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Markt - Rennrad

Im Windschatten des Rennrads

Ganz oder gar nicht – mit diesem Ansatz sollen Händler sich den sportlichsten Modellen nähern. Allerdings gibt es dank Custom-Ansätzen auch Chancen für klassische Allrounder.

Richard Daempfle ist ein erfolgreicher Autohändler. Sein Geschäft mit Mazdas läuft gut, seit Jahren gehört er deutschlandweit zu den Top-fünf-Vertragshändlern der japanischen Marke. Doch in seinem Stammhaus in Meckenbeuren nahe Friedrichshafen haben Pkw jetzt keinen Platz mehr. Schon seit 2007 betreibt Daempfle hier unweit des Bodensees in einem Teil seines Gewerbebaus das Geschäft mit Fahrrädern. Mit dem Markennamen »saikls« hat er sich in der Region einen Namen gemacht. Im Fahrrad-Business sieht Daempfle die Zukunft seines Unternehmens. »Gerade das Rennrad wird hier ein wichtiges Standbein für uns sein«, sagt der schwäbische Unternehmer. Im April hat er die Fläche für dieses Angebot deutlich erweitert. Pünktlich zum 50-jährigen Firmenjubiläum werden die Weichen für die Zukunft neu gestellt und die Autos in einem neuen Gebäude in Ravensburg untergebracht. Insbesondere Rennräder sollen im Stammhaus in Meckenbeuren dafür sorgen, dass er und seine Nachfolger langfristig gesunde Margen erzielen.
Der Rennradmarkt ist faktenmäßig nebulös, sein aktueller Zustand nicht leicht zu fassen. Versucht man, den klassischen Straßenrad-Anteil am Markt genau einzugrenzen, gibt es viele Fragezeichen. Beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) in Berlin sieht man sich auf Anfrage nicht in der Lage, die Anteile der Renner im Radmarkt genau einzuschätzen. Grundlage für Aussagen sind die ZIV-eigenen Marktdaten, die jüngst für 2023 vorgestellt wurden. Dort konnte man einen Trend feststellen: Der Anteil sportlicher Räder ist 2023 von 11 Prozent im Vorjahr auf 14 Prozent gestiegen, der Anteil der Renn-, Gravel- und Fitnessräder wuchs um 2 Prozentpunkte auf 9 Prozent. Insgesamt zählt der ZIV 178.300 abgesetzte Renn- und Gravel-Räder, davon 21.000 mit E-Motor. Wie das Verhältnis klassischer Straßenrenner zu Gravel in diesem Geschäft ist, erfährt man aus Berlin jedoch nicht.

Überraschender Aufschwung

Das ist durchaus bemerkenswert. Denn Rennräder sind ein Leuchtstern der Radbranche, eine Orientierungsmarke, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die technischen Fantasien, das Marketing und die Kundenwünsche befeuert. Andererseits galt das klassische Rennrad noch vor einigen Jahren im Handel als Auslaufmodell, als viel zu kleiner, hoch aufwendiger Nebenzweig.

Wer sich dem Rennrad verschrieben hat, tut dies mit Haut und Haaren.
Das gilt auch für die Händler in diesem Segment, hier Saikls in Meckenbeuren.

