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Business-Navigator - Werkstatt-Arbeitswerte

Nutzen oder Zeit?

Praktisch jeder Fahrradladen betreibt auch eine Werkstatt. Zur Abrechnung ihrer Leistungen wird heute in der Regel mit Arbeitswerten gearbeitet. Doch wie funktioniert das genau?

Grundlage für die Arbeit mit Arbeitswerten in der Fahrradwerkstatt ist eine Tabelle. Sie zählt die verschiedensten Arbeitsschritte auf, die in einer Fahrradwerkstatt üblicherweise anfallen. Ihren Reiz gewinnt diese Tabelle dadurch, dass sie Anhaltspunkte liefert, was man seiner eigenen Kundschaft für die jeweiligen Arbeitsschritte berechnen darf, kann und sollte. Da sich die Tätigkeiten in einer Werkstatt mitunter verändern und weiterentwickeln oder neue dazukommen, wird die Arbeitswertetabelle (AW-Tabelle) auch regelmäßig überarbeitet. Die letzte gravierende Veränderung war die Berücksichtigung des Lastenrads, dessen Wartung ungleich aufwendiger sein kann als ein typisches E-Bike. Dass die AW-Tabelle auf dem Stand der Technik bleibt, dafür sorgt die Zusammenarbeit verschiedener Verbände und Organisationen. Maßgeblich verantwortlich sind ZIV, VSF, VDZ und der Bundesinnungsverband Zweiradmechaniker-Handwerk (BIZ). »Die AW-Liste ist eine unverbindliche Orientierungshilfe für Werkstätten, Händler und Sachverständige und unterstützt bei der Rechnungserstellung und der Erstellung von Kostenvoranschlägen«, erklärt der BIZ die Rolle der AW-Tabelle. Doch wie arbeitet man damit konkret?

Die Basics

Zunächst gilt es wieder die Grundlagen zu klären. Die Arbeitswerte sind zu unterscheiden von Stundensätzen. Für die Stunde Arbeitszeit des Mechanikers veranschlagt die Werkstatt einen Betrag X. Das wäre dann der jeweilige Stundensatz. Diese Stunde Zeit kann man auf eine bestimmte Zahl an Arbeitswerten aufteilen. In der AW-Tabelle der Verbände sind sechs Minuten als Standard-Zeiteinheit festgelegt.

»Entscheidend ist nicht, ob man mit 10 oder 12 Arbeitswerten arbeitet, sondern ob überhaupt mit Arbeitswerten gearbeitet wird.«

Thorsten Larschow

Das ergibt dann 10 Arbeitswerte, die man pro Stunde abrechnen kann. Man kann aber auch mit anderen Zeiteinheiten arbeiten. Kaum weniger geläufig ist der Fünf-Minuten-Takt, was dann 12 Arbeitswerte ergibt. »Das ist die erste Basis, auf die man sich einigen muss, wenn man die Werkstattleistung vergleichen will. Denn es macht natürlich einen Unterschied, ob ein Arbeitswert fünf oder sechs Minuten hat«, erklärt Thorsten Larschow, der als Fahrradhändler und VSF-Vorstand insbesondere die Werkstattarbeit im Blick hat. Andreas Lübeck, langjähriger Berater in der Fahrradbranche, ergänzt, dass schon hier oft Unklarheiten bestehen und entstehen. »Da werden schnell Äpfel mit Birnen verglichen. Den meisten Händlern ist nicht bewusst, ob sie sechs, acht, zehn oder zwölf Arbeitswerte pro Stunde haben. Manche haben sogar 60 Arbeitswerte pro Stunde.« Wenn man verschiedene Betriebe vergleichen will, ist es also gegebenenfalls nötig, auf eine gemeinsame Basis umzurechnen. Der Sechs-Minuten-Takt bietet sich in der Regel dafür an.
Die AW-Tabelle hat auch ihre Vorzüge in der Kommunikation mit der Kundschaft. Wenn man gefragt wird, warum eine Tätigkeit soundso viel kostet, »dann hilft es tatsächlich, wenn man sagen kann, ›wir haben eine Branchentabelle, die von den Verbänden angeregt ist und nach der wir abrechnen‹«, sieht VSF-Geschäftsführer Uwe Wöll in der Praxis.

Der Vorteil der Arbeitswerte

»Entscheidend ist nicht, ob man mit 10 oder 12 Arbeitswerten arbeitet, sondern ob überhaupt mit Arbeitswerten gearbeitet wird«, ist Larschow überzeugt. »Die Alternative ist, dass ich nach Zeit abrechne.« Dann würde man dem Kunden sagen, dass man beispielsweise eine halbe Stunde am Rad gearbeitet hat und entsprechend einen halben Stundensatz abrechnet. Der große Unterschied ist, dass im letzten Fall Zeit für Geld getauscht wird. Bei der Arbeit mit Arbeitswerten werden Leistungen gegen Geld getauscht. »Wenn man nach Arbeitswerten abrechnet, dann sagt das nicht aus, wie viel Zeit man tatsächlich da reingesteckt hat«, verdeutlicht Larschow. »Zeit gegen Geld zu tauschen, ist das Schlechteste, was man machen kann«, erklärt der Experte. Lieber solle man Können oder Nutzen gegen Geld tauschen. Was das bedeutet, wird an einem Beispiel klar: Wenn ein Motortausch am E-Bike fällig ist, dann empfiehlt die AW-Tabelle, 9 AW abzurechnen. Ein gut geschulter Mechaniker, der diese Arbeit schon oft erledigt hat, kommt aber womöglich mit weniger Zeit aus. Umgekehrt kann es sein, dass jemand mit weniger Erfahrung länger für die gleiche Arbeit braucht. In beiden Fällen würde der Betrieb die gleiche Zahl an Arbeitswerten abrechnen.

