Markt - Bike-Sharing und Fahrrad-Abos
Leihen, abonnieren oder doch besitzen?
In Zeiten von Corona über Marktentwicklungen zu schreiben, die von vielfältigen kurz-, mittel- und langfristigen Faktoren beeinflusst werden, ist alles andere als leicht. So kann man sich fragen, wie gerade junge Geschäftsmodelle reagieren sollen, die vielleicht prinzipiell auf einem guten Weg sind, aber trotzdem herunterfahren oder schließen müssen, weil ihnen zum Beispiel Investorengelder und Kredite für den laufenden Betrieb oder überlebenswichtige Expansionen ausgehen? Welche Veränderungen beeinflussen das aktuelle und künftige Kundenverhalten? Welche die Nachfrage im Einzelhandel und den Werkstätten?
Boom für Sharing- und Abo-Modelle?
Aktuell steigen deutlich messbar das Unsicherheitsgefühl und die Angst vor Gehaltseinbußen und Arbeitslosigkeit, was sich auch auf die Verbraucherstimmung niederschlägt, die gerade einen Tiefstand erreicht hat. Größere Anschaffungen werden dann mitunter zurückgestellt. Damit könnte eine neue Entwicklung stattfinden hin zu Pay-per-Use- oder zeitnah kündbaren Abo-Modellen, wenn das Geld nicht mehr so locker sitzt und man kurzfristiger planen muss. Zudem betonen Experten immer wieder, dass sich viele bereits abzeichnende Umbrüche durch die Krise noch einmal beschleunigen. Mit Blick auf die Mobilität könnte das heißen, dass sich Kunden zum Beispiel zweimal überlegen, ob sie sich ein Auto oder lieber ein Fahrrad, E-Bike oder ein Lastenrad anschaffen, leasen oder eher flexibel zur Miete nutzen wollen.
Vom VW Bulli über Derby Cycle zu Swapfiets, Movelo & Co.
»Kill Your Company« forderte der kaufmännische Analyst und Stratege Marcus Diekmann, damals Accell-Group, heute Rose, auf dem velobiz.de-Summit 2018. Rückblickend betrachtet habe sich immer gezeigt, dass es keinen Sinn mache, neue Geschäftsmodelle aus Angst vor Kannibalisierung bestehender Umsätze und Geschäfte nicht zu etablieren. Seine einfache Formel: Wenn das neue Geschäftsmodell gut ist, dann wird es sich über kurz oder lang sowieso durchsetzen. Also sollte man es lieber selbst etablieren, statt es anderen zu überlassen. In die Unternehmens-DNA eingeschrieben ist diese Erkenntnis wohl bei der niederländischen Pon Holding. Einst als Generalimporteur von Volkswagen in den Niederlanden gestartet, baut die Pon Holding von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt über ihren Venture Capital-Fonds Ponooc ihre Aktivitäten neben dem Fahrrad und E-Bike-Sektor (u.a. Derby Cycle, Gazelle, Cervélo, Santa Cruz, Union, Urban Arrow) auch im Bereich Nachhaltigkeit und Mobility-as-a-Service massiv aus. Zum Unternehmen gehören inzwischen die Mobilitäts-App Tranzer, die es ermöglicht, Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxi oder Fahrrad zu planen und zu bezahlen, sowie der Berliner Elektroroller-Hersteller Unu und damit betriebene Sharingsysteme wie Yego (Barcelona, Valencia, Bordeaux) oder Check (Rotterdam). Unternehmensangaben zufolge sind die Systeme darauf ausgelegt, in einem zweiten Schritt neben der E-Moped-Flotte auch E-Tretroller und E-Bikes anzubieten. Ponooc hält zudem nach eigenen Angaben einen »signifikanten Anteil« am B2B-Sharing-Anbieter Movelo aus Bad Reichenhall und nicht zuletzt gehört der Abo-Anbieter Swapfiets mit zur Gruppe.
