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Recht - Insolvenzen in der Fahrradbranche

Mit Planung und Professionalität sicher durch jede Krise

Krisen beschäftigen die Wirtschaftswelt einschließlich der Fahrradbranche. Nach ein paar Boom-Jahren manövriert die Branche gerade durch turbulentere Zeiten. Insolvenzrisiken steigen – und zwar sowohl auf eigener Seite als auch bei Lieferanten und Kunden. Wie Akteure der Fahrradbranche Risiken in allen drei Themenfeldern erkennen und darauf reagieren können, zeigt dieser Artikel.

Es ist kein attraktives Thema im Umfeld des »Klassentreffens« der Fahrradbranche, der Eurobike 2024. Viel lieber möchte man sich über positive Zukunftsaussichten unterhalten, neue Kontakte knüpfen und Bestellungen per Vororder unter Dach und Fach bringen. Doch wer die Augen nicht vor der Realität verschließt, wird konstatieren müssen, dass Insolvenzen und Insolvenzrisiken auch in der Fahrradbranche ein aktuelles Thema sind.
Für Hersteller, Händler und Großhändler sind die kommenden Monate herausfordernde Zeiten. Während Licht am Ende des Tunnels sichtbar ist und die Fahrradbranche sich um ihre Produkte als wesentlichen Bestandteil künftiger Mobilität keine Sorgen zu machen braucht, sind jetzt und für die Zukunft eigenverantwortliche Strategien zur Krisenresilienz gefragt. Diese soll dieser Artikel liefern.

A. Eigene Insolvenzrisiken erkennen und handeln

Glücklich und gesegnet waren alle Unternehmen, die in den letzten Monaten überhaupt keine wirtschaftlichen Sorgen hatten. Doch viele Händler haben mit zurückgegangener Nachfrage und vollen Lagern als verspätete Sondereffekte eines Booms während der Corona-Zeit zu kämpfen. Rabattschlachten und gleichzeitig gestiegene Kosten waren für alle Akteure der Fahrradbranche Belastungsproben.

Die Aussicht auf eine Insolvenz wird meist als Blick in den Abgrund empfunden. Entsprechend sorgfältig sollte man die eigenen Finanzen verfolgen und auch die seiner wichtigsten Kunden und Lieferanten einschätzen.

Daraus können gefährliche Insolvenzrisiken entstehen oder sich bereits materialisiert haben. Vor diesen nicht die Augen zu verschließen, ist fundamental, da zum einen das deutsche Recht massive Sanktionen für die Verschleppung von Insolvenzen regelt und zum anderen rechtzeitige Maßnahmen Abhilfe schaffen können.
Grob gesagt unterscheidet das deutsche Recht bei Insolvenzen wie folgt: Wer persönlich haftet, darf ungestraft insolvent werden. Wer sich einer Haftungsbeschränkung für sein Unternehmen bedient, muss rechtzeitig einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen.
Dieser Grundgedanke findet sich in § 15a der Insolvenzordnung (InsO). Er erlegt den Geschäftsführern und Vorständen aller haftungsbeschränkten Gesellschaften die persönliche Pflicht auf, einen rechtzeitigen Insolvenzantrag zu stellen. Haftungsbeschränkte Gesellschaften sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), Aktiengesellschaften (AG) und in diesem Zusammenhang auch die GmbH & Co. KG.
Wann nun ein Insolvenzantrag zu stellen ist, kann in der Kürze dieses Artikels kaum seriös dargelegt werden. Es bedarf hierzu eines genauen Blicks auf die Zahlen des Unternehmens. Die Insolvenzantragsgründe sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Zahlungsunfähig ist grob gesagt, wer seine Verbindlichkeiten über einen bestimmten Zeitraum nicht mehr zahlen kann. Überschuldet ist, wessen Verbindlichkeiten das Vermögen übersteigen (was letztlich ein bilanzieller Begriff ist).

Ein Insolvenzantrag bedeutet nicht automatisch die Zerschlagung des Unternehmens, sondern die Chance für einen Neubeginn.