Es gibt jedoch einen Weg, die Rennradmarktlage mit qualitativ wertvollen Daten einzuschätzen. Mit dem Aufstieg des Bike-Leasings hat sich auch die Käuferschicht für Rennräder entwickelt. Dieses Geschäftsmodell, das den Absatz hochwertiger Räder fördert, wird bei einer zunehmend großen Zahl Kunden und Kundinnen auch zum Treiber von Rennradkäufen. Beim Branchenprimus Jobrad in Freiburg kann man diesen Trend auf velobiz.de-Anfrage klar belegen: Der Anteil der Kategorie »Race« an den Leasing-Rädern wuchs zwischen 2019 und dem ersten Quartal 2024 von 1,7 Prozent auf 14,3 Prozent. Man könnte leicht vermuten, dass dieser Anteil ganz besonders mit dem Boom des Gravelbikes zusammenhängt, und das stimmt auch. Zugleich expandiert aber der Anteil der Rennräder an den Jobrädern jährlich. Seit 2022 gibt es in Freiburg dazu genauere Statistiken. Von 3,7 Prozent ist dieser Wert innerhalb von weniger als zwei Jahren auf 5,8 Prozent gewachsen – was einem Segmentwachstum von über 60 Prozent entspräche. Rennräder sind also ein Nischenprodukt, aber eines mit gehörigem Aufschwung. Noch dazu steigt der Durchschnittswert bei den über Jobrad vermittelten Rennern. Lag er 2019 noch knapp unter 3000 Euro, so ist er inzwischen bei etwas mehr als 3500 Euro angelangt – und damit sind die geleasten Straßenrenner pro Transaktion beinahe 500 Euro teurer im Bruttopreis als die vergleichbaren Gravelbikes.
Ruft man indes bei Tobias Hempelmann an, dem Stellvertretenden Vorsitzenden des Verbands des Deutschen Zweiradhandels, dann sieht die Sache wieder komplizierter aus. Hempelmann, selbst Allround-Händler aus Ostwestfalen, sagt: »Das Rennrad ist für viele Händler ein schwieriges Produkt, weil der Markt sowohl von großen Versendern als auch von preisaggressiven Ketten beherrscht wird.« Die Dynamik des Marktes spiegelt sich bei ihm nicht in Euphorie wider. »Auch wenn die Produkte hochpreisig sind, sind die Kunden sehr preissensibel. Das ist durch den Einfluss der Versender ebenso wie durch große Ketten mit großen Marken im Hintergrund gepflegt worden – und das macht diese Produktkategorie für viele Händler so schwierig, weil sie hier im Wettbewerb kaum punkten können. Es geht dann eher über Exklusivität«, sagt Hempelmann.
Bei Jobrad weiß man natürlich genau, welchen Anteil welcher Hersteller am Rennrad-Leasing hat. Aber aus Neutralitätsgründen beantwortet die Pressestelle die Frage nicht prozentgenau. Die Top-Marken im Rennrad-Segment nennt sie indes schon, und wenig überraschend sind mit Rose und Canyon die beiden großen Versender darunter, ebenso der Herstellergigant Cube.
Hempelmann sieht Rennräder als Feld für Spezialisten. »Das gilt nicht nur fürs Sortiment, sondern vor allem für die Mitarbeiter im Service und im Verkauf. Wer als klassischer Allround-Händler noch Rennräder anbietet, wird es zunehmend schwer haben.« Was bei Gravelbikes vielleicht noch funktioniere, wo durch die Pandemie eine neue Käuferschicht herangewachsen ist, sei bei Rennrädern eben nicht erfolgversprechend. »Beim Straßenrennrad haben wir es mit sehr anspruchsvollen Zielgruppen zu tun. Da müssen die Mitarbeiter mitreden können.« Hempelmann sieht eine Pflicht zur Augenhöhe. »Das ist bei dieser Produktgruppe sehr schwierig, denn die Hobbyfahrer haben ein hohes Fachwissen, das von der Industrie befördert wird. Sie lesen die Tour, sie informieren sich im Netz, da müssen Verkäufer auf dem neuesten Stand sein. Hier muss ein Laden seine Rennradaffinität klar zeigen, sonst wird er nicht ernst genommen.« Hempelmanns Botschaft: ganz oder gar nicht.
Zurück an den Bodensee zu Richard Daempfle. Er hat sich als Förderer des Radsports einen Namen gemacht. Er hatte ein weltweit renommiertes MTB-Marathon-Team, er sponsert Straßenstars wie Emanuel Buchmann und Liane Lippert. Daempfle ist verwurzelt in der Radsportszene der Region, unterstützt etwa den Ex-Profi Uwe Peschel bei seinem Projekt »Move«, das Menschen den Radsport vermitteln soll. Er organisiert regelmäßig Events mit Rennradsportlern, auch mit dem RSV Seerose aus Friedrichshafen. Und deshalb war er auch gefeit davor, die Produktkategorie Rennrad auszusortieren.

