Interview - Konrad Irlbacher
»Paradiesvogel ist heute keine Alleinstellung mehr«
{b}Wenn man in die vergangenen 25 Jahre zurückblickt, dann war Corratec häufig die Marke, die bunt ist, wo andere schwarz sind, die gebogene Rohre hat, wo andere gerade Rohre verwenden, die oft anders tickt, als der Rest der Branche. Die Liste von Dingen, mit denen Sie den Markt gegen den Strich gebürstet haben, ist recht lang. Hat es Sie nie gereizt, auch mal den einfachen Weg zu gehen?{/b}
Natürlich hat es das. Und wir haben tatsächlich neben den besonderen Produkten immer auch ganz normale Sachen angeboten. Aber in dem Moment, in dem wir uns vom Markt abheben, spricht man nicht mehr über die normalen Produkte. Dann entsteht die Wahrnehmung, dass wir immer nur ausgefallene Dinge machen würden. Ich kann mich erinnern, dass wir vor ungefähr 15 Jahren ein Superbow gemacht haben, auf dem neben dem Corratec-Logo ein barocker Engel abgebildet war. Von den damals 90 Corratec-Modellen war nur auf diesem einen Modell ein Engel drauf. Trotzdem haben uns die Verbraucher plötzlich als die Marke mit dem Engel wahrgenommen. Das lässt sich auch auf technische Merkmale übertragen. In den Neunzigerjahren hat die Mountainbike-Szene viel über unsere Diamant-Slick-Reifen diskutiert. Wir hatten damals vielleicht zehn Modelle mit Diamant-Slick im Programm – jene Modelle, zu deren Konzept dieser Reifentyp passte. Trotzdem entstand der Eindruck, alle unsere Fahrräder hätten Diamant-Slick-Reifen.
{b}Darüber ist dann wohl manchmal in Vergessenheit geraten, dass Corratec als Marke nicht nur ein Paradiesvogel ist…{/b}
Ja, vielleicht. Wobei das eher die Wahrnehmung in den Medien betrifft. Unsere Händler wussten natürlich, dass Corratec eine Bandbreite anbietet, die weit mehr umfasst als nur die außergewöhnlichen Produkte. In der Öffentlichkeit sind wir jedoch meist nur als Paradiesvogel dargestellt worden. Aber wo stünden wir heute ohne die Innovationen, die wir in den Markt gebracht haben? Viele davon sind inzwischen von unseren Mitbewerbern übernommen worden. So falsch kann unser Kurs also nicht gewesen sein.
{b}Ist das auch Teil Ihrer Persönlichkeit? Dass Sie gerne gegen den Strom schwimmen?{/b}
Das ist wohl eine Frage der Sichtweise. Ich hab’s jedenfalls nicht so empfunden. Ich hab’s eher so gesehen, dass ich Ideen in den Markt bringe, die die Zukunft sind. Vielleicht war es in dem Moment gegen den Strom. Aber wenn ich dann ein paar Jahre später sehe, dass Mitbewerber unsere Ideen übernehmen, habe ich eher das Gefühl, die Quelle des Stroms gewesen zu sein. Rückblickend betrachtet, waren wir vielleicht manchmal zu früh mit unseren Ideen im Markt. Als wir zum Beispiel die bunten Räder gemacht haben, waren wir dem Trend zwei oder drei Jahre voraus. Oder die abfallende Kettenstrebe, über die damals kontrovers diskutiert wurde. Und heute findet man sie an fast jedem Bike im Markt.
{b}Gab es auch Dinge, bei denen Sie rückblickend betrachtet, mit Ihren Überzeugungen daneben gelegen sind?{/b}
Die gab’s bestimmt. Aber welche das waren, habe ich vergessen.
{b}Corratec hat sich als Marke über die Jahre gewandelt. Der Paradiesvogel blitzt hier und da vielleicht noch durch, insgesamt sind die Bikes aber konsumiger geworden…{/b}
Paradiesvogel ist heute auch keine Alleinstellung mehr. Bunt macht ja inzwischen jeder.
{b}Ist der Wandel der Marke Corratec auch ein Zeichen einer gewissen Reife?{/b}
Mag sein. Das ist jedoch eine Entwicklung, die den Markt insgesamt betrifft. Es gibt eine Vielzahl von Fahrradmarken im Weltmarkt. Und jede versucht sich, von der Masse abzuheben. Da ist es ganz schwer, sich mit den Farben vom Markt abzuheben. Als alle schwarz waren, waren wir bunt. Und das war auch gut so. Aber wer ist heute noch schwarz? Heute würden wir eher auffallen, wenn wir nur noch schwarze Fahrräder machen würden.
{b}Wie würden Sie Ihr Unternehmen eher charakterisieren? Als Fahrradhersteller mit angeschlossenem Einzelhandel? Oder als Einzelhändler, der auch Fahrräder herstellt?{/b}
Keines von beiden.
{b}Sondern?{/b}
Wir sind Fahrradhersteller. Und wir haben einen Einzelhandel, der bei uns genauso einkauft und genauso betreut wird wie jeder andere Händler. Unsere Wurzeln im Einzelhandel sehe ich aber als einen großen Vorteil für unser Unternehmen. Wir verstehen dadurch vielleicht die Situation unserer Handelspartner und die Sprache der Endverbraucher ein wenig besser als unsere Mitbewerber.
{b}Diese Gratwanderung, für Ihre Handelspartner einerseits Lieferant und andererseits Mitbewerber zu sein,
hat aber auch Reibungsflächen mit dem Handel erzeugt …{/b}
Da waren vor allem auch die anderen Markenanbieter immer recht fleißig, unsere Handelspartner daran zu erinnern, dass wir nicht nur Lieferant, sondern auch Mitbewerber sind. Mittlerweile ist das Thema aber nicht mehr so brisant, wie es schon mal war. Eigentlich gar nicht mehr.
{b}Ist das vielleicht auch die Folge eines Lernprozesses, wie man einerseits seinen Handelspartnern ein guter Lieferant und dennoch auch ein erfolgreicher Einzelhändler sein kann? Machen Sie Dinge anders als vielleicht vor zehn Jahren?{/b}
Natürlich. Aber was macht man heute überhaupt noch wie vor zehn Jahren? Man muss einen Einzelhandel anders betreiben als vor zehn Jahren. Und das gilt genauso für den Vertrieb.
{b}Was sind denn aus Ihrer Sicht die wesentlichen Veränderungen? Vielleicht auch mit Blick auf die 25 Jahre, in denen die Marke Corratec besteht. Was machen Sie heute anders?{/b}
Es ist sehr schwierig, diese Antwort auf einen Punkt zu bringen. Die Frage ist einfacher zu beantworten, wenn sie umgedreht wird: Was macht man heute noch wie vor 25 Jahren? Das einzige, was mir da einfällt, ist vielleicht die Ideenfindung in der Startphase zu einem neuen Produkt. Der Prozess, der sich nur in deinem Kopf abspielt, ist ähnlich wie vor 25 Jahren. Aber sobald man dann in die konkrete Entwicklung oder die Gestaltung geht, gibt es Dinge, die waren früher viel einfacher. Da hast du schnell mal eine Skizze zum Musterbauer gebracht. Heute kommen noch Berechnungen am Computer dazu, Stabilitätstest und so weiter. Der Aufwand, der nötig ist, ein neues Modell zu entwickeln, ist deutlich größer geworden.
{b}Ist es vor diesem Hintergrund schwieriger geworden, als Fahrradhersteller zu bestehen?{/b}
Natürlich. Zudem haben wir deutlich weniger Zeit, um Entscheidungen mit immer größerer Tragweite zu treffen. Manchmal muss man quasi in Sekunden schwierige Entscheidungen treffen, deren Folgen erst in ein bis zwei Jahren eintreten. Wie zum Beispiel die Frage, wie wir in Deutschland und international auf den starken Dollar-Kurs reagieren. Oder die Frage, ob und welche Fahrräder wir im nächsten Jahr noch in Russland verkaufen können. Früher war’s auch so, dass ein Importeur zu uns gekommen ist, und angefragt hat, ob er die Fahrräder in seinem Heimatland vertreiben kann. Da wurde eine Marke vor allem noch über ihre Produkte definiert. Heute wollen die Importeure mit uns erst mal über Vermarktungs- und Vertriebskonzepte für die jeweiligen Märkte reden. Dennoch darf man das Produkt nicht vergessen. Wenn man mit den Partnern über so viele andere Dinge spricht, besteht die Gefahr, dass die Produkte in den Hintergrund treten. Wir gehen mit unserer Marke technisch immer noch sehr viele individuelle Wege. Aber es ist schwieriger geworden, solche Alleinstellungsmerkmale immer wieder in den Vordergrund zu stellen.
{b}Als Sie Ihre Fahrradmarke Corratec gegründet haben, mussten Sie damit auch einige Widerstände bei Ihrem Vater, der vor zwei Jahren gestorben ist, überwinden.{/b}
Widerstände gab es nicht in dem Sinn, dass ich keine Fahrräder hätte machen sollen. Das hat mein Vater durchaus positiv gesehen. Er wollte aber nicht, dass ich mit der Marke an andere Händler herangehe. Er hatte wohl Sorge, dass wir auf Forderungen sitzen bleiben, wenn wir Ware liefern und die Händler nicht zahlen.
{b}Hat diese Auseinandersetzung im Familienunternehmen Sie auch als Unternehmer geprägt?{/b}
Da gab’s andere Auseinandersetzungen, die noch viel schwieriger waren.
{b}Mögen Sie davon erzählen?{/b}
Ja, natürlich. Warum machen wir überhaupt Fahrräder? Die Antwort ist, weil ich im Unternehmen nicht das gleiche machen konnte wie mein Vater. Und zwar den Sportartikeleinzelhandel. Da gab es damals keinen, der das besser gekonnt hätte, als mein Vater. Das einzige, was ich hätte machen können, um seine Ansprüche zufriedenzustellen, wäre gewesen, ihn zu kopieren. Aber das ging nicht. Also habe ich die Chance ergriffen, etwas anderes zu machen, nämlich im Einzelhandel meines Vaters Fahrräder zu verkaufen. Damit hatte ich mein eigenes Terrain. Mein erster Ehrgeiz war dann, die Umsätze, die mein Vater mit dem Sportsortiment erwirtschaftete, auch mit meinen Fahrrädern zu erreichen. Es hat dann nicht lange gedauert, bis ich seine Umsätze verdoppelt hatte.
{b}Der Ehrgeiz, den eigenen Vater zu überflügeln, ist etwas, das viele Menschen antreibt …{/b}
Das war bei mir nicht anders. Und ist mir auch gelungen. Dann wollte ich das gleiche auch im Vertrieb erreichen. Und so ging es weiter.
{b}Ihr Vater war wahrscheinlich auch ein Macher und ein Alpha-Tier …{/b}
Absolut. Mein Vater war früher ein Skirennfahrer und später auch Skihersteller. Da war er auch sehr innovativ. Wir waren beispielsweise die ersten, die einen Ski im Siebdruckverfahren bedruckt und einen Ski mit durchgehender Kante hergestellt haben. Der innovative Geist war also damals schon im Unternehmen angelegt. Leider scheiterte unser Ski-Business an einem Geschäftsführer, der damals viel Geld unterschlagen hatte. Der Einzelhandel sicherte damals unserem Unternehmen das Überleben.
{b}Wenn mich der Eindruck nicht täuscht, sind Sie ein Familienmensch. Ihre Frau Cielo und drei Ihrer vier Kinder sind auch im Unternehmen tätig. Wird hier irgendwann auch die dritte Irlbacher-Generation im Chefsessel sitzen?{/b}
Wir haben vier Kinder. Und alle vier wollen. Ob alle vier können, ist eine andere Frage. Andererseits weiß ich nicht, ob ich meinen Kindern mit dem Unternehmen als Erbe etwas Gutes tue. So wie ich meinen Vater nicht kopieren konnte und wollte, werden auch meine Kinder mich nicht kopieren können. Das heißt, irgendeines meiner Kinder wird seinen eigenen Weg finden müssen. Ob dies einem der Kinder gelingt, wird sich zu gegebener Zeit zeigen.
{b}Wo sehen Sie die Zukunft der Marke Corratec? Neue Themen wie das E-Bike-Konzept Lifebike nehmen in Ihrem Unternehmen inzwischen viel Raum ein. Sind das neue Schwerpunkte jenseits der sportlichen Wurzeln Ihrer Marke.{/b}
Corratec ist ganz klar sportlich geprägt und wird es auch bleiben. Lifebike ist vor diesem Hintergrund eine eigenständige Marke, die zwar von Corratec produziert wird, die aber eine eigene Identität hat. Wobei es auch bei Lifebike eigentlich um Sport geht. Nämlich darum, Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt sind, wieder die Bewegung in der Natur zu ermöglichen. Insofern passt Lifebike sehr gut zu unserer DNA.
{b}Wie geht’s weiter in den nächsten 25 Jahren?{/b}
Eine Marke wie wir muss immer innovativ sein. Nur indem wir eine Vorreiterrolle spielen, werden wir uns im Markt behaupten können. Das muss weiter unser Antrieb und Ehrgeiz für die Zukunft sein. Sonst werden wir zum Mainstream. Wir sind aber zu klein, um im Mainstream zu überleben. Wir haben vorher über die zunehmende Komplexität des Fahrradmarktes gesprochen. Als kleines Unternehmen können wir in diesem Markt schneller, wendiger und innovativer agieren. Je größer du bist, desto weniger traut man sich, eine mutige Idee nach vorne zu pushen. Wenn du einem Investor verpflichtet bist, dann tendiert die Bereitschaft, auch mal Risiken einzugehen, fast gegen null. Dann wartet man lieber, bis jemand anderes sich die Finger verbrennt und greift dann deren Ideen auf. Wir hingegen müssen niemand fragen, welche Innovationen wir umsetzen dürfen und welche nicht. Ich kann mir auch keinen anderen Weg für Corratec vorstellen.
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