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Portrait - Brose

Mit E-Bike boomen statt mit Auto kriseln

Brose ist in den letzten Jahren zu einem der großen Unternehmen in der Produktion von E-Bike-Antrieben gewachsen. Die traditionsreiche automotive Herkunft des internationalen Unternehmens war und ist dabei sicher ein großer Vorteil – aber nicht in jeder Hinsicht.

Schön zu sehen: der Antriebsriemen im Motor, der ihn so leise macht. Unten: Die Pedalachse mit Freilauf für widerstandsfreies Pedalieren.Brose Antriebstechnik in Berlin. Hier werden vor allem Autoteile hergestellt. Eine kleine Fläche beherbergt die E-Bike-Motorenproduktion.

Anfangs war der Antrieb fast so etwas wie ein Exot. Nur wenige aus der Bike-Branche kannten den Namen Brose. Heute rollen Räder von rund 40 Marken mit der kräftigen, aber leisen Unterstützung am Tretlager über die Straßen. Doch im Gegensatz zum weltweit bekannten Mitbewerber Bosch ist der Zulieferer mit Zentrale in Coburg dem deutschen Endverbraucher nicht schon von Haushaltsgeräten und Werkzeugen her bekannt. Das Image von Zuverlässigkeit und Qualität muss für den Verbraucher neu kommuniziert werden.

Vom Auto zum E-Bike

Der 24-jährige Max Brose eröffnete 1908 in Coburg ein Handelsgeschäft für Automobilausrüstung; seine Eltern betrieben damals ein Karosseriebau-Unternehmen in Wuppertal. Schon 1919 gründete der junge Brose das nächste Unternehmen: Im fränkischen Coburg wurden Automobilteile hergestellt. 1926 patentiert man den Kurbelantrieb für versenkbare Fenster. Brose war breit aufgestellt und um Neugier und Ideen nicht verlegen. So gab es etwa in den Fünfzigerjahren die
Brosette, eine Schreibmaschine aus eigener Herstellung. Aufstieg und Perfektionierung des Autos im Wirtschaftswunder schoben Brose mit an. Man lieferte Fahrzeugteile für fast alle deutschen Autos, allen voran den patentierten Fensterheber. Ein weiteres wichtiges Produkt ist die individuelle elektrische Auto-Sitzverstellung, verbaut ab 1979 im deutschen Flaggschiff Mercedes S-Klasse. 1985 wurde das neue Werk in Berlin gegründet. Was, wenn das Automobil einmal nicht mehr rollt und rollt und rollt? Man stellte sich immer breiter auf. Die Lehman Brothers-Krise 2008 führte dazu, dass man sich schließlich auch mit neuer Mobilität befasst. Brose präsentierte auf der IAA 2011 den ersten E-Bike-Motor. Er ging 2014 in Serie und trieb zunächst Modelle von Rotwild und Bulls an. Interessant ist seine Abstammung: Der Motor trägt die DNA einer Servolenkung – wie übrigens auch bei Bosch.
In der aktuellen Automobil-Krise wegen Corona hat auch Brose unter einem Einbruch der automobilen Sparte zu leiden. Dass ein E-Bike-Sektor hier viel ausgleichen kann, erwartet trotz anhaltenden Booms niemand. Doch ein wichtiger Wegweiser zur Elektromobilität kann er trotzdem sein.