Rennrad funktioniert nicht zuletzt über Ambiente, Design und Edles. Das Velodome in Zülpich (Bessenich) holt seine Kundschaft auch auf dieser Ebene ab.

»Genügend Händler haben das gemacht, sie haben vor allem in der Corona-Pandemie in einer Art Verteilermarkt E-Bikes verkauft und damit schnell Geld verdient«, sagt Daempfle. Auch »saikls« hat E-Bikes im Angebot, aber für Daempfle sind Rennräder heute ein »Pfund«. Jetzt, wo die Autos aus dem Meckenbeurer Ladenlokal verschwinden, wird gerade das Rennrad viel neue Fläche erhalten. Daempfle sieht ebenfalls die Notwendigkeit, den ambitionierten Kunden die hochwertige Marke auch klar abgetrennt zu präsentieren. Im Rennradverkauf bei »saikls« arbeiten ebenso wie im Service Leute, die den Sport selbst betreiben, darunter gestandene Rennfahrer und Ausdauersportler. »Für den Verkauf nehmen wir uns dann auch Zeit, denn die Leute kommen von weit her«, sagt Daempfle. Zwischen zwei und drei Stunden könne die Beratung dauern, die Abschlussquote sei dank zusätzlicher Angebote wie Vermessung der Kunden »sehr hoch«.

Brot, Butter und Delikatessen

Daempfle hält es für wichtig, dass er den Kunden auch eine Bandbreite an bewährten Marken anbieten kann. Das »Brot-und-Butter-Geschäft« macht sein Team bei den Rennrädern mit Marken wie Simplon, Giant, BMC, Ridley, Merida und Scott – also allesamt stabile, hochwertige Firmen. »Wir haben gute Beziehungen zu den Anbietern und haben uns dauerhaft einen guten Warenbestand erarbeitet«, sagt Daempfle. Zunehmend müsse aber auch Distinktion angeboten werden, was mit den Top-Marken Pinarello und Colnago möglich ist. Auch der Nachfrage nach speziellen Rädern und Rahmen für Damen trägt »saikls« zum Beispiel mit der Marke LIV Rechnung »Es geht dann kaum noch um den Preis, sondern um die Kompetenz und das Besondere«, sagt Daempfle. Und damit könne er ein sehr solides Geschäft betreiben, das nach dem Abklingen des E-Bike-Booms eine nachhaltig tragende Rolle verspreche. »Auf Sicht ist das Rennrad für uns die attraktivste Produktkategorie«, sagt Daempfle.
Für Händler, da ist sich auch Jörg Schumacher aus Zülpich sicher, braucht es hier aber Konsequenz. Schumacher hat die Rennräder schon vor vier Jahren aus dem klassischen Radgeschäft in der Innenstadt verbannt und ihnen ein neues Zuhause im »Velodome« gegeben, wo nur Renner und Gravelbikes im Angebot stehen. »Rennradkunden erwarten Glaubwürdigkeit. Ich kann da nicht auf der einen Seite E-Bikes verkaufen und direkt daneben ein seriöses Rennrad-Angebot machen«, sagt Schumacher. Zumal, so seine Erfahrung, die sportaffine Kundschaft ohnehin mit sehr klaren Vorstellungen zum Händler kommt. »Was man im Laufe der vergangenen Jahre erkennen konnte, war ein zunehmender Wunsch nach Exklusivität«, berichtet Schumacher. Es gehe also darum, diese Wünsche zu bedienen, die passenden Zubehörteile oder auch Individualisierungen wie etwa Speziallack anzubieten. Schumacher sieht zwischen den Preis-Leistungs-Großmarken und den Filialisten mit ihren aggressiven Angeboten nur die Chance, hochpreisige Nischen zu bedienen.

Fast schon nostalgisch geht es bei L'Etape in Köln zu, wo klassische Rennradrahmen neue Nutzer finden.

