tests« berichtet die ADAC Motorwelt (06/2013), die mit einer Auflage von 13,5 Millionen Exemplaren (s. Kasten) fast jeden potenziellen E-Bike-Kunden erreicht. Unter dem Titel »Das Risiko fährt mit«, betont die Stiftung Warentest: »Den neun mangelhaften Modellen stehen gerade mal zwei gute gegenüber«, und beschwört für jeden Radfahrer nachvollziehbare Horrorszenarien: »Lenkerbruch – Nasenbeinbruch«. »Plötzlich sackt das Hinterrad seitlich weg und blockiert. »Bremsen versagen.«
Wen wundert es da, wenn in der folgenden Berichterstattung landauf, landab von »lebensgefährlichen Rädern«, »massiven Sicherheitsmängeln« und »Pfusch in Serie« die Rede ist, »erschreckende Ergebnisse« oder »wenige Lichtblicke und viele Versager« festgestellt werden. Selbst der ADFC unterstellte den mangelhaft getesteten Herstellern als Reaktion in einer Pressemitteilung indirekt, dass sie ihre Räder, um Geld zu sparen, nicht anhand realitätsnaher Kriterien entwickeln und vor dem Verkauf nicht nach dem Stand der Technik testen würden. Die Anforderungen der Stiftung Warentest, so die Pressemitteilung, seien »anspruchsvoller als die einschlägigen Normen, aber realitätsnah«.
Mit der beschworenen Realitätsnähe ist das allerdings so eine Sache, was auch der Stiftung Warentest und dem ADAC nur zu gut bewusst ist. Um beim Kernthema des ADAC zu bleiben, zum Beispiel in Bezug auf die Angaben zum Kraftstoffverbrauch bei PKWs. Die werden zwar nach EU-Normen getestet, allerdings mit ausgeschalteten Verbrauchern wie Heizung, Klimaanlage, Scheibenwischer etc. gefahren. In der Praxis, so die Kritik des ADAC, verbrauchen PKWs zum Beispiel gern mal 20 Prozent mehr als vom Hersteller angegeben. Wir lernen: Tests messen eben nur das, was Tests messen. Mit der Realität muss das noch nicht viel zu tun haben. Und EU-Normen werden immer aus einem Konsens zwischen den verschiedenen Akteuren (u. a. Industrievertreter, Experten und Lobbyisten) festgesetzt, um zu sichern, »dass Produkte oder Dienstleistungen geeignet, vergleichbar und kompatibel sind.«
Wann aber ist ein Produkt geeignet? Sicher nicht, wenn es angeblich nach wenigen Testkilometern, wie beim getesteten Flyer-Modell, mit Rahmenbruch liegenbleibt. »Plötzlich sackt das Hinterrad seitlich weg und blockiert. Das Teil, an dem das Hinterrad am Rahmen befestigt ist, das Ausfallende, war gebrochen. So passiert beim 2 690 Euro teuren Flyer C5R Deluxe – schon nach wenigen tausend Kilometern im Dauertest«, erläutert die Redaktion der Stiftung Warentest in der Eröffnung ihres Artikels. Unter dem Titel »Doppelt getestet« heißt es dazu weiter: »Bei den Tests, die zu mangelhaften Noten führen, prüfen wir doppelt. Das heißt Räder noch einmal kaufen und noch einmal testen. Unsere Prüfungen sind nicht sonderlich hart. Die Fahrräder müssen Belastungen aushalten, die im Alltag tatsächlich auftreten.«
Hier ist ein guter Moment innezuhalten und den Test unabhängig von allen Fachdiskussionen über Testverfahren, Belastungsspitzen und Ähnlichem zu betrachten. Der Rahmen des Flyer C5, eines seit 2003 tausendfach gebauten und im Verleih härtesten Bedingungen ausgesetzten E-Bikes, bricht nach wenigen tausend Kilometern und niemand, weder Kunden, noch Händlern, Verbänden, Presse, Bloggern oder Verbraucherschützern ist das bislang aufgefallen? Wenig realitätsnah.
Die Diskussion um Testergebnisse ist keineswegs neu
Bei allen Diskussionen um den aktuellen Test sollte man sich zudem auch bewusst machen, dass es in Bezug auf Eignung und Realitätsnähe bereits auch in der Vergangenheit immer wieder Diskussionsbedarf gegeben hat. »Verbraucherschutz oder Willkür?« kann man zum Beispiel fragen, wenn gezielt Grenzwerte für Schadstoffe von den Warentestern herangezogen werden, die ansonsten für Produkte und Materialien gelten, die von Kleinkindern regelmäßig und andauernd in den Mund genommen werden. Die Folge: Abwertung von eigentlich guten Produkten auf »mangelhaft« aufgrund von Spuren Polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) in Reifen oder Textilien, wie bei Puky (2008) oder Croozer (2010). Die passenden Schlagzeilen: »Krebsgift in Griffen, Polstern und Reifen«, »Viele Kinder-Laufräder giftig«, »Gift in Fahrradanhängern für Kinder«, »Zu viel Gift am Haken«. In einer Stellungnahme dazu monierte Puky zum Beispiel zu den PAK-Spuren in Reifen: »Allein die Verschmutzung der Profile, das Befahren von schmutzigen Wegen einschließlich Verunreinigungen durch Straßenschmutz, Teer, Tierkot etc. führt dazu, dass die Fahrzeuge weder im Kinderzimmer gelagert werden, noch die Bereifung bei der Benutzung durch Kinder in den Mund genommen wird.« Eine Argumentation, der man sich kaum entziehen kann. »Realitätsnah« wurde im Anhängertest der Croozer-Modelle auch gleich ein Rahmenbruch festgestellt, der in der Praxis bei einigen zehntausend verkauften Exemplaren ebenfalls nicht auftrat. Merkwürdig.