Geschäftsführer und Vorstände der Gesellschaften sollten dringend ein gutes Reporting und Controlling zu den Finanzen des Unternehmens etablieren. Bei kleineren Unternehmen wird das häufig der Steuerberater leisten, bei größeren Unternehmen sind es interne Controller. In jedem Fall muss sichergestellt sein, dass die Entscheider rechtzeitig reagieren können. Sie haften bei Insolvenzverschleppung ansonsten strafrechtlich und zivilrechtlich.
Viele Händler der Fahrradbranche sind als Einzelunternehmer organisiert. Für sie gilt keine Haftungsbeschränkung und daher auch keine Insolvenzantragspflicht. Das ist einerseits beruhigend, weil die Sanktionen bei verschleppter Insolvenz nicht greifen. Andererseits bedeutet es auch drastische Risiken für eigenes Vermögen bis hin zur Privatinsolvenz als allerletztem Ausweg. Unternehmerinnen und Unternehmer sollten daher andenken, ob eine Organisationsform mit beschränkter Haftung eine sinnvolle Gestaltung sein könnte (vergleiche dazu auch velobiz.de Magazin 09- und 10-2023).
Doch bei allen alarmierenden Hinweisen gibt es erbaulichere Informationen zu diesem Thema. Denn wer drohende Insolvenzen rechtzeitig erkennt und vorsorgt, hat gute Handlungsmöglichkeiten. Ein Insolvenzantrag bedeutet nicht automatisch die Zerschlagung des Unternehmens, sondern die Chance für einen Neubeginn. Noch attraktiver sind die Möglichkeiten, die das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) bietet. Dazu gehören außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens gute Möglichkeiten, Stundungen und Schuldenerlässe mit Gläubigern rechtsverbindlich zu verhandeln.
Ohne fachkundige und spezialisierte Beratung wird es nicht gehen. Fachanwälte für Insolvenzrecht sind hier die richtigen Anlaufstellen. Eine Beratung sollte möglichst frühzeitig ansetzen, um alle Handlungsoptionen nutzen zu können.

B. Zahlungsausfälle und Insolvenzanfechtung als Risiko auf Kundenseite

Häufig entstehen wirtschaftliche Schieflagen als Konsequenz der Insolvenz eigener Kunden. Einzelhändler, die an Verbraucher verkaufen, werden mit diesem Problem weniger konfrontiert sein, da sie im Massengeschäft üblicherweise nur auf Vorkasse verkaufen. Ein einzelner Kunde, dem man eine Zahlung auf Rechnung erlaubt hat und der dann Privatinsolvenz anmelden muss, sollte kein existenzielles Risiko sein.
Anders sieht es für Großhändler und Hersteller aus, die im klassischen B2B-Geschäft ihrerseits an Unternehmen verkaufen. Rahmenlieferverträge und Vorordern können ein großes Volumen haben und erlauben hier und dort auch längere Zahlungsziele.
Ein Ausfall eines Kunden, der diese Zahlung nicht leisten kann, ist ein ebenso gravierendes Risiko wie die häufig unbekannte Insolvenzanfechtung. Das ist ein – nicht ganz intuitives – Instrument eines Insolvenzverwalters in einem Insolvenzverfahren, geregelt in den §§ 129 f. der deutschen Insolvenzordnung. Gemeint ist folgender Fall: Die Lieferung an den Kunden ist bereits abgeschlossen und auch die Zahlung bereits geleistet. Später muss der Kunde nun die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Der Insolvenzverwalter hat nun die Möglichkeit, unter bestimmen Voraussetzungen solche Zahlungen anzufechten. Der Gedanke des Gesetzgebers: Die Gläubiger sollen gleichbehandelt werden. Wer beispielsweise die drohende Zahlungsunfähigkeit kannte und Zahlungen dennoch annimmt, hat dadurch einen Vorteil gegenüber solchen Gläubigern, die die Zahlung nicht mehr vor Beginn des Insolvenzverfahrens erhalten.