Wichtig ist ihm zufolge auch der passende Service. Rennradkunden haben hohe Ansprüche, kennen sich üblicherweise mit den Arbeiten und dem Material eher aus als Durchschnittskunden und googeln auch Ersatzteilangebote. »Ich finde es schwierig, bei diesen Kunden Handelspreise für Teile aufzurufen«, sagt Schumacher. So sei es bei ihm in der Werkstatt Linie, die Ersatzteile günstiger anzubieten und die Service-Arbeiten über gesunde Stundensätze zu finanzieren. »Das kommt am Ende auf das gleiche raus und die Kunden verstehen es«, sagt der begeisterte Rennradler.

Mittelklasse bleibt wichtiger Baustein

Beim deutschen Anbieter Stevens aus Hamburg setzt man derweil weiter auf ein breites Sortiment, wo auch Rennräder unter dem Begriff Preis-Leistung ihren Platz behalten. »Wir wollen weiter fair kalkulieren«, sagt Chief Brand & Product Officer Volker Dohrmann. Stevens möchte, so sagt er es, auch die Mittelklasse im Markt bedienen. »Wenn es die nicht mehr gibt, was ist dann mit den Nachwuchsfahrern?«, fragt der Mann, dessen Marke eine tiefe Verbindung auch zum Radcross hat. »Es wird jedoch nicht einfacher, denn gerade die Komponentenhersteller ziehen die Preise stark hoch«, sagt Dohrmann. Er sieht durchaus kritisch, dass ehemalige Einstiegsgruppen nun aufgewertet werden.
Bei Stevens, so sagt Dohrmann, gelinge noch eine Sache, die anderswo passé scheint: Auch nicht spezialisierte Händler können von der Produktkategorie Rennrad profitieren. Denn inzwischen macht Custom bei Stevens einen »steigenden« Anteil aus. Genaues verrät er nicht. Der Vorzug dieses Modells: Kunden informieren sich im Netz, konfigurieren ihr Rad exakt – und ordern dann doch über den lokalen Händler. Der kassiert die Marge. »Dazu stehen wir, wir glauben an dieses Distributions- und auch Service-Modell«, sagt Dohrmann. Der Allrounder Stevens möchte weiterhin 10 bis 15 Prozent seines Geschäfts mit Rennrädern machen. Dafür macht er es Händlern einfach. »Wer den Laden mit fertigen Rädern vollstehen hat, hat es heute schwer«, sagt Dohrmann. »Bei Custom-Rennrädern hingegen brauchen Händler nicht so viel Kapital zu binden.«
Man kann es auch machen wie Jérémy Laurent. Der Franzose hat in Köln vor zehn Jahren das Radgeschäft »Upcycles« mitgegründet, inzwischen betreibt er seit drei Jahren mit »L’Etape« sein eigenes Radgeschäft im zentralen Stadtteil Sülz. Der Laden läuft gut und basiert auf alten Rennradrahmen, die er für seine Klientel mit neuen Teilen kombiniert. »40 Prozent der Kunden fahren dann alte Rennräder mit neuen, geraden Lenkern«, sagt Laurent. In Köln, wo er das Geschäft erfolgreich betreibt, ist der Rennrad-Aspekt eine Hilfe bei der Ansprache von Kunden, die sich individuell geben wollen. Auch Gravel hat sich hier als Thema breitgemacht, und Laurent verkauft inzwischen auch neue Kompletträder von Marken, die zu seinem Profil passen. Nur zehn Prozent seiner Kundschaft, sagt er, seien echte Rennradfahrer. Viele andere, gerade jüngere Kunden »möchten etwas Cooles haben.« Laurent sagt ihnen dann, dass cool nicht alles ist – sondern dass die Qualität und die Maße auch passen müssen. Mit seinem Lager von Rennradrahmen aus den Achtzigern und Neunzigern kann er haltbare Qualität bieten – von 48 bis 66 Zentimeter Rahmenhöhe kann er persönliche Angebote machen. »So biete ich meinen Kunden immer zwei bis sechs Optionen«, sagt Laurent. Dass die Rahmen früher vor allem Radsportenthusiasten begeistert haben, spielt dabei kaum noch eine Rolle. //

28. Mai 2024 von Tim Farin
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