Zurückgerudert: Pedelecs doch keine Störsender?
Im Kern neben der Sache stellt sich aus der Retrospektive betrachtet beim Pedelec-Test der Warentester auch das Thema Strahlung dar. Einem aufgrund von verschiedensten Einflussfaktoren hochkomplexen Thema, dem sich die Hersteller im Gegensatz zu den Darstellungen von Testern seit dem Inkrafttreten der Maschinenrichtlinie für Pedelecs Ende 2009 durchaus bewusst sind. So hieß es im Test: »Vier Räder strahlen obendrein derart, dass sie im Umkreis von bis zu 100 Metern den Funkverkehr von Rettungsdiensten ebenso stören können wie den Radio- und Fernsehempfang von Anwohnern. Die Räder dürfen nicht verkauft werden.« Inzwischen rudern die Tester zurück und relativieren einen ihrer Hauptkritikpunkte, der plakativ vermarktet wurde und Verbraucher bislang enorm verunsicherte. »Eine Störung der Funkdienste von Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen erscheint allerdings unwahrscheinlich, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat.” Ein kleiner Erfolg, der den beteiligten Herstellern aber viel Kraft und Mühe abverlangt hat.
Aufbruchstimmung in der Fahrradbranche
Üblicherweise reagiert die Fahrradindustrie nach dem gleichen Schema auf Veröffentlichungen der Stiftung Warentest: Die Gewinner im Testbericht freuen sich über die guten Noten, während die Verlierer mit den Testmethoden hadern und erhebliche Zweifel an den Testurteilen äußern. Dieses Mal rückt die Branche jedoch erkennbar näher zusammen, und das ist gut so. Denn alleine kommen einzelne Unternehmen gegen das mediale Rauschen nicht an. Und wenn doch, kann sich für den außenstehenden Betrachter immer das Bild ergeben: Da wird verharmlost, abgewiegelt und sich hinter zu laxen Normen versteckt, denn schließlich haben es die Konkurrenten ja geschafft.
Der Anteil der Umsätze von E-Bikes bei Fahrradherstellern und im Handel wird immer größer und gerade die Spezialisierung auf diesen Bereich bietet neue Chancen, aber auch neue Risiken. Schneidet eine Marke bei einem Test schlecht ab, drohen hohe Umsatzeinbußen, die auch kapitalstarke Unternehmen an ihre Grenzen führen können. Der Ruf nach mehr Qualität und einheitlicher, reproduzierbarer Test- und Prüfstandards, wie zuletzt von der ZEG ins Spiel gebracht, geht nach Auffassung vieler Branchenteilnehmer dabei zwar in die richtige Richtung. Andererseits sollte natürlich sichergestellt werden, dass nach außen nicht der Eindruck entsteht, dass hier bislang zu wenig getan wird. Denn viele Hersteller arbeiten schon lange nach hohen Qualitätskriterien, die auf bestehenden Normen aufbauen. »Es gibt bereits die branchenübergreifende Norm EN 15194, die absolut ausreichend und klar definiert, welche Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit eines E-Bikes zu gelten haben«, betonte dazu kürzlich Derby Cycle-Chef Mathias Seidler und mahnte Geschlossenheit in der Branche an. »An der Verbesserung der Norm wird im Rahmen des europäischen Normenausschusses CEN TC 333 gearbeitet, mit Beteiligung der Stiftung Warentest und allen anderen wichtigen Branchenteilnehmern, aber leider ohne die ZEG.«
Zudem: Was soll eine neue Norm bringen, wenn auch diese von Testern als »nicht realitätsnah« abgelehnt würde. Hier ist Verbindlichkeit, Transparenz und der Wille zur Zusammenarbeit über die Branche hinaus unabdingbar. So betont Flyer-Macher Kurt Schär: »Die Festlegung einheitlicher Prüfkriterien für E-Bikes müsste daher zwingend dazu führen, diese auch konsequent anzuwenden und der Industrie eine verlässliche Grundlage geben.« Sonst, so steht zu befürchten, können schlechte Testergebnisse tatsächlich jeden Hersteller treffen. Jederzeit und trotz aller Qualitätsmaßnahmen immer wieder.
Was zu tun bleibt
Die Branche steht in der Verantwortung, die Qualität ihrer E-Bikes, so wie sie das in den vergangenen Jahren auch gemacht hat, weiter zu verbessern und sich gleichzeitig vor ungerechtfertigten Beurteilungen und Verurteilungen zu schützen. Gegenüber dem Verbraucher, dem Handel und bei einigen Unternehmen auch gegenüber Geldgebern und Aktionären. Aber nicht nur negative Tests werden die Branche aller Voraussicht nach mittelfristig beschäftigen. Die Themen Rad und E-Bike fahren sind und bleiben in der Mitte der Gesellschaft und befinden sich damit automatisch in mehr und weniger problematischen Spannungsfeldern. Nicht nur zwischen Radfahrern und Nichtradfahrern, Rad- und Autolobbyisten sondern auch zwischen Genussradlern und Sportlern, Bikern und E-Bikern, Sportmedizinern und Unfallärzten, Politikern und Bürgern, Verkehrsplanern und Juristen. Um hier in die richtige Richtung zu lenken und ein Stück Informationshoheit (zurück)zugewinnen, braucht es eine enge Zusammenarbeit, den Aufbau von neuen Kompetenzfeldern, Offenheit für konstruktive Kritik, die enge Verzahnung mit Testern, glaubwürdige Experten sowie eine professionelle Lobby mit Medienkompetenz und einer starken hörbaren Stimme.
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