Viel neue Mobilität auf kleinem Raum

Für das E-Bike produziert wird ausschließlich im Berliner Werk der Brose Antriebstechnik, genauer: Brose Fahrzeugteile GmbH und Co. KG. Die Automotive-Produktion, wie etwa für Antriebe für Kühlerlüfter, nimmt bei Weitem den größten Platz im Werk ein. Im klassischen zweistöckigen Industriebau an der Sickingenstraße spielt sie sich im Erdgeschoss ab. In der ersten Etage sitzen ringsum die einzelnen Abteilungen, von der Entwicklung übers Marketing bis zum Vertrieb; die meisten Angestellten müssen wohl nur die Tür ihres Büros öffnen, um von der umlaufenden Galerie auf die Produktion zu schauen. Produktionsleiter Steven Dulk wirft mit uns einen kurzen Blick auf die E-Bike-Motorenproduktion. Die Abteilung steht auf geschätzt 150 Quadratmetern – genaue Zahlen dazu werden nicht kommuniziert. Mit Entwicklung und Produktion der Antriebe sind in Berlin insgesamt etwa 100 Mitarbeiter beschäftigt.
Die Assemblage fängt im Kleinen an. Die Statoren etwa, also die unbeweglichen Pole des Motors, werden aus den einzelnen Armen zusammengesetzt. Danach wird vollautomatisch hinter Glas gewickelt. 12 Statoren-Arme, je 24 Wicklungen. Der dazugehörige Rotor komplettiert den Motor, der schließlich ins Gehäuse gebettet wird. Das Planetengetriebe aus Magnesiumträger und Kunststoff-Zahnrädern gesellt sich dazu. Die Tretlagerachse mit Freilauf wird eingesetzt. Er sorgt dafür, dass man auch mit ausgeschaltetem Motor widerstandslos pedalieren kann. Gut sichtbar für den Besucher ist der Riemen, der den Motor leise macht.
Auf beiden Produktionslinien können alle Motorvarianten gebaut werden. Die Umstellung von einer auf die nächste Variante dauert nur kurz. Die erste Linie wurde 2014 aufgebaut, die zweite kam nachfragebedingt 2019 hinzu. Die Produktionsvorgänge sind auf beiden dieselben, auf der neueren werden die Maschinen allerdings durch eine andere Sensorik gesteuert und überwacht. Apropos überwacht: Die fertigen Motoren werden umfassend geprüft und durchlaufen dabei satte 85 Messungen. Unter anderem auch einige bezüglich der Geräuschentwicklung, darunter Geräusche durch Vibrationen und Körperschall.
Sehr genau nimmt man es auch sonst mit allem, was aus dem Unternehmen nach draußen gelangt. Fotos sind im ganzen Werk leider tabu, sodass nur die zur Verfügung gestellten Brose-Bilder genutzt werden können. Bei weltweit agierenden Automotive-Konzernen gelten in vieler Hinsicht andere Sicherheits-, aber auch kommunikative Regeln als meist in der Fahrradbranche. So ist man deutlich zurückhaltender mit Zahlen und Zitaten, Worte werden dreimal gewogen, bevor sie den Journalisten erreichen, Fakten werden entweder offiziell freigegeben oder gar nicht weitergegeben. Da wünscht man sich fast in die kleine Velo-Klitsche, wo der Chef auch mal aus dem Firmen-Nähkästchen über interessante Interna plaudern kann.
Trotzdem hat das alles auch Gutes: »Als Unternehmen der Automobilbranche haben wir natürlich auch ganz andere Qualitätskontrollen und entsprechend geringere Toleranzgrenzen«, meint Dulk nicht ohne Stolz.
Und Corona? »Auch wir mussten Ende März die Produktion unserer E-Bike-Antriebe weitestgehend einstellen«, gibt der neue Pressesprecher Nils Wigger die offizielle Sprachregelung weiter. »Die Lage hat sich aber schnell wieder entspannt, weil auch die Nachfrage schnell wieder anzog.«

Auto-Champ baut E-Bike-Marke auf

Die Marke Brose wird durch die Verhältnisse im Automarkt oft nur von Fachleuten erkannt: »Ja, wir sind ein klassischer Hidden Champion«, sagt Wigger dann im Besprechungsraum. Horst Schuster, Leiter Vertrieb und Marketing, ergänzt: »Fast in jedem Auto steckt Brose. Aber was wird am Auto gelabelt? Die Karosserie und der Reifen.« Schuster hat lange Jahre Erfahrung im Motorradbereich gesammelt, bevor er 2010 in die E-Bike-Branche wechselte und unter anderem für Hero Eco tätig war. Tatsächlich schien die eher geringe Markenbekanntheit beim Endverbraucher für Brose eine Herausforderung. Im Gegensatz zum weltweit bekannten Mitbewerber musste man von klein auf Markenpflege betreiben. Da das Unternehmen aus der Automotive-Branche kommt, kann man nur wenig auf bisherige Strukturen zurückgreifen.
Dazu kommt, dass bekanntlich auch in Sachen Markt und drumherum in der Bike-Branche einiges anders läuft als im Automotive-Bereich. Herausforderung bei solchen Unternehmen wie sicher auch bei Brose: Die E-Bike-Abteilungen mussten und müssen der großen Mutter erklären, wo es in der Fahrradbranche langgeht. Die Entwicklung der letzten Jahre bei Brose, gezielt immer mehr Mitarbeiter aus der Bike-Branche einzustellen, geht dabei sicher in die richtige Richtung.
Auch der Fokus auf die Endverbraucher-Kommunikation ist in diesem Sinn, denn mittlerweile gibt es eine Marketingabteilung mit sechs Leuten, 2016 waren es zwei. Stolz ist man auf die Social-Media-Aktivitäten. Auf Facebook und Instagram gibt es jeweils zwei Brose-Kanäle: Brose Ebike-Moments, mit dem Thema »Urban Radfahren«, und »Brose Heroes« für E-Mountainbiker. Unter anderem mit Hochglanzbildern und Mitmachfragen zum Nutzerverhalten spricht man hier in eher klassischem PR-Stil E-Biker an und versucht, ihnen den Spaß am E-Biken näherzubringen. Was im Einzelnen »Spaß« bedeutet, unterscheidet sich mitunter sehr.