Swapfiets – alles im Abo und aus einer Hand
Seit dem Start im Jahr 2014, als Swapfiets von drei Freunden in den Niederlanden gegründet wurde, sei das Unternehmen jedes Jahr um mindestens 500 Prozent gewachsen, heißt es in einer Pressemitteilung. Swapfiets ist in Dutzenden von Städten und neben den Niederlanden inzwischen auch in Belgien, Deutschland und Dänemark aktiv. Wenn man den Bestand von 100.000 Kunden im Jahr 2018 fortschreibt, käme man Ende 2019 auf rund 600.000 Räder und 2020 auf rund drei Millionen. Ist das realistisch? Die finanziellen Mittel für die Expansion sind durch die Pon Holding und die Produktion der Bikes in der eigenen Gruppe sicher da. Einem Roll-out in weitere Länder sollte ebenfalls nichts entgegenstehen. Für Deutschland gibt Swapfiets 35.000 Kunden und über 500 Mitarbeiter an. Kurzfristig kündbare Abos ab 15 Euro pro Monat nehmen gerade junge, urbane Kunden wie Studenten als Vorteil wahr: keine große Investition und kein Stress mit Reparaturen oder Diebstahl. Interessant wird neben der internationalen Expansion die Ausweitung des Geschäfts auf E-Bikes und E-Tretroller. Weiterhin geplant ist der Einstieg in das Geschäftsfeld der Business-Räder mit neuen Modellen. Hier könnte Swapfiets mit der aufgebauten Infrastruktur im Bereich Vertrieb und Service punkten, weitere Synergieeffekte erschließen und damit schnell zu einer neuen Größe im Markt werden.
Movelo – Corporate E-Bike-Sharing
Seit 2005 ist das Unternehmen Movelo als Spezialist für E-Bike-Sharing bekannt. Vom Verleiher von Flyer-E-Bikes in Tourismusdestinationen hat sich das Unternehmen inzwischen aber deutlich weiterentwickelt und neu positioniert. Nach der Anfang des Jahres erfolgten Neuausrichtung ist ein »Plug & Play-System« für das Corporate-E-Bike-Sharing der geschäftliche Schwerpunkt, bestehend aus Kalkhoff-E-Bikes, Docking-Stationen und Flottenmanagement-Software, mit der Unternehmen ihren Mitarbeitern eine Alternative zum Auto für den Weg zum Arbeitsplatz bieten können. Spezifische Zielgruppen sind, neben Unternehmen, vor allem Pflegedienste, Tourismusdestinationen und der Immobiliensektor. Da das Produkt modular aufgebaut ist, sei es einfach, die Flotte zu erweitern oder zu verkleinern, wenn die Nachfrage unter den Mitarbeitern variiert. Heute sind nach Unternehmensangaben 5000 Movelo E-Bikes im Umlauf und über 1000 Lade- und Mietstationen aktiv. Zur aktuellen Corona-Situation befragt, sagt Geschäftsführer Niclas Schubert: »Die Corona-Krise betrifft uns natürlich auch in unserem Geschäft. Aber allgemein erhoffen wir uns ein nachhaltiges Umdenken, die viel besprochene Mobilitätswende wird mit mehr Nachdruck umgesetzt werden. Solange die Abstandregelung gilt, ist das E-Bike für viele das optimale Verkehrsmittel für den Weg in die Arbeit. Wir haben rasch auf die Situation reagiert und bieten Unternehmen Kurzzeitmieten an.«
»Solange die Abstandregelung gilt, ist das E-Bike für viele das optimale Verkehrsmittel für den Weg in die Arbeit.«Niclas SchubertMovelo
Nextbike – Spezialist für Public Bikesharing
Seit über 14 Jahren aktiv und europäischer Marktführer im Bikesharing ist das Unternehmen Nextbike mit Hauptsitz in Leipzig. Nextbike versteht sich als Ergänzung zu Bus und Bahn und ist aktuell in über 200 europäischen Städten mit seinen markanten Fahrädern und E-Bikes aktiv. 2019 wurde Nextbike von der Stiftung Warentest als Testsieger im deutschen Bikesharing-Markt ausgezeichnet. Warum die Marke nicht bekannter ist, liegt sicher vor allem daran, dass die Räder in vielen Städten quasi unter fremder Flagge fahren – oft unter der lokaler Verkehrsbetriebe, aber auch von Städten oder externer Sponsoren, wie Deezer in Berlin. Dem aktuellen Rückgang durch die Corana-Krise, von denen aus nachvollziehbaren Gründen viele Sharer betroffen sind, begegnet man durch Desinfektionsmaßnahmen und 30 Freiminuten in verschiedenen Städten.