Werden Arbeitswerte auf der Kundenrechnung ausgewiesen, lassen sich nachvollziehbare Belege erstellen, die entsprechend selten für Verärgerung und kritische Nachfragen sorgen.

Weder muss er dann die Kompetenz des Experten verschenken, ihn also für seine Fähigkeiten bestrafen, noch würde er für die Unerfahrenheit einen Aufschlag verlangen.
Zudem lassen sich in der Warenwirtschaft Pakete hinterlegen, etwa für den klassischen Kette-Ritzelpaket-Wechsel. So lassen sich für die Mitarbeitenden leicht typische Arbeiten abrechnen. Wenn dann noch während einer Wartung zusätzliche Arbeiten kommen, lassen sie sich einfach dazubuchen.
Arbeitswerte auf der Rechnung sorgen auch für eine gewisse Übersichtlichkeit. Würde man alles in Minuten und Euro angeben, entsteht schnell ein Zahlensalat. »In der Rechnung sieht der Kunde oder die Kundin, welche Arbeitswerte wofür verbraucht wurden. Sie sehen also ganz genau, dass der Mechaniker eine Stunde die Inspektion gemacht hat und noch mal eine halbe Stunde die gefundenen Fehler ausgebessert hat.« Auf diese Weise könne die Kundschaft die Zeiteinheiten und einzelnen Arbeitsschritte nachvollziehen, »und dann wird es langsam plausibel für die Kunden«, verdeutlicht Larschow. Mit Arbeitswerten wird die Rechnung besser verständlich und eventuelle Zweifel an der Abrechnung lassen sich so ausräumen. »Wenn erkennbar ist, dass das viele Arbeitsschritte waren, die alle einzeln ausgepreist sind, dann hilft das den Kunden«, sagt Larschow. Es bleibe das Gefühl zurück, »okay, es war teuer, aber es wurde auch viel gemacht«.

Orientierung, aber keine Vorgabe

Bei der Festlegung der Arbeitswerte wurde natürlich genau eruiert, wie lange ein Mechaniker durchschnittlich für einen Arbeitsgang benötigt. Auch Rüstzeiten sind darin bereits enthalten. Man muss sich nicht sklavisch an die Vorgaben halten, aber man hat einen Anhaltspunkt, insbesondere wenn man Arbeiten zu erledigen hat, die eher selten vorkommen. Wenn man im eigenen Betrieb feststellt, dass die Empfehlungen der AW-Tabelle nicht passen, ist angeraten, die Arbeitswerte-Angaben entsprechend anzupassen, um einen profitablen Werkstattbetrieb sicherstellen zu können. »Auch kann man bei der Werkstattarbeit besondere Erschwernisse berücksichtigen«, erklärt Larschow. Das gilt etwa für die Fälle, wenn ein Fahrrad mit dicker Salzkruste in den Laden kommt oder andere Umstände die Arbeit erschweren.
Entscheidend für die Werkstattleistung ist nicht zuletzt, wie viele Arbeitswerte abgerechnet werden können. Der Business Navigator liefert hier eine gute Einsicht: »Wenn man die Hälfte der Arbeitszeit abrechnen kann, dann ist das schon sehr gut«, macht Andreas Lübeck klar. Kaum jemand komme über diesen Wert hinaus. Dass die Werkstatteffizienz, und um nichts anderes geht es an dieser Stelle, nicht höher liegt, hat verschiedene Gründe. Zum einen arbeitet die Werkstatt oft für den Verkauf mit, wo es häufig üblich ist, Werkstattleistungen zu verschenken. »Hohe Kundenfrequenz bedeutet ebenfalls niedrige Effizienz«, verdeutlicht Lübeck. Und auch die Werkstattstrukturen machen klar, dass man nicht so leicht auf höhere Werte kommt: Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin, die in der Auftragsannahme arbeitet, leistet sehr wichtige Arbeit für die Werkstatt, doch die Zeit, die diese Kollegen aufwenden, kann nicht abgerechnet werden. Im Sinne der Abrechnungseffizienz sind sie also ein Minus, noch ineffizienter ist allerdings der Versuch, ohne eine professionelle Werkstattannahme arbeiten zu wollen. Auf der anderen Seite gilt es festzuhalten, dass erfahrenes Werkstattpersonal unter optimalen Bedingungen auch mehr als 10 AW (bei 6-Minuten-Takt) für eine Arbeitsstunde abrechnen kann. Es gibt also viele Stellschrauben, an denen man in einer Werkstatt arbeiten kann. Nicht alle sind aus Metall. //

11. November 2024 von Daniel Hrkac

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