Umfrage - Direktvertrieb vs. Fachhandel
Partnerschaft auf dem Prüfstand
Die Mitteilung kam als eher unscheinbare Ankündigung daher, aber die Bedeutung des Inhalts wurde von den betroffenen Händlern keineswegs überlesen: Zwar bleibe der stationäre Fachhandel »ein elementarer Baustein unseres Geschäftsmodells«, hieß es in einer Mitteilung, aber gleichzeitig wurden zwei neue Versandwege eingeführt, die komplett am Fachhandel vorbeigehen. Das war für uns der Anlass zu fragen: „Stellen Sie sich vor, einer Ihrer wichtigen Lieferanten schaltet auf Direktvertrieb um. Wie würden Sie reagieren? Adidas hat es vorgemacht, nun folgen bisher fachhandelstreue Fahrradhersteller dem Beispiel und vertreiben ihre Produkte auch direkt an den Endkunden. Was bedeutet das für Sie als Fachhändler? Ziehen Sie daraus Konsequenzen für Ihre Zusammenarbeit mit Fahrradmarken?“
Specialized mag der aktuelle Aufhänger sein, aber die Frage wabert sein Längerem durch den Raum: Ist es vorstellbar, dass solche Entscheidungen nun regelmäßig Wirklichkeit werden oder bleiben sie die Ausnahme? Aus den meisten Antworten lässt sich zusammenfassen, dass der Handel das Schlimmste erwartet, auf die eigenen Stärken vertraut und das Beste hofft.
Den meisten Händlerinnen und Händlern ist die grundsätzliche Situation bewusst, dass sie unter den heutigen Umständen womöglich nicht so leicht zeitnah an eine attraktive Ersatzmarke kommen. Von daher ist es wenig überraschend, wenn zunächst überlegt wird, wie die wirtschaftlichen Folgen einer Trennung letztlich wirklich ausfallen werden und ob man den eigenen Ärger über konkurrierende Vertriebswege runterschlucken soll und kann. Der Gedankengang wird von Meinhard Hellweg (Radsport Hellweg, Saterland) zusammengefasst: »Das geht im Prinzip gar nicht. Wenn es ein wichtiges Fabrikat für mich ist, muss man es sich noch mal überlegen. Wenn man darauf verzichten kann, weil es das dritte oder vierte Produkt ist, dann auf keinen Fall.«
»Ich würde die Zusammenarbeit beenden.«
Marc Katholing, Fahrrad-Hahne
Abseits eventueller wirtschaftlicher Gründe ist für die meisten Händler aber klar, dass sie lieber die Zusammenarbeit aufkündigen würden als derlei Vertriebsaktivitäten hinzunehmen – sofern das eben möglich ist. Kurz und knapp antwortet etwa Marc Katholing von Fahrrad-Hahne in Braunschweig: »Ich würde die Zusammenarbeit beenden.« Händler haben aber durchaus ein gewisses Verständnis, wenn eine solche Antwort nicht so leicht gegeben wird.
Zwischen Konsequenz und Notwendigkeit
»Für mich als Händler wäre die logische Konsequenz, mich von diesem Lieferanten zu verabschieden. Viele Händler scheuen aber sicherlich diesen Schritt«, sieht Thomas Schicketanz vom Zweirad-Center-Schicketanz in Bad Liebenwerda.
»Wirklich starke Fachhandelsmarken werden sich hüten, sich den Stress mit den Endverbrauchern anzutun.«
Carsten Bischoff, Point GmbH
Ob sie mit einer solchen Entscheidung gut beraten sind, bezweifelt er. »Das Ergebnis wäre dann, dass der Händler vom Kunden für Servicearbeiten und eventuellen Frust, wenn was nicht funktioniert, missbraucht wird. Da muss man sich überlegen, ob es das wert ist. Ich kann aber den Kunden erklären, warum ich Firma XY nicht mehr führe, und ich weiß, dass meine Kunden diese Entscheidung nachvollziehen könnten. Ich würde vielleicht den einen oder anderen verlieren, aber solange ich Alternativen habe, sehe ich kein Problem. Natürlich würden wir dann auch alle Servicearbeiten an XY-Rädern ablehnen, eben mit der Begründung, dass wir kein Vertragspartner mehr sind. Allerdings sollte dieser Weg schon überlegt sein, falls dies wirklich die Zukunft des Fahrradhandels sein sollte.«
Christian Körfgen von Velomobil in Weißensberg zeichnet ein ähnliches Bild. »Ich bin nicht direkt betroffen, da ich solche Marken nicht führe, allerdings würde ich diese Marke nach Möglichkeit sofort rauswerfen. Was soll ich mir als Händler noch einen Haufen totes Kapital in den Laden stellen und dann für den Hersteller noch die Beratung machen? Hatten wir alles schon bei Thule. Weg damit und die Werkstattpreise für solche Räder raufsetzen. Der Hersteller wird die Wartung ja nicht machen wollen.« Dieses Pfund der Fachhandelsleistungen sähe mancher gern deutlich stärker zum eigenen Wohle eingesetzt, wie Heiko Mette vom Balance Radsporthaus in Chemnitz findet: »Wir (stationären) Fachhändler haben es vor über 20 Jahren versäumt, geschlossen das Thema Radkauf per Versand im Keim zu ersticken. Seitdem haben wir endlose Diskussionen, ob und wie wir mit Internetkunden umgehen wollen. Jetzt kommt mit D2C quasi die nächste Welle. Entweder, wir stellen uns gemeinsam konsequent und geschlossen dagegen, oder wir laufen ernsthaft Gefahr, in zehn Jahren entweder nur noch zu reparieren oder maximal als angestellter Geschäftsführer einen Concept Store führen zu dürfen. Natürlich hat der einzelne Händler alleine nicht die ›Eier‹, einen Hersteller direkt vor die Tür zu setzen, der sich D2C ohne Händlereinbindung erlaubt. Wir müssten uns irgendwie organisieren, um das Thema wirklich geschlossen anzugehen. Wenn die Hersteller wissen, dass sie Vertrieb und Service plötzlich komplett alleine stemmen müssten, lassen sie die Finger von solchen Ideen.«
Verschiebung der Machtverhältnisse
Die jüngste Entwicklung zeigt nicht zuletzt auf, wie sich über die Jahre die Machtverhältnisse eben doch verschoben haben.
Mit der Umstellung des Vertriebs von Fachhandel auf (zusätzlich) D2C wurde viel Porzellan und Vertrauen zerschlagen. Es wird interessant zu sehen sein, was die Zukunft nach einer solchen Maßnahme bringt.
Die Entwicklung lasse sich auch an aktuellen Verträgen festmachen, beobachtet Bernd Zingelmann vom Rad-Werk Zingelmann: »Direktvertrieb, das ist nun nicht neu. Schon lange liegt das Fundament bei den meisten Fahrradherstellern für den Direktvertrieb. Jeder Händler, der seine Verträge vernünftig liest, wird feststellen, dass er oft schon seine Zustimmung gegeben hat. [...] Erschreckend ist die Tatsache, dass sich wenige Händler Gedanken darüber machen, welche Position sie dabei einnehmen.« Carsten Bischoff von der Point GmbH sieht zwar ebenfalls die Weichen gestellt, zweifelt aber, ob das für die starken Marken ein sinnvoller Weg ist: »Das Thema Direktvertrieb gehen alle Hersteller an, deren Reichweite im Fachhandel zu gering ist. Solange es fair läuft, also gleiche Preise online wie offline und eventuell mit zusätzlichen Versandkosten für den Direktvertrieb und Auslieferungsoption mit Marge für den Fachhandel, dann sehe ich kein Problem darin. Wirklich starke Fachhandelsmarken werden sich hüten, sich den Stress mit den Endverbrauchern anzutun. Reklamation, Versandabstimmung, Hotline, Rücksendungen und so weiter.
»Ich denke, dass über kurz oder lang weitere Firmen diesen Weggehen werden.«
Thomas Schicketanz, Zweirad-Center Schicketanz
Das bedarf schon einer komplett anderen Arbeitsweise als B2B. Gewachsene Online-Hersteller, wie Canyon oder Rose haben noch heute Probleme mit dem Aufwand, der hinter B2C steckt.« Auch Stefan Fürst von Velomondial in Fürth zweifelt daran, dass Verkauf ohne Service danach funktionieren kann: »Es gibt ja, wie wir inzwischen wissen, viele Produkte, die man online und direkt verkaufen kann und wo das auch leidlich funktioniert. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass sich das Fahrrad am wenigsten dafür eignet. Wie immer frage ich mich, wer die vielen direkt verkauften Bikes reparieren und warten soll? Die Mechaniker wachsen nicht auf den Bäumen und im Zweifel werden die stationären Werkstätten die ihnen näher stehenden eigenen Fahrradkäufer bedienen. Dieses Szenario wird sich wahrscheinlich erst in ein paar Jahren verschärfen. Aber vielleicht täusche ich mich ja, und dann gibt es irgendwann einen Haufen Reparaturwerkstätten, die alles machen. Ich bin nun seit mehr als 30 Jahren in der Branche und durfte seitdem einige derartige Entscheidungen erleben oder beobachten. Richtig gut und erfolgreich waren sie selten.«
Dass der Handel eher nüchtern reagiert, auch wenn er in der Regel den Abschied und die Trennung durchführen würde, zeigt sich an der Einschätzung, was die Zukunft wohl bringen mag. In den letzten 18 Monaten ist gefühlt die halbe Branche in die Hände von Investoren gewechselt. Zu erwarten, dass es in Zukunft noch zu der einen oder anderen Zumutung kommen wird, um kurzfristige Ziele zu erreichen, ist vermutlich nicht allzu weit hergeholt. Diese Ansicht teilt Thomas Schicketanz vom Zweirad-Center-Schicketanz in Bad Liebenwerda: »Ich denke, dass über kurz oder lang weitere Firmen diesen Weg gehen werden. In Zeiten, wo nur noch der Profit für die Aktionäre zählt, werden die individuelle Beratung und der schnelle Service vieler Händler vor Ort nicht mehr honoriert.«
Langfristige Auswirkungen bleiben zunächst ungewiss
Thorsten Larschow von Rad & Tour Cuxhaven sieht den Fachhandel, wenn er sich auf seine Stärken besinnt, nach wie vor auf der stärkeren Seite: »Hochmut kommt vor dem Fall. In der jetzigen Phase, in der nur noch wenige Fahrräder verkauft werden müssen, sondern die meisten Fahrräder gekauft werden, scheint es ein Leichtes zu sein, den Zwischenhandel auszuschalten. Es werden wieder andere Zeiten kommen und es gibt eine sehr große Gruppe Kunden, die auf andere Leistungen und Werte Wert legt. An der verzweifelten Suche jetziger Direktvertreiber nach Servicepartnern ist der Ausgang dieser Eskapaden schon jetzt abzulesen. Wichtig in der jetzigen Situation ist erst einmal, dass nicht der Kunde bei diesem ›Machtspielchen‹ zwischen die Mühlsteine gerät und Schaden erleidet. Der nächste wichtige Punkt scheint mir Fairness zu sein. Ich zumindest würde die Zusammenarbeit konsequent aufkündigen. Meine Zielgruppe sind Kunden, die eine Beratung wünschen. Darauf setze ich meinen Fokus. Dieser Fokus diktiert mir, Hersteller, die Direktvertrieb machen, auszulisten. Außerdem freue ich mich auf die Reparaturen an diesen Rädern. Die Reparaturpreise für Direktvertriebsmarken sind ungleich höher und somit lukrativer. Ich gucke mir das Ganze sehr entspannt an.«
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