ZEG Eurorad: Travelbike und Sharea
Mit Dienstleistungen und speziellen Angeboten ist auch die ZEG-Tochter Eurorad seit einigen Jahren im Tourismus- und B2B-Bereich aktiv. Travelbike konzentriert sich auf Tourismus-Destinationen und bietet zusammen mit lokalen ZEG-Partnern in vielen verschiedenen Regionen in Deutschland und Österreich maßgeschneiderte Angebote für den E-Bike-Verleih. Ein ähnliches Konzept wie Movelo bietet Eurorad zudem mit Sharea als neuem Anbieter für Zweirad-E-Mobilität. Kunden können E-Bikes, E-Lastenräder oder E-Kickscooter für spezifische Zeiträume über ein digitales Verleihsystem mieten. Dazu gibt es spezielle Hubs, eine Vielzahl möglicher Fahrzeuge und Full-Service-Pakete in Zusammenarbeit mit ZEG-Händlern vor Ort.
Bond/Smide: Expansionspläne für schnelle Sharing-E-Bikes
Ein bislang einzigartiges Konzept verfolgt das junge Unternehmen Smide. Der Schweizer Sharing-Anbieter von schnellen E-Bikes hat Anfang des Jahres seine internationalen Expansionspläne mit neuen Standorten in europäischen Städten und den USA bekanntgegeben und dazu auch gleich seinen Namen zu Bond (Bike on Demand) geändert. In einer Finanzierungsrunde wurde Medienberichten zufolge dafür ein zweistelliger Millionenbetrag eingesammelt, mit dem der Ausbau in der Schweiz und die weitere Expansion vorangetrieben sowie eigene E-Bikes mit Flottensoftware produziert werden sollen. Im kalifornischen Palo Alto sollte zudem in Kürze ein Testbetrieb starten. Eigentlich gute Aussichten also für den Verleiher, der bislang mit S-Pedelecs der Marke Stromer arbeitete. Aber wie schaut es aktuell aus? »Kurzfristig nimmt uns Covid-19 auch sehr mit«, so Dr. Raoul Stöckle, CEO und Mitgünder von Smide/Bond. »Insbesondere auch, weil wir großen Mehraufwand haben und dies bei Umsatzrückgang.« Aktuell gebe es Verschiebungen bei der Nutzung: »Wir sehen zum Beispiel einen deutlichen Rückgang an den ›normalen‹ Fahrten, dafür aber eine Steigerung bei den Tages- und Langzeitmieten sowie den Verkäufen unserer E-Bikes. Es zeigt sich klar, dass Bond als Ersatz für das Auto und den öffentlichen Verkehr genutzt wird.« Nach den ihm vorliegenden Daten zeige sich zudem, dass die E-Kickscooter und das Schweizer Bikesharing-System Publibike einen noch viel drastischeren Rückgang mit 50 bis 80 Prozent habe. »Dies hauptsächlich, da sie sonst in Kombination mit dem ÖV genutzt werden – und dieser nun ja gemieden wird.« Trotz oder gerade wegen der Corona-Krise blickt Raoul Stöckle für sein Unternehmen positiv in die Zukunft: »Mittel- und langfristig dürfte Covid dem ganzen (E-)Bike – egal ob Sharing oder Besitz – einen großen Schub verleihen. Dies sehen wir insbesondere in China, wo die Restriktionen teilweise aufgehoben worden sind. Die Bike-Sharing-Nutzung ist hier innerhalb einer Woche um 80 Prozent gegenüber der Vor-Covid Zeit gestiegen. Das macht Mut!«
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