Wer handelt, bevor alle Stricke reißen, hat die Aussicht, auch schwierige Marktsituationen zu überstehen und zu bewältigen.
Das mag man für ungerecht halten und eine Insolvenzanfechtung über größere Summen trifft viele Unternehmen hart und unvorbereitet. Dabei lässt sich auch hier Prävention leisten. Die Maßnahmen sind zu diffizil, um hier allgemeingültige Lösungen zu präsentieren. Ein wichtiger Faktor ist, ob es sich um reine Inlandsgeschäfte handelt oder Kunden auch im Ausland beliefert werden. Insolvenzanfechtungsregelungen können sich schon zwischen Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz gravierend unterscheiden.
Hier hilft eine durchdachte Planung der Lieferbeziehungen mithilfe spezialisierter Rechtsberatung. Eigentumsvorbehalte in Lieferbedingungen können helfen, aber auch nur dann, wenn diese Bedingungen effektiv einbezogen werden. Insolvenzanfechtungen können durch Vorkasse vermieden werden, aber auch hier steckt der Teufel im Detail und es ist vor »hemdsärmeligen« Lösungen zu warnen.

C. Lieferanteninsolvenz und Lieferketten

Einen dritten wichtigen Fall stellt die Insolvenz des Lieferanten dar. Hier liegen die Interessenslagen anders als bei der Insolvenz des Kunden. Es geht nicht darum, eine Zahlung abzusichern, sondern die rechtzeitige Lieferung. Wie es sich anfühlt, trotz Kundennachfrage keine Ware liefern zu können, wissen viele Unternehmen der Branche spätestens seit Corona.

Die Insolvenz eines Lieferanten bedeutet immer Unwägbarkeiten und Unsicherheit.

Ähnliche Szenarien drohen bei Insolvenz des Lieferanten. Denn nach deutschem Insolvenzrecht kann der Insolvenzverwalter in der Insolvenz entscheiden, ob er Lieferverpflichtungen weiter bedient oder nicht. Das wird er üblicherweise tun, da ohne Geldeingänge das Ende des Unternehmens droht. Es kann aber auch Gründe geben, die dafür sprechen, eine Lieferbeziehung abzubrechen.
Dabei ist es egal, ob der Händler Ware vom Großhändler oder der Großhändler vom Hersteller bezieht, die Insolvenz eines Lieferanten bedeutet immer Unwägbarkeiten und Unsicherheit. Auch Hersteller, die Anbauteile beziehen, riskieren Produktionsausfälle, die immense Schäden nach sich ziehen können.
Vertragspartner insolventer Lieferanten könnten daher versucht sein, den Vertrag ihrerseits zu kündigen, um sich nach einem anderen Lieferanten umzusehen. Vielleicht haben sie für genau diesen Fall bereits eine Alternative vorgesehen. Doch diesem Vorhaben setzt die deutsche Insol-venzordnung in Gestalt des § 119 InsO enge Grenzen. Vertragliche Gestaltungen, nach denen eine Kündigung bei Insolvenz des Lieferanten möglich ist, sind häufig unwirksam. Gleichzeitig ist eine außerordentliche Kündigung, weil der Lieferant wegen der Insolvenz Pflichten nicht mehr erfüllen kann, nicht ausgeschlossen.
Hier ist sowohl in der präventiven Vertragsgestaltung als auch im Krisenfall präzises und schnelles Arbeiten nötig. Kommt es zur Insolvenz, muss auf Pflichtverletzungen schnell und klar reagiert werden, da bestimme Fristen zur Kündigungserklärung gelten. Die Pflichtverletzungen müssen klar definiert und abgrenzbar von der reinen Insolvenz sein, die keinen Kündigungsgrund darstellt.

D. Fazit

Insolvenzen sind turnusmäßige Begleiter der Wirtschaftswelt. Alle Akteure der Fahrradbranche sollten ein Krisenwissen aufbauen, um auf eigene Insolvenzrisiken sowie solche bei Kunden und Lieferanten schnell reagieren zu können. In allen drei Fällen können sie durch rechtzeitiges und präventives Handeln großen Schaden abwenden und die Geschäftsführung eigene Haftung vermeiden. Wer vorgesorgt hat, wird entspannt und sicher durch die kommenden Monate kommen – und kann die Eurobike 2024 ohne Zukunftssorgen genießen. //

26. Juli 2024 von Johannes Brand
Velobiz Plus
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