Ansprüche werden breiter, Anforderungen höher

Holger Pries kennt den Mobilitätsmarkt. Der Brose-Entwicklungsleiter fing bei Daimler Chrysler an, um über verschiedene E-Bike-Stationen, unter anderem bei Derby Cycle und Amprio, zu Brose zu kommen. »Man kann die verschiedenen Ansprüche schon lange nicht mehr mit nur einem Motor abdecken«, sagt er zur Aufsplittung des Motorenangebots der letzten Jahre. Auch in Sachen Angebotsstruktur fährt man seit letztem Jahr zweigleisig: Brose bietet neben dem Motor als Einzelprodukt seit 2019 auch ein Komplettsystem an. Seither gibt es auch Brose-Displays. Dank eines offenen Systems kann der Kunde individuell konfigurieren. Das hat man dem großen Mitbewerber voraus, der seine Komponenten nur im Komplettsystem verkauft.
»Die große Herausforderung in meinem Job ist die enge Abstimmung mit den Kernkunden. Wir arbeiten bereits in den frühen Phasen der Produktentwicklung sehr eng zusammen«, erklärt der Entwickler. Die »Kernkunden«, dazu gehört unter anderem die Marktgröße Specialized, Brose-Partner seit Jahren. Ein Erfolg: Die Amerikaner tendieren immer mehr dazu, Brose als Hersteller seiner Motoren zu nennen. Anfangs stand der eigene Name im Vordergrund. Auch das kann als ein Zeichen von Vertrauen verstanden werden.

Zentral gestützter Service

Auch in Sachen Service hat man bei Brose umstrukturiert. Arno Vers, Leiter Kundenservice bei Brose, ist auch erst seit April dabei, kommt aber aus der Branche. Stationen des Wirtschaftsingenieurs sind entwicklungsintensive Unternehmen wie HNF Nicolai und Grace. »Wir haben bei Brose einen Riesenschritt gemacht«, so Vers, »denn vorher gab es keinen direkten Händlerservice von Brose. Die Händler mussten Service und Reparaturen über den E-Bike-Hersteller kommunizieren.« Das geht seit Anfang Mai 2020 anders: Es gibt ein spezielles Händlerportal mit Ticket-System, über das der Händler zum Beispiel einen Schaden anmelden kann. Oft kann über Bilder und/oder Tonspur ein Fehlerbild bereits analysiert werden. Über einen Servicedienst wird der Antrieb abgeholt und spätestens am Folgetag nach Berlin geliefert. Meist kann er dann innerhalb weniger Stunden zurückgeschickt werden. Insgesamt darf der Prozess laut Vers maximal 4 Werktage dauern. Dabei gibt es Unterschiede zwischen Alu- und Magnesium-Baureihen. »Für Magnesium haben wir die Expertise hier«, so der Serviceleiter. »An Alu-Motoren kann auch der Händler einiges selbst machen. Wichtig ist für uns, dass es für den Händler einfacher wird und er Verantwortung abgenommen bekommt.« In Schulungen werden die Händler zertifiziert und natürlich gibt es auch ein Service-Tool. Über eine Schnittstelle kann der Händler damit unter anderem die Einstellung des Motors individualisieren. Schulungen fanden zuletzt online statt, Anfang 2021 will man wieder Präsenzschulungen durchführen. Von Herbst 2019 bis Februar 2020 gab es beispielsweise Seminare in 20 Städten.
Bislang erfährt Brose zur neuen Servicestruktur nur positive Rückmeldungen, so Vers. Wartung dagegen ist kein Thema: Das Einzige, was an einem Brose-Motor mit größerer Laufleistung gewechselt werden müsste, ist der Antriebsriemen. »Und den können zertifizierte Händler selbst wechseln.« Updates gibt es über das Service-Tool, auch die Partner-OEMs bieten teilweise eigene Software an.
Und was könnte die nächste Zukunft bringen? Vielleicht einen speziellen Cargobike-Motor? Dazu will man hier nichts sagen. Wichtiger ist der Fokus darauf, dass Brose es unter die Top 3 der Antriebshersteller geschafft hat. Diese Position gelte es weiter auszubauen, so Vertriebsleiter Schuster. Dass man mit dem hochwertigen Produkt und gewohnt zielgerichteten Weiterentwicklungen diese Herausforderung meistern könnte, daran besteht wenig Zweifel. Vielleicht ist die größere Herausforderung, sich weiter zu öffnen. Denn spannende Entwicklungen und Einsichten gibt bei diesem traditionsreichen Unternehmen sicher genügend.

5. August 2020 von Georg Bleicher

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