Marktreport // Österreich 2020
Lager leer wie noch nie
Angetrieben vom E-Bike hält das Wachstum im Fahrradsektor schon seit etwa fünf Jahren an. 2019 wuchs der Markt um 6 Prozent auf 170.000 Stück. Das entspricht einem Marktanteil von 39 Prozent, was zugleich der Spitzenwert im deutschsprachigen Raum ist. Dementsprechend voll waren die Lager im März 2020. Als der Shutdown den Saisonstart verhinderte, war die Betroffenheit groß und die Händler rechneten schon mit Preisreduktionen zur Lagerbereinigung. Mit der Öffnung der Geschäfte sei es dann auch dazu gekommen, berichtet Nicole Berkmann, Pressesprecherin von Hervis Sports. Aber dann setzte eine enorme Nachfrage ein und die Stimmung habe sich schnell gebessert und zumindest bei E-Bikes zu stabilen Preisen geführt.
Enormer Andrang
Im Internet zeichnete sich die gesteigerte Nachfrage schon in den ersten Tagen des Shutdowns ab. Mario Färberböck, Gründer und Geschäftsführer von Prinzbike in Salzburg, beobachtete auf seiner Website eine Verzehnfachung der Views von 8000 auf 80.000. Der Output blieb dann zwar hinter den Views zurück, brachte aber doch ein hohes Wachstum. »Kleine« Händler mit einer Fläche unter 400 qm durften schon nach zwei Wochen wieder aufsperren und wurden zur Anlaufstelle für all jene, die die öffentlichen Verkehrsbetriebe meiden und ihre täglichen Wege auf dem Fahrrad erledigen wollten. Der Andrang war nur mit überdurchschnittlichem Einsatz zu bewältigen. Verkauf und Werkstätte waren gleichermaßen gefordert.
Viele holten ihre alten Fahrräder aus dem Keller und brachten sie zum Service, berichtet Roland Garber, Gründer und Geschäftsführer von Pedalus in Wien, der zwei Monate mit 17-Stunden-Tagen erlebte. Vergleichbar verlief es in Westösterreich: Thomas Astl von Bikezeit in St. Johann in Tirol erzählt, dass Leute von weit her anriefen und fragten, ob es noch Fahrräder gibt. »Viele haben gesagt, ›wir fahren nicht auf Urlaub und wollen deshalb ein Fahrrad kaufen‹. Was da war, haben wir verkauft und wir hätten noch mehr verkaufen können, wenn die Nachbestellungen funktioniert hätten.«
Mangelnde Warenverfügbarkeit
Die Engpässe waren nicht zuletzt durch die beeinträchtigte Lieferkette entstanden. Produktionen in China wurden heruntergefahren oder ganz geschlossen. Der Markt war ab Juli ausverkauft und die Hersteller begannen, Modelle aus der Produktion für 2021 auszuliefern, weiß Hans-Jürgen Schoder, Geschäftsführer von Thalinger-Lange in Wels und Sprecher der Arge Fahrrad. Die mangelnde Warenverfügbarkeit führte dazu, dass Endverbraucher weniger wählerisch waren – brachte aber auch Verluste. »Die Händler haben schon nach Lieferfähigkeit geschrien. Da ging es nicht mehr um Marken«, sagt Holger Schwarting, Chef der Sport 2000 Österreich. Die Umsätze seien aber auf jeden Fall gestiegen. Die Nachfrage nach hochwertigen analogen Bikes in einer Preisklasse von 1500 Euro in habe sich in Richtung E-Bike verschoben. Lag der Durchschnittspreis im Fahrradsegment 2018 noch bei 750 Euro, so habe die enorme Nachfrage nach E-Bikes unweigerlich zu einem Trading-up geführt, so Schwarting.
Trading-Up
Schon 2019 stiegen die Durchschnittspreise um 25 Prozent. 2020 scheint sich dieser Trend fortzusetzen: Eine Reihe von Händlern bestätigt die Tendenz zu hochpreisigen Modellen. »Qualität der Ausstattung, lange Nutzungsdauer und Funktion stehen im Vordergrund«, so Norbert Bisko, Geschäftsführer der Bikestore WN GmbH, die acht Filialen in Südostösterreich betreibt. Das Trading-up hat auch den Kinder- und Jugendsektor erfasst. Bei Sport 2000 sind die Preise von 129 Euro auf bis zu 399 Euro gestiegen. Bei Neubauer Zweirad in Graz nennt man einen Durchschnittspreis von 500 Euro in diesem Segment. Leichtere, kindgerechtere und hochwertigere Fahrräder kommen in einer vom Sharing-Gedanken geprägten Elterngeneration gut an. Die Nachfrage ist weiterhin steigend, der höhere Preis durch die Wiederverkäuflichkeit gerechtfertigt.
E-Mountainbike vs. E-Trekkingbike
In der Coronakrise 2020 verkauften sich alle vorrätigen Fahrradkategorien, allen voran jedoch E-Mountainbikes, E-Trekkingbikes und E-Citybikes. Aufgrund der Topografie sind E-Mountainbikes stärker im Westen gefragt und Trekking- und Citybikes im Osten. Ausnahmen bestätigen die Regel: Beim Mountainbiker in Wien macht das E-Mountainbike 40 Prozent vom Gesamtumsatz aus, nicht zuletzt wegen eines Durchschnittspreises von 5500 Euro. Auf Platz zwei kommt das klassische Mountainbike von Hardtail bis Fully. Zum Vergleich: Bei Bikezeit in St. Johann in Tirol trägt das E-Mountainbike 60 Prozent zum Umsatz bei und das analoge Mountainbike 20 Prozent.
Der österreichische Hersteller KTM verzeichnet die höchsten Stückzahlen im Trekking-E-Bike-Bereich, wobei man das E-Mountainbike in Tiefeinsteiger-Variante schon mehr dem Trekking-Bereich zuordne, so Marketingleiter Matthias Grick. Der Trend gehe zum SUV, dem Modell mit breiteren Reifen, das sowohl für die Stadt als auch für den Ausflug ins gemäßigte Gelände geeignet ist. Auch bei analogen Bikes rangiere das Trekkingbike vor dem Mountainbike.
Im Trend: Das Lastenrad
Das Geschäft mit dem Lastenrad bleibt derzeit noch einigen wenigen Spezialisten überlassen. Einer von ihnen ist Clemens Wright, der 2016 das Import- und Vertriebsunternehmen Family Bikes gründete. In den vergangenen drei Jahren erlebte er jeweils eine Verdoppelung der Umsätze. Dieses Jahr gelang ihm dieses Kunststück erneut. »Wir haben schnell gesehen, dass es manche Lösung am Markt noch nicht gibt und ähnliche extrem teuer sind. Deshalb haben wir eine eigene Marke gegründet und sind damit sehr erfolgreich.« Was fehlte, war unter anderem ein Lastenrad mit einer Lenkung, die nicht über die Box gesteuert ist. Nur die Räder werden angelenkt, die Box bleibt starr.
Von sehr guter Nachfrage spricht auch Roman Neubauer von Neubauer Zweirad in Graz. »Wir haben einspurige und zweispurige Lastenräder und verkaufen mittlerweile mehr einspurige, weil sie dem normalen Fahrrad ähnlicher sind und mehr Fahrdynamik haben.«
Verluste brachte mitunter der Verleih im Tourismus. Schuld war der Shutdown, der Veranstaltungen einschränkte, berichtet Norbert Bisko von Bikestore. Allgemein dürfte sich aber das starke Wachstum fortgesetzt haben. Bei Sport 2000 wuchs der Verleih, wie schon in den vorangegangenen Jahren, um 30 Prozent. Allgemein ist der touristische Verleih ein Hoffnungsträger. Die größte Hürde sind allerdings noch die limitierten Möglichkeiten in den Bergen, weshalb sich Intersport Österreich bei der Etablierung von Trailcenters, Bikeparks und Wegenetzen engagieren will. Auch die Touristik zieht mit: In St. Johann in Tirol wurde im Sommer 2020 ein Schlepplift für Downhiller in Betrieb genommen.
Prognose: Plus von 10 Prozent
Die Euphorie dominiert in diesem Jahr, aber das Wachstum fiel doch von Händler zu Händler verschieden aus. Die Angaben variieren zwischen 15 und 100 Prozent Umsatzzuwachs. Bei der Intersport Österreich lag das Plus im Fahrradsegment laut Geschäftsbericht 2019/20 (per 30.09.) bei 30 Prozent – in Stückzahlen. Für manche Händler war es aber doch schwierig, den Verlust aus dem Shutdown aufzuholen. »Die Schließung fiel in die Hauptsaison und das hat geschmerzt«, sagt Thomas Astl von Bikezeit in St. Johann in Tirol. Mittlerweile habe man zumindest den Großteil aufgeholt. Michael Nendwich, Geschäftsführer des Verbands der Sportartikelerzeuger und Sportausrüster Österreichs (VSSÖ), rechnet im Gesamtmarkt mit einem Plus von 10 Prozent. Vor allem im touristischen Bereich könnte aber ein Minus von bis zu 20 Prozent auflaufen.
Angespannter Beschaffungsmarkt
Belastend bleibt die Ungewissheit über den weiteren Verlauf. Der Beschaffungsmarkt ist weiterhin angespannt. Martin Rösner, Geschäftsführer Mountainbiker, hatte eine hervorragende Saison 2020, ist aber für 2021 nicht mehr so zuversichtlich. Er hat die Stückzahlen, die er wollte, nicht bekommen. Bei Hervis Sports erwartet man aufgrund der spürbaren Verknappung im Bereich der Radbauteilindustrie lange Vorlaufzeiten und hat schon die Modelle für die Saison 2022 geordert, um die Versorgung im übernächsten Jahr zu gewährleisten.
Entsprechend kurz war die Phase der Kurzarbeit auf Anbieterseite. Thalinger Lange und KTM sind schon im Mai wieder zum regulären Betrieb übergegangen. KTM stockte den Mitarbeiterstab in der Zentrale um 50 auf. In den Orders für 2021 musste man allerdings schon bei einem Verkaufsvolumen von 500 Mio. Euro stoppen, um die Produktion sicherstellen zu können. Das entspricht einem Wachstum von 32 Prozent. //
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