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Technik - Fahrradschaltungen

Kette rechts!

Eine Vielzahl neuer Schaltungen drängt in der Saison 2023 auf den Markt. Selbst die fast 80 Jahre alte Kettenschaltung ist offenbar noch nicht ausentwickelt, Sram und Shimano legen beide mehr als nur einen Zahn zu. Eine kleine Übersicht, was die Branche erwartet.

Zuerst musste der Umwerfer dran glauben. Dann die Bowdenzüge. Jetzt killt Sram das Schaltauge. Man könnte glatt Angst bekommen angesichts des stürmischen Entwicklungstempos, das den lange Zeit eher konservativen Markt für Fahrradschaltungen durcheinanderwirbelt. Bei der neuen Eagle-Transmission-Schaltgruppe schraubt Sram das Schaltwerk am UDH-Ausfallende ohne Schaltauge direkt an den Bike-Rahmen und eliminiert damit laut eigener Aussage gleich eine ganze Menge Störpotenzial auf einmal. Sram verspricht, dass Stabilität und Funktionssicherheit zulegen, Montage und Bedienung super-einfach
werden.

Sram kommt an der Eagle Transmission ohne Einstellschrauben am Schaltwerk aus.

Mehr oder weniger gleichzeitig bringt Shimano zwei optimierte XT-Di2-Versionen für E-MTBs und die neue Allround-Komponentenfamilie Cues. Unter den Begriffen Freeshift und Autoshift sind hier teil- und vollautomatisierte sowie individuell programmierte Gangwechsel möglich. Schon die beiden Platzhirsche legen also bemerkenswerte Neuheiten vor. Daneben gibt es heute noch einige weitere Hersteller von Schaltungen, die ihren Platz am Rad suchen.
Neue Nabenschaltungen von Revolute und 3x3 für Pedelecs, Cargobikes und E-MTBs sind elektrisch oder mechanisch schaltbar, minimieren den Wartungsbedarf und erhöhen die Haltbarkeit. Auch Pinion bietet mit der Smart.Shift ein erstes elektronisch gesteuertes Schaltgetriebe mit zahlreichen Automatisierungsoptionen. Die Classified-Nabe schließlich versöhnt Ketten- und Nabenschaltung, indem sie gewissermaßen den Umwerfer in die Hinterradnabe verlegt. Um all diese Neuheiten gebührend zu würdigen, lohnt ein genauerer Blick auf die Technik und die Ideen dahinter.

Sram Eagle Transmission

Das Schaltwerk der neuen Eagle Transmission lässt sich an allen UDH-Rahmen direkt im Ausfallende montieren, ohne dazwischengefügtes Schaltauge. Der neue Eagle-Derailleur ist also nicht mehr exzentrisch unterhalb, sondern exakt konzentrisch im Drehpunkt des Laufrads und der Ritzel-Kassette aufgehängt. Eine zweiarmige Aufnahme umfasst das Ausfallende gleichzeitig von außen und innen und macht das Schaltwerk verwindungssteif. Eine Auskupplungsmechanik soll verhindern, dass ein seitlicher Impact Schaden anrichten kann.

Neue Getriebenaben von Revolute (oben) und 3x3 (unten) wollen mit Wartungsarmut und einfachem Handling überzeugen.

Bei Kettenklemmern und anderen Blockierattacken dreht sich das Schaltwerk am UDH-Adapter blitzschnell nach hinten weg. Laut Sram-Sprecher Moritz Dittmar steigern diese Kunstgriffe die Schaltqualität und reduzieren gleichzeitig die Zahl möglicher Störfälle auf ein Minimum. »Unsere Analyse von Störungen an Kettenschaltungen hat etwa 300 mögliche Fehlerquellen ergeben«, erklärt Dittmar. »Allein 100 davon sind schon durch den Wegfall des Umwerfers erledigt.« Gute zwei Drittel der restlichen 200 Störpotenziale sollen durch die einfachere, stabilere Konstruktion der Eagle Transmission wegfallen. Das Schaltwerk selbst ist weitgehend zerlegbar, die Einzelteile austauschbar. Das untere Schaltröllchen, das Magic Wheel, wurde vergrößert und zweiteilig konstruiert. Sein unabhängig gelagerter Kettenring kann sich selbst bei blockiertem Schaltröllchen weiterdrehen. Zudem steht dieses Pulley etwas weiter innen als das obere, um der Kette den Schräglauf leichter zu machen. Zudem soll die Eagle T mit perfektionierter Performance punkten. Die Zähnedifferenz zum größten 52er-Ritzel auf der Kassette ist kleiner als vorher, Schaltschritte in den leichteren Gängen gehen nun harmonischer vonstatten. Auch die Schaltgassen auf der Kassette wurden optimiert. Ein Wechsel der neuen Flattop-Kette zu einem Nachbarritzel soll innerhalb einer Strecke von nur zwei Kettengliedern stattfinden.
Die Schalteinheit am Lenker, der sogenannte Pod Controller, wurde ergonomisch überarbeitet. Er ist dank neuer Befestigungsschelle vielfältig und fein justierbar. Beim Einbau, aber auch im Betrieb sind keinerlei Ein- oder Nachstellarbeiten an der Schaltung mehr nötig. Sämtliche Einstellschrauben wurden vom Schaltwerk verbannt. Stellmotoren, Konstruktion und Geometrie lassen laut Sram auch auf lange Sicht keinerlei Abweichungen vom Bewegungsradius des Kettenwechslers zu.
Der Akku ist identisch mit denen anderer AXS-Komponenten und damit beliebig austauschbar und einfach zu ersetzen. Seine Ladezeit soll nur etwa 60 Minuten betragen. »Für eine Alpenüberquerung sollte eine Akkuladung ausreichen«, sagt Moritz Dittmar. »Mit geladenem Zweitakku ist man aber auf der sicheren Seite.« Eine Mini-LED am Schaltwerk und die Sram-AXS-App melden sich bei zu niedrigem Akku-Füllstand. Die App hilft zudem bei Einbau und Montage der Schaltung, der Wahl der Übersetzung, ermittelt die benötigte Kettenlänge, personalisiert Schaltoptionen und steuert weitere AXS-Komponenten wie Powermeter, Variostütze, Reifendruck-Kontrolle oder Fahrwerks-Setup.
Die Eagle Transmission ist ab sofort verfügbar und an jedem Bike-Rahmen mit UDH-Ausfallende montierbar. Die Sram-Website listet derzeit über 210 derartige MTB-Modelle.

Die App übernimmt bei Sram in Zukunft wichtige Aufgaben bei der Einstellung der Schaltung.

Als High-End-Schaltung ist die Eagle Transmission für ambitionierte Mountainbiker mit sportlichem Ehrgeiz und entsprechender Fahrweise konzipiert. Da sie als System konstruiert ist, sind alle Komponenten exakt und ausschließlich aufeinander abgestimmt. Sie sind daher nicht kompatibel mit bisherigen Eagle-Gruppen. Als Kaufpreis für ein komplettes Nachrüst-Set der Top-Version XX SL mit Schaltwerk, Kassette, Kette, Kurbel und Shifter fallen je nach Ausführung bis zu 3250 Euro an. Die günstigste XO-Version ist ab 1370 Euro zu haben. Aktuelle Straßen- und Online-Preise liegen jedoch bereits jetzt deutlich darunter. Laut ersten Testberichten der Fachpresse konnte die Eagle Transmission bereits in Dauertests und sogar unter harten Rennbedingungen überzeugen. Es wird spannend zu sehen, wie sich die neue Schaltgruppe auf dem Markt behaupten und verbreiten wird. Ganz ähnliche Fragen stellen sich auch bei Shimano.

Shimano Cues

»Zum Modelljahr 2024 kommt mit Shimano Cues nicht nur eine neue Schaltgruppe, sondern eine ganze Komponenten-Familie«, kündigt Michael Wild, Pressesprecher des deutschen Shimano-Importeurs Paul Lange, an. Vorgestellt bereits auf der Eurobike 2022, soll die neue Komponentenlinie nun mit »schleichendem Markteintritt« ab Herbst 2023 im Einsteiger- und Untere-Mittelklasse-Bereich die Gruppen Altus, Acera und Alivio für freizeitorientierte Touring- und Trekking-Radler ersetzen. In ihrer mechanischen Variante ist Cues als neu designte, aber klassische 10- oder 11-fach-Schaltung konzipiert.

Shimano fährt für die nächste Bike-Generation eine Vielzahl an Technik-Highlights auf und ermöglicht gleichzeitig Herstellern, ihre angestrebten Preispunkte präzise zu treffen.

Sie verfügt über die Linkglide-Oberflächenbehandlung für weichere, reibungsärmere Schaltschritte und soll dadurch mehr Haltbarkeit für Kette, Ritzel und Kettenblatt mitbringen. Die Komponenten sind, ähnlich wie in der GRX-Familie, in drei Stufen preislich und qualitativ hierarchisiert und somit untereinander kompatibel. Damit lassen sich für OEMs bestimmte Preispunkte präzise anvisieren, dem Fachhandel erleichtert das die Lagerhaltung, Ersatzteilbeschaffung und Werkstattservice. Die Cues-Di2-Version, die 11-fach-Variante mit Elektronik-Schaltwerk und -Shifter, kommt an Mittelklasse-Pedelecs mit Shimano-Motor EP6 und EP8 zum Einsatz. Cues Di2 arbeitet kabelgebunden und verfügt über die komfortablen Funktionen Free- und Autoshift. Mit der E-Tube-App kann jeder Nutzer und jede Nutzerin einen individuellen Startgang zum Anfahren festlegen oder automatische Schaltschritte abhängig von der Wunsch-Kadenz programmieren. Im Modus Freeshift arbeiten Motor und Schaltung so zusammen, dass das Kettenblatt, dank eigenem Freilauf mit automatischem Dreh, die Kette am rollenden Bike ohne Kurbelbewegung von Fahrerin oder Fahrer auf andere Ritzel transportiert. Werkstatt-Service und Fehlerbehebung laufen über Shimanos E-Tube-Software und -Diagnosegerät.

Shimano XT Di2 Linkglide und Hyperglide Plus

Bei der Weiterentwicklung der elektronischen XT mit 11 oder 12 Gängen für E-MTBs setzt Shimano auf komfortablere Bedienung, schnellere Schaltvorgänge und längere Lebensdauer. So erhielten zwar beide Versionen der XT Di2 die neue Komfortfunktion Freeshift zum Gangwechsel ohne Treten. Autoshift für programmierbare Schaltschritte steht jedoch nur bei der 11-Gang-XT zur Verfügung. Die verfeinerte Oberflächenbearbeitung von Linkglide soll für weichere Schaltvorgänge und längere Lebensdauer sorgen. Die 12-fach-Version verzichtet auf die Schaltautomatik. Stattdessen soll die perfektionierte Hyperglide-Plus-Ausstattung mit neuer Kette, optimierten Zahnprofilen und Schaltgassen die Kette schneller und geschmeidiger von Ritzel zu Ritzel gleiten lassen. Die 12-fache XT Di2 HG+ ist damit mehr auf ambitioniert-sportliche Nutzung ausgerichtet. //

12. Juli 2023 von Jochen